JudikaturJustiz4R227/08a

4R227/08a – OLG Innsbruck Entscheidung

Entscheidung
27. Oktober 2008

Kopf

B e s c h l u s s

Das Oberlandesgericht Innsbruck als Rekursgericht hat durch den Senatspräsidenten des Oberlandesgerichtes Dr. Robert Braunias als Vorsitzenden sowie die Richter des Oberlandesgerichtes Dr. Wolfgang Salzmann und Dr. Wolfram Purtscheller als weitere Mitglieder des Senates in der Rechtssache der antragstellenden Parteien 1) Nabila S*****, 2) Mahmoud S*****, beide unbekannten Aufenthaltes, beide vertreten durch den Abwesenheitskurator Dr. Georg Gschnitzer, Rechtsanwalt in Innsbruck, über den Rekurs der antragstellenden Parteien gegen den Beschluss des Landesgerichtes Innsbruck vom 2.10.2008, 5 Nc 11/08z-2, in nicht öffentlicher Sitzung beschlossen:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben. Den antragstellenden Parteien wird Verfahrenshilfe im vollen Umfang des § 64 ZPO bewilligt. Der Revisionsrekurs ist nach § 528 Abs 2 Z 4 ZPO jedenfalls unzulässig.

B e g r ü n d u n g :

Text

Mahmoud S*****, und Nabila S*****, sind durch Adoption Kinder der am 27.11.2005 verstorbenen Rosa Maria S*****. Die Antragsteller waren in Kabul, Afghanistan wohnhaft, sind aber derzeit unbekannten Aufenthaltes; auch ihre derzeitigen näheren Lebensumstände sind nicht bekannt.

Zu ihrem Abwesenheitskurator wurde mit jeweils am 16.5.2008 gefassten Beschluss zu 36 P 6/08t und 36 P 7/08i des Bezirksgerichtes Innsbruck der Rechtsanwalt Dr. Georg Gschnitzer, 6020 Innsbruck, Andreas-Hofer-Straße 1, bestellt, und zwar zur Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen gegen die Verlassenschaft nach Rosa Maria S*****.

Der Abwesenheitskurator beantragte für Nabila S***** und Mahmoud S***** die Bewilligung der Verfahrenshilfe "im vollen Umfang des § 63 ZPO" (gemeint offensichtlich: § 64 ZPO). Er führte dazu aus, die beiden Antragsteller seien seit Jahren unbekannten Aufenthaltes. Er sei aufgrund der jahrelangen Abwesenheit und des fehlenden Kontaktes zu den beiden Antragstellern nicht imstande, den amtlichen Vordruck auf Verfahrenshilfe (gemeint offensichtlich: das Vermögensbekenntnis nach § 66 ZPO) auszufüllen. Er sei aber als Abwesenheitskurator verpflichtet, für die beiden Antragsteller Klage auf den Ausfall am Pflichtteil einzubringen.

Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Erstgericht diesen Antrag mit der Begründung ab, über den Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe sei auf der Grundlage des Vermögensbekenntnisses zu entscheiden. Nun könne zwar - wie hier ob der äußeren Umstände - in Ausnahmefällen von der Vorlage eines Vermögensbekenntnisses abgesehen werden; dies enthebe die Antragsteller aber nicht von der Verpflichtung, die Voraussetzungen für die Bewilligung der Verfahrenshilfe zu behaupten und zu bescheinigen. Dies möge zwar im vorliegenden Fall wegen des unbekannten Aufenthaltes der Antragsteller aus naheliegenden Gründen nicht möglich sein, doch sehe das Gesetz keine Ausnahme hinsichtlich der Voraussetzungen für die Bewilligung der Verfahrenshilfe für Parteien unbekannten Aufenthaltes vor, sodass der Antrag der Antragsteller mangels Bescheinigung der Voraussetzungen für die Bewilligung der Verfahrenshilfe der Abweisung zu verfallen habe. Der Einleitung eines Verbesserungsverfahrens bedürfe es wegen der offenkundigen Aussichtslosigkeit desselben nicht.

Diesen Beschluss bekämpfen die Antragsteller mit Rekurs und dem Antrag, den gegenständlichen Beschluss dahingehend abzuändern, dass ihnen die Verfahrenshilfe im vollen Umfang gemäß § 63 ZPO gewährt werde.

Die Antragsteller machen geltend, es sei allein durch ihr Vorbringen im Antrag vom 25.9.2008 hinlänglich bewiesen, dass davon auszugehen sei bzw fest stehe, dass ein Vermögen der beiden Antragsteller nicht bekannt sei, weshalb die Verfahrenshilfe zu bewilligen sei. Zumindest hätte das Erstgericht insoweit einen Verbesserungsauftrag erteilen müssen.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist berechtigt.

Die mit jeder Prozessführung verbundenen finanziellen Lasten, vor allem die mit der Einleitung, aber auch mit dem Fortgang und dem Abschluss eines Rechtsstreites verbundenen Kosten dürfen kein Hindernis für die Durchsetzung begründeter Rechtsansprüche oder für die Verteidigung einer im guten Glauben vertretenen Rechtsposition sein. Es gehört zum Wesen des Rechtsstaates, jedem die Durchsetzung seiner Rechtsansprüche ohne Rücksicht auf seine wirtschaftlichen Verhältnisse zu ermöglichen; der Mangel an finanziellen Mitteln darf kein Hindernis sein, im Bedarfsfall die staatliche Rechtspflege in Anspruch zu nehmen (Erläuterungen RV 846 BlgNR 13. GP 7). Allerdings regelt die ZPO detailliert die wirtschaftlichen und formalen Voraussetzungen der Bewilligung der Verfahrenshilfe, insbesondere die Verpflichtung, ein unter Verwendung eines Formblattes zu erstellendes Vermögensbekenntnis vorzulegen (§ 66 ZPO). Anhand des Vermögensbekenntnisses ist zu prüfen, ob die die Verfahrenshilfe beantragende Partei außer Stande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten (§ 63 Abs 1 ZPO).

Eine formalistische Auslegung des § 66 ZPO würde dann zu einem nicht dem dargelegten Zweck der Verfahrenshilfe entsprechenden Ergebnis führen, wenn jene Personen, zu deren Gunsten die beabsichtigte Rechtsverfolgung notwendig ist, unbekannten Aufenthaltes sind, sodass der gerichtlich bestellte Abwesenheitskurator keine Angaben über die Vermögensverhältnisse machen kann. Dass solche Umstände vorliegen, hat der Abwesenheitskurator ausreichend dadurch behauptet und belegt, dass nach dem bisherigen Ergebnis der Verlassenschaftsabhandlung die beiden Antragsteller zuletzt in Kabul, Afghanistan wohnhaft waren. Unter diesen Umständen kann nicht erwartet werden, dass in einem - wegen der Gefahr der Verjährung dringenden - Verfahren zur Bewilligung der Verfahrenshilfe eingehende Nachforschungen über die Lebensumstände der abwesenden Antragsteller angestellt werden. Konsequenterweise kann von einem gerichtlich bestellten Abwesenheitskurator in einem solchen Fall auch nicht verlangt werden, dass er ein Vermögensbekenntnis vorlegt, das auch nicht annähernd aussagekräftig sein kann.

Unter diesen Umständen kann der Abwesenheitskurator seine ihm gerichtlich aufgetragene Verpflichtung zur Rechtsdurchsetzung im Interesse der abwesenden Antragsteller nur erfüllen, wenn diesen die Verfahrenshilfe bewilligt wird. Nach der Aktenlage stehen dem Abwesenheitskurator keine Mittel zur Verfügung, die zur Führung des Rechtsstreites erforderlich wären; dass der Abwesenheitskurator dazu eigenes Vermögen nicht aufwenden muss, bedarf keiner näheren Begründung.

Der Abwesenheitskurator hat somit die Voraussetzungen für die Bewilligung der Verfahrenshilfe nach den besonderen Umständen des vorliegenden Falles ausreichend dargelegt. Mangels anderer Anhaltspunkte ist davon auszugehen, dass die früher in Afghanistan unter nicht bekannten Lebensverhältnissen wohnhaften Antragsteller, vertreten durch den Abwesenheitskurator, derzeit außer Stande sind, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten; sollte sich herausstellen, dass diese derzeit angenommenen Voraussetzungen nicht gegeben waren, könnte die Verfahrenshilfe nach § 68 Abs 2 ZPO zur Gänze oder zum Teil entzogen werden. Dieses Korrektiv wird dem oben dargelegten Zweck der Verfahrenshilfe besser gerecht als eine zu formalistische Anwendung des § 66 ZPO.

Die beantragte Verfahrenshilfe im vollen Umfang des § 64 ZPO war daher in Abänderung des angefochtenen Beschlusses zu bewilligen.

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