JudikaturJustiz2Ob181/00g

2Ob181/00g – OGH Entscheidung

Entscheidung
29. Juni 2000

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Romana W*****, vertreten durch Dr. Rupert Wolff, Rechtsanwalt in Salzburg, wider die beklagte Partei Wilmhard S*****, vertreten durch Raits, Ebner Partner, Rechtsanwälte in Salzburg, wegen Kündigung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Berufungsgericht vom 20. März 2000, GZ 54 R 27/00k 29, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Salzburg vom 18. November 1999, GZ 15 C 843/98p 21, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert , dass das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 9.969,60 (darin enthalten Umsatzsteuer von S 1.331,60 und Barauslagen von S 1.980) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am Eckhaus Salzburg G*****gasse 7/H*****platz 3 besteht Stockwerkseigentum. Der materielle Anteil A ergibt sich im Wesentlichen aus dem Bereich des Parterres, des ersten und des zweiten Stockwerkes, der Anteil B aus dem Bereich des zweiten und dritten Stockwerkes und der Anteil C aus dem vierten Stockwerk.

Am materiellen Anteil B besteht zusätzlich Wohnungseigentum an 5 Wohnungen, an der Wohnung W4 zugunsten der Klägerin. Die Rechte an den übrigen Objekten ergeben sich aufgrund der Kaufverträge vom 30. 5. 1995 bzw 23. 4. 1996.

Das Stockwerkseigentum an diesem Anteil war zuvor Walther P***** zugestanden. Nach seinem Tod am 13. 10. 1999 erwarb die Klägerin als Erbin 2/3, 1/3 erbte Maria P*****. Im Jahre 1995 wurde Wohnungseigentum begründet und der Verkauf der 5 Einheiten durchgeführt. Aufgrund eines Schenkungsvertrages erwarb die Klägerin das alleinige Eigentum an der Wohnung W4.

Die Bereiche des jeweiligen Wohnungseigentums entsprechen im Wesentlichen dem Umfang der früher vorhandenen und vermieteten Einheiten. Die Wohnung W4, welche streitgegenständlich ist, wurde am 17. 4. 1937 an Wilhelm und Vilma S***** vermietet. In diesen Mietvertrag ist der Beklagte als Mieter eingetreten, die Klägerin erwarb die Vermietereigenschaft. Sie bot dem Beklagten die Wohnung zum Kauf an, was dieser ablehnte.

Mit der vorliegenden Aufkündigung kündigt die Klägerin diese 80,5 mý große Wohnung, für die monatlich S 1.700 bezahlt werden, wegen dringenden Eigenbedarfs für ihre Tochter zum 30. 6. 1998 auf. Sie brachte dazu zunächst vor, ihre Tochter werde voraussichtlich Ende Oktober 1998 ein Kind zur Welt bringen, sie bewohne derzeit eine Wohnung von 36 mý, welche für ihre Familie zu klein sei, weshalb der Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 8 MRG gegeben sei. In der Folge (Verhandlung vom 25. 10. 1999) führte sie aus, ihre Tochter habe um die Zeit der Geburt ihres Sohnes (Enkelkind der Klägerin) dieses Mietverhältnis beendet. Die Tochter habe mit Vollendung des 27. Lebensjahres ihren Anspruch auf Waisengeld verloren. Sie befinde sich bis April 2000 in Karenz und habe keinen gesicherten Arbeitsplatz nach diesem Zeitpunkt und damit auch kein Einkommen. In Hallein habe sie keinerlei selbständiges Benützungsrecht, dort sei ausschließlich der Vater des Enkelkindes Mieter. Es könne der Tochter der Klägerin nicht zugemutet werden, nur wegen des Wohnungsbedarfes eine Lebensgemeinschaft aufrecht zu erhalten.

Der Beklagte bestritt ua das Vorliegen eines Eigenbedarfes.

Auszugehen ist von folgendem Sachverhalt:

Die Klägerin ist im Gastgewerbebetrieb ihres Ehegatten in Freilassing beschäftigt, wo sie ein monatliches Bruttoeinkommen von DM 2.000 erzielt. Gemeinsam mit ihrem Ehegatten bedient sie einen Schuldenstand von rund S 3,000.000. Die Ehegatten wohnen in einem Reihenhaus in Seekirchen mit einer Wohnfläche von ca 110 mý. Dort hatte die Tochter der Klägerin bis zum Ende ihres Studiums (August 1997) ein Zimmer, danach bewohnte sie bis Ende November 1998 eine 30 mý große Wohnung in Salzburg.

Nunmehr lebt die Tochter der Klägerin mit ihrem am 26. 10. 1998 geborenen Kind und dessen Vater in Lebensgemeinschaft in einer 79 mý großen Wohnung in Hallein. Die Tochter der Klägerin möchte die Lebensgemeinschaft aufrecht erhalten. Ihr weiterer beruflicher Werdegang ist unbestimmt; der Lebensgefährte möchte nicht nach Salzburg ziehen.

Der Beklagte bezahlt für die rund 80,5 mý große Wohnung monatlich S 623 Hauptmietzins. Inklusive Betriebskosten und Umsatzsteuer beträgt das Gesamtentgelt monatlich S 1.700. Er verdient S 17.000 netto, 14 x jährlich. Er hat in der Wohnung Bad und WC eingebaut, die Wohnungseingangstür erneuert sowie die Stromleitungen adaptiert.

Die Klägerin hat dem Beklagten angeboten, die von ihm bewohnte Wohnung zu kaufen. Weshalb er die Wohnung nicht erworben hat, konnte nicht festgestellt werden.

In rechtlicher Hinsicht verneinte das Erstgericht das Vorliegen eines dringenden Eigenbedarfes im Sinne des § 30 Abs 2 Z 8 MRG.

Das von der Klägerin angerufene Berufungsgericht änderte die angefochtene Entscheidung dahin ab, dass die Aufkündigung für rechtswirksam erklärt und die Beklagte zur Räumung verurteilt wurde. Es sprach aus, die Revision gemäß § 502 Abs 1 ZPO sei zulässig.

Das Berufungsgericht führte in rechtlicher Hinsicht aus, dass die erst im Jahre 1995 erfolgte Begründung von Wohnungseigentum an der streitgegenständlichen Wohnung dem Standpunkt der Klägerin weder in Bezug auf die 10jährige Sperrfrist des § 30 Abs 2 MRG noch im Hinblick auf eine ansonsten erforderliche Interessenabwägung nach § 30 Abs 2 Z 8b MRG schade; auch in anderen mietrechtlichen Fragen sei Wohnungseigentum und Stockwerkseigentum gleichgestellt. Bei der Prüfung der Voraussetzungen für den Eigenbedarf habe daher die Interessenabwägung zu entfallen.

Fraglos sei der Eigenbedarf der Klägerin, die die kündigungsgegenständliche Wohnung für ihre Tochter dringend benötige, anzuerkennen. In der derzeitigen Situation verfüge die Tochter der Klägerin über überhaupt keine Wohnung. Sie sei auf die Aufrechterhaltung der Lebensgemeinschaft mit dem Vater ihres Kindes angewiesen, sie könne aus dieser Beziehung aber kein rechtlich gesichertes Wohn- oder Mietrecht ableiten und müsse praktisch damit rechnen, bei Scheitern der Beziehung aus der Wohnung in Hallein verwiesen zu werden.

Die Wohnsituation der Klägerin selbst (110 mý Wohnfläche zusammen mit ihrem Gatten in einem Reihenhaus in Seekirchen), stelle keine auf die Dauer gesicherte und zumutbare Wohnmöglichkeit dar. Eine solche bestehe hingegen in Gestalt der verfahrensgegenständlichen Wohnung in Salzburg. Zweifelsohne seien dort auch die Voraussetzungen für die Kinderbetreuung des Enkelkindes vielfältiger als in Seekirchen, abgesehen davon, dass die Tochter der Klägerin auch ihr Studium an der Universität Salzburg an Ort und Stelle zielstrebiger betreiben könne, als dies von Seekirchen aus der Fall wäre.

Nach der jüngeren Judikatur dürfe ein Wohnungseigentümer in erster Linie auf sein Eigentum zur Befriedigung seines Wohnbedürfnisses zurückgreifen, es sei nicht zumutbar, ihn auf die Beschaffung einer nicht in seinem Eigentum stehenden Wohnmöglichkeit zu verweisen. Der dringende Eigenbedarf der Klägerin, die ihrer derzeit völlig unsicher wohnversorgten Tochter praktisch nur die gegenständliche Wohnung überlassen könne, sei anzuerkennen.

Selbst eine Interessenabwägung falle zugunsten der Klägerin aus.

Der Einwand, die Klägerin habe den Eigenbedarf selbst verschuldet, sei unberechtigt.

Die ordentliche Revision erachtete das Berufungsgericht für zulässig, weil zur gegebenen Fallkonstellation (keine Interessenabwägung im Falle einer Eigentumswohnung, an der zunächst Stockwerkseigentum bestand und die in Wohnungseigentum erst während aufrechten Bestandverhältnisses umgewandelt wurde) höchstgerichtliche Judikatur noch nicht zugänglich sei.

Dagegen richtet sich die Revision des Beklagten mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, dass das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin hat Revisionsbeantwortung erstattet und beantragt, dem Rechtsmittel des Beklagten nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und auch berechtigt.

Die beklagte Partei macht in ihrem Rechtsmittel ua geltend, es fehle schon deshalb an einem Eigenbedarf, weil die Tochter der Klägerin mit ihrem Lebensgefährten und dem Kind in einer 79 mý großen Wohnung in Hallein wohne. Eine solche Wohnung sei für drei Personen ausreichend. Die rechtlich ungesicherte Position der Klägerin könne nur dann einen eigenbedarfsbegründenden Notstand bewirken, wenn der Tochter der Klägerin tatsächlich der Verlust der Wohnung drohe. Dies sei aber nicht festgestellt worden.

Hiezu wurde erwogen:

Gemäß § 30 Abs 2 Z 8 MRG liegt ein Kündigungsgrund vor, wenn der Vermieter die gemieteten Wohnräume für sich selbst oder für Verwandte in absteigender Linie dringend benötigt. Bei den Kündigungsgründen des Eigenbedarfes sind dabei auch Veränderungen, die in der Zeit zwischen der Zustellung der Aufkündigung und dem Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz eintreten, zu berücksichtigen. Fällt also der dringende Eigenbedarf während des Rechtsstreites weg, so liegt der darauf gegründete Kündigungsgrund nicht vor (WoBl 1999/35 mwN). Zum Zeitpunkte des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz bewohnte die Tochter der Klägerin gemeinsam mit ihrem Kind und ihrem Lebensgefährten eine (offenbar von diesem gemietete) Wohnung von 79 mý. Dass diese Wohnung zu klein sei und deshalb ein Eigenbedarf bestünde, ist von der Klägerin gar nicht geltend gemacht worden. Sie hat den Eigenbedarf lediglich daraus abgeleitet, dass ihre Tochter in Hallein keinerlei selbständige Benützungsrechte habe und ihr nicht zugemutet werden könne, nur aus dem Zwecke des Wohnungsbedarfes eine Lebensgemeinschaft aufrecht zu erhalten. Es ist sicherlich zutreffend, dass von der Tochter der Klägerin nicht verlangt werden kann, eine Lebensgemeinschaft aufrecht zu erhalten um eine Wohnmöglichkeit zu haben. Derzeit allerdings wird der Tochter und dem Enkelkind der Klägerin vom Lebensgefährten der Tochter und Vater des Enkelkindes eine ausreichende Wohnmöglichkeit zur Verfügung gestellt und wurde gar nicht konkret behauptet, dass diese Lebensgemeinschaft in Brüche und die Wohnung verloren gehen könnte. Es ist auch nicht behauptet worden, die Benützung der Wohnung des Lebensgefährten sei der Tochter der Klägerin wegen der räumlichen Distanz zum Studienort nicht zumutbar.

Daraus folgt, dass jedenfalls derzeit kein konkreter Eigenbedarf der Tochter der Klägerin gegeben ist, weshalb das Vorliegen des Kündigungsgrundes des § 30 Abs 2 Z 8 MRG zu verneinen ist.

Auf die Frage der Interessenabwägung braucht daher nicht eingegangen zu werden.

Es war daher in Stattgebung der Revision die klagsabweisende Entscheidung des Erstgerichtes wiederherzustellen.

Die Entscheidung über die Kosten gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.