JudikaturJustiz2R78/03p

2R78/03p – OLG Graz Entscheidung

Entscheidung
12. Juni 2003

Kopf

Das Oberlandesgericht Graz hat als Rekursgericht durch die Richter Dr.Kostka (Vorsitz), Dr.Bornet und Dr.Musger in der Rechtssache der klagenden Partei M***** P***** GmbH, FN 212963g, vertreten durch M***** P*****, Geschäftsführerin, 8020 Graz, *****, vertreten durch Mag.Klemens Mayer, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei V***** GmbH, FN 153293g, vertreten durch I***** B*****, Geschäftsführerin, 9220 Velden, *****, wegen Zahlung von € 200.000,-- sA (Streitwert gemäß § 55 JN € 799.200,--), über den Rekurs der Klägerin gegen den Beschluss des Landesgerichtes Klagenfurt vom 3.5.2003, 29 Cg 72/03m-4, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben. Der angefochtene Beschluss wird behoben und dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens in der Besetzung nach § 7 JN aufgetragen.

Die Kosten des Rekurses sind weitere Verfahrenskosten. Der Revisionsrekurs ist zulässig.

Text

Begründung:

Die Klägerin ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung. In ihrer am 17.4.2003 eingelangten Klage begehrte sie von der Beklagten, ebenfalls einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die Zahlung eines Betrages von € 200.000,--. Sie habe im Namen und Auftrag der beklagten Partei in Österreich und Süddeutschland das Produkt ***** vertrieben. Zu diesem Zweck habe sie eine Struktur mit bis zu 1.000 Subagenturen aufgebaut. Im Oktober 2002 habe die Beklagte begonnen, an sämtliche Vertriebspartner neue Verträge zu versenden. Der der Klägerin übermittelte Vertragsentwurf habe eine wesentliche Verschlechterung ihrer Rechtsposition vorgesehen. Dies habe die Klägerin nicht akzeptiert. Daraufhin habe die Beklagte erklärt, dass sie mit der Klägerin in Zukunft nicht mehr zusammenarbeiten werde. Die Klägerin sei als "Strukturführerin" gestrichen und durch die Beklagte ersetzt worden. Die vereinbarten und verdienten Prämien seien nicht ausgezahlt worden.

Da eine weitere Zusammenarbeit zwischen den Streitteilen auf dieser Basis nicht mehr möglich gewesen sei, habe die Klägerin mit Schreiben vom 6.2.2003 die Handelsvertretervereinbarung mit der Beklagten aus wichtigem Grund mit sofortiger Wirkung aufgelöst und die nachstehend genannten Beträge auf Basis des - zumindest analog anzuwendenden - Handelsvertretergesetzes geltend gemacht:

Ausgleichsanspruch € 365.000,--

Kündigungsentschädigung (1.1.2003 bis 31.8.2003) € 245.000,--

ausständige Prämien € 56.000,--

gesetzliche Umsatzsteuer € 133.200,--

sohin insgesamt € 799.200,--.

Im Hinblick auf Kostengründe werde davon vorerst lediglich ein Betrag in Höhe von € 200.000,-- "gemäß § 55 JN" geltend gemacht. Mit Beschluss vom 17.4.2003 forderte das Erstgericht die Klägerin auf, bekanntzugeben, ob sie als Handelsvertreterin ausschließlich für die Beklagte tätig und von dieser wirtschaftlich abhängig gewesen sei (ON 2). Die Klägerin führte dazu aus, sie sei als Gesellschaft mit beschränkter Haftung ständig mit der Vermittlung oder dem Abschluss von Geschäften auf Namen und Rechnung der Beklagten betraut gewesen und habe diese Tätigkeit selbständig und gewerbsmäßig ausgeübt (ON 3).

Mit dem angefochtenen Beschluss sprach das Erstgericht aus, es sei für die Rechtssache in der Besetzung für allgemeine Streit- und Handelssachen unzuständig. Das Verfahren sei in der Besetzung eines arbeitsgerichtlichen Senates fortzuführen. Zur Begründung führte es nach Wiedergabe des Klagsvorbringens aus, dass die Klägerin als Handelsvertreterin ausschließlich für die beklagte Partei tätig gewesen sei, woraus sich eine wirtschaftliche Abhängigkeit ergebe. Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs der Klägerin. Sie begehrt Behebung des angefochtenen Beschlusses und "Entscheidung in der Sache selbst", hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Der Rekurs ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

1. Die unklare Formulierung des Rekursantrages ("Entscheidung in der Sache selbst") schadet nicht. Aus dem Gesamtzusammenhang ist nämlich ersichtlich, dass die Klägerin eine Fortsetzung des Verfahrens vor dem Landesgericht Klagenfurt in der Besetzung für Handelssachen anstrebt. Ein Verbesserungsauftrag war daher nicht erforderlich (Rechberger/Kodek, § 526 ZPO Rz 2).

2. Nach ständiger Rechtsprechung ist die Frage, ob ein bestimmter Gerichtshof in einer Rechtssache als Arbeitsgericht oder in anderer Funktion zu entscheiden hat nicht eine Frage der sachlichen Zuständigkeit, sondern eine solche der Gerichtsbesetzung des jeweiligen Spruchkörpers (RIS-Justiz RS0085489; zuletzt SZ 72/142 und 8 ObA 5/02x). Anderes gilt nur in dem hier nicht vorliegenden Verhältnis zwischen dem Arbeits- und Sozialgericht Wien und anderen Wiener Gerichtshöfen.

Bei Zweifeln über die Gerichtsbesetzung hat das Gericht nach § 37 Abs 3 ASGG mit Beschluss auszusprechen, in welcher Gerichtsbesetzung das Verfahren fortzuführen ist (Kuderna, ASGG² § 37 Anmerkung 10). Da diese Sonderregelung im ASGG vorgesehen ist, haben auf Beschlüsse nach § 37 Abs 3 ASGG - ob sie nun wie hier von einem Berufsrichter(-senat) oder aber von einem arbeits- und sozialgerichtlichen Senat gefasst wurden und unabhängig vom Inhalt des Anspruchs - die Verfahrensbestimmungen des ASGG Anwendung zu finden (4 Ob 223/99v). Das Erstgericht hat im Sinn dieser Vorschrift nicht etwa, wie der Rekurs annimmt, die Klage zurückgewiesen, sondern über die Gerichtsbesetzung entschieden.

3. Voraussetzung für die Zuständigkeit eines arbeits- und sozialgerichtlichen Senates wäre das Vorliegen einer Arbeitsrechtssache im Sinn von § 50 ASGG. Das Erstgericht qualifiziert die Klägerin offenbar als arbeitnehmerähnliche Person im Sinn von § 51 Abs 3 Z 2 ASGG und wertete in weiterer Folge die Rechtsstreitigkeit als solche zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis (§ 50 Abs 1 Z 1 ASGG). Es trifft nun zwar zu, dass auch selbständige Handelsvertreter arbeitnehmerähnliche Personen im Sinn von § 51 Abs 3 Z 2 ASGG sein können (Jabornegg, Handelsvertreterrecht und Maklerrecht, § 1 HVG Anmerkung 4.3.; 7 Ob 26/90, 9 ObA 48/95, 9 ObA 367/97d, 9 ObA 146/00m).

Die zentrale Frage liegt hier allerdings darin, ob Arbeitnehmerähnlichkeit auch bei einer juristischen Person angenommen werden kann. Einschlägige Rechtsprechung gibt es, soweit ersichtlich, nicht. In der Literatur vertreten Wachter (Wesensmerkmale der arbeitnehmerähnlichen Person [1980] 93f), Kuderna (ASGG², § 51 Anmerkung 9) und Jabornegg (Handelsvertreterrecht und Maklerrecht, § 1 Anmerkung 4.3.3.) die Auffassung, dass Arbeitnehmerähnlichkeit nur bei natürlichen Personen möglich ist. Das Rekursgericht schließt sich dieser Rechtsmeinung an. Die spezifische soziale Schutzbedürftigkeit, die Anlass für die Schaffung des § 51 Abs 3 Z 2 ASGG war, kann grundsätzlich nur bei natürlichen, nicht jedoch bei juristischen Personen gegeben sein. Anders könnte die Rechtslage zwar allenfalls dann beurteilt werden, wenn die Rechtsform der juristischen Person nur zum Zweck der Umgehung arbeitsrechtlicher Schutzvorschriften gewählt worden wäre. Dafür gibt es aber im Klagsvorbringen nicht den geringsten Anhaltspunkt.

4. Aus diesen Gründen war der angefochtene Beschluss zu beheben und dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens in der sich aus § 7 JN ergebenden Besetzung aufzutragen. Aus dem Gesamtzusammenhang ergibt sich, dass der mit dem Rekurs verbundene Überweisungsantrag nur hilfsweise gestellt wurde; über ihn ist daher nicht zu entscheiden.

5. Die Entscheidung über die Rekurskosten gründet sich auf § 52 ZPO. Ein Zwischenstreit über die Gerichtsbesetzung lag mangels Gegnerbeteiligung nicht vor, sodass die Rekurskosten das Schicksal der Klagsforderung teilen.

6. Der Ausspruch über die Zulässigkeit des Revisionsrekurses gründet sich auf § 528 Abs 1 Z 1 ZPO. Es liegt eine abändernde Rekursentscheidung vor, da dem Erstgericht nicht die neuerliche Entscheidung über die Gerichtsbesetzung, sondern die Fortsetzung des Verfahrens in der Hauptsache aufgetragen wurde. Zur Frage, ob auch juristische Personen als arbeitnehmerähnlich iSd § 51 Abs 3 Z 2 ASGG qualifiziert werden können, gibt es, soweit ersichtlich, keine höchstgerichtliche Rechtsprechung. Da dieser Frage Bedeutung über den Einzelfall hinaus zukommt, war der ordentliche Revisionsrekurs zuzulassen.

Rechtssätze
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