JudikaturJustiz29Ns1/24z

29Ns1/24z – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
11. Januar 2024

Kopf

Die Präsidentin des Oberlandesgerichts Wien Mag. Lehmayer fasst über die im Verfahren 91 Hv 40/22a des Landesgerichts für Strafsachen Wien erstattete Anzeige der Ausgeschlossenheit durch den Senat ** des Oberlandesgerichts Wien (Senatspräsidentin Mag. F*sowie Richterinnen Mag. A* und Mag. B*) den

Beschluss:

Spruch

Die Senatspräsidentin Mag. F* sowie die Richterinnen Mag. A* und Mag. B* sind im Berufungsverfahren über die von den Antragsgegnerinnenen erhobene Berufung (ON 27) ausgeschlossen.

Text

Begründung:

Gegenstand des Verfahrens sind medienrechtliche Anträge des Antragstellers C* gegen die Antragsgegnerinnen D* Ges.m.b.H. sowie E* GmbH Co KG wegen §§ 6 ff MedienG.

Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 28. September 2022 (ON 12) wurden die Anträge unter Ausspruch der Kostenersatzpflicht des Antragstellers abgewiesen.

In Stattgebung der gegen dieses Urteil erhobenen Berufung des Antragstellers wegen Schuld wurde mit Urteil des Oberlandesgerichts Wien vom 31. März 2023, GZ ** Bs 28/23h (ON 18) das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen. Im Rahmen der Schuldberufung äußerte der Berufungssenat erhebliche Bedenken an der erstrichterlichen Beweiswürdigung in Bezug auf den von den Antragsgegnerinnen angebotenen Wahrheitsbeweis und nahm selbst beweiswürdigend Stellung (US 13 ff). An der Entscheidung beteiligt waren die Senatspräsidentin Mag. F* sowie die Richterinnen Mag. A* und Mag. B*.

Im zweiten Rechtsgang vor dem Landesgericht für Strafsachen Wien wurden mit Urteil vom 14. September 2023 (ON 24) die Antragsgegnerinnen zu Entschädigungszahlungen, zur Urteilsveröffentlichung und zum Kostenersatz verurteilt, wogegen sich deren rechtzeitige Berufung (ON 27) richtet, die dem Oberlandesgericht Wien mit Vorlagebericht vom 14. Dezember 2023 (ON 29) vorgelegt wurde.

Mit Schreiben vom 9. Jänner 2024 zeigte der Senat ** (durch die Senatspräsidentin Mag. F*) eine allfällige Ausgeschlossenheit gemäß § 43 Abs 1 Z 3 StPO in Hinblick auf die obgenannte Berufungsentscheidung vom 31. März 2023 an.

Rechtliche Beurteilung

Die Ausgeschlossenheitsanzeige ist inhaltlich berechtigt.

Nach § 43 Abs 1 Z 3 StPO ist ein Richter dann vom gesamten Verfahren ausgeschlossen, wenn andere als die in Z 1 und 2 leg.cit. genannten Gründe vorliegen, die geeignet sind, seine volle Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit in Zweifel zu ziehen.

Dazu hat der Oberste Gerichtshof in seinem Erkenntnis vom 6. Juni 2016, AZ 17 Os 4/16s (5/16p, 11/16w) festgehalten (siehe RIS-Justiz RS0130814):

Diese Bestimmung (§ 43 Abs 1 Z 3 StPO) sichert - als einfach-gesetzliche Umsetzung der in Art 6 Abs 1 MRK normierten Garantie - den Anspruch jedermanns darauf, dass seine Sache von einem unparteiischen Gericht gehört wird, ab. Nach (übereinstimmender) Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Obersten Gerichtshofs wird die Prüfung der Unparteilichkeit getrennt in (hier nicht angesprochener) subjektiver und objektiver Perspektive vorgenommen. Letztere stellt darauf ab, ob - einzelfallbezogen und unter Berücksichtigung des äußeren Anscheins - Umstände vorliegen, die objektiv gerechtfertigte Zweifel an der Unparteilichkeit wecken können. Solche Umstände können sich auch aus der Vorbefasstheit von Richtern eines Rechtsmittelgerichts in der Schuldfrage ergeben (zum Ganzen Lässig, WK-StPO § 43 Rz 13 bis 15 und 31a; Grabenwarter/Pabel, EMRK 6 § 24 Rz 48 ff). Hatte das Rechtsmittelgericht - hier mit eigenständiger Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Verantwortung der Angeklagten und diese belastender Zeugenaussagen durch Bezugnahme auf Beweisergebnisse sowie mit Hinweis auf Strafbarkeit des angelasteten Verhaltens indizierende Verfahrensergebnisse - im früheren Rechtsgang die Tatfrage mit voller Kognitionsbefugnis zu beurteilen oder hat es dazu - wenngleich bloß aus Anlass einer Rechtskontrolle - (jedenfalls in einer für den Angeklagten nachteiligen Weise) beweiswürdigend Stellung bezogen, liegt Anschein von Befangenheit im Sinn des § 43 Abs 1 Z 3 StPO vor (EGMR 24. 6. 2010, 22349/06, Mancel und Branquart/Frankreich [Z 38 ff]; weiters [mit Hinweisen auf den - nach französischem Strafverfahrensrecht - wesensmäßigen Unterschied von Berufung und Beschwerde an das Kassationsgericht] 10. 2. 2004, 53971/00, D. P./Frankreich [Z 37 ff] und 22. 11. 2005, 65823/01 und 65273/01, Golinelli und Freymuth/Frankreich [Z 41 ff] sowie [zur Befassung mit ähnlichen Fragen in derselben Rechtssache zunächst beim Arbeits- und Sozialgericht und nachfolgend beim Verfassungsgericht] 5. 6. 2014, 50996/08, Hit D. D. Nova Gorica/Slowenien [Z 36 ff]; zur Rechtsprechung des OGH 12 Ns 53/10f; vgl auch [Ausgeschlossenheit bejahend] 12 Ns 23/15a; 12 Ns 1/14i und 12 Ns 48/13z). An einer kassatorischen Entscheidung in Stattgebung einer zum Nachteil des Angeklagten ergriffenen Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld beteiligte Richter sind daher in einem weiteren Berufungsverfahren ausgeschlossen.

Wie der Oberste Gerichtshof in seinem Erkenntnis vom 4. März 2019, 12 Os 11/19p, sowie vom 29. Mai 2019, 15 Os 56/19b, (siehe RIS-Justiz RS0126921) zuletzt konkretisierte, ist bei der Beurteilung der Frage, ob Richter eines Rechtsmittelgerichts nach Urteilsaufhebung im nachfolgenden Rechtsgang im Sinn der (hier einzig in Betracht kommenden) Bestimmung des § 43 Abs 1 Z 3 StPO ausgeschlossen sind, – einzelfallbezogen sowie unter Berücksichtigung des äußeren Anscheins – entscheidend, ob Umstände vorliegen, die objektiv gerechtfertigte Zweifel an deren unvoreingenommenen und unparteilichen Dienstverrichtung wecken könnten. Solche Umstände können sich auch aus der Vorbefasstheit von Richtern eines Rechtsmittelgerichts in der Schuldfrage ergeben (vgl zum Ganzen Lässig, WK-StPO § 43 Rz 13 ff und 31a mwN). Wird weder die Tatfrage in voller Kognitionsbefugnis beurteilt noch in den Entscheidungsgründen beweiswürdigend Stellung bezogen, sondern bei der Rechtskontrolle ausschließlich von den im Ersturteil getroffenen Sachverhaltsannahmen ausgegangen, ohne die Verfahrensergebnisse eigenständig zu bewerten, so ist keine Ausgeschlossenheit anzunehmen.

Fallkonkret hatte das Rechtsmittelgericht im früheren Rechtsgang Tatfragen in voller Kognitionsbefugnis beurteilt bzw dazu beweiswürdigend Stellung bezogen, weshalb die an der kassatorischen Entscheidung in Stattgebung der vom Antragsteller ergriffenen Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld zum Nachteil der die Rolle der Angeklagten einnehmenden Antragsgegnerinnen beteiligte Senatspräsidentin und Richterinnen daher in einem weiteren Berufungsverfahren ausgeschlossen sind.

Gegen diesen Beschluss steht ein selbstständiges Rechtsmittel nicht zu (§ 45 Abs 3 StPO).

Rechtssätze
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