JudikaturJustiz12Os59/17v

12Os59/17v – OGH Entscheidung

Entscheidung
12. Oktober 2017

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 12. Oktober 2017 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé, Dr. Oshidari, Dr. Michel Kwapinski und Dr. Brenner in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Wetter als Schriftführer in der Strafsache gegen Nikola O***** wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 4. April 2017, GZ 71 Hv 89/16a 209, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Nikola O***** des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG, § 12 zweiter Fall StGB (A./I./), des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 erster Fall, Abs 2 Z 2 und Z 3 SMG, § 15 Abs 1 StGB (A./II./) und der Vergehen der Fälschung besonders geschützter Urkunden nach §§ 223 Abs 2, 224 StGB (B./) schuldig erkannt.

Danach hat er in W*****

A./ vorschriftswidrig Suchtgift

I./ und zwar Kokain mit dem Wirkstoff Cocain in einer das Fünfundzwandzigfache der Grenzmenge übersteigenden Menge

1./ anderen überlassen, nämlich Ende Oktober 2015 dem abgesondert verfolgten und bereits verurteilten Vidoje S***** über Vermittlung des abgesondert verfolgten und bereits verurteilten Vukola R***** zur Aufbewahrung in dessen Wohnung, und zwar zumindest drei Pakete mit insgesamt 2.456,7 Gramm Kokain mit einer Reinsubstanz von 1.903,97 Gramm Cocain und

2./ am 3. November 2015 den abgesondert verfolgten und bereits verurteilten Vukola R***** dazu bestimmt, ein Paket mit 460,3 Gramm Kokain mit einer Reinsubstanz an Cocain von 360,97 Gramm an einen Mann mit roter Jacke zu überlassen, wobei dieser das Paket letztlich an Zeljko Ra***** überließ;

II./ von einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt bis zum 3. November 2015 in E***** mit den abgesondert verfolgten und bereits verurteilten Zeljko Ra***** und Zeljko V***** als Mitglied einer kriminellen Vereinigung durch den Anbau von 592 Cannabispflanzen in einer das Fünfzehnfache der Grenzmenge übersteigenden Menge

1./ erzeugt, und zwar 775,8 Gramm Marihuanablüten mit 8,5 Gramm Delta 9 THC und 107,84 Gramm THCA;

2./ zu erzeugen versucht, und zwar weitere rund 5.260 Gramm Marihuanablüten mit 39,45 Gramm Delta 9 THC und 514,42 Gramm THCA;

B./ falsche ausländische öffentliche Urkunden, die durch Gesetz (§ 2 Abs 2 Z 4 FPG) inländischen öffentlichen Urkunden gleichgestellt sind, im Rechtsverkehr zum Beweis von Tatsachen, nämlich dass es sich bei ihm um die in den Ausweisen ausgewiesenen Personen handelt, gebraucht, und zwar

I./ am 21. Oktober 2014 in E***** einen falschen slowenischen Reisepass lautend auf Bojan A*****, indem er sich gegenüber Walter L***** damit auswies;

II./ am 31. August 2016 in W***** einen falschen bosnischen Reisepass lautend auf Zlatko Z*****, indem er sich bei einer Polizeikontrolle damit auswies.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 3, Z 4, Z 5, Z 9 lit a und Z 11 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der keine Berechtigung zukommt.

Der aus Z 3 des § 281 Abs 1 StPO erhobene Einwand, die vom Erstgericht getroffenen Feststellungen seien mit der im Urteilsspruch zu B./I./ genannten falschen Urkunde nicht kongruent, zumal es konstatiert habe, dass der Angeklagte unter Verwendung eines durch Einkleben seines Lichtbildes verfälschten slowenischen Reisepasses die Halle angemietet habe (US 5), übersieht, dass der Ausspruch nach § 260 Abs 1 Z 1 StPO in dem für die Subsumtion (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO) entscheidenden Umfang den als erwiesen angenommenen Tatsachen der Entscheidungsgründe entsprechen muss, um aus § 281 Abs 1 Z 3 StPO unbedenklich zu sein (RIS Justiz RS0120334; Ratz , WK StPO § 281 Rz 272). Infolge Gleichwertigkeit der Begehungsformen des Gebrauchs einer falschen oder verfälschten Urkunde in § 223 Abs 2 StGB spricht die Rüge jedoch gerade keine entscheidende Tatsache an.

Durch die Abweisung der Anträge auf Nichtverlesung der Aussage des Vukola R***** im Ermittlungsverfahren und in der Hauptverhandlung zu AZ 63 Hv 8/16f des Landesgerichts für Strafsachen Wien und dessen neuerliche Vernehmung „zum Beweis dafür, dass der Angeklagte mit dem Kokainhandel nichts zu tun hat und vom Zeugen R***** zu Unrecht belastet wurde, dies auch, wenn notwendig, unter Anwendung von Beugemitteln“ (ON 208 S 8 f), wurden Verteidigungsrechte nicht verletzt. Denn laut ungerügt gebliebenem Hauptverhandlungsprotokoll wurden der gesamte Akteninhalt sowie der obgenannte Strafakt, insbesondere die darin befindlichen Hauptverhandlungsprotokolle, gemäß § 252 Abs 2a StPO einverständlich zusammengefasst vorgetragen (ON 209 S 9). Im Übrigen hängt die Zulässigkeit der Verlesung einer früheren Aussage eines Zeugen nach § 252 Abs 1 Z 3 StPO nicht davon ab, ob wegen der unberechtigten Aussageverweigerung ein Beugemittel verhängt oder auch nur angedroht wurde ( Kirchbacher , WK StPO § 248 Rz 13; vgl auch RIS Justiz RS0098311). Wie das Schöffengericht anlässlich der Abweisung der Beweisanträge zutreffend erkannt hat, wäre die Verhängung einer Geldstrafe angesichts der Einkommens und Vermögenslosigkeit des Zeugen nicht zielführend gewesen. Darüber hinaus steht der Anwendung einer Beugehaft das für (in Grundrechte eingreifende) strafprozessuale Zwangsmaßnahmen allgemein in § 5 Abs 2 StPO („zielführend“) normierte Erfordernis der Effektivität entgegen, solange sich ein Zeuge (wie hier) in Strafhaft befindet, von der noch eineinhalb Jahre zu verbüßen sind (RIS Justiz RS0129837). Letztendlich hat sich Vukola R***** zwar geweigert, als Zeuge neuerliche Angaben zu machen, jedoch anlässlich seiner Befragung mehrfach erklärt, bei seiner bisherigen Aussage zu bleiben (ON 197 S 22 ff).

Dem Vorwurf der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) zuwider hat sich das Schöffengericht mit der Aussage des Vidoje S*****, den Beschwerdeführer nicht zu (er)kennen (ON 208 S 7), sehr wohl auseinandergesetzt (US 17). Weshalb das Fehlen von DNA Spuren und Fingerabdrücken des Angeklagten auf den sichergestellten Suchtgiftpaketen geeignet sein sollte, dessen Täterschaft auszuschließen und solcherart erörterungspflichtig gewesen wäre, macht die Mängelrüge nicht deutlich.

Den Urteilsgründen ist unzweifelhaft zu entnehmen, dass sich das konstatierte Wissen des Nichtigkeitswerbers um die Fälschung des slowenischen Reisepasses auf dessen Verfälschung durch Einkleben seines (eigenen) Lichtbildes bezog (US 5). Indem die Rechtsrüge (Z 9 lit a) zu B./I./ diese Feststellungen zur subjektiven Tatseite als unzureichend kritisiert, verfehlt sie den vom Gesetz geforderten, im Urteilssachverhalt gelegenen

Bezugspunkt materiell-rechtlicher Nichtigkeit (RIS Justiz RS0099810).

Dass diese Urteilsannahmen dem Erfordernis, wonach es genügt, dass der Täter – zumindest nach Laienart – jene tatsächlichen Umstände sowie deren sozialen und rechtlichen Bedeutungsgehalt erkennt, aus denen der Jurist folgert, dass die Urkunde eine öffentliche, nämlich hier eine durch § 2 Abs 4 Z 4 FPG einer inländischen öffentlichen Urkunde gleichgestellte ausländische öffentliche Urkunde ist (vgl Kienapfel/Schroll in WK 2 § 224 Rz 59), nicht entsprechen sollte, sodass nur der Tatbestand des § 223 Abs 2 StGB verwirklicht wäre, wird von der eventualiter erhobenen Subsumtionsrüge (Z 10) nicht nachvollziehbar dargelegt.

Die Sanktionsrüge (Z 11 zweiter Fall) wendet ein, dass die Tatrichter zu A./I./2./ bloß versuchte Bestimmung der an Vukola R***** gerichteten Aufforderung, ein Suchtgiftpaket an einen Mann mit einer roten Jacke zu überlassen, hätten annehmen dürfen, weil der Angeklagte nicht wusste, dass das Suchtgift letzlich an Zeljko Ra***** überlassen wurde und demnach auch keinen Vorsatz in diese Richtung hatte. Sie übersieht jedoch, dass § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG jedwedes Überlassen einer die Grenzmenge übersteigenden Suchtgiftmenge an eine andere Person pönalisiert und dass in der Übergabe des Suchtgiftpakets an Zeljko Ra***** durch Vukola R***** zwecks (letztlich gescheiterter) Übermittlung an den Mann mit der roten Jacke (US 7 f) lediglich ein unbeachtlicher Irrtum über den Kausalverlauf zu erblicken ist, weil die eigenmächtige Weitergabe des Suchtgifts zwecks Ausfolgung an den vom Vorsatz umfassten Empfänger nicht gänzlich außerhalb der menschlichen Lebenserfahrung gelegen ist und sich gerade das Risiko verwirklicht hat, dessen Abwendung die Verbotsnorm bezweckt, der Erfolg also in einer Weise zustande kam, der den Anforderungen von Adäquanz und Risikozusammenhang entspricht ( Kienapfel/Höpfel/Kert AT 15 Z 12 RN 8a, Z 25 RN 28, Z 27 RN 4).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus sich die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung ergibt (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.