JudikaturJustiz6Ob212/00w

6Ob212/00w – OGH Entscheidung

Entscheidung
30. August 2000

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Schiemer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Steinbauer, Dr. Huber, Dr. Prückner und Dr. Schenk als weitere Richter in der Firmenbuchsache der S***** Gesellschaft mbH mit dem Sitz in L*****, wegen Verhängung von Zwangsstrafen, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Geschäftsführer der Gesellschaft 1. Erwin G*****, und 2. Edith S*****, beide vertreten durch Mag. Wolfgang Kempf, Rechtsanwalt in Linz, gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Linz als Rekursgericht vom 28. Juni 2000, GZ 6 R 206/00g-8, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 14 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof hat in jüngster Zeit mehrfach die Frage geprüft, ob die handelsrechtlichen Offenlegungsvorschriften und ihre Durchsetzung mit Zwangsstrafen, die auch repressiven Charakter haben (6 Ob 215/99y), verfassungskonform sind und ist zum Ergebnis gelangt, dass gegen die Umsetzung der Publizitätsrichtlinie (68/151/EWG) und der Bilanzrichtlinie (78/660/EWG) durch die österreichischen Offenlegungsvorschriften keine Bedenken bestehen (6 Ob 307/99m; 6 Ob 5/00d; 6 Ob 14/00b; 6 Ob 77/00t ua).

Die Revisionsrekurswerber wenden gegen die strikte Publizität (die Informationen sind jeder interessierten Person zugänglich zu machen) die Verfassungswidrigkeit und Richtlinienwidrigkeit des § 12 iVm § 33 FBG ein. Nach diesen Gesetzesstellen werde jedermann ohne Nachweis eines rechtlichen Interesses Einsicht in die Urkundensammlung gewährt und es werde die Herstellung von Kopien ermöglicht, während im Art 47 der Bilanzrichtlinie eine Antragstellung für die vollständige oder teilweise Ausfertigung des Berichtes (Lageberichtes) vorgesehen sei. Richtig ist, dass das Sekundärrecht (die beiden obgenannten Richtlinien) sowie das FBG für den noch nicht verwirklichten Fall der elektronischen Erfassung der Urkundensammlung die Zusendung von Abschriften an interessierte Antragsteller vorsehen. Nach Art 47 der Bilanzrichtlinie ist der Jahresabschluss samt Lagebericht und Prüfungsbericht wie nach Art 3 der Publizitätsrichtlinie offenzulegen. Der Lagebericht kann aber von der Registerpublizität ausgenommen werden. Er muss dann am Sitz der Gesellschaft für jedermann zur Einsichtnahme bereitgehalten werden. Abschriften müssen kostenlos erhältlich sein (Gruber, Bilanzpublizität für jedermann ? in RdW 1998, 525). Die Rekurswerber gehen möglicherweise davon aus, dass das Verlangen einer Abschrift ein rechtliches Interesse voraussetzt. Dies kann dem zitierten Sekundärrecht aber nicht entnommen werden. Ein solches Erfordernis widerspräche der vom EuGH in weitestem Umfang bejahten Offenlegungspflicht.

Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 16 Abs 4 AußStrG iVm § 510 Abs 3 ZPO).

Rechtssätze
4
  • RS0113282OGH Rechtssatz

    14. September 2021·3 Entscheidungen

    1. Die zwingenden Offenlegungsvorschriften der §§ 277 ff HGB an die gesetzlichen Vertreter von Kapitalgesellschaften richten sich an alle Geschäftsführer. Adressaten der Zwangsstrafenandrohung sind alle Mitglieder eines kollegialen Vertretungsorganes, unabhängig von einer Geschäftsverteilung. Die Verhängung von Zwangsstrafen gegen jeden Geschäftsführer führt weder zu einer gleichheitswidrigen Benachteiligung von Gesellschaften mit mehreren Geschäftsführern, noch übt das Gericht damit unverhältnismäßigen Zwang aus. 2. Die Offenlegungsbestimmungen und Sanktionsbestimmungen wurden durch das GesRÄG 1996 in richtlinienkonformer Umsetzung der 1. und 4. gesellschaftsrechtlichen Richtlinie des Rates (Publizitäts-RL 68/151/EWG und Bilanz-RL 78/660/EWG) formuliert, die ihrerseits auf Art 44 Abs 2 lit g EG beruhen. Danach liegt der Zweck in der Koordination von Schutzbestimmungen, die den Gesellschaften in ihren Mitgliedstaaten im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu halten. Die detaillierten Bestimmungen dieser Richtlinien lassen dem nationalen Gesetzgeber nur geringen Umsetzungsspielraum; er ist auch dann zur Umzusetzung verpflichtet, wenn dies nur unter Verletzung von Grundrechten möglich wäre. 3. Es besteht kein Zweifel, dass die Offenlegungsbestimmungen und Sanktionsbestimmungen der 1. und 4. Richtlinie des Rates mit den Grundrechten der Gemeinschaft vereinbar sind.