JudikaturJustiz17Os3/17w

17Os3/17w – OGH Entscheidung

Entscheidung
12. Juni 2017

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 12. Juni 2017 durch den Präsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden, die Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek und Hon. Prof. Dr. Kirchbacher, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Adamowitsch als Schriftführerin in der Strafsache gegen Mag. Andreas M*****, BA und andere Beschuldigte wegen Vergehen der Geschenkannahme und Bestechung von Bediensteten oder Beauftragten nach § 309 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 53 St 49/17m (vormals 14 St 69/15p) der Staatsanwaltschaft Wien, über die Anträge der Beschuldigten Mag. Andreas M*****, BA, Helmut H*****, MSc und Mag. Peter W***** auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a StPO, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Anträge werden zurückgewiesen.

Text

Gründe:

Im eingangs genannten Ermittlungsverfahren ordnete die Staatsanwaltschaft Wien auf Grund gerichtlicher Bewilligung die Durchsuchung der Räumlichkeiten des Vereins B***** zur Sicherstellung und Auswertung von Unterlagen in „elektronischer und physischer Form, welche Informationen über die betreuten Patienten sowie die Finanzgebaren des Vereins enthalten“, an (ON 18). Dabei ging sie von folgendem, den Vergehen der Fälschung eines Beweismittels nach § 293 Abs 1 StGB, der Begünstigung nach § 299 Abs 1 StGB und der Geschenkannahme und Bestechung von Bediensteten oder Beauftragten nach § 309 Abs 1 StGB subsumierten Verdacht aus:

Mag. Andreas M*****, BA, Helmut H*****, MSc und Mag. Peter W***** hätten als Angestellte des Vereins B*****, der als Einrichtung im Sinn des § 15 Abs 1 SMG gesundheitsbezogene Maßnahmen durchführe, in einer unbekannten Zahl von Fällen ohne vorherige Testung des Urins von Personen, die Vergehen nach § 27 Abs 1 SMG begangen hätten, wahrheitswidrig die Durchführung von Drogentests und deren negatives Ergebnis bestätigt, um diese Personen der Verfolgung oder der Vollstreckung der Strafe oder vorbeugenden Maßnahmen ganz oder zum Teil zu entziehen. Diese Bestätigungen hätten sie mit dem Vorsatz deren Gebrauchs in einem gerichtlichen oder verwaltungsbehördlichen Verfahren hergestellt. Überdies hätten sie als Bedienstete eines Unternehmens im geschäftlichen Verkehr für die pflichtwidrige Vornahme von Rechtshandlungen, nämlich die Ausstellung dieser (unrichtigen) Bestätigungen, Geldbeträge gefordert oder angenommen.

Unter Berufung auf ihr gesetzlich anerkanntes Recht auf Verschwiegenheit (vgl § 157 Abs 1 Z 3 StPO) widersprachen die Beschuldigten der Sicherstellung (ON 22; vgl auch ON 23 S 11) der in einem Ordner mit der Bezeichnung „e*****“ zusammengefassten elektronischen Dateien („Patientenlisten, eingetragene Laborberichte, Bearbeitungsvermerke und sonstige Aufzeichnungen“) sowie der elektronischen Kassenbuchaufzeichnungen.

Über Aufforderung (ON 26) zu konkreter Bezeichnung jener Teile der Datenträger, deren Offenlegung eine Umgehung ihrer Verschwiegenheit bedeuten würden (§ 112 Abs 2 erster Satz StPO), nannten die Beschuldigten zunächst einen bestimmten Dateiordner sowie einzelne Dateien mit dem Berufsgeheimnisschutz unterliegenden Informationen (bestehend aus „Therapieverläufen, medizinischen Befunden, Medikamentenlisten, Krankengeschichten und aus Berichten über den höchstpersönlichen Lebensbereich“ von Klienten). Das ebenso sichergestellte Verzeichnis „Finanzbuchhaltung“ bezeichneten sie als „wenig aussagekräftig“, es enthalte bloß „Einkäufe von Putzmitteln, Bürobedarf udgl“. Abschließend stellten die Beschuldigten allerdings den Antrag, die „sichergestellten Unterlagen in Form der ob bezeichneten elektronischen Ordner von jeglicher Verwendung und Verwertung“ auszunehmen (ON 42).

Mit Beschluss vom 22. März 2016, GZ 316 HR 73/15b 45, ordnete das Gericht an, „sämtliche elektronischen Dateien“, welche im Zuge der Hausdurchsuchung sichergestellt worden seien, zum Akt zu nehmen. Begründend führte es (unter Berufung auf Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Wien) zusammengefasst aus, mit dem „pauschal“ gestellten Antrag, „sämtliche sichergestellten Dateien nicht zum Akt“ zu nehmen, hätten die Beschuldigten die Bezeichnungsobliegenheit nicht erfüllt, weshalb die sichergestellten Daten (ohne nähere Prüfung) zum Akt zu nehmen und auszuwerten seien (vgl § 112 Abs 2 zweiter Satz StPO). Im Übrigen seien die Beschuldigten zwar Berufsgeheimnisträger, jedoch selbst (der Begehung der in der Durchsuchungsanordnung genannten Straftaten) dringend verdächtig, weshalb die Verwendung der Daten im weiteren Verfahren keine Umgehung ihrer Verschwiegenheit bedeute (vgl § 144 Abs 3 StPO; 13 Os 130/10g [13 Os 136/10i], EvBl 2011/20, 134).

Den dagegen gerichteten Beschwerden der drei Beschuldigten gab das Oberlandesgericht Wien mit Beschluss vom 20. Juli 2016, AZ 18 Bs 123/16v (ON 59), nicht Folge. Auch das Beschwerdegericht ging davon aus, die Beschuldigten hätten die ihrer Ansicht nach nicht zum Akt zu nehmenden Dateien bloß „pauschal“ und damit nicht konkret im Sinn des § 112 Abs 2 erster Satz StPO bezeichnet.

Gegen diese Entscheidung richten sich die fristgerechten, gemeinsam ausgeführten Anträge auf Erneuerung des Strafverfahrens (§ 363a StPO) der drei Beschuldigten, die eine Verletzung von Art 8 und 10 MRK sowie von Art 1 1. ZPMRK geltend machen.

Rechtliche Beurteilung

Beim nicht auf ein Urteil des EGMR gestützten Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens handelt es sich um einen subsidiären Rechtsbehelf, für den unter anderem die Zulässigkeitsvoraussetzung der Rechtswegerschöpfung nach § 35 Abs 1 MRK sinngemäß gilt. Diesem Erfordernis wird entsprochen, wenn von allen effektiven Rechtsbehelfen Gebrauch gemacht (vertikale Erschöpfung) und die im Antrag geltend gemachte Konventionsverletzung zumindest der Sache nach und in Übereinstimmung mit den Verfahrensvorschriften im Instanzenzug vorgebracht wurde (horizontale Erschöpfung; RIS Justiz RS0122737 [insbesondere T13], RS0124739; vgl Grabenwarter/Pabel , EMRK 6 § 13 Rz 36).

Vorliegend machten die nunmehrigen Antragsteller in ihren gegen den erstinstanzlichen Beschluss gerichteten Beschwerden lediglich geltend, sie hätten die vom Berufsgeheimnis erfassten Teile der Datenträger ohnehin konkret bezeichnet, und das Erstgericht habe die in § 112 Abs 2 StPO normierte Bezeichnungsobliegenheit gesetzwidrig ausgelegt. Grundrechtsverletzungen thematisierten sie damit weder nominell noch inhaltlich, weshalb die Anträge auf Erneuerung des Strafverfahrens – mangels horizontaler Erschöpfung des Rechtswegs – als unzulässig zurückzuweisen waren.

Bleibt anzumerken, dass die Beschuldigten hier, indem sie einen bestimmten Dateiordner unter (generalisierender, an der Formulierung der entsprechenden Sicherstellungs-anordnung orientierter) Beschreibung des Inhalts der darin enthaltenen Dateien, die einen Konnex zu beruflicher Verschwiegenheit unzweifelhaft erkennen ließ, sowie zwei einzelne Dateien namentlich bezeichneten, der in § 112 Abs 2 erster Satz StPO normierten Obliegenheit entsprachen. Damit war für das Gericht ohne weiteres erkennbar, hinsichtlich welcher Teile der Datenträger es die Entscheidung nach § 112 Abs 2 dritter Satz StPO zu treffen hatte. Diese Entscheidung kann übrigens, wenn sich die Frage nach einer Umgehung der Verschwiegenheit wie hier bei einer Vielzahl von in einem Dateiordner enthaltenen Dateien in völlig gleichgelagerter Weise stellt, (verfahrensökonomisch) zusammenfassend unter Bezeichnung dieses Dateiordners getroffen werden.