JudikaturJustiz18Bs262/23w

18Bs262/23w – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
18. Dezember 2023

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht durch die Senatspräsidentin Mag. Frohner sowie die Richterinnen Mag. Heindl und Mag. Lehr in der Strafsache gegen A* wegen §§ 15, 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB über die Berufung der Staatsanwaltschaft wegen Nichtigkeit und Schuld gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 17. Juli 2023, AZ 44 Hv 90/23k-10 in nichtöffentlicher Sitzung gemäß § 489 Abs 1 iVm § 470 Z 3 StPO zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wegen Nichtigkeit und Schuld wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am ** geborene österreichische Staatsbürger A* von dem wider ihn mit Strafantrag vom 30. Juni 2023 erhobenen Vorwurf, er habe am 1. Juni 2023 in B* Mitarbeiter der C* D* durch gefährliche Drohung mit dem Tod gegen andere Mieter, sohin gegen deren Schutz unterstehende Personen, zu einer Handlung zu nötigen versucht (§ 15 StGB), indem er diesen in einer E-Mail zunächst sinngemäß sein bereits zuvor geäußertes Ansuchen um Beschaffung einer neuen Wohnung wiederholte und danach geschrieben habe, dass wenn sein Ansuchen weiterhin „ auf taube Ohren stoßen “ sollte, er einen Freund, der Teil einer Großfamilie sei, verständigen werde und weiter „ und wenn es einmal ausgesprochen ist, dann bleibt von dieser Nachbarschaft nichts mehr übrig. Aber ich glaube, dass es noch was anderes als Lösung geben muss außer Mord. Auch wenn es ihm und seiner Familie nichts ausmachen würde, die Leute von beiden Türen alle zu ermorden und dann in der Lobau verschwinden zu lassen “ gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Rechtliche Beurteilung

Gegen dieses Urteil richtet sich die rechtzeitig angemeldete (ON 12, 1), fristgerecht zu ON 16 ausgeführte Berufung der Staatsanwaltschaft wegen Nichtigkeit und Schuld, der Berechtigung zukommt.

Bei der Behandlung der Berufungspunkte und Nichtigkeitsgründe geht eine wegen des Ausspruchs über die Schuld erhobene Berufung einer Rüge wegen der Z 9 bis 10a des § 281 Abs 1 (469 Abs 1 Z 4) StPO vor, jener wegen formeller Nichtigkeitsgründe jedoch nach ( Ratz , WK-StPO § 476 Rz 9).

In ihrer zunächst zu behandelnden Schuldberufung bekämpft die Anklagebehörde die Feststellung des Erstgerichts zur inneren Tatseite, wonach A* mit seinem Schreiben weder die Mitarbeiter der Wohnungskommission noch sonst irgendwelche diesen nahestehende oder sonstige Personen habe bedrohen wollen und dass er auch nicht gewollt habe, dass sein Schreiben anderen Personen, wie etwa den in seinem Schreiben angeführten Nachbarn, zukomme. Des Weiteren habe er weder damit gerechnet, dass die von ihm gewählten Worte geeignet seien, Mitarbeiter der Wohnungskommission oder sonstige Personen einzuschüchtern oder in Furcht und Unruhe zu versetzen, noch habe er dies gewollt. Zudem habe er seine Äußerung nicht ernstlich gemeint, sondern nur „Dampf ablassen wollen“. Tatsächlich begegnen diese vom Erstgericht getroffenen Feststellungen zur (fehlenden) subjektiven Tatseite erheblichen Bedenken. Diese Feststellungen zur subjektiven Tatseite stützte der Erstrichter auf den Inhalt des E-Mails in Zusammenschau mit der Lebenssituation des Angeklagten. Denn unter Berücksichtigung des (bereits anhand des Textes der E-Mail) deutlich erkennbaren Bestrebens des Angeklagten, die Aussichtslosigkeit seiner Lage hervorzuheben, um dadurch Hilfe für sich und seine Familie bei der Wohnungssuche zu erhalten, sei abzuleiten, dass es dem Angeklagten nicht darum gegangen sei zu drohen, sondern um Hilfe für ihn und seine Familie zu rufen. Der Angeklagte sei zudem um keine Beschönigung bemüht gewesen und habe sich selbst als „schuldig“ erachtet, was seine Glaubwürdigkeit verstärkt habe. Der Erstrichter kam im Zusammenhang mit dem gerade bei Drohungen unerlässlichen persönlichen Eindruck des Angeklagten in der mündlichen Verhandlung somit zu dem Schluss, A* habe keine Intention gehabt, den Mitarbeitern der D* oder sonstigen Personen zu drohen. Vielmehr sei im Vordergrund gestanden, der wohnungsbedingten Stresssituation entfliehen zu können.

Die entsprechenden Berufungsausführungen der Staatsanwaltschaft sind geeignet, Zweifel an den genannten Feststellungen zur inneren Tatseite und der darauf gegründeten Annahme mangelnder Täterschaft des Angeklagten zu wecken, dies aus folgenden Gründen:

In rechtlicher Hinsicht ist voranzustellen:

§ 105 Abs 1 StGB verwirklicht, wer einen anderen mit Gewalt oder durch gefährliche Drohung zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt. Wer – hier relevant -mit dem Tod droht, um einen anderen zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung zu nötigen, verantwortet das Delikt der schweren Nötigung nach § 106 Abs 1 Z 1 StGB. Begehungsmittel der schweren Nötigung ist so wie beim Grunddelikt der Nötigung unter anderem die gefährliche Drohung iS des § 74 Abs 1 Z 5 StGB. Unter Drohung ist die Kundgebung eines Willensentschlusses zu verstehen, ein Übel für einen anderen herbeizuführen, das der Drohende unmittelbar selbst oder durch eine Mittelsperson zu verwirklichen vermag (RIS-Justiz RS0092149). Die Verwirklichung des angedrohten Übels muss nach dem Inhalt der Drohung vom Willen des Drohenden abhängig sein. Ob der Drohende aber die Drohung tatsächlich wahrmachen will oder dazu überhaupt im Stande ist, stellt kein Kriterium der Drohung dar (RIS-Justiz RS0092132); es genügt dass die Drohung ernstgemeint und verwirklichbar erscheint, das heißt, dass die bedrohte Person nach den Umständen des Falles und nach der Vorstellung des Täters den Eindruck gewinnen musste, der Täter sei in der Lage, das angedrohte Übel auch wirklich herbeizuführen. Weiters setzt die gefährliche Drohung voraus, dass sich das angekündigte Übel gegen die Person des Bedrohten, gegen dessen Angehörige oder gegen andere unter seinen Schutz gestellte oder ihm persönlich nahestehende Personen richtet. Der Begriff der Schutzbefohlenen ist nicht alleine im Sinne des Personenrechts des ABGB oder der Aufgaben von Sicherheitsorganen, sondern – unabhängig von einer vom Gesetz keineswegs verlangten rechtlichen Basis – im Sinne wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Gegebenheiten und einer sich daraus ergebenden Verantwortung für andere auszulegen. In diesem Sinne wurde etwa der Ankündigung gegenüber einem Bürgermeister, Lebensmittel in einem in seinem Gemeindegebiet gelegenen Lebensmittelgeschäft zu vergiften, und der Ankündigung gegenüber einer Mitarbeiterin des Jugendamts, die eigenen Kinder zu töten, oder der Ankündigung eines Häftlings gegenüber einem Justizwachebeamten, den Haftraum zu beschädigen, die Eignung der Drohung gemäß Z 5 leg cit zuerkannt ( Jerabek / Ropper in Höpfel / Ratz , WK 2 StGB § 74 Rz 27).

Im Lichte dieser Ausführungen erweist sich zunächst die vom Erstgericht getroffene Feststellung, wonach der Angeklagte nicht gewollt habe, dass seine Äußerung den im Schreiben genannten Nachbarn zukomme, als entbehrlich, handelt es sich doch bei der inkriminierten Drohung, die als Begehungsmittel der Nötigung eingesetzt wurde, um eine Drohung gegen die Mitarbeiter der D* in Bezug auf die ihnen unterstellten Schutzbefohlenen, nämlich die Mieter der Gemeindewohnungen, für deren Vergabe, aber auch deren Beschwerden im Zusammenhang mit den Mietverhältnissen die D* zuständig ist. Das angekündigte Übel bestand in concreto in der Drohung, die im Schreiben erwähnten unter dem Schutz der D* stehenden Nachbarn, nämlich die Tschetschenen von Tür 2 und Tür 7, bzw die Tschetschenen und Albaner in der Nachbarschaft von einem Freund und dessen „Großfamilie“ ermorden und in der Lobau verschwinden zu lassen. Inhalt der gefährlichen Drohung ist somit eine Drohung mit dem Tod iS des § 106 Abs 1 StGB. Die Weiterleitung der Drohung an die Nachbarn und der darauf gerichtete Vorsatz ist somit, der Argumentation der Staatsanwaltschaft zuwider in dieser Fallkonstellation zur Verwirklichung des Tatbestands nicht erforderlich. Vielmehr reicht es aus, dass die Drohung den Bedrohten, nämlich den für den konkreten Gemeindebau zuständigen Mitarbeitern der D*, zukommt.

Wie die Staatsanwaltschaft in der Schuldberufung im Ergebnis zutreffend aufzeigt, begegnen aber die Feststellungen, der Angeklagte habe weder damit gerechnet, dass die von ihm gewählten Worte geeignet seien, Mitarbeiter der Wohnungskommission oder sonstige Personen einzuschüchtern oder in Furcht und Unruhe zu versetzen, und habe dies auch nicht gewollt, er habe seine Äußerung nicht ernstlich gemeint, sondern habe damit nur Dampf ablassen wollen, die das Erstgericht mit der schwierigen Lebenssituation des Angeklagten und dem persönlichen Eindruck, wonach der Angeklagte aus seiner Verzweiflung gehandelt habe, begründete, erheblichen Bedenken.

Denn die vom Erstrichter herangezogene Begründung, dass der Angeklagte nur aus Verzweiflung gehandelt habe, stützt sich ausschließlich auf den persönlichen Eindruck vom Angeklagten in der Hauptverhandlung im Zusammenhang mit dessen behaupteter Aussichtslosigkeit seiner Lage. Diese Aussage alleine ist aber für den Beweis der Ausgangslage, in der das inkriminierte Schreiben verfasst wurde, und der vom Angeklagten ins Treffen geführten Verzweiflung über die aufgrund des Verhaltens der Nachbarn unerträgliche Wohnsituation, nicht ausreichend. Dem Akt ist nämlich außer der betreffenden E-Mail nichts zu entnehmen, woraus abgeleitet werden kann, dass diese E-Mail - wie vom Angeklagten behauptet - den Gipfelpunkt einer langen Reihe von Beschwerden darstellt, die der Angeklagte an die D* im Zusammenhang mit der von ihm als unerträglich empfundene Wohnsituation und den Auseinandersetzungen mit den Nachbarn gerichtet haben will (siehe ON 9,3: „Es hat von der Wohnungskommission immer geheißen, dass man da nichts machen kann, deshalb wollte ich fragen, was bei denen los ist“) . Da es bei der Interpretation des Schreibens und Ermittlung seines Bedeutungsinhalts auf tatsächlicher Ebene aber auch auf den situativen Kontext, in dem es erstellt wurde, ankommt und hiefür die Situation, in der das Schreiben verfasst wurde, maßgeblich ist und auch die Frage, ob die Drohung ernst gemeint und verwirklichbar erscheint, ohne zusätzliche Beweisaufnahmen nicht abschließend geklärt werden kann, erweist sich eine Aufhebung als unumgänglich. Denn das Erstgericht hat dazu bisher - abgesehen von der Vernehmung des Angeklagten und Verlesung der inkriminierten E-Mail - keine Beweise aufgenommen. Weder wurden die Adressaten der D* ausgeforscht und zu allfälligen vorherigen Kontakten mit dem Angeklagten oder seiner Lebenspartnerin befragt, noch wurde entsprechende Vorkorrespondenz vom Angeklagten vorgelegt. Ebenso wenig wurde die vermeintliche Verfasserin des Schreibens, die Lebensgefährtin des Angeklagten E*, vernommen.

Das Erstgericht wird daher im fortgesetzten Verfahren die vom Angeklagten ins Treffen geführten weiteren Beschwerdeschreiben beizuschaffen haben, die relevanten Mitarbeiter der D* zu allfälligen Vorbeschwerden des Angeklagten zu befragen haben und auch die Lebensgefährtin des Angeklagten zu der vom Angeklagten behaupteten unerträglichen Wohnsituation durch die von den Nachbarn ausgehenden Lärmbelästigungen, Beschimpfungen und zu den weiteren Auseinandersetzungen zu vernehmen haben. Ausgehend von der solcherart verbreiterten Entscheidungsgrundlage wird das Erstgericht im fortgesetzten Verfahren sodann zu beurteilen haben, ob das Schreiben und die darin enthaltenen Formulierungen die Qualität einer gefährlichen Drohung im Sinn des § 74 Abs 1 Z 5 StGB aufweisen und ob der Angeklagte den subjektiven Tatbestand des §§ 105, 106 Abs 1 StGB verwirklicht hat.

Sollte sich nach Einvernahme der Zeugen und Beischaffung der genannten Beweismittel tatsächlich erweisen lassen, dass der Angeklagte bereits zahlreiche ergebnislose Beschwerdeschreiben an die Behörde(n) gerichtet hat, in denen er seine Situation schilderte und ihm Unterstützung und Hilfe von offizieller Stelle nicht zuteil wurde, ist – im Falle der Verwirklichung der subjektiven Tatseite – in dieser besonderen Konstellation in einem weiteren Schritt zu prüfen, ob gegenständlich im Hinblick auf die grundsätzlich geständige Einlassung des Angeklagten zumindest zum objektiven Tatbestand des §§ 15, 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB die Diversionsvoraussetzungen vorliegen.

Auch die in der Nichtigkeitsberufung der Anklagebehörde zum Kreis der Schutzbefohlenen der D* getätigten Ausführungen sind insoweit berechtigt, als nach Ansicht des Berufungssenats die rechtliche Beurteilung des Erstgerichts, wonach es nicht Aufgabe der Wohungskommission der D* sei, sämtliche Mieter der Stadt B* als Schutzbefohlene der D* zu unterstellen, im Hinblick auf die oben dargelegten rechtlichen Erwägungen verfehlt ist. Vielmehr ist in Übereinstimmung mit den Argumenten der Staatsanwaltschaft der Kreis der Drohungsadressaten eher weit zu ziehen und tendenziell so zu verstehen, dass Schutzbefohlene alle Personen sind, für die die Bedrohte Person eine gewisse Verantwortung trägt ( Schwaighofer in Höpfel/Ratz, WK² StGB § 105 Rz 51), was für die D* und die vom Angeklagten bedrohten Mieter der Gemeindewohnungen/Nachbarn wohl zu bejahen ist, muss doch die besagte Behörde auf eine Bedrohung dieser Personen in irgendeiner Form reagieren.

Da somit bereits vor der öffentlichen Verhandlung über die Berufung feststeht, dass das Urteil aufzuheben und die Verhandlung in erster Instanz zu wiederholen ist, war der Berufung nach § 470 Z 3 StPO in nichtöffentlicher Beratung stattzugeben, das Urteil aufzuheben und die Sache an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung und allfälligen Prüfung der Voraussetzungen der §§ 198 ff StPO zurückzuverweisen.

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