JudikaturJustiz15Os25/17s

15Os25/17s – OGH Entscheidung

Entscheidung
05. April 2017

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 5. April 2017 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Adamowitsch als Schriftführerin in der Strafsache gegen Johannes H***** wegen des Vergehens der Verhetzung nach § 283 Abs 1 Z 2, Abs 2 StGB, AZ 34 Hv 59/16y des Landesgerichts Leoben, über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 22. November 2016, AZ 10 Bs 271/16b (ON 13 der Hv Akten), erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Stani, zu Recht erkannt:

Spruch

Im Verfahren AZ 34 Hv 59/16y des Landesgerichts Leoben verletzt das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 22. November 2016, AZ 10 Bs 271/16b, § 283 Abs 1 Z 1 StGB.

Text

Gründe:

Mit Urteil des Landesgerichts Leoben vom 14. Juli 2016, GZ 34 Hv 59/16y 8, wurde Johannes H***** von der wider ihn von der Staatsanwaltschaft Leoben wegen § 283 Abs 1 Z 2 und Abs 2 StGB mit Strafantrag vom 9. Juni 2016 (ON 3) erhobenen und in der Hauptverhandlung modifizierten (ON 7 S 4) Anklage, er habe am 5. März 2016 in K***** in der Absicht, die Menschenwürde anderer zu verletzen, eine in § 283 Abs 1 Z 1 StGB bezeichnete Gruppe, nämlich nach „vorhandenen oder fehlenden Kriterien der Rasse, der Hautfarbe, der Sprache, der Religion oder Weltanschauung, der Staatsangehörigkeit, der Abstammung oder nationalen oder ethnischen Herkunft, des Geschlechts, einer körperlichen oder geistigen Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung definierte Gruppe“ von Asylwerbern, in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, diese Gruppe in der öffentlichen Meinung verächtlich zu machen, indem er auf seiner öffentlich zugänglichen Facebook Seite unter dem Pseudonym „L*****“ ein Lichtbild zeigend zwei in einem Graben liegende Scharfschützen mit Maschinengewehren samt dem Aufdruck: „Das schnellste Asylverfahren Deutschlands ... lehnt bis zu 1.400 Anträge pro Minute ab“ veröffentlichte und dadurch einer breiten Öffentlichkeit zugänglich machte, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Nach den wesentlichen Urteilsannahmen habe nicht festgestellt werden können, dass es dem Angeklagten anlässlich der Veröffentlichung des Postings geradezu darauf angekommen wäre, Asylwerbern das Recht auf Menschsein abzusprechen oder sie als minderwertige oder wertlose Teile der Gesamtbevölkerung darzustellen bzw deren Menschenwürde zu verletzen (US 3 f).

Der dagegen von der Staatsanwaltschaft Leoben erhobenen Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld (ON 10) gab das Oberlandesgericht Graz nach Durchführung einer Beweiswiederholung (Protokoll über die Berufungsverhandlung, ON 12 der Hv-Akten) mit Urteil vom 22. November 2016, AZ 10 Bs 271/16b (ON 13 der Hv Akten), nicht Folge.

Nach den Urteilsannahmen des Berufungsgerichts zum Bedeutungsinhalt des inkriminierten Postings (US 5) handle es sich dabei (abweichend von den Feststellungen des Erstgerichts), um „eine in Form eines leidenschaftlichen Appells an xenophobe Gefühle bestehende tendenziöse Aufreizung zu scharfer und anhaltender Antipathie gegen Asylwerber“. Der vom Angeklagten gewollte Sinn läge darin, „im Kontext der schon längere Zeit anhaltenden massiven Flüchtlingsströme nach Europa Asylwerbern das Recht auf Prüfung ihres Asylantrags abzusprechen, sie durch die Androhung des Erschießens von der Stellung solcher Anträge ab- und dadurch bestehende Migrationsbewegungen nach Österreich aufzuhalten“. Der Angeklagte habe es dabei zumindest ernsthaft für möglich gehalten, zum Hass gegen Asylwerber aufzustacheln und sich damit auch dies billigend abgefunden. Eine Aufforderung an andere, Asylwerber zu erschießen, sei das Posting nicht. Der Angeklagte habe es auch weder für möglich gehalten, noch sich damit abgefunden, andere zu einer mit Strafe bedrohten Handlung gegenüber Asylwerbern aufzufordern.

Abweichend vom Anklagevorwurf erblickte das Oberlandesgericht Graz im inkriminierten Posting kein Beschimpfen iSd § 283 Abs 1 Z 2 (Abs 2) StGB. Allerdings prüfte es, ob angesichts des von ihm festgestellten Bedeutungsinhalts ein Aufstacheln zu Hass gegen Asylwerber zu erblicken sei, was es bejahte. Es führte aus, dass mit der Äußerung einerseits das unmissverständliche Verlangen verbunden sei, Asylwerbern den Aufenthalt in Österreich und die Berechtigung zur Stellung von Asylanträgen generell zu verweigern und andererseits durch das (bildlich) geforderte „Erledigen“ solcher Begehren mit einem Maschinengewehr in der Bevölkerung gehässige Emotionen und Intoleranz gegenüber Flüchtlingen gefördert würden (US 8). Das Tatbestandsmerkmal der breiten Öffentlichkeit (Abs 2 leg cit) sei erfüllt, weil für außenstehende Dritte einsehbare Facebook Seiten als Websites iSd § 1 Abs 1 Z 5a lit b MedienG und auf solchen Seiten veröffentlichte Postings als einer breiten Öffentlichkeit (ab einem Richtwert von 150 Personen) zugänglich zu qualifizieren seien. In subjektiver Hinsicht genüge bedingter Vorsatz in Bezug auf die Wahrnehmbarkeit für eine breite Öffentlichkeit sowie das Aufstacheln zum Hass, dessen Vorliegen das Oberlandesgericht Graz erkennbar bejahte (US 9).

Dennoch gab das Oberlandesgericht Graz der Berufung der Staatsanwaltschaft nicht Folge. Nach seiner Ansicht stellten Asylwerber nämlich keine nach den in § 283 Abs 1 Z 1 StGB abschließend vorgegebenen Kriterien (Rasse, Hautfarbe, Sprache, Religion oder Weltanschauung, Staatsangehörigkeit, Abstammung oder nationale oder ethnische Herkunft, Geschlecht, körperliche oder geistige Behinderung, Alter, sexuelle Ausrichtung) fassbare Gruppe dar. Die „Gruppe von Asylwerbern“ sei zu inhomogen, als dass sie anhand der (oben genannten) vorhandenen oder fehlenden Merkmale abgrenzbar wäre. Aufgrund der Verschiedenartigkeit vermöge auch das Fehlen einer oder mehrerer gesetzlicher Kriterien Asylwerber nicht zu einer „kongruenten, von anderen abgrenzbaren Gruppe zu machen“. Es verbleibe nur die Abgrenzung anhand des Fehlens des Merkmals der inländischen Staatsbürgerschaft („Ausländer“), die nach Ansicht des Oberlandesgerichts Graz jedoch zu weit reiche, weil davon nicht nur Asylwerber, sondern alle ausländischen Staatsangehörigen (Touristen, andere Besucher aus dem Westen, EU Bürger etc) erfasst würden, auf die das Posting gerade nicht abziele. Von anderen abgrenzbare Konturen bekäme die „Gruppe Asylwerber“ lediglich durch die Definition anhand ihres sozialen bzw politischen Status, was aber die (Wortlaut-)Grenzen des § 283 Abs 1 StGB sprenge.

Rechtliche Beurteilung

Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt, steht das zuletzt erwähnte Urteil des Oberlandesgerichts Graz mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Zu § 283 StGB idF vor BGBl I 2015/112 vertrat die hL (vgl Kienapfel/Schmoller StudB BT III² §§ 279–283, 413; Hinterhofer , SbgK § 283 Rz 13) die Ansicht, ein pauschales Hetzen gegen „die Ausländer“ erfülle den Tatbestand nicht. Mit dem StRÄG 2015 sollte durch Einfügung der Wortfolge „vorhandenen oder fehlenden“ (Kriterien) in Abs 1 Z 1 ausdrücklich festgelegt werden, dass eine geschützte Gruppe sowohl positiv als auch negativ definiert werden kann (EBRV 689 BlgNR 25. GP, 41; vgl Einführungserlass des Bundesministeriums für Justiz vom 15. Dezember 2015, GZ BMJ-S318.034/0041-IV/2015, 37). Somit erfüllt das Hetzen gegen die Gruppe der „Ausländer“ im Allgemeinen den aktuellen Tatbestand, weil auch das Fehlen eines der in § 283 Abs 1 Z 1 StGB genannten Kriterien (etwa einer bestimmten Staatsangehörigkeit) zur Definition einer geschützten Gruppe reicht ( Tipold in Leukauf/Steininger , StGB 4 [2017] § 283 Rz 2a; Bertel/Schwaighofer , BT II 12 § 283 Rz 2).

Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts, die Einbeziehung der Gruppe der „Asylwerber“ in den Schutzbereich des § 283 StGB sprenge dessen (Wortlaut-)Grenzen (idS Mayerhofer , StGB 6 § 283 Anm 5a, jedoch zur alten Rechtslage), lässt sich eine auf „Asylwerber“ bezogene Verhetzungshandlung durchaus dem in Rede stehenden Tatbestand unterstellen:

Unter einer „Gruppe“ iSd § 283 Abs 1 StGB ist eine Mehrzahl von Menschen zu verstehen, die durch ein oder mehrere der genannten Merkmale verbunden sind und sich hiedurch von den anderen abheben ( Plöchl in WK 2 StGB § 283 Rz 8). Eine geschützte „Gruppe“ muss demnach jedenfalls durch eines der angeführten Merkmale nach außen hin abgrenzbar sein. Der Wortlaut verlangt allerdings nicht, dass eine solche Gruppe bereits abschließend durch das Vorhandensein oder Fehlen eines (oder mehrerer) der aufgezählten Kriterien definiert ist, und schließt damit auch nicht aus, dass der Täter bei der „Definition“ der von ihm bezeichneten Gruppe (explizit oder implizit) eine Einschränkung auf einen ausreichend bestimmten Teil (wie etwa „Asylanten“, „Asylwerber“) einer (explizit oder implizit) nach den oben genannten Kriterien (hier: Fehlen der Staatsangehörigkeit; vgl § 2 Abs 1 Z 14, 15, 20a AsylG sowie § 2 Abs 4 Z 1 FPG; § 1 deutsches AsylG) (mit )abgegrenzten Gruppe vornimmt, solange gerade diese (Mit-)Zugehörigkeit (arg „wegen der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe“) ein wesentliches Element der Zielrichtung der Tathandlung darstellt.

Einer solchen – enger definierten – Gruppe den Schutz gegen Verhetzung bloß deshalb zu versagen, weil sie nur einen (abgrenzbaren) Teil einer der in § 283 StGB umfassender definierten Gruppen darstellt, widerspräche auch dem Gedanken des Gesetzgebers, mit der Neufassung des Tatbestands unter anderem „aufgrund aktueller Ereignisse“ (im Zeitpunkt der Einbringung der Regierungsvorlage im Jahr 2015 erkennbar gemeint: vor dem Hintergrund einer stetig wachsenden Zahl von Asylwerbern) Hasskriminalität („hate crimes“) konsequent zu bekämpfen und insbesondere bestimmten Formen und Ausdrucksweisen von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit entgegenzuwirken (vgl EBRV 689 BlgNR 25. GP, 41 f; Parlamentarische Anfrage an den Bundesminister für Justiz betreffend „Hassparolen und Gewaltaufrufe: Verhetzung [§ 283 StGB] im Jahr 2013 und 2014“, 4946/J 25. GP und deren Beantwortung 4781/AB 25. GP, jeweils Punkte 10, 11).

Die in der von der Generalprokuratur bekämpften Auslegung des § 283 Abs 1 Z 1 StGB gelegene – dem Angeklagten nicht zum Nachteil gereichende (§ 292 letzter Satz StPO) – Gesetzesverletzung war somit festzustellen.