JudikaturJustiz4R8/08w

4R8/08w – OLG Innsbruck Entscheidung

Entscheidung
28. Januar 2008

Kopf

Beschluss

Das Oberlandesgericht Innsbruck als Rekursgericht hat durch den Senatspräsidenten des Oberlandesgerichtes Dr.R. Braunias als Vorsitzenden sowie die Richter des Oberlandesgerichtes Dr.Hoffmann und Dr.Purtscheller als weitere Mitglieder des Senates in der Rechtssache der klagenden Partei T*****, vertreten durch Dr.Erwin Markl, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Eberhard L*****, vertreten durch Weh Rechtsanwalt GmbH in 6900Bregenz, wegen EUR31.409,55 und EUR106.829,07, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichtes Innsbruck vom 9.11.2007, 10Cg 215/01k-63, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen:

Spruch

Der Antrag auf Anberaumung einer mündlichen Verhandlung wird abgewiesen.

Dem Rekurs wird F o l g e gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird ersatzlos a u f g e h o b e n . Der Revisionsrekurs ist gemäß § 528 Abs 2 Z 4 ZPO jedenfalls unzulässig.

Text

Begründung:

Mit Urteil des Erstgerichtes vom 14.5.2003 wurde der Beklagte zur Zahlung von EUR 31.409,55 an die Klägerin verurteilt. Sein auf die Zahlung von EUR106.829,07 gerichtetes Widerklagebegehren wurde gleichzeitig abgewiesen. Diese Entscheidung wurde mit Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom 20.2.2004 bestätigt. Die dagegen vom Beklagten erhobene außerordentliche Revision wurde gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO vom Obersten Gerichtshof mit Beschluss vom 20.10.2004 zurückgewiesen. Dieser Beschluss wurde dem damaligen Klagsvertreter am 17.11.2004 und dem seinerzeitigen vom Beklagten bevollmächtigten Vertreter am 18.11.2004 zugestellt.

Mit dem angefochtenen Beschluss erkannte das Erstgericht den Beklagten schuldig, die Pauschalkosten für die Verfahren zweiter und dritter Instanz in der Gesamthöhe von EUR 7.432,--, von deren Entrichtung der Beklagte im Rahmen der ihm teilweise bewilligten Verfahrenshilfe einstweilen befreit gewesen war, an die Republik Österreich zu bezahlen. Diesen Beschluss stützte das Erstgericht auf § 71 Abs 1 ZPO. Der Beklagte sei nach seinen nunmehrigen erhobenen Einkommens- und Vermögensverhältnissen in der Lage, ohne Beeinträchtigung seines notwendigen Unterhalts diese Beträge an den Bund zu bezahlen. Der Beklagte bekämpft diesen Beschluss mit seinem Rekurs, in dem er erklärt, als Rekursgründe Mangelhaftigkeit des Verfahrens, unrichtige Sachverhaltsfeststellung und unrichtige rechtliche Beurteilung geltend zu machen. Abschließend beantragt der Beklagte, eine mündliche Verhandlung anzuberaumen und ihn persönlich zu hören sowie den angefochtenen Beschluss ersatzlos aufzuheben.

Gemäß § 526 Abs 1 ZPO ist über den Rekurs ohne vorhergehende mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung durch Beschluss zu entscheiden. Diese Bestimmung steht nach neuerer Auffassung zwar der Anberaumung einer Rekursverhandlung nicht ausnahmslos entgegen (2 Ob 258/05p). Allerdings werden hier keine Umstände vom Rekurswerber aufgezeigt, die die Durchführung einer mündlichen Rekursverhandlung erforderlich machen. Von den Feststellungen des Erstgerichtes könnte das Rekursgericht aufgrund der Beweisrüge des Beklagten ohnehin auch in nicht öffentlicher Sitzung abgehen, da das Erstgericht die Sachverhaltsgrundlage nur anhand der vom Beklagten übermittelten Unterlagen (Vermögensbekenntnis, ergänzende Schreiben und Unterlagen) erarbeitete. Über den Rekurs war daher in nicht öffentlicher Sitzung zu entscheiden; der nicht von vornherein unzulässige, auf Anberaumung einer mündlichen Verhandlung gerichtete Antrag war abzuweisen (3 Ob 199/03s, vgl auch Zechner in Fasching/Konecny² Rz 5 zu § 526 ZPO). Dem Nachweis über die Zustellung des angefochtenen Beschlusses ist nicht mit Sicherheit zu entnehmen, wann dieser dem Beklagten zugestellt wurde. Es ist jedoch mit Grund anzunehmen, dass dies jedenfalls eindeutig nach dem 15.11.2007 und spätestens am 20.11.2007 der Fall war. Der Rekurswerber behauptet unwiderlegt den 20.11.2007 als Zustellungsdatum. Dem früher bevollmächtigten Vertreter des Klägers wurde der Beschluss am 19.11.2007 zugestellt. Es kann daher dahingestellt bleiben, wem der Beschluss nun tatsächlich zuzustellen gewesen wäre, weil in jedem Fall zugunsten des Beklagten anzunehmen ist, dass sein Rekurs rechtzeitig ist.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist im Ergebnis im Sinne des gestellten Antrages auf ersatzlose Aufhebung des Beschlusses berechtigt.

Unter Hinweis auf §71 Abs 1 letzter Satz ZPO vertritt der Rekurswerber die Ansicht, der Rückzahlungsanspruch sei verjährt. Gemäß § 71 Abs 1 ZPO ist die die Verfahrenshilfe genießende Partei mit Beschluss zur gänzlichen oder teilweisen Nachzahlung unter anderem der Beträge zu verpflichten, von deren Berichtigung sie einstweilen befreit gewesen ist und die noch nicht berichtigt sind, sowie und sobald sie ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts dazu imstande ist. Nach Ablauf von drei Jahren nach Abschluss des Verfahrens kann die Verpflichtung zur Nachzahlung nicht mehr auferlegt werden. Richtig ist, dass nach Fucik in Rechberger, ZPO, 3. Auflage, § 71 ZPO Rz 3, und der dort zitierten Entscheidung des OLG Wien, WR 208, die 3-Jahres-Frist nur dann gewahrt sein soll, wenn der Nachzahlungsbeschluss der Partei innerhalb dieser Frist zugestellt wurde (ebenso Klauser/Kodek, ZPO, 16. Auflage, §71 ZPO E 10; siehe auch die bei Liebhart/Herzog, Das Fristenhandbuch, §§ 66, 68, 71 ZPO, Anm6 zitierte Judikatur). Begründet wird dies überwiegend damit, dass Beschlüsse, die außerhalb von Tagsatzungen gefasst wurden, gegenüber den Parteien mit der Zustellung wirksam werden, sodass erst in diesem Zeitpunkt der Akt des „Auferlegens" der Nachzahlungsverpflichtung im Sinne des § 71 Abs 1 ZPO als abgeschlossen anzusehen sei (WR 208). In diesem Sinn sprach der Oberste Gerichtshof zu 3 Ob 22/87 = SZ 60/131 unter Bezugnahme auf §409 Abs 3 ZPO aus, dass die Vollstreckbarkeit eines Exekutionstitels frühestens eintritt, wenn der Exekutionstitel gegenüber dem Verpflichteten (durch die Zustellung) wirksam wurde, weil ab diesem Zeitpunkt die darin festgelegte Verpflichtung beginnt (vgl hier allerdings § 71 Abs 2 letzter Halbsatz ZPO, wonach der Beschluss erst nach Eintritt der Rechtskraft vollstreckbar ist). Zu 14 R 235/99b, 14 R 236/99z (WR 894; vgl auch Klauser/Kodek aaO E9) vertrat hingegen das OLG Wien die Meinung, der Zweck der genannten Frist liege darin, dass eine Partei nicht von einer Verpflichtung zur Nachzahlung nach mehr als drei Jahren nach Beendigung des Verfahrens überrascht werden solle. Bei dieser Frist handle es sich um eine von Amts wegen wahrzunehmende Verjährungsvorschrift, sodass auch andere die Verjährung betreffende Vorschriften und Rechtsgrundsätze anzuwenden seien. Gehe man davon aus, dass Verjährungsfristen allgemein durch die jeweils einschlägige Antragstellung unterbrochen würden, so überzeuge es nicht schlechthin, die Zustellung des Beschlusses innerhalb der Frist zu verlangen. Bei einem Vorgehen nach §71 ZPO aufgrund eines Antrages reiche es vielmehr zur Einhaltung der Frist von drei Jahren aus, dass innerhalb dieser Frist der Antrag zur Kenntnis gebracht sowie der Beschluss vom Erstgericht gefasst und der Kanzlei übergeben werde.

Bydlinski in Fasching/Konecny, 2. Auflage, II/1, § 71 ZPO, Rz 8, zitiert ebenfalls die Judikatur, die zur Fristenwahrung auf die Zustellung des Beschlusses abstellt. Wolle man dieser Auffassung folgen, werde das Gericht seiner Ansicht nach darauf zu achten haben, nicht zu spät mit seinen Erhebungen zu beginnen, damit eine rechtzeitige Zustellung nicht versäumt werde. Verzögerungen könnten sich nicht nur dadurch ergeben, dass bei Unklarheit der Parteiangaben mit Verbesserungsaufträgen vorgegangen werden müsse, sondern bereits bei Ermittlung der aktuellen Anschrift der Partei, die sich seit Beendigung des Verfahrens geändert haben könne. Auch wenn es nicht unproblematisch erscheine, für die Lösung dieses Problems auf materiell-rechtliche Verjährungsvorschriften zurückzugreifen und dabei unter anderem dem Umstand Bedeutung beizumessen, dass die Entscheidung allenfalls auf einen Antrag des Verfahrenshilfeanwalts zurückgeht (vgl OLG Wien WR894), spreche im Ergebnis doch einiges für ein Abstellen auf jenen Zeitpunkt, in dem die Entscheidung vom Richter zur Ausfertigung abgegeben werde; nur dieser Zeitpunkt sei vom Gericht bestimmbar, er könne auch nicht - wie die Zustellung - von der Partei beeinflusst werden.

Diese Ansicht ist überzeugend. Dazu kommt Folgendes:

Ebenso wie das Erstgericht hat auch das Rekursgericht gewöhnlich seiner Entscheidung die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Beschlussfassung durch das Erstgericht zugrundezulegen (vgl RIS-Justiz RS0006810, RS0006928). Ist ein Beschluss wie hier schriftlich auszufertigen und den Parteien zuzustellen, ist es dem Erstgericht nicht möglich, den in der Zukunft liegenden sowie von verschiedenen Umständen abhängigen und damit nicht von vornherein zu bestimmenden Zeitpunkt der Zustellung bei seiner Entscheidung zu berücksichtigen. Es ist dem § 71 Abs 1 ZPO nicht zu entnehmen, dass für das dort geregelte Verfahren Abweichendes gelten sollte.

Schon deshalb erachtet das Rekursgericht die in diese Richtung argumentierende Judikatur für nicht stichhältig. Vielmehr ist der letzte Satz des § 71 Abs1 ZPO so auszulegen, dass die Frist jedenfalls dann gewahrt ist, wenn das Gericht wie hier innerhalb der Frist die Entscheidung zur Nachzahlungsverpflichtung trifft und zur Ausfertigung übergibt. Abgesehen vom Erfordernis der Rechtskraft, die auch mit der Zustellung des Beschlusses des Erstgerichtes nicht eintritt, sind damit die notwendigen Voraussetzungen für das Entstehen („Auferlegen") der Rückzahlungsverpflichtung geschaffen, sodass diese Auslegung auch durchaus mit dem Wortlaut der zitierten Bestimmung in Einklang zu bringen ist. Hingegen ist diesem nicht zu entnehmen, dass der Beschluss faktisch eo ipso wirkungslos werden sollte, wenn er nicht innerhalb der Frist zugestellt wird. Die Ansicht, dass zur Fristenwahrung auf die (hier ohnehin nicht gegebene) Antragstellung abzustellen sei, muss unter den gegebenen Umständen nicht mehr erörtert werden, zumal der Beklagte rechtzeitig zur Vorlage eines neuen Vermögensbekenntnisses aufgefordert wurde und daher von einer die Rückzahlung auferlegenden Entscheidung des Gerichtes nicht völlig überrascht werden konnte. Die Nachzahlungsverpflichtung des Beklagten ist daher nicht durch die erst nach Fristablauf erfolgte Zustellung erloschen.

Das Erstgericht stellte fest, dass die monatlichen Bruttoeinkünfte des Beklagten inklusive Mieteinnahmen EUR 6.219,63 betragen würden. Dazu komme noch ein Barvermögen von EUR 1.123,93. Nach Abzug von Steuern (EUR879,--), Kosten für Krankenversicherung (EUR 414,--), Lebensversicherung (EUR 205,--) und für sonstige Versicherungen (EUR 95,--) verbleibe dem Beklagten ein Nettoeinkommen von EUR4.626,63, von dem er seine Lebenserhaltungskosten und seine monatliche Schuldentilgung von EUR 1.606,60 zu bestreiten habe. Diese Feststellungen werden vom Rekurswerber als unrichtig gerügt. Dem ist jedoch entgegen zu halten, dass die Feststellungen mit den Angaben des Beklagten gegenüber dem Erstgericht vollkommen übereinstimmen, sodass sie in diesem Umfang unbedenklich sind (§§526 Abs 3, 500a ZPO). Nach Ansicht des Rekurswerbers habe das Erstgericht allerdings unbeachtet gelassen, dass er für andere Personen unterhaltspflichtig sei und dass unter anderem aufgrund einer schweren Krebsoperation die von ihm zu tragenden Lebenshaltungskosten so hoch seien, dass er eine Gesamtbelastung von monatlich EUR 5.558,88 zu tragen habe. Für Dezember 2007 verbleibe dem Beklagten nach Abzug der von ihm zu tragenden Belastungen ein Betrag von EUR2,95 zur Finanzierung von Lebensmitteln, Kleidung usw. Derartige Behauptungen wurden vom Beklagten in erster Instanz allerdings nicht vorgetragen und sind daher in sinngemäßer Anwendung des § 482 ZPO als unzulässige Neuerungen nicht zu berücksichtigen. Der Rekurs ist im Ergebnis aber dennoch aus folgenden Erwägungen heraus berechtigt:

Die bereits zitierte Bestimmung des § 71 Abs 1 ZPO wird von der herrschenden Rechtsprechung und Lehre dahin ausgelegt, dass eine Nachzahlungsverpflichtung eine objektive Verbesserung der Vermögensverhältnisse voraussetzt. Es reicht dafür nicht aus, dass die unveränderten Vermögensverhältnisse nunmehr anders beurteilt werden. Allerdings kann die Nachzahlungspflicht auch bei gleichgebliebenen Vermögens- und Einkommensverhältnissen bestehen, weil die Verfahrenshilfe es auch ermöglichen soll, das zur Prozessführung notwendige Kapital während eines längeren Zeitraums anzusparen. Die Partei ist grundsätzlich zur Ansparung auch verpflichtet. Eine Nachzahlungsverpflichtung kann auch dadurch entstehen, dass entgegen der ursprünglichen Annahme im weiteren Verfahrenslauf nur sehr geringe Kosten entstanden sind (Klauser/Kodek aaO, § 71 ZPO E 1 f; Bydlinski aaO § 71 ZPO Rz 2; vgl Fucik aaO § 71 ZPO Rz 1).

Dem angefochtenen Beschluss sind keine Feststellungen zu entnehmen, die eine Beurteilung der angeschnittenen Fragen zuließen. Der seinerzeitige Bewilligungsbeschluss ist ohne Begründung ergangen. Vergleicht man jedoch die schon in erster Instanz vom Beklagten seinerzeit und auch nunmehr gemachten Angaben, so zeigt sich, dass sich die Einkommens- und Vermögenssituation des Beklagten unter Berücksichtigung der gestiegenen Lebenshaltungskosten nicht entscheidend verbessert hat. Diesen Angaben, die vom Erstgericht bei seiner Beschlussfassung großteils nicht berücksichtigt wurden, ist weiters zu entnehmen, dass sich die Ausgaben des Beklagten nicht wesentlich verringerten. Eine objektive Verbesserung der Vermögensverhältnisse des Beklagten als eine Voraussetzung für die Auferlegung der Nachzahlungsverpflichtung ist sohin nach der Aktenlage nicht eingetreten. In Stattgebung des Rekurses war daher der angefochtene Beschluss ersatzlos zu beheben, ohne dass noch geprüft werden musste, ob sich das Erstgericht bei seiner Beschlussfassung nicht auf einen Ausspruch der Ersatzpflicht dem Grunde nach beschränken hätte müssen (vgl dazu Klauser/Kodek aaO § 71 ZPO, E 18, E 19; Bydlinski aaO § 71 ZPO, Rz 5; Fucik aaO § 71 ZPO Rz 3). Oberlandesgericht Innsbruck

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