JudikaturJustiz15Os53/21i

15Os53/21i – OGH Entscheidung

Entscheidung
15. September 2021

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 15. September 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Lampret als Schriftführer in der Strafsache gegen A***** S***** wegen des Vergehens des Betrugs nach § 146 StGB, AZ 8 U 55/21z (vormals AZ 9 U 259/15y) des Bezirksgerichts Innsbruck, über die von der Generalprokuratur gegen Vorgänge in diesem Verfahren erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur Mag. Leitner, zu Recht erkannt:

Spruch

Im Verfahren AZ 8 U 55/21z (vormals AZ 9 U 259/15y) des Bezirksgerichts Innsbruck verletzen die Durchführung der Hauptverhandlung und die Urteilsfällung am 15. Oktober 2015 in Abwesenheit des Angeklagten A***** S***** § 427 Abs 1 StPO.

Das Abwesenheitsurteil vom 15. Oktober 2015 wird aufgehoben und es wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Bezirksgericht Innsbruck verwiesen.

Text

Gründe:

[1] Mit beim Bezirksgericht Innsbruck zu AZ 9 U 259/15y (nunmehr AZ 8 U 55/21z) eingebrachtem Strafantrag vom 17. August 2015, AZ 51 BAZ 238/15d, legte die Staatsanwaltschaft Innsbruck dem deutschen Staatsangehörigen A***** S***** ein als Vergehen des Betrugs nach § 146 StGB beurteiltes Verhalten vom 4. Februar 2015 zur Last (ON 9), zu welchem der Angeklagte i m Ermittlungsverfahren nicht befragt worden war, weil dessen im Rechtshilfeweg beantragte Vernehmung mangels Erscheinens des Genannten zum Vernehmungstermin nicht hatte bewerkstelligt werden können (ON 5 S 1).

[2] Als der Angeklagte auch zur Hauptverhandlung am 15. Oktober 2015 nicht erschien, stellte das Bezirksgericht Innsbruck die Zustellung der Ladung (samt Strafantrag) durch Hinterlegung an einer zuvor im Rechtshilfeweg ermittelten Adresse des Angeklagten in Deutschland fest und fasste den Beschluss auf Verhandlung in dessen Abwesenheit gemäß § 427 Abs 1 StPO (ON 1 S 4 samt angeschlossenem Kuvert; ON 5 S 1; ON 11 S 1).

[3] Mit Abwesenheitsurteil von diesem Tag wurde A***** S***** anklagekonform des Vergehens des Betrugs nach § 146 StGB schuldig erkannt und zu einer im Urteil näher bezeichneten Strafe verurteilt (ON 11 S 2 f und ON 12).

[4] Das Urteil und das Protokoll über die Hauptverhandlung konnten dem Angeklagten erst am 7. Mai 2019 durch Hinterlegung an einer (neuen) Adresse in Deutschland zugestellt werden (ON 24).

Rechtliche Beurteilung

[5] Wie die Generalprokuratur in ihrer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend ausführt, stehen die Vorgänge der Durchführung der Hauptverhandlung und der Urteilsfällung in Abwesenheit des Angeklagten am 15. Oktober 2015 mit dem Gesetz nicht im Einklang:

[6] Gemäß § 427 Abs 1 StPO setzt die Durchführung der Hauptverhandlung und die Fällung des Urteils in Abwesenheit des Angeklagten unter anderem voraus, dass der Angeklagte gemäß §§ 164 oder 165 StPO zum Anklagevorwurf vernommen wurde, wobei nur eine dem Abwesenheitsverfahren vorangegangene, den gesamten Anklagevorwurf erfassende förmliche Vernehmung als Beschuldigter dem durch Art 6 MRK auf Verfassungsebene gehobenen Grundsatz des rechtlichen Gehörs hinreichend Rechnung trägt (RIS Justiz RS0130532; Bauer , WK StPO § 427 Rz 8 ) .

[7] Da eine solche Vernehmung des Angeklagten zum Anklagevorwurf im Ermittlungsverfahren unterblieben war, verstießen die dennoch in dessen Abwesenheit erfolgte Durchführung der Hauptverhandlung und die Urteilsfällung gegen § 427 Abs 1 StPO.

[8] Der Oberste Gerichtshof sah sich daher veranlasst, die Feststellung der aufgezeigten Gesetzesverletzung mit konkreter Wirkung zu verknüpfen und das Urteil wie aus dem Spruch ersichtlich aufzuheben (§ 292 letzter Satz StPO). Einer förmlichen Aufhebung der vom aufgehobenen Urteil rechtslogisch abhängigen Entscheidungen und Verfügungen bedurfte es nicht (RIS Justiz RS0100444 ; Ratz , WK StPO § 292 Rz 28).