JudikaturJustiz13Os129/21a

13Os129/21a – OGH Entscheidung

Entscheidung
16. März 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 16. März 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenner und Dr. Setz Hummel LL.M. in Gegenwart des Schriftführers Richteramtsanwärter Mag. Socher, BA, in der Strafsache gegen I* P* und einen Angeklagten wegen Verbrechen der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1 und 3a Z 1 erster und zweiter Fall StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten I* P* und A* P* sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Leoben als Schöffengericht vom 13. August 2021, GZ 13 Hv 62/21t 27, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Den Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurden I* P* (zu A I) und A* P* (zu A II) jeweils mehrerer Verbrechen der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1 und 3a Z 1 teils erster, teils zweiter Fall StGB, Erstgenannte zudem des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 2 StGB (B) schuldig erkannt.

[2] Danach haben in L*

(A) vom Anfang des Jahres 2020 bis zum 7. Dezember 2020 gegen andere Personen eine längere Zeit hindurch fortgesetzt Gewalt ausgeübt, indem sie Nachgenannte jeweils mehrmals pro Woche, in einem Fall zumindest einmal wöchentlich (I 1), durch im Urteil näher beschriebene Schläge, teils mit der Hand, teils mit Gegenständen (I 2 sowie II 1, 2 und 4), am Körper misshandelten, und zwar

I) I* P*

1) die am * 2010 geborene T* T*, sohin eine unmündige Person, wodurch diese teilweise Hämatome erlitt,

2) die wegen einer geistigen Behinderung wehrlose * B*, wodurch diese teilweise Hämatome erlitt, sowie

3) die am * 2018 geborene * D*, sohin eine unmündige Person, und

II) A* P*

1) die am * 2010 geborene T* T*, sohin eine unmündige Person, wodurch diese teilweise Hämatome und einmal Schmerzen im Kopfbereich erlitt,

2) die wegen einer geistigen Behinderung wehrlose * B*, wodurch diese teilweise Hämatome erlitt,

3) die am * 2018 geborene * D*, sohin eine unmündige Person, und

4) die am * 2009 geborene D* T*, sohin eine unmündige Person, wodurch diese teilweise Hämatome erlitt, sowie

(B) I* P* Anfang Dezember 2019 D* T* am Körper misshandelt und dadurch fahrlässig verletzt, indem sie ihr mit einem Schuhlöffel mehrere Schläge auf den Kopf und gegen den Rücken versetzte, wodurch die Genannte Schmerzen im Kopfbereich erlitt.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richten sich die von I* P* aus Z 9 lit a und von A* P* aus Z 9 (richtig) lit a und 10, je des § 281 Abs 1 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerden.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten I* P* :

[4] Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) releviert (der Sache nach) zu A I das Fehlen von Feststellungen zu einem auf fortgesetzte Gewaltausübung gerichteten Vorsatz der Angeklagten.

[5] Nach den diesbezüglichen Konstatierungen (US 7 f und 16) hielt es I* P* ernstlich für möglich und fand sich billigend damit ab, „wiederholte Gewaltakte in Form von Misshandlungen in einer gewissen Regelmäßigkeit über eine längere Zeit, und zwar über zumindest elf Monate, auszuüben und im Rahmen ihrer fortgesetzten Gewaltausübung wiederholt Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit“ der zu A I 1 bis 3 angeführten Opfer zu begehen, wobei ihr Handeln „bei den jeweiligen Taten von einem Fortsetzungswillen getragen“ war. Sie handelte „mit dem zumindest bedingten Vorsatz“, „sowohl regelmäßig als auch fortgesetzt Gewalt auszuüben“. Es handelte sich „gerade nicht um einzelne Gewaltakte, die im Affekt gesetzt wurden“.

[6] Weshalb es für eine rechtsrichtige Beurteilung als fortgesetzte Gewaltausübung (§ 107b StGB) darüber hinausgehender Konstatierungen zur „notwendige[n] Dauer, Zahl und Regelmäßigkeit der Angriffe“ bedurft haben sollte, legt die Rüge nicht aus dem Gesetz abgeleitet dar (siehe aber RIS Justiz RS0116565).

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten A* P* :

[7] Soweit die Rechtsrüge (Z 9 lit a) in objektiver und subjektiver Hinsicht Feststellungen zur Eignung der Tathandlungen, die Opfer in ihrer „freien Lebensführung schwerwiegend oder gravierend zu beeinträchtigen“, vermisst, erklärt sie nicht, weshalb die erstgerichtlichen Konstatierungen zu regelmäßigen, über einen nahezu einjährigen Zeitraum mehrmals wöchentlich erfolgten, körperlichen Misshandlungen der (vorwiegend unmündigen, in einem Fall wegen einer geistigen Behinderung wehrlosen) Opfer in Form von Schlägen mit den Händen und mit Gegenständen gegen deren Arme und Beine, teilweise auf den Kopf und das Gesäß, die zum Teil auch zu Verletzungen führten (US 6 ff), für die Bejahung der – als Rechtsfrage zu beurteilenden (RIS Justiz RS0132824) – Eignung der gesetzten Gewalthandlungen, die Lebensführungsfreiheit der Opfer gravierend zu beeinträchtigen ( Schwaighofer in WK 2 StGB § 107b Rz 8 mwN, vgl RIS Justiz RS0127377), nicht ausreichen sollten (RIS Justiz RS0116565).

[8] Ebenso macht die Rüge nicht klar, warum über diese Feststellungen hinaus auch Konstatierungen zum tatsächlichen Vorliegen eines „permanente[n] Angstzustand[s]“ der Opfer bei dem als abstraktes Gefährdungsdelikt angelegten Vergehen der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1 StGB erforderlich sein sollten (12 Os 93/19x, jüngst 15 Os 21/20g, Schwaighofer in WK 2 StGB § 107b Rz 8 f, Winkler SbgK § 107b Rz 11 und 110).

[9] Mit dem Vorbringen, der Tatbestand sei nicht erfüllt, weil „unter § 107b nur Verhaltensweisen subsumiert werden, die dem Opfer Schmerzen zufügen“, was nur bei A II 1 festgestellt worden sei, argumentiert die Rüge nicht auf der Basis der Gesamtheit der getroffenen Feststellungen (US 6 ff, siehe aber RIS Justiz RS0099810). Hinzugefügt sei, dass der Misshandlungsbegriff des § 107b Abs 2 erster Fall StGB zwar eine Einwirkung auf den Körper des Opfers und (bezogen auf die Gesamtheit der Angriffe) ein Mindestmaß an Eingriffsintensität, nicht aber einen über die Tathandlung hinausgehenden Erfolg voraussetzt (vgl 14 Os 101/17k, [RIS Justiz RS0127377], Winkler SbgK § 107b Rz 11, 34 ff und 110, Lambauer SbgK § 115 Rz 28 ff).

[10] Die Nichtigkeitsgründe des § 281 Abs 1 StPO sind voneinander wesensmäßig verschieden und daher gesondert auszuführen, wobei unter Beibehaltung dieser klaren Trennung deutlich und bestimmt jene Punkte zu bezeichnen sind, durch die sich der Nichtigkeitswerber für beschwert erachtet. Indem die Subsumtionsrüge (Z 10) „zur Vermeidung von Wiederholungen“ auf die Ausführungen zur Rechtsrüge (Z 9 lit a) verweist, entspricht sie diesen Anforderungen nicht (RIS Justiz RS0115902).

[11] Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher gemäß § 285d Abs 1 StPO bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen.

[12] Über die Berufungen hat das Oberlandesgericht zu entscheiden (§ 285i StPO).

[13] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.