JudikaturJustiz1R119/23m

1R119/23m – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
21. Dezember 2023

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht durch den Senatspräsidenten Mag. Weixelbraun als Vorsitzenden sowie die Richterin Mag. Klenk und den Richter Mag. Böhm in der Rechtssache der klagenden Partei A* , **, vertreten durch Dr. Sebastian Schumacher, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei C* s.r.o. , **, Tschechische Republik, vertreten durch Freshfields Bruckhaus Deringer RAe PartG mbB in Wien, wegen Unterlassung und Veröffentlichung (Streitwert EUR 34.900), über die Berufung der beklagten Partei gegen das Versäumungsurteil des Handelsgerichts Wien vom 3.7.2023, 29 Cg 9/23b-10, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Berufung wegen Nichtigkeit wird verworfen .

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 3.662,52 (darin EUR 610,42 USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Die Klägerin, ein gemäß § 29 Abs 1 KSchG klageberechtigter Verband, begehrt von der Beklagten die Unterlassung der Verwendung von 32 konkret bezeichneten Klauseln oder sinngleichen Klauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen und Vertragsformblättern im geschäftlichen Verkehr mit Verbrauchern in Österreich, weiters die Unterlassung, sich auf diese oder sinngleiche Klauseln zu berufen, sowie die Urteilsveröffentlichung.

Die (nicht übersetzte) Klage samt Auftrag zur Klagebeantwortung wurde der Beklagten mit Zustellersuchen nach der EuZVO über die tschechische Empfangsstelle am 5.4.2023 zugestellt (ON 5). Am 21.4.2023 teilte die tschechische Empfangsstelle mit, dass die Beklagte die Annahme der Sendung aufgrund der verwendeten Sprache am 19.4.2023 verweigerte (ON 7).

Das Erstgericht erachtete die Beklagte als mit der Erstattung der Klagebeantwortung (§ 396 Abs 1 ZPO) säumig und erließ auf Antrag des Klägers das angefochtene Versäumungsurteil. Es stellte den folgenden Sachverhalt fest:

Die Beklagte ist international tätig und zählt zu den fünf führenden Buchungsplattformen in Europa. Sie vermittelt nach Eigenangaben rund 40.000 Reisen pro Tag. Im Jahr 2019 erzielte sie einen Umsatz von rund EUR 1,3 Mrd. Ruft man von Österreich aus die Website ** auf, wird man automatisch auf die deutschsprachige Unterseite **.de umgeleitet. Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten sind auf dieser Website durchgängig in deutscher Sprache abrufbar. Die Leistungen der Beklagten werden in deutscher Sprache angeboten, auf der Suchmaschine ist als Voreinstellung bereits der Abflugort Wien ausgewählt. Der gesamte Such- und Buchungsprozess kann auf Deutsch durchgeführt werden. Ebenso wird „Hilfe und Support“ in deutscher Sprache angeboten. Hier stehen auf Deutsch Informationen zu unterschiedlichen Themen zur Verfügung. Für Kunden mit bereits erfolgten Buchungen gibt es zudem von Montag bis Freitag von 7 bis 15 Uhr einen telefonischen deutschsprachigen Kundendienst und jederzeit die Möglichkeit, eine Nachricht in deutscher Sprache zu senden.

Rechtlich ging das Erstgericht von der Anwendbarkeit der EuZVO aus. Die Beklagte habe sich zu Unrecht auf ihr Annahmeverweigerungsrecht berufen, weil sie tatsächlich im Sinn des Art 12 Abs 1 lit a EuZVO Deutsch verstehe. Da die Beklagte als international tätige Gesellschaft, die ihre Leistungen online zielgerichtet mit einer „DE“-Unterseite in deutscher Sprache (auch) österreichischen Kunden anbiete, wobei das gesamte Angebot von der Frontpage über die Darstellung der Leistungen, den Such- und Buchungsprozess bis hin zu Hilfe und Support in deutscher Sprache zur Verfügung stehe und auch sämtliche AGB auf Deutsch verfasst seien, könne davon ausgegangen werden, dass im Unternehmen der Beklagten Mitarbeiter vorhanden sein müssen, die die deutsche Sprache so gut beherrschen, dass sie sich um rechtliche Auseinandersetzungen mit deutschsprachigen Kunden der Beklagten kümmern können. Auf die Sprachkenntnisse ihrer vertretungsbefugten Organe komme es nicht an.

Gegen dieses Versäumungsurteil richtet sich die primär erhobene, hilfsweise mit einem Widerspruch verbundene, Berufung der Beklagten wegen Nichtigkeit mit dem Antrag, das Versäumungsurteil und das bisherige Verfahren als nichtig aufzuheben.

Die Klägerin beantragt, der Berufung nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung ist nicht berechtigt .

1. Die Beklagte meint zusammengefasst, dass sie weder tatsächlich noch aus objektiver Sicht über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache im Sinn der EuZVO verfüge, sodass die Annahmeverweigerung zu Recht erfolgt sei.

1.1 Das Erstgericht und die Parteien gehen - aufgrund der grenzüberschreitenden Zustellung gerichtlicher Schriftstücke - zu Recht von der Anwendbarkeit der EuZVO (Verordnung (EU) 2020/1784 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.11.2020 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten) aus (vgl Art 1 EuZVO).

1.1.1 Nach Art 12 Abs 1 lit a EuZVO darf der Empfänger die Annahme des zuzustellenden Schriftstücks verweigern, wenn das Schriftstück nicht in einer Sprache abgefasst oder keine Übersetzung in einer Sprache beigefügt ist, die der Empfänger versteht.

1.1.2 Hier ist relevant, welche Anforderungen an die Sprachkenntnis einer juristischen Person im gewerblichen Rechtsverkehr zu stellen sind.

1.1.3 Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs hat das (Prozess-)Gericht (vgl 4 Ob 183/09d; 3 Ob 37/22w) sämtliche Anhaltspunkte zu prüfen, die ihm der Antragsteller hierzu unterbreitet, um zu ermitteln, ob der Empfänger eines zuzustellenden Schriftstücks die Sprache des Übermittlungsmitgliedstaats, in der das Schriftstück abgefasst ist, versteht (EuGH C-14/07, Weiss/IHK Berlin ).

1.1.4 Nach Erwägungsgrund 26 der EuZVO sollte das Gericht für die Zwecke der Überprüfung, ob die Verweigerung gerechtfertigt war, alle im Akt enthaltenen relevanten Informationen berücksichtigen, um die Sprachkenntnisse des Empfängers zu ermitteln. Bei der Bewertung der Sprachkenntnisse des Empfängers könnte das Gericht gegebenenfalls Tatsachen berücksichtigen wie zum Beispiel, ob der Empfänger Schriftstücke in der betreffenden Sprache verfasst hat, ob besondere Sprachkenntnisse für den Beruf des Empfängers erforderlich sind, ob der Empfänger Staatsangehöriger des Forummitgliedstaats ist oder ob der Empfänger früher über einen längeren Zeitraum seinen Wohnsitz in diesem Mitgliedstaat hatte.

1.1.5 In der Literatur wird im Zusammenhang mit der Zustellung an juristische Personen die Frage, auf die Sprachkenntnis welcher Person(en) abzustellen ist, nicht einheitlich beantwortet. Vereinzelt wird vertreten, dass es auf die Sprachkenntnis von zumindest einem Mitglied des vertretungsbefugten Organs ankommt ( Peer in Burgstaller/Neumayr , IZVR Art 8 EuZVO Rz 7). Nach überwiegender Meinung (v.a in Deutschland) soll es jedoch genügen, wenn im Rahmen einer üblichen dezentralen Organisationsstruktur eines Unternehmens die mit der Sache befasste Abteilung über einen entsprechenden Sprachkundigen verfügt, dessen Einschaltung in die Übersetzung des Schriftstücks nach den gesamten Umständen erwartet werden kann (MüKoZPO/Rauscher Anh. §§ 1067-107 EG-ZustellVO Art 8 Rz 16; Schlosser in Schlosser/Hess EuZVO Art 8 Rz 2a; Okonska in Gmeiner/Schütze , Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen VO Nr. 1393/2007 Art 12 Rz 25). Demnach ist auf die Sprachkompetenz der gesamten Organisation abzustellen, also auch derjenigen Personen, deren sich die Organisation für ihre Kommunikation nach außen bedient ( Ulrici in Rauscher , EuZPR/EuIPR, Art 12 EU-ZustellVO 2020 Rz 43; Exner , RZ 4/2020, Wann es für grenzüberschreitend tätige Unternehmen keine Übersetzung braucht - ein Beitrag zu Art 8 Nr 1 lit a EuZVO).

Es besteht jedoch insofern Einigkeit, dass die Feststellung der Sprachkompetenz an Hand von Indizien in einem summarischen Verfahren auf Basis der Aktenlage und der vom Antragsteller vorgelegten Bescheinigungsmittel zu erfolgen hat ( Ulrici in Rauscher , EuZPR/EuIPR, Art 12 EU-ZustellVO 2020 Rz 51; Schlosser in Schlosser/Hess EuZVO Art 8 Rz 2; Okonska in Gmeiner/Schütze , Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen VO Nr. 1393/2007 Art 12 Rz 30; Sengstschmid in Mayr , Europäisches Zivilverfahrensrecht² Rz 14.194).

1.1.6 Das Oberlandesgericht Wien ging in einem vergleichbaren Fall, in dem

a. die Beklagten international tätig waren und eine große Zahl österreichischer Kunden hatten,

b. bei Aufruf der ausländischen Website eine automatische Umleitung auf die österreichische Website erfolgte,

c. die verschiedenen Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten durchgängig in deutscher Sprache abrufbar waren, und

d. die Leistungen der Beklagten, der gesamte Registrierungs- und Bestellprozess sowie der gesamte Support einschließlich der Telefonhotline in deutscher Sprache angeboten wurden,

von ausreichenden Sprachkenntnissen im Sinn des Art 8 Abs 1 EuZVO VO Nr. 1393/2007 (nunmehr Art 12 Abs 1 VO Nr. 1784/2020) der dortigen Beklagten aus (OLG Wien vom 3.4.2020, 30 R 11/20p = VbR 2022/45).

1.2 Unter Anwendung dieser Grundsätze ist die Beurteilung des Erstgerichts, die Beklagte als international tätige Gesellschaft verfüge über ausreichende Sprachkenntnis, wenn sie ihre Leistungen auf einer „DE“-Unterseite in deutscher Sprache anbietet und der Such- und Buchungsprozess, Hilfe und Support und die AGB in deutscher Sprache verfasst sind, nicht zu beanstanden.

1.2.1 Hier übt die Beklagte Teile ihrer Geschäftstätigkeit in Deutsch aus, woraus sich unschwer auf ein Sprachniveau schließen lässt, das auch die sinnerfassende Kenntnisnahme gerichtlicher Zustellstücke gestattet. Dies ist insbesondere deshalb anzunehmen, weil weite Teile der Leistungen, der Vertragsabschluss (samt AGB) und ein Support in Deutsch angeboten werden. Schon die Verordnung selbst nennt als erstes Indiz das Verfassen von Schriftstücken in der betroffenen Sprache (Erwägungsgrund 26). Dazu zählt sowohl die Führung der Korrespondenz als auch die Nutzungsbedingungen. Wird in dieser Sprache kommuniziert, kann der Empfänger die Annahme eines in dieser Sprache verfassten Schriftstücks nicht verweigern, und zwar unabhängig davon, ob solche Schreiben mithilfe anderer Personen verfasst wurden ( Okonska in Gmeiner/Schütze , Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen VO Nr. 1393/2007 Art 12 Rz 31).

1.2.2 Nach inzwischen ständiger Rechtsprechung deutscher Gerichte (bezüglich Facebook, Twitter, Apple, Amazon, ebay usw.) gilt die auf einer in der Fremdsprache zugänglichen Internetseite geäußerte Bereitschaft, in dieser Sprache gestellte Fragen zu beantworten, als Indiz für die Sprachkenntnisse; ebenso ein so großer Umfang der Geschäftstätigkeit in einem bestimmten Land (auch unter Berücksichtigung der Anzahl der Kunden sowie der Bereitstellung aller relevanten Informationen und eines ausgebauten Beschwerdemanagements in der betroffenen Sprache), der darauf schließen lässt, dass im Unternehmen Mitarbeiter tätig sein müssten, die sich um rechtliche Auseinandersetzungen mit den Kunden oder Geschäftspartnern kümmern können (vgl Okonska in Gmeiner/Schütze , Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen VO Nr. 1393/2007 Art 12 Rz 37 mwN).

1.2.3 Zum Sprachniveau ist auszuführen, dass der Empfänger in der Lage sein muss, amtliche Dokumente und die darin verwendete juristische Sprache ausreichend zu verstehen, um seine Rechte geltend zu machen und zwar in ähnlicher Art und Weise wie das ein Staatsangehöriger des Empfangsmitgliedsstaats kann (EuGH C-14/07, Weiss/IHK Berlin). Entgegen der Ansicht der Beklagten sind daher nicht besonders hohe Anforderungen an die Sprachkenntnis geboten, sondern Sprachkenntnisse in dem Umfang, wie die Begriffe und Sprachregeln einem durchschnittlichen EU-Bürger in seiner Muttersprache bekannt sind; ein Verständnis der Rechtssprache ist daher nicht erforderlich ( Ulrici in Rauscher , EuZPR/EuIPR, Art 12 EU-ZustellVO 2020 Rz 46). Von einem solchen ist auch bei einem Muttersprachler nicht auszugehen.

1.2.4 Das von der Beklagten herangezogene Kriterium des Geschäftssitzes in Tschechien ist nur eines von mehreren möglichen Indizien und bedeutet für sich genommen nicht, dass die Beklagte aufgrund der dadurch bedingten Kommunikation mit tschechischen Behörden nicht über ausreichend Sprachkenntnisse in Deutsch verfügt. Die von der Verordnung ebenfalls genannten Kriterien des Verfassens von Schriftstücken in dieser Sprache und der für den Beruf erforderlichen Sprachkenntnisse überwiegen hier deutlich zugunsten der Annahme ausreichender Sprachkenntnisse, zumal die alleinige Vertragssprache mit österreichischen Kunden Deutsch ist. Die in den AGB enthaltenen Gerichtsstands- und Rechtswahlklauseln zugunsten tschechischer Gerichte und tschechischen Rechts könnten zwar als Indiz für mangelnde Sprachkenntnisse herangezogen werden, überwiegen jedoch nicht die übrigen bereits angeführten Indizien, die zugunsten einer ausreichenden Sprachkenntnis sprechen.

1.2.5 Wenn die Beklagte meint, aus der Nutzung deutschsprachiger AGB und der Zuverfügungstellung einer deutschsprachigen Homepage könne nicht zweifelsfrei auf eine ausreichende Sprachkenntnis geschlossen werden, übersieht sie, dass an den Beweis durch Indizien keine hohen Anforderungen zu stellen sind ( Schlosser in Schlosser/Hess EuZVO Art 8 Rz 2) und hohe Wahrscheinlichkeit ausreicht ( Ulrici in Rauscher , EuZPR/EuIPR, Art 12 EU-ZustellVO 2020 Rz 51). Es ist auch nicht erforderlich, dass die Sprachkenntnisse ausreichen, um sich mit einem Gerichtsverfahren auseinandersetzen zu können, sondern das zuzustellende Schriftstück muss soweit verstanden werden, dass die Beklagte ihre Verteidigungsrechte effektiv ausüben kann. Da die Beklagte ihren Verträgen die in Deutsch verfassten AGB zugrunde legt und die Klage die Unwirksamkeit zahlreicher Klauseln dieser AGB behauptet, ist von einem ausreichenden Verständnis der Klage auszugehen. Insofern hat auch die von der Beklagten behauptete Auslagerung der Übersetzung der in Englisch oder Tschechisch vorbereiteten AGB ins Deutsche an ein Übersetzungsbüro sowie die behauptete Auslagerung des deutschsprachigen Kundenservice an ein externes Service-Center außer Betracht zu bleiben.

2 . Zur von der Beklagten als vorlagepflichtig bezeichneten Frage hat der EuGH bereits ausgesprochen, dass das Gericht sämtliche Anhaltspunkte zu prüfen hat, die ihm der Antragsteller hierzu unterbreitet (EuGH C-14/07, Weiss/IHK Berlin , Rz 80 ).

Vor dem Hintergrund der hier eindeutigen Sachlage ist die von der Beklagten angeregte Vorabentscheidung zur Auslegung des Art 12 EuZVO nicht einzuholen.

3. Das Erstgericht hat daher aus der unberechtigten Annahmeverweigerung zu Recht auf eine wirksame Zustellung der Klage geschlossen.

4 . Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.

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