JudikaturJustiz3R38/23x

3R38/23x – OLG Innsbruck Entscheidung

Entscheidung
17. April 2023

Kopf

Das Oberlandesgericht Innsbruck hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten des Oberlandesgerichts Dr. Kohlegger als Vorsitzenden und die Richterin des Oberlandesgerichts Dr. Pirchmoser sowie den Richter des Oberlandesgerichts MMag. Dr. Dobler als weitere Mitglieder des Senats in der Rechtssache der klagenden Partei A* , geb am **, ohne Beschäftigungsangabe, **, **, vertreten durch Dr. Thomas Juen, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, gegen die beklagte Partei B* C* GmbH , ** D*, **straße **, vertreten durch Dr. Sabine Prantner, Rechtsanwältin in 6020 Innsbruck, wegen EUR 47.768,73 s.Ng. und Feststellung (Streitinteresse: EUR 5.000,-- s.Ng.) über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck vom 27.1.2023, 2 Nc 1/23d 2, mit dem der in der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 30.11.2020, 20 Cg 44/21s 91, enthaltene Ablehnungsantrag gegen den Richter des Landesgerichts Innsbruck Mag. E* zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen:

Spruch

Dem Rekurs, dessen Kosten die klagende Partei selbst zu tragen hat, wird k e i n e Folge gegeben.

Der Revisionsrekurs ist jedenfalls u n z u l ä s s i g .

Text

begründung:

Im Hauptverfahren 20 Cg 44/21s LG Innsbruck behauptet die Klägerin ärztliche Kunstfehler und mangelnde Aufklärung durch einzelne Mitarbeiter:innen des F* G* H* B*. Mit Urteil vom 30.11.2022, 20 Cg 44/21s 91, wies der nunmehr abgelehnte Richter das Leistungsbegehren zum größeren Teil und das Feststellungs- und Eventualfeststellungsbegehren zur Gänze ab.

Mit der gegen diese Entscheidung am 11.1.2023 erhobenen Berufung verband die Klägerin einen Ablehnungsantrag gegen den erkennenden Richter (ON 95 S 2 5). Zusammengefasst wird dieser Ablehnungsantrag damit begründet, der abgelehnte Richter habe in einem Parallelverfahren (20 Cg 1/21t LG Innsbruck) selbst eine Befangenheitsmitteilung wegen der Behandlung eines Familienmitglieds in einem von der Beklagten betriebenen Krankenhaus abgegeben, die vom LG Innsbruck und vom OLG Innsbruck als nicht berechtigt eingestuft worden sei. Aus mehreren seiner Stellungnahmen ergebe sich jedoch auch objektiv eine Anscheinsbefangenheit oder sogar eine persönliche Befangenheit, weil der abgelehnte Richter eine Vertrauensbeziehung zu Personal der Beklagten infolge der von diesem durchgeführten Behandlung seines Familienmitglieds entwickelt habe.

In der nach Zustellung der Berufung samt Ablehnungsantrag erstatteten Berufungsbeantwortung nimmt die Beklagte zu diesem Ablehnungsantrag keine Stellung (ON 98).

In seiner Stellungnahme zum Ablehnungsantrag im Hauptverfahren 20 Cg 44/21s vom 13.1.2023 erachtet sich der abgelehnte Richter im gegenständlichen Verfahren keineswegs für befangen. Die im Parallelverfahren angezeigte Befangenheit habe sich nicht auf Mitarbeiter:innen des I* G* H* B* und die Rechtsträgerin dieser Klinik, die Beklagte bezogen.

Mit dem bekämpften Beschluss wies der erstinstanzliche Senat den Befangenheitsantrag nach inhaltlicher Prüfung zurück. Er ließ dahinstehen, ob die Ablehnungsgründe im Jänner 2023 noch rechtzeitig geltend gemacht worden seien, nachdem sich ihr Inhalt auf die Selbstmeldung des abgelehnten Richters im Juli 2022 beziehe, die der Klägerin jedenfalls schon vor dem Ablehnungsantrag bekannt geworden sei. Im Parallelverfahren habe der abgelehnte Richter ausdrücklich die an einer bestimmten Abteilung der J* D* tätigen Ärzt:innen und Pfleger:innen im Rahmen der Behandlung eines seiner Familienmitglieder als Befangenheitsgründe angeführt. Daraus könne weder eine subjektive noch eine objektive Befangenheit gegenüber der Beklagten als Krankenhausträgerin oder den hier betroffenen Mitarbeiter:innen des I* G* H* B* abgeleitet werden. Im übrigen Teil des Ablehnungsantrags seien keine Gründe, die unsachliche Motive für die Entscheidung nahelegten, ausgeführt, sondern Rechtsmittelgründe, die im Berufungsverfahren und nicht im Ablehnungsverfahren zu klären seien.

Gegen diese Entscheidung wendet sich nunmehr der (rechtzeitige) Rekurs der Ablehnungswerberin aus dem Rechtsmittelgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die bekämpfte Entscheidung im Sinn des Ausspruchs der Befangenheit des abgelehnten Richters abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt. Überdies wird Kostenersatz verlangt (ON 3 S 6 in 2 Nc 1/23d LG Innsbruck).

Die Beklagte hat sich am Rechtsmittelverfahren nach Zustellung des Rekurses der Ablehnungswerberin nicht weiter beteiligt (ON 3).

Der Rekurs erweist sich aus nachstehenden Erwägungen als unberechtigt:

Rechtliche Beurteilung

1.: Das Rechtsmittel der Ablehnungswerberin gliedert sich in zwei unterschiedliche Aspekte: Einerseits die Erklärungen des abgelehnten Richters im Zusammenhang mit seiner Anzeige der Befangenheit im Parallelverfahren (nunmehr) 20 Cg 1/21t, die mit Beschlüssen des Landesgerichts Innsbruck vom 5.8.2022, 3 Nc 10/22h, und des Oberlandesgerichts Innsbruck vom 12.10.2022, 3 R 91/22i, als unberechtigt eingestuft wurden sowie mit dem dort gestellten Ablehnungsantrag der dortigen Klägerin (ua OLG Innsbruck 2 R 176/22g in 3 Nc 14/22x); und andererseits verschiedene Ausführungen in der Begründung der angefochtenen Entscheidung (siehe näher ON 95 S 4 f des mit der Berufung kombinierten Ablehnungsantrags in 20 Cg 44/21s). Beide Argumente erweisen sich aus nachstehenden Überlegungen als unberechtigt:

2.: Grundsätzlich richtig verweist der in die Berufung integrierte Ablehnungsantrag auf die Stellungnahme des abgelehnten Richters im Parallelverfahren vom 14.9.2022 (ON 141 in 20 Cg 1/21t), die nach der Entscheidung des Landesgerichts Innsbruck in diesem (Befangenheits)Verfahren vom 5.8.2022, 3 Nc 10/22h, mit der seiner eigenen Ablehnungsanzeige keine Folge gegeben wurde, wenn auch noch vor der Rekursentscheidung des OLG Innsbruck in diesem (Befangenheits)Verfahren vom 12.10.2022, 3 R 91/22i, erging und sich vom Rekurs des Richters dort unterscheidet.

2.1.: Dort hat der abgelehnte Richter, wie im Ablehnungsantrag insoweit richtig zitiert, ausgeführt, dass er sich „im gegenständlichen Verfahren [20 Cg 1/21t] nicht in der Lage sehe, eine unvoreingenommene Entscheidung zu treffen“ (ON 141 S 2 in 20 Cg 1/21t).

2.2.: Der Rekurs übergeht aber die in derselben Stellungnahme (ddo 14.9.2022) enthaltenen weiteren Passagen ua wonach der abgelehnte Richter tiefe Dankbarkeit für die ärztliche und pflegerische Betreuung empfinde, welche die dort tätigen Ärzt:innen und Pfleger:innen der J* D* seiner mj Tochter angedeihen ließen und ein durch diese vielen Behandlungsmaßnahmen aufgebautes Vertrauen in die medizinisch-pflegerischen Fähigkeiten der Mitarbeiter:innen der J* D* aufgebaut habe (ON 141 S 2 zweiter Absatz). Gleichfalls nicht ausreichend gewürdigt wird die Stellungnahme des abgelehnten Richters vom 13.1.2023 im Hauptverfahren, wonach seine im Parallelverfahren 20 Cg 1/21t geäußerte Befangenheit „lediglich die ÄrztInnen und PflegerInnen der J* D* betrifft“ (ON 96 S 1 vierter Absatz der Stellungnahme in 20 Cg 44/21s). Deshalb halte er sich im vorliegenden Verfahren, in dem „MitarbeiterInnen des ***“ betroffen seien, nicht für befangen, obwohl die Beklagte Rechtsträgerin beider Krankenhäuser sei (ON 96 S 2 erster und dritter Absatz).

2.3.: Betrachtet man die Ursachen für die beim abgelehnten Richter im Parallelverfahren 20 Cg 1/21t zumindest nach dessen letzter Stellungnahme (dort) ON 141 bestehenden psychologischen Hemmnisse, die allenfalls eine Befangenheit bewirken könnten, so beruhen diese eben ausschließlich auf ärztlichen und pflegerischen Behandlungs- und Betreuungsmaßnahmen, die ein Mitglied seiner Familie durch Mitarbeiter:innen der J* D* dort auf einzelnen Stationen erfuhr. Da es sich bei der Beklagten um einen Tiroler Krankenhausträger handelt, der mehrere Krankenhäuser, unter anderem eben auch das I* G* H* B* und den nicht die Lehre betreffenden Teil der K* D* betreibt, ist die Rechtsansicht des erstinstanzlichen Senats plausibel und nachvollziehbar, dass eine allfällige Befangenheit des abgelehnten Richters nur Krankenhäuser der Beklagten, insbesondere Personal der Beklagten betreffen kann, die in die Behandlung des Familienmitglieds des abgelehnten Richters einbezogen waren. Daher sind die im Hauptverfahren betroffenen Mitarbeiter:innen des I* G* H* B* in einem anderen Krankenhausbetrieb der Beklagten von dieser psychologischen Hemmung des abgelehnten Richters jedenfalls nicht betroffen, weil sie in der Behandlung seines Familienmitglieds nicht tätig sind. In Verfolgung des Grundsatzes, wonach die Regelungen über das Ablehnungsrecht den Parteien nicht die Möglichkeit bieten, sich eines ihnen nicht genehmen Richters entledigen zu können (RIS Justiz RS0109379 [T1]; OGH 27.1.2022 2 Nc 35/21a Rn 8), ist daher der Auffassung des abgelehnten Richters und des erstinstanzlichen Senats beizupflichten, dass diese psychologischen Hemmnisse aus dem Parallelverfahren nicht in das Hauptverfahren durchschlagen. Im Übrigen wurde bereits in der Vorentscheidung vom 12.10.2022, 3 R 91/22i, der Auffassung des Rekurssenats Ausdruck verliehen, wonach Grund für die Befangenheitsanzeige des nunmehr abgelehnten Richters in erster Linie war, dass er sich ganz bestimmten Mitarbeiter:innen in einem bestimmten von der Beklagten betriebenen anderen Krankenhaus aufgrund der Behandlung eines Familienmitglieds verpflichtet sieht und sich nicht auf alle Mitarbeiter:innen dieser Einrichtung oder gar alle Mitarbeiter:innen der Beklagten in diesem Verfahren oder der Organisation der Beklagten insgesamt bezieht. Daran hat sich auch nach dem aktuellsten Aktenstand nichts geändert (ON 141 in 20 Cg 1/21t oder ON 96 in 20 Cg 44/21s; siehe auch oben ErwGr 2.1.). Chronische oder länger dauernde Erkrankungen von richterlichen Entscheidungsträgern oder von Personen in ihrem persönlichen Umfeld, die häufige oder gar regelmäßige Kontrollen/Behandlungen in einem der Teilbetriebe der Beklagten notwendig machen, sind im Sprengel des Rekursgerichts nicht selten, bewirken (wie hier) mangels konkreter Beteiligung verfahrensrelevanten Personals aber keine (Anscheins-)Befangenheit (3 R 91/22i ErwGr 3.3.). Dass im konkreten Verfahren solches das Familienmitglied des abgelehnten Richters unmittelbar betreuende Personal beteiligt gewesen wäre, behauptet nicht einmal das Rechtsmittel. Dieses erste Argument des in die Berufung eingebetteten Ablehnungsantrags der Beklagten erweist sich daher als unbegründet.

2.4.: Dazu kommt noch, dass der Ablehnungsantrag betreffend diese erste Thematik verspätet ist (§ 21 Abs 2 JN):

2.4.1.: Gemäß § 21 Abs 2 JN kann eine Partei eine:n Richter:in wegen Besorgnis der Befangenheit nicht mehr ablehnen, wenn sie sich bei der/demselben, ohne den ihr bekannten Ablehnungsgrund geltend zu machen, in eine Verhandlung eingelassen oder - auch prozessuale - Anträge gestellt hat. Diese Bestimmung bindet die Ablehnung an Zeitgrenzen und hat insbesondere den Zweck, Ablehnungsgründe auszuschalten, die entweder offenbar in Verschleppungsabsicht gestellt werden oder die erst vorgebracht werden, wenn sich aus dem Gang des Rechtsstreits ihre „taktische Zweckmäßigkeit“ ergibt (2 Ob 167/13t ErwGr 2.; 6 Ob 213/05z). Das Ablehnungsrecht ist verzichtbar und verschweigbar (2 Ob 167/13t ErwGr 2.; 1 Ob 199/12i ErwGr 2.; 8 Ob 21/12i; RIS Justiz 0046040 [T1]; RS0045982 [T5]). Ablehnungsgründe sind sofort nach ihrem Bekanntwerden geltend zu machen (2 Ob 167/13t ErwGr 2.; 1 Ob 199/12i ErwGr 2.; RIS Justiz RS0045977 [T2]). Jede Einlassung in die Verhandlung oder Antragstellung nach Bekanntwerden des Befangenheitsgrunds bewirkt den Ausschluss von der Geltendmachung (2 Ob 167/13t ErwGr 2.; 1 Ob 199/12i ErwGr 2.). Sobald eine Partei Kenntnis vom Vorliegen eines die Unbefangenheit in Zweifel ziehenden, zureichenden Grunds bei einem im Verfahren bereits tätig gewordenen oder (bekanntermaßen) tätig werdenden Richter erlangt, hat sie ihn deswegen - bei sonstiger Verschweigung - abzulehnen (1 Ob 67/17k). Wollte man dem Ablehnungswerber zuerst die „Analyse“ der bisherigen Beweisergebnisse zubilligen, würde ihm die Antragstellung nach „taktischer Zweckmäßigkeit“ eröffnet werden, die durch die oben erörterte Rechtsprechung aber gerade vermieden werden soll (2 Ob 167/13t ErwGr 2.). Die zeitliche Begrenzung des Ablehnungsrechts steht auch im Einklang mit Art 6 Abs 1 EMRK (3 Ob 133/04m; 1 Ob 5/95, EvBl 1995/136). Die Kenntnis des Ablehnungswerbers oder seines Prozeßbevollmächtigten vom behaupteten Ablehnungsgrund muss sich auf jene Tatsachen beziehen, die nach Ansicht der Partei die Besorgnis einer Befangenheit begründen sowie der Person der/des mit der Sache befassten Richter:innen; das bloße Kennenmüssen dieser Umstände reicht dazu nicht aus (6 Ob 213/05z; 7 Ob 90/01p; 1 Ob 5/95; 6 Ob 600/92). Denn ein schriftlicher Antrag begründet nur dann die Wirkungen des § 21 Abs 2 JN, wenn er bewusst an die/den befangenen Richter:innen selbst gerichtet ist (6 Ob 600/92).

2.4.2.: Vorauszuschicken ist in diesem zeitlichen Zusammenhang, dass die Klägerin selbst in ihrem rekursgegenständlichen Ablehnungsantrag vom 11.1.2023 im Hauptverfahren 20 Cg 44/21s (dort ON 95 S 2 5) auf das Parallelverfahren 20 Cg 1/21t - und die dort aufgeworfene Befangenheitsproblematik - Bezug nimmt . Im Parallelverfahren 20 Cg 1/21t begehrt eine andere Klägerin, die ebenfalls denselben Prozessvertreter wie die Klägerin hier namhaft gemacht hatte, von derselben Beklagten als Krankenhausbetreiberin Schadenersatzansprüche aus einer behaupteten Fehlbehandlung und/oder mangelnden/unrichtigen Aufklärung von ärztlichem Personal einer Universitätsklinik in D*. Beide Verfahren werden zumindest seit Juni 2022 vom selben Richter geführt. Im Parallelverfahren hatte der nun im Hauptverfahren 20 Cg 44/21s abgelehnte Richter wie dargelegt seine Befangenheit angezeigt, weil ihn ein besonderes Vertrauensverhältnis mit Betreuungspersonal seiner Tochter aufgrund deren laufender Behandlung an einigen Universitätskliniken in D* verbinde. Diese Befangenheitsanzeige verwarf der Befangenheitssenat des LG Innsbruck mit Beschluss vom 18.8.2022, 3 Nc 10/22h in erster Instanz (ON 135 in 20 Cg 1/21t). Dieser Beschluss wurde der dortigen Klägerin aufgrund einer Zustellverfügung des auch dort erkennenden Richters am 31.8.2022 zugestellt. Der Klagsvertreter im Parallelverfahren 20 Cg 1/21t, der auch der Klagsvertreter im vorliegenden Hauptverfahren ist, hatte also zumindest seit 31.8.2022 Kenntnis von der Befangenheitsproblematik. Trotzdem stellte die Klägerin im vorliegenden Hauptverfahren einen am 12.9.2022 hier eingelangten Antrag auf Protokollberichtigung, ohne die Befangenheitsproblematik (mit dem damaligen Stand) auch nur zu erwähnen (vgl 6 Ob 213/05z). Auch im hier verfahrensgegenständlichen Ablehnungsantrag vom 11.1.2023 erläutert die Klägerin - entgegen der Judikatur des Obersten Gerichtshofs (6 Ob 213/05z; RIS Justiz RS0045977 [T4]) - nicht, aus welchen Gründen sie die Befangenheitsproblematik (mit damaligem Kenntnisstand [auch ihres Vertreters, des dortigen Klagsvertreters] vom 31.8.2022) nicht bereits in ihrem Protokollberichtigungsantrag vom 12.9.2022 aufwarf und mit damaligem Kenntnisstand einen Ablehnungsantrag im Hauptverfahren 20 Cg 44/21s verbunden hatte, oder zumindest, welche konkreten Gründe dagegen gesprochen hätten. Auch in der zeitlich letzten im in die Berufung eingebetteten Ablehnungsantrag erwähnten Stellungnahme des abgelehnten Richters vom 14.9.2022 (ON 141 in 20 Cg 1/21t) wird lediglich das besondere Vertrauen zu den das Familienmitglied des abgelehnten Richters betreuenden Mitarbeiter:innen der betreffenden K* H* D* oder - großzügig zu Gunsten der Ablehnungswerberin gelesen - sämtlichen Mitarbeiter:innen der K* H* D* angesprochen und nicht etwa der Mitarbeiter:innen des I* G* H* B* oder der Beklagten. Inhaltlich gehen die Vorwürfe im Ablehnungsantrag vom 13.1.2023 also nicht über jenen Kenntnisstand hinaus, den die Ablehnungswerberin - über ihren Parteienvertreter (6 Ob 213/05z; 7 Ob 90/01p; 1 Ob 5/95; 6 Ob 600/92) - bereits zum Zeitpunkt des Protokollberichtigungsantrags vom 12.9.2022 hatte, auch wenn dieser Kenntnisstand dann später durch weitere Stellungnahmen des abgelehnten Richters (zB der im Rekurs erwähnten ddo 14.9.2022) wiederholt wurde. Das besondere Vertrauensverhältnis des abgelehnten Richters zu Betreuungspersonal seines Familienmitglieds aufgrund dessen laufender Behandlung an einigen Universitätskliniken in D* kann die Ablehnungswerberin also mit ihrem in die Berufung aufgenommenen Befangenheitsantrag nicht mehr geltend machen.

2.4.3.: Dies gilt umso mehr für den vorliegenden Fall, in dem der Ablehnungsantrag in das Rechtsmittel aufgenommen wurde: Die Ablehnung kann zwar auch nach einer Entscheidung im Rechtsmittel gegen diese erklärt werden (RIS Justiz RS0041933), jedoch nur, wenn erst nachträglich (im Rechtsmittelverfahren) Gründe bekannt wurden, die die Ablehnung von Richtern der Vorinstanz rechtfertigen (1 Ob 6/11f ErwGr 1; 26.2.2002, 1 Ob 26/02h). Daher kann die Ablehnungswerberin ihren vorliegenden Ablehnungsantrag nicht mehr auf das Argument der Befangenheit des abgelehnten Richters aufgrund eines Vertrauensverhältnisses zu dem sein Familienmitglied betreuendes Personal von Universitätskliniken in D* stützen, sondern nur mehr auf die von ihr gerügten (ON 95 S 4f) und gleich noch zu behandelnden Ausführungen in der bekämpften Entscheidung.

3.: Im Übrigen konzentriert sich der Rekurs (ON 3 in 2 Nc 1/23d LG Innsbruck) auf eine - so die dortige ausdrückliche Darstellung (ON 3 S 5 viertletzter Absatz in 2 Nc 1/23d LG Innsbruck) - Beweiswürdigung unter Bezugnahme auf eine nicht existente Aussage eines Zeugen (ON 95 S 4 letzter Absatz) und eine entgegen der herrschenden Judikatur gelöste Frage der Beweislastverteilung und damit des materiellen (RIS Justiz RS0039939 [T27]) Rechts (ON 3 S 5 zweiter Absatz in 2 Nc 1/23d LG Innsbruck).

3.1.: Es entspricht ständiger Judikatur des Obersten Gerichtshofs, wonach Meinungsverschiedenheiten insbesondere in Rechtsfragen nicht im Ablehnungsverfahren auszutragen sind (RIS Justiz RS0111290 [T10]; OGH 1.3.2021 504 Präs 11/21h). Das Wesen der Befangenheit besteht in der Hemmung einer unparteiischen Entscheidung durch unsachliche psychologische Motive (RIS Justiz RS0045975 [T1]). Bei der Prüfung der Unbefangenheit ist zwar im Interesse des Ansehens der Justiz ein strenger Maßstab anzulegen (RIS Justiz RS0045947). Eine Befangenheit liegt aber erst dann vor, wenn die Fähigkeit zur sachlichen Beurteilung fehlt oder behindert ist oder eine solche Behinderung doch mit Grund befürchtet werden muss (RIS Justiz RS0045961). Als Befangenheitsgründe kommen in erster Linie private persönliche Beziehungen zu einer der Prozessparteien, eine auffallend einseitige Verfahrensführung, unsachliche persönliche Bemerkungen zu Parteien und Parteienvertretern oder herabwürdigende Äußerungen in Betracht (RIS Justiz RS0045935). Ein Richter ist nach diesen Grundsätzen als befangen anzusehen, wenn Umstände vorliegen, die es bei objektiver Prüfung und Beurteilung rechtfertigen, seine volle Unbefangenheit in Zweifel zu ziehen (RIS Justiz RS0046024 [T2]). Die Regelungen über das Ablehnungsrecht sollen den Parteien aber nicht die Möglichkeit bieten, sich eines ihnen nicht genehmen Richters entledigen zu können (RIS Justiz RS0109379 [T1]; OGH 27.1.2022 2 Nc 35/21a Rn 8). Sinn und Zweck der Ablehnung wegen Besorgnis einer Befangenheit ist auch nicht die Abwehr einer unrichtigen Entscheidung oder Rechtsauffassung des Richters: Weder die (angebliche) Unrichtigkeit einer Gerichtsentscheidung (2 Nc 35/21a Rn 6) noch insbesondere die Vertretung einer bestimmten Rechtsmeinung durch den Richter können daher als Ablehnungsgrund geltend gemacht werden (2 Nc 34/21a Rn 8; 8 Ob 163/22m Rn 11; RIS Justiz RS0111290; RS0045916). Selbst der Umstand, dass ein Richter in einem früheren Verfahren oder in einer früheren Entscheidung im selben Verfahren in der Sache zu Lasten des Ablehnungswerbers entschieden hat oder eine unrichtige Rechtsansicht vertreten hat, auch wenn sie in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abgelehnt wird (19.5.2005, 6 Ob 93/05b; RIS Justiz RS0045916 [T6]), vermag bei einer objektiven Betrachtung noch keine Befangenheit zu begründen (OGH 23.11.2021 4 Ob 149/21x Rn 10; 2 Nc 35/21a Rn 6). Ebenso ist es kein Ablehnungsgrund, wenn der Richter schon eine bestimmte Rechtsansicht zB in einem Rechtsstreit geäußert hat (OGH 4.5.2011 9 Nc 6/11y; RIS Justiz RS0045916). Meinungsverschiedenheiten in Rechtsfragen sind nicht im Ablehnungsverfahren auszutragen (2 Nc 35/21a Rn 6). Es ist nicht Aufgabe des Ablehnungsverfahrens, die Rechtmäßigkeit der von anderen Gerichten vertretenen Rechtsauffassungen zu überprüfen (vgl RIS Justiz RS0111290 [T13, T14]). Entscheidend ist, ob der entscheidende Richter gegebenenfalls bereit ist, seine Meinung neuerlich zu überprüfen und ihr entgegenstehendes Vorbringen der Verfahrensbeteiligten unvoreingenommen zur Kenntnis zu nehmen und zu berücksichtigen (19.5.2005, 6 Ob 93/05b; RIS Justiz RS0045916 [T8 und T9]). Dass der abgelehnte Richter dazu nicht bereit wäre, wird von der Ablehnungswerberin nicht einmal behauptet. Die Unrichtigkeit einer Gerichtsentscheidung ist durch die Rechtsmittelinstanzen zu überprüfen und stellt keine Angelegenheit des Ablehnungsverfahrens dar (6 Ob 90/05m; RIS Justiz RS0111290 [T4]).

3.2.: Richtig ist der Gedanke des Rekurses, wonach Unrichtigkeiten der Beweiswürdigung nicht zum Gegenstand eines erfolgreichen Ablehnungsverfahrens gemacht werden können, es sei denn, es läge eine völlig unhaltbare Beweiswürdigung vor (RIS Justiz RS0045916 [T10]). Im Ablehnungsantrag wird aber im Kern keine unrichtige Beweiswürdigung, sondern eine Aktenwidrigkeit geltend gemacht, weil - so der Vorwurf - der abgelehnte Richter sich - neben anderen Beweisergebnissen (4 Ob 2336/96z ErwGr 2.) - auf eine nicht existente (= nicht aufgenommene) Zeugenaussage gestützt habe (RIS Justiz RS0043347 [T17]). Eine Aktenwidrigkeit ist unter anderem gegeben, wenn Feststellungen auf aktenwidriger Grundlage getroffen werden, dh wenn der Inhalt einer Urkunde, eines Beweisaufnahmeprotokolls oder eines sonstigen Aktenstücks unrichtig wiedergegeben und infolge dessen ein fehlerhaftes Sachverhaltsbild der rechtlichen Beurteilung unterzogen wurde (RIS Justiz RS0043347 [T1]). Eine Aktenwidrigkeit der Entscheidung kann für sich allein aber keinen Ablehnungsgrund bilden (OGH 16.12.2022 8 Ob 163/22m Rn 11). Auch die Verwertung einer nicht existenten (= nicht aufgenommenen) Aussage stellte bei einem Verfahren mit zahlreichen auch im Ablehnungsantrag zitierten Beweisergebnissen zum Feststellungsthema wie dem Hauptverfahren noch keine völlig unvertretbare Beweiswürdigung dar, zumal eine solche Bezugnahme auf unrichtig wiedergegebene Details eines Protokolls (über die Zeugenaussage) im Wege der Rüge einer Aktenwidrigkeit im Rechtsmittel geltend gemacht und vom Rechtsmittelgericht dadurch behoben werden kann, dass an die Stelle der aktenwidrigen Feststellung die durch den Akteninhalt gedeckte Feststellung gesetzt wird (für viele: RIS Justiz RS0116014; vgl RS0110053; A. Kodek in Rechberger/Klicka ZPO 5 [2018] § 503 Rz 20; Lovrek in Fasching/Konecny ZPO³ IV/1 [2019] § 503 Rz 127; Neumayr in ZPO TaKo § 503 Rz 23).

3.3.: Aus der Stellungnahme des abgelehnten Richters vom 13.1.2023 zum mit der Berufung kombinierten Ablehnungsantrag ON 95 in 20 Cg 44/21s ergibt sich klar, dass er seine Entscheidung im Verfahren 20 Cg 44/21s „nach bestem Wissen und Gewissen, unvoreingenommen und unbefangen“ getroffen habe (ON 96 S 2). Auch zu diesem zweiten großen Themenkomplex kann sich der Rekurssenat daher den Ausführungen des Rechtsmittels nicht anschließen.

4.: Zusammengefasst versagt daher der Rekurs mit allen Argumenten.

5.: Das Ablehnungsverfahren bildet einen Zwischenstreit, über dessen Kosten nach den Regeln des Ausgangsverfahrens unabhängig von dessen Ausgang zu entscheiden ist (RIS Justiz RS0126588). Da die Ablehnungswerberin mit ihrem Rekurs erfolglos blieb, muss sie gemäß den §§ 50, 40 ZPO den Aufwand ihres erfolglosen Rekurses selbst bestreiten. Eine Entscheidung über allfällige Kosten der Beklagten entfällt, weil sich diese am Rekursverfahren nicht beteiligt hat.

6.: Gegen eine Bestätigung der meritorischen Abweisung des Ablehnungsantrags ist der weitere Rechtszug gemäß § 24 Abs 2 JN jedenfalls unzulässig (zB 5 Ob 88/22k Rn 7).

Rechtssätze
3
  • RI0100120OLG Innsbruck Rechtssatz

    17. April 2023·1 Entscheidung

    Die (angebliche) Unrichtigkeit einer Gerichtsentscheidung stellt ohne Hinzutreten weiterer besonderer Umstände keine (Anscheins)Befangenheit dar. Unrichtigkeiten der Beweiswürdigung können nicht zum Gegenstand eines erfolgreiche Ablehnungsantrags gemacht werden, es sei denn, es läge eine völlig unhaltbare Beweiswürdigung vor. Die Verwertung einer nicht existenten (= nicht aufgenommenen) Aussage bei einem Verfahren mit zahlreichen Beweisergebnissen zum Feststellungsthema stellt noch keine völlig unvertretbare Beweiswürdigung dar. Nichts anderes kann gelten, wenn im Ablehnungsantrag im Kern keine unrichtige Beweiswürdigung, sondern eine Aktenwidrigkeit geltend gemacht wird, weil sich der abgelehnte Entscheidungsträger - so der Vorwurf - neben anderen Beweisergebnissen auf eine nicht existente (= nicht aufgenommene) Zeugenaussage gestützt habe. Eine Aktenwidrigkeit der Entscheidung kann für sich allein ebenfalls keinen Ablehnungsgrund bilden. Eine Aktenwidrigkeit ist zwar gegeben, wenn Feststellungen auf aktenwidriger Grundlage getroffen werden, dh wenn der Inhalt einer Urkunde, eines Beweisaufnahmeprotokolls oder eines sonstigen Aktenstücks unrichtig wiedergegeben und infolge dessen ein fehlerhaftes Sachverhaltsbild der rechtlichen Beurteilung unterzogen wurde.  Eine solche Bezugnahme auf unrichtig wiedergegebene Details eines Protokolls (über die Zeugenaussagen) kann jedoch im Wege der Rüge einer Aktenwidrigkeit im Rechtsmittel geltend gemacht und vom Rechtsmittelgericht ua dadurch behoben werden, dass an die Stelle der aktenwidrigen Feststellung die durch den Akteninhalt gedeckte Feststellung gesetzt wird.