JudikaturJustiz6Bs226/06w

6Bs226/06w – OLG Innsbruck Entscheidung

Entscheidung
16. Mai 2006

Kopf

Beschluss

Das Oberlandesgericht Innsbruck hat durch seinen 6. Senat in der Strafsache gegen a) Herbert P*****, b) Klaus P*****, c) Christian K*****, d) Attila G*****, e) Bernd K*****, f) Christoph S*****, g) Dalma K*****, h) György S***** und i) Istvan R***** wegen §§ 215, 216 Abs 1 bis 3, 217 Abs 1, 278 Abs 1 StGB über die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Innsbruck gegen den Beschluss des Landesgerichtes Innsbruck vom 26.4.2006, GZl 38 Ur 74/06p-109, in nichtöffentliche Sitzung beschlossen:

Spruch

Der Beschwerde wird F o l g e gegeben, der angefochtene Beschluss aufgehoben und über Antrag der Staatsanwaltschaft Innsbruck gemäß § 149b Abs 1 StPO iVm § 149a Abs 1 Z 1 lit c und Abs 2 Z 3 lit a StPO die Überwachung der Telekommunikation in der Form angeordnet, dass der Firma G*****, aufgetragen wird, die Stamm-, Verkehrs-, Verbindungs- und Zugangsdaten (Benutzername und Passwort) zur email-Adresse „s*****“ und die noch vorhandenen emails (Inhaltsdaten) für den Zeitraum vom 1.1.2006 bis 14.4.2006 bekanntzugeben.

Text

Begründung:

Beim Landesgericht Innsbruck ist gegen die oben angeführten Beschuldigten die Voruntersuchung wegen §§ 215, 216 Abs 1 bis 3, 217 Abs 1 und 278 Abs 1 StGB anhängig. Aufgrund der bisherigen polizeilichen Erhebungen sind sie dringend verdächtig, zumindest seit Februar 2006 arbeitsteilig sowie firmen- und planmäßig eine größere Anzahl von ungarischen Prostituierten zur Wohnungsprostitution nach Innsbruck verbracht zu haben, dies mit dem Ziel, sich dadurch eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen. Die Rekrutierung der ungarischen Frauen soll über die ungarischen Beschuldigten (d, g bis i) erfolgt sein. Es besteht diesbezüglich der dringende Tatverdacht des organisierten Anwerbens der Frauen für die erwähnte Tätigkeit in Innsbruck. In Innsbruck sollen die Beschuldigten Herbert P***** und Klaus P***** sowie Christian K***** zumindest 20 Prostitutionswohnungen betrieben haben. Für die Organisation und Kommunikation hätten sich die Beschuldigten untereinander sowie auch in Beziehung zu den ungarischen Prostituierten moderner Technik (Mobiltelefone, PC, Internet) bedient.

Nach dem Erhebungsbericht des Landespolizeikommandos für Tirol vom 13.4.2006 habe sich aus einem überwachten Telefongespräch am 27.3.2006 ergeben, dass der Beschuldigte Herbert P***** über ein Notebook verfüge, mit welchem er unter anderem mit dem ungarischen Beschuldigten Attila G***** per emails korrespondierte. Die dabei von Herbert P***** verwendete email-Adresse laute „s*****“. Dieses Notebook habe bei der Hausdurchsuchung nicht gefunden und sichergestellt werden können. Zum Verbleib des Gerätes habe der Beschuldigte Herbert P***** keine Angaben gemacht bzw. behauptet, kein Notebook zu besitzen.

Die im Kopf dieses Beschlusses angeführten Beschuldigten sind dringend verdächtig, das Verbrechen des grenzüberschreitenden Prostitutionshandels nach § 217 Abs 1 StGB sowie das Vergehen der Zuhälterei nach § 216 Abs 1, 2 dritter und vierter Fall und Abs 3 StGB (als unmittelbare Täter oder Beitragstäter) zu verantworten. Am 14.4.2006 stellte die Staatsanwaltschaft Innsbruck den Antrag an das Landesgericht Innsbruck, die inhaltliche Überwachung der Telekommunikation durch Übermittlung der am Server der Firma G*****, zur email-Adresse „s*****“ angelegten/abgespeicherten Stamm-, Verkehrs- und Verbindungsdaten, Zugangsdaten (User-Name und Passwort) sowie der am Server noch vorhandenen emails vom 1.1.2006 bis 14.4.2006 anzuordnen.

Die Ratskammer des Landesgerichtes Innsbruck wies mit dem angefochtenen Beschluss diesen Antrag ab. In der Begründung wurde ausgeführt:

Grundsätzlich komme für die Überwachung von elektronischer Post neben der Überwachung des gesamten gerätebezogenen Datenverkehrs auch die Überwachung einer email-Adresse als Teilnehmeranschluss in Betracht. Solange die elektronische Post noch nicht abgerufen ist, sei der Übertragungsvorgang noch nicht abgeschlossen und damit eine inhaltliche Telekommunikationsüberwachung, die gemäß § 149b Abs 1 StPO durch die Ratskammer anzuordnen sei, zulässig. Sobald jedoch die Nachrichten am Endgerät des Benützers gespeichert sind, sei die Übertragung abgeschlossen und somit seien die Nachrichten bzw. deren Ausdrucke einer Beschlagnahme beim Empfänger nach §§ 143 ff StPO zugänglich. Bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 149b Abs 3 StPO werde eine Erhebung der Inhalte beim Provider jedenfalls als Telekommunikationsüberwachung zu gelten haben. Gemäß § 149b Abs 3 StPO dürfe die inhaltliche Überwachung nur für einen solchen - künftigen - Zeitraum angeordnet werden, der zur Erreichung ihres Zweckes voraussichtlich erforderlich sei. Da jedoch die Staatsanwaltschaft die inhaltliche Überwachung der emails für einen vergangenen Zeitraum, nämlich vom 1.1.2006 bis 14.4.2006 beantragt hat, sei ihr Antrag abzuweisen gewesen.

Dagegen richtet sich die rechtzeitige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Innsbruck, die unter Berufung auf den Wiener Kommentar zur Strafprozessordnung den Standpunkt einnimmt, dass im vorliegenden Fall auch die inhaltliche Überwachung der emails für den vergangenen Zeitraum zulässig sei.

Rechtliche Beurteilung

Die Beschwerde ist berechtigt.

Reindl führt zu § 149a StPO im Wiener Kommentar wie folgt aus:

„Wurden die Inhaltsdaten vom Nutzer bereits abgerufen, dann bleiben sie bei verschiedenen Diensten beim Betreiber des Telekommunikatinonsdienstes gespeichert, sodass die Daten uU sowohl durch Zugriff beim Betreiber als auch durch Zugriff beim Kommunikationsteilnehmer ermittelt werden können. Ob die Datenerhebung als Überwachung der Telekommunikation anzusehen ist oder als Beschlagnahme, hängt in diesem Fall davon ab, wo der Zugriff erfolgt: Werden die Daten beim Kommunikationsteilnehmer selbst erhoben, ist mit Beschlagnahme vorzugehen. Werden sie beim Betreiber des Telekommunikationsdienstes ermittelt, dann müssen die Voraussetzungen der §§ 149a - c vorliegen (zur Begründung siehe oben Rz 12 - 15).

Zweifel an dieser Abgrenzung könnte lediglich der neue Wortlaut des § 149b Abs 3 erwecken, der vorschreibt, dass die Überwachung ‘nur für einen solchen - künftigen, in den Fällen des § 149a Abs 1 Z 1 lit a und b auch vergangen - Zeitraum angeordnet’ weden darf, der zur Erreichung des Überwachungsziels erforderlich ist. Auf den ersten Blick scheint es also, als gäbe es keine nachträgliche Offenlegung von Inhaltsdaten unter dem Regime des § 149a, sondern bloß von Standort- und Vermittlungsdaten. Es ist aber nicht davon auszugehen, dass der Gesetzgeber tatsächlich eine unterschiedliche Behandlung für Inhalts-, Standort- und Vermittlungsdaten in Bezug auf vergangene Zeiträume angestrebt hat. Vielmehr ist der ohnehin nur in Gedankenstrichen angeführte Hinweis auf künftige und vergangene Zeiträume in § 149b Abs 3 wohl so zu verstehen, dass der Regelfall der Inhaltsüberwachung die Überwachung künftiger Kommunikationsverbindungen ist und daher nur dieser vom Gesetzgeber explizit genannt wurde. Sollte ausnahmsweise eine nachträgliche Erhebung von Inhaltsdaten beim Anbieter des Telekommunikationsdienstes nötig sein, ist sie daher ebenfalls nach §149a anzuordnen. Auf diese Weise wird zum einen eine Gleichbehandlung von nachträglicher Inhaltserhebung, Rufdatenrückerfassung und nachträglicher Standortbestimmung erreicht. Zum anderen wird nach wie vor dem Schutzgedanken Rechnung getragen, dass der Benutzer die Daten nicht in seiner Einflusssphäre hat, wenn sie (auch) beim Anbieter des Telekommunikationsdienstes verfügbar sind.“

Dieser Rechtsauffassung schließt sich das Beschwerdegericht in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Oberstaatsanwaltschaft an. Die angeordnete Überwachung der Telekommunikation ist zulässig, weil die Überwachung zur Aufklärung einer vorsätzlich begangenen, mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedrohten strafbaren Handlung erforderlich erscheint und der Inhaber des Teilnehmeranschlusses (der genannten email-Adresse) Herbert P***** selbst dringend verdächtig ist, die Tat begangen zu haben und weil die Verhältnismäßigkeit zum Zweck der Maßnahme gewahrt erscheint. Der angestrebte Erfolg steht nämlich in einem vertretbaren Verhältnis zu den voraussichtlich bewirkten Eingriffen in die Rechte unbeteiligter Dritter. Weniger eingreifende Maßnahmen begründen nicht die Aussicht auf den angestrebten Erfolg.

Es war daher der Beschwerde der Staatsanwaltschaft Folge zu geben und im Sinne ihrer Antragstellung spruchgemäß zu beschließen.

Rechtssätze
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