JudikaturJustiz18Bs340/23s

18Bs340/23s – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
11. Januar 2024

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in der Strafsache gegen A* wegen §§ 15, 269 Abs 1 erster Fall StGB über dessen Berufung wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 4. Oktober 2023, GZ 56 Hv 39/23y-26.2, nach der am 11. Jänner 2024 unter dem Vorsitz der Senatspräsidentin Mag. Frohner, im Beisein der Richterinnen Mag. Heindl und Mag. Primer als weitere Senatsmitglieder, in Gegenwart der Oberstaatsanwältin Mag. Wallenschewski, des Angeklagten A* sowie seines Verteidigers Mag. Robert Bitsche durchgeführten öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird mit der Maßgabe, dass gemäß § 38 Abs 1 StGB die Vorhaft vom 17. September 2022, 18.10 Uhr, bis 18. September 2022, 10.00 Uhr, auf die verhängte Strafe angerechnet wird, nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390a Abs 1 StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am ** geborene bosnische Staatsangehörige A* des Vergehens des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 erster Fall StGB schuldig erkannt und hiefür nach dem ersten Strafsatz des § 269 Abs 1 StGB zu einer gemäß § 43 Abs 1 StGB unter Bestimmung einer zweijährigen Probezeit bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Dauer von fünf Monaten verurteilt.

Nach dem Inhalt des Schuldspruchs hat er am 17. September 2022 in ** den Polizeibeamten RvI B* mit Gewalt an einer Amtshandlung, nämlich seiner Identitätsfeststellung, zu hindern versucht, indem er zunächst RvI B* einen Tritt gegen das Schienbein versetzte und sodann mit der Faust in Richtung des Kopfes des RvI B* schlug.

Bei der Strafzumessung wertete das Erstgericht keinen Umstand als erschwerend, mildernd demgegenüber das reumütige Geständnis, den bisher ordentlichen Lebenswandel, den Umstand, dass es beim Versuch geblieben ist, das herabgesetzte Urteilsvermögen aufgrund der starken Alkoholisierung sowie den Umstand, dass der Angeklagte bei der Tat selbst zu Schaden gekommen ist.

Dagegen richtet sich die unmittelbar nach Urteilsverkündung mit vollem Anfechtungsziel angemeldete (ON 26.1, 4), in der Folge fristgerecht zu ON 31 ausgeführte Berufung des Angeklagten, mit der er ein diversionelles Vorgehen, in eventu die Herabsetzung der verhängten Freiheitsstrafe anstrebt.

Rechtliche Beurteilung

Der Berufung kommt keine Berechtigung zu.

Bei der Behandlung der Berufungspunkte und Nichtigkeitsgründe geht eine wegen des Ausspruchs über die Schuld erhobene Berufung einer Rüge wegen der Z 9 bis 10a des § 281 Abs 1 (§ 468 Abs 1 Z 4) StPO vor, jener wegen formeller Nichtigkeitsgründe jedoch nach ( Ratz in WK-StPO § 476 Rz 9).

Im Rahmen der zunächst zu behandelnden Schuldberufung ist vom Rechtsmittelgericht zu prüfen, ob das Erstgericht für das Verfahren wesentliche, in der Hauptverhandlung vorgekommene Verfahrensergebnisse einer nachvollziehbaren und den Denkgesetzen entsprechenden Würdigung unterzog und die wesentlichen Gründe für die entsprechenden Tatsachenfeststellungen in gedrängter Form zur Darstellung brachte.

Dabei gilt: Die freie Beweiswürdigung ist ein kritisch-psychologischer Vorgang, bei dem durch Subsumierung der Gesamtheit der durchgeführten Beweise in ihrem Zusammenhang unter allgemeine Erfahrungsgrundsätze logische Schlussfolgerungen zu gewinnen sind ( Mayerhofer , StPO 6 § 258 E 30 f; Fabrizy / Kirchbacher , StPO 14 § 258 Rz 8). Wenn aus den vom Erstgericht aus den vorliegenden Beweisergebnissen folgerichtig abgeleiteten Urteilsannahmen auch andere, für den Angeklagten günstigere Schlussfolgerungen möglich sind, tut dies nichts zur Sache. Die Frage der Glaubwürdigkeit des Angeklagten und der Zeugen sowie die Beweiskraft ihrer Aussage sind der freien richterlichen Beweiswürdigung vorbehalten. Aus dem Grundsatz „in dubio pro reo“ lässt sich nämlich keine negative Beweisregel ableiten, die das erkennende Gericht – im Falle mehrerer denkbarer Schlussfolgerungen – verpflichten würde, sich für die aus Sicht des Angeklagten günstigste Variante zu entscheiden (RIS-Justiz RS0098336).

Gemessen an diesen Grundsätzen kommt der Schuldberufung keine Berechtigung zu.

Der Einzelrichter hat nach dem vom in der Hauptverhandlung vernommenen Angeklagten gewonnenen persönlichen Eindruck unter Würdigung der wesentlichen Ergebnisse des Beweisverfahrens nachvollziehbar dargelegt, wie er zu seinen für den Schuldspruch maßgeblichen Feststellungen in objektiver wie auch in subjektiver Hinsicht gelangte. Dabei konnte er sich zum Tathergang in Bezug auf den dem Angeklagten angelasteten Fußtritt gegen RvI B* auf dessen für glaubwürdig befundene Angaben stützen (ON 16, 12); zu dem versuchten Faustschlag in Richtung des Kopfes des Genannten fußten die Feststellungen des Erstrichters auf den für glaubwürdig befundenen Angaben der Zeugin Insp. C* (ON 16, 11). Die Angaben stehen auch mit der Aussage des Angeklagten im Einklang, der, wenngleich er aufgrund seiner Alkoholisierung Erinnerungslücken aufwies, deponierte, es könne stimmen, dass er RvI B* körperlich angegriffen habe. Dass sich der Angeklagte nicht in einem Zustand voller Berauschung befand, stützte der Erstrichter auf die nachvollziehbare Expertise des Sachverständigen Dr. D*. Die Beweiswürdigung ist umfassend, in sich schlüssig und lebensnah. Die subjektive Tatseite leitete das Erstgericht mängelfrei aus den äußeren Tatumständen ab.

Dieser aktenkonformen Beweiswürdigung konnte sich das Berufungsgericht bedenkenlos anschließen. Da somit auch das Rechtsmittelgericht bei der im Rahmen der Überprüfung der Beweiswürdigung in Erledigung der Schuldberufung anzustellenden Gesamtbetrachtung keine Zweifel an der erstgerichtlichen Lösung der Schulfrage hegt, hat der Schuldspruch Bestand.

Auch die Diversionsrüge nach der Z 10a des § 281 Abs 1 StPO ist nicht im Recht. Ein Urteil ist dann aus § 281 Abs 1 Z 10a StPO nichtig, wenn die darin enthaltenen Feststellungen bei richtiger Rechtsansicht die Nichtanwendung der Diversion nicht zu tragen vermögen oder wenn Ergebnisse der Hauptverhandlung auf einen Umstand hindeuten, der für die positive Beurteilung der diversionellen Voraussetzungen den Ausschlag gäbe, das Gericht aber keine Feststellungen getroffen hat. Somit ist Gegenstand der Diversionsrüge der Vergleich der im Urteil getroffenen Konstatierungen mit den Diversionskriterien. Hat das Gericht aus Sicht des Beschwerdeführers zu deren Beurteilung erforderliche Feststellungen nicht getroffen, ist ein Feststellungsmangel geltend zu machen (RIS-Justiz RS0119091).

Diesen Anforderungen wird der Rechtsmittelwerber, der die Fortführung des Verfahrens bzw die Nichterledigung durch Diversion trotz vorliegender Bereitschaft kritisiert, ohne sich jedoch mit den dazu getroffenen Feststellungen des Erstgerichts (US 3 letzter Absatz), insbesondere den mehrfach (auch bereits im Ermittlungsverfahren) aus alleine vom Berufungswerber zu vertretenden Gründen gescheiterten Diversionsversuchen, auseinanderzusetzen, nicht gerecht. Der Diversionsrüge ist daher ebenfalls ein Erfolg zu versagen.

Auch die Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe bleibt ohne Erfolg. Das Erstgericht hat die besonderen Strafzumessungsgründe vollständig aufgelistet und auch zutreffend gewichtet. Ausgehend von der zutreffend wiedergegebenen Strafzumessungslage erweist sich auf Grundlage der Schuld des Angeklagten (§ 32 Abs 1 StGB) und unter Berücksichtigung, dass das Ausmaß der Strafe in einer realistischen Relation zum Unrechts- und Schuldgehalt der konkreten Tat stehen muss (RIS-Justiz RS0090854), bei einem zur Verfügung stehenden Strafrahmen von bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe die vom Erstgericht ausgemessene – ohnehin bedingt nachgesehene – Sanktion von fünf Monaten als moderat, wird auch generalpräventiven Erwägungen gerecht und ist einer Reduktion daher nicht zugänglich.

Der Berufung ist daher ein Erfolg zu versagen.

Aus Anlass der Berufung war die vom Erstgericht unterlassene Vorhaftanrechnung nach § 38 StGB vom Berufungsgericht nachzuholen ( Flora in Höpfel/Ratz WK² StGB § 38 Rz 30).

Rechtssätze
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