JudikaturJustiz6Ob3/21s

6Ob3/21s – OGH Entscheidung

Entscheidung
18. Februar 2021

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden und die Hofräte Hon. Prof. Dr. Gitschthaler, Univ. Prof. Dr. Kodek, Dr. Nowotny sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Erwachsenenschutzsache der Betroffenen F*****, geboren am ***** 1967, *****, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Betroffenen, vertreten durch den gerichtlichen Erwachsenenvertreter Mag. T*****, Rechtsanwalt, *****, gegen den Beschluss des Landesgerichts Eisenstadt als Rekursgericht vom 7. November 2020, GZ 20 R 110/20f 233, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 71 Abs 3 AußStrG).

Text

Begründung:

[1] Der Betroffenen ist unter anderem für die Verwaltung ihres Liegenschaftsvermögens und für die Vertretung in Angelegenheiten der Vermögensverwaltung sowie gegenüber privaten Vertragspartnern bei Abschluss von Rechtsgeschäften, die über die Geschäfte des täglichen Lebens hinausgehen, ein gerichtlicher Erwachsenenvertreter bestellt; darüber hinaus ist für diese Angelegenheiten ein Genehmigungsvorbehalt angeordnet.

[2] Die Betroffene, die Eigentümerin mehrerer Liegenschaften ist und über ein Geldvermögen von rund 330.000 EUR verfügt, bewohnt derzeit gemeinsam mit ihrer erwachsenen Tochter ein Einfamilienhaus in N*****, das teilweise einen erhöhten Sanierungsbedarf aufweist, nicht barrierefrei ist und auch nur schwer barrierefrei umgestaltet werden kann; allerdings ist Barrierefreiheit für die Betroffene derzeit auch nicht notwendig.

[3] Die Betroffene vertrat im Juni 2019 die Auffassung, dass sie unbedingt im Haus ihrer Familie weiterleben möchte, um in weiterer Folge bis Mitte Juni 2020 die Errichtung eines Fertigteilhauses anzustreben. Eine Woche später beabsichtigte sie den Kauf eines bestehenden Wohnhauses in P*****, während sie Anfang Juli 2020 erklärte, keinesfalls eine Liegenschaft samt Haus kaufen zu wollen, weil sie lieber selber bauen möchte. Schließlich wünschte sie den Erwerb eines zweistöckigen Einfamilienhauses in K*****. Die Betroffene weist eine überhöhte Suggestibilität und einen enorm sprunghaften Charakter auf, der sich auch bereits in der Vergangenheit zeigte, als sie wahllos Verträge abschloss und dem gerichtlichen Erwachsenenvertreter Vorschläge unterbreitete, die weder sinnvoll noch finanzierbar gewesen wären; darüber hinaus wird sie von ihrer Tochter in ihren Wünschen massiv beeinflusst.

Rechtliche Beurteilung

[4] Die Vorinstanzen wiesen den Antrag der Betroffenen auf pflegschaftsgerichtliche Genehmigung des Abschlusses eines Kaufvertrags betreffend das Haus in K***** ebenso ab wie die Eventualanträge auf pflegschaftsgerichtliche Genehmigung der Veräußerung zweier Liegenschaften der Betroffenen und des Abschlusses eines Maklervertrags hiezu.

[5] 1. Nach § 241 Abs 1 ABGB, auf den sich die Betroffene in ihrem außerordentlichen Revisionsrekurs beruft, hat der Erwachsenenvertreter danach zu trachten, dass die vertretene Person im Rahmen ihrer Fähigkeiten und Möglichkeiten ihre Lebensverhältnisse nach ihren Wünschen und Vorstellungen gestalten kann, und sie, soweit wie möglich, in die Lage zu versetzen, ihre Angelegenheiten selbst zu besorgen. Daraus folgt, dass sich der Erwachsenenvertreter vom Willen des Betroffenen leiten zu lassen hat, Grenze jedoch eine erhebliche Gefährdung dessen Wohls ist ( Stefula in KBB 6 § 241 ABGB Rz 1, 2; vgl auch Weitzenböck in Schwimann/Kodek , ABGB 5 § 241 Rz 13), in welchem Zusammenhang auch ein Genehmigungsvorbehalt nach § 242 Abs 2 ABGB angeordnet werden kann; dieser soll ausschließlich den Betroffenen schützen (4 Ob 115/19v EF Z 2019/158 [ Schweighofer ]). Nach § 258 Abs 4 ABGB bedürfen Vertretungshandlungen eines Erwachsenenvertreters in Vermögensangelegenheiten zu ihrer Rechtswirksamkeit der Genehmigung des Gerichts, sofern die Vermögensangelegenheit nicht zum ordentlichen Wirtschaftsbetrieb gehört; auch dabei ist auf die subjektive Meinung selbst entscheidungsunfähiger vertretener Personen iSd § 241 Abs 2 ABGB Bedacht zu nehmen ( Weitzenböck aaO § 258 Rz 12).

[6] 2. Für das Selbstbestimmungsrecht trotz Stellvertretung (vgl die Überschrift zu § 241 ABGB) ist primär auf aktuell , subsidiär auf in der Vergangenheit geäußerte Wünsche und Vorstellungen zu achten; vormalige Äußerungen sind aber nur relevant, wenn aus ihnen zuverlässig der mutmaßliche jetzige Wille hervorgeht ( Neumayr , Leitlinien für die Verwaltung des Vermögens von behinderten Personen, iFamZ 2012, 244; Stefula aaO Rz 3). Der Erwachsenenvertreter – und damit auch das Gericht bei Genehmigung eines Rechtsgeschäfts – hat in Erfüllung seiner Pflicht zur „Wunschermittlung“

in erster Linie aktiv zu versuchen, die tatsächlichen Wünsche und Vorstellungen des Betroffenen zu ergründen; können diese ermittelt werden, sind sie prinzipiell umzusetzen ( Neumayr aaO), sofern damit nicht eine erhebliche Gefährdung des Wohls des Betroffenen verbunden ist. Grundvoraussetzung für die Berücksichtigung, also die tatsächliche Befolgung ( Barth/Marlovits in Barth/Ganner , Handbuch des Erwachsenenschutzrechts³ 138; Stefula aaO Rz 6) eines Wunsches des Betroffenen, der in jedweder Form erfolgen kann (verbal, nonverbal, auch in Form einer „unterstützten Entscheidungsfindung“ durch „Übersetzung“ durch eine Person, die den Betroffenen gut kennt [ Nachtschatt , Die rechtliche Handlungsfähigkeit im Erwachsenenschutz 269; Stefula aaO Rz 3], schriftlich, mittels technischer Unterstützung usw [ Barth/Marlovits aaO 262]) ist damit – dies erscheint ja geradezu selbstverständlich – die Feststellung des aktuellen ( Barth/Marlovits aaO) Wunsches des Betroffenen. Die Frage, was der tatsächliche und aktuelle Wunsch des Betroffenen ist, hängt aber ebenso von den Umständen des Einzelfalls ab wie die Frage einer allfälligen Gefährdung bei Berücksichtigung dieses Wunsches, sodass im Regelfall keine Rechtsfrage in der von § 62 Abs 1 AußStrG geforderten Qualität vorliegen wird.

[7] 3. Wenn das Rekursgericht aufgrund der getroffenen Feststellungen davon ausging, dass „kein eindeutiger, dauerhafter und nachhaltiger Wunsch der [ Betroffenen ] betreffend ein konkretes Projekt“ vorliegt und deshalb die Anschaffung des Hauses in K***** unter gleichzeitiger Veräußerung von Liegenschaftsvermögen der Betroffenen nicht zu genehmigen war, so kann darin keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung erkannt werden.