JudikaturJustiz12Os47/08s

12Os47/08s – OGH Entscheidung

Entscheidung
17. Juli 2008

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 17. Juli 2008 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Mayrhofer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll, Dr. Lässig und Dr. T. Solé und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Puttinger als Schriftführer, in der Strafsache gegen Christoph E***** und andere Angeklagte wegen des Vergehens des Landfriedenbruchs nach § 274 Abs 1 und Abs 2 StGB sowie einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Christoph E*****, Thomas P*****, Christian L*****, Maximilian H***** und Oliver P***** gegen das Urteil des Landesgerichts Leoben als Jugendschöffengericht vom 30. Jänner 2008, GZ 14 Hv 11/08f-38, sowie die Beschwerden der Angeklagten Thomas P***** und Maximilian H***** gegen die unter einem gefassten Beschlüsse auf Verlängerung von zu bedingten Strafnachsichten ausgesprochenen Probezeiten nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerden werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Den Angeklagten Christoph E*****, Thomas P*****, Christian L*****, Maximilian H***** und Oliver P***** fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auch rechtskräftige Schuldsprüche anderer enthaltenden Urteil wurden die Angeklagten des Vergehens des Landfriedenbruchs, nämlich Christoph E***** und Oliver P***** nach § 274 Abs 1 und Abs 2 StGB, Thomas P*****, Christian L***** und Maximilian H***** nach § 274 Abs 1 StGB, schuldig erkannt. Danach haben sie wissentlich an einer Zusammenrottung einer Menschenmenge teilgenommen, die darauf abzielte, dass unter ihrem Einfluss Körperverletzungen (§§ 83 f StGB) begangen werden, wobei es zu solchen Gewalttaten gekommen ist und Christoph E***** sowie Oliver P***** an der Zusammenrottung führend teilgenommen haben, indem Christoph E***** Steine sowie einen Tisch gegen Einsatzkräfte der Polizei warf und die Menschenmenge durch Gestikulieren und Zurufe zu Gewalttaten animierte,

Thomas P*****, Christian L***** sowie Maximilian H***** Gegenstände gegen Polizeibeamte warfen und Oliver P***** einen Stein gegen die Einsatzkräfte warf und die Vorstöße der Menschenmenge durch Gesten leitete.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen - jeweils gemeinsam ausgeführt - von den Angeklagten E*****, P***** und L***** aus Z 4, 5 und 9 lit a sowie von den Angeklagten H***** und P***** aus Z 3, 4, 5, 5a und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerden gehen fehl. Zu den Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten Christoph E*****, Thomas P***** und Christian L*****:

Entgegen der Verfahrensrüge (Z 4) wies das Erstgericht den Antrag auf Vertagung der Hauptverhandlung „aufgrund Erschöpfung" des Verteidigers (S 517/I) ohne Verletzung von Verteidigungsrechten ab (S 517/I), weil der Antrag nicht einmal die Behauptung enthielt, die Fortführung der Verhandlung würde eine den Kriterien des Art 6 Abs 3 MRK entsprechende Verteidigung hindern.

Das auf die Vernehmung des Zeugen Gregor T***** zielende Beschwerdevorbringen entzieht sich einer inhaltlichen Erwiderung, weil ihm weder ein Antrag der Beschwerdeführer noch ein gegen deren Antrag oder Widerspruch gefasster Beschluss zu Grunde liegt. Sofern der diesbezügliche Einwand im Sinn einer Aufklärungsrüge (Z 5a) zu verstehen ist, lässt die Beschwerde nicht erkennen, wodurch die Beschwerdeführer insoweit an der Ausübung ihres Rechtes, die Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung sachgerecht zu beantragen, gehindert gewesen sein sollen (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 480). Dem Antrag, „in einem abgesonderten Raum ... das im Akt erliegende Video anschauen zu können" (S 419/I), wurde nach dem ungerügten Protokoll über die Hauptverhandlung (ON 37) inhaltlich ohnedies entsprochen, indem die Videoaufzeichnungen von den gegenständlichen Vorfällen vorgeführt wurden und hienach den Beschwerdeführern die Gelegenheit geboten wurde, ungestört mit ihrem Verteidiger Rücksprache zu halten (S 423 f/I, 441 f/I, 447 f/I). Das weitwendige Vorbringen zu einem angeblich „vor der Hauptverhandlung" gestellten Antrag auf Ausfolgung einer Kopie der Videoaufzeichnungen ist unter dem Aspekt der Nichtigkeitsgründe unbeachtlich, weil es sich weder auf eine in der Hauptverhandlung bei sonstiger Nichtigkeit zu beachtende Bestimmung (Z 3) noch auf eine ebendort erfolgte Antragstellung oder Beschlussfassung (Z 4) bezieht. Der Antrag auf zeugenschaftliche Vernehmung RI Te*****s (S 525/I) wurde zu Recht abgewiesen (S 529/I), weil schon die Antragsprämisse, der Zeuge Erwin B***** habe in der Hauptverhandlung angegeben, der Genannte sei zur Tatzeit am Tatort anwesend gewesen, nicht zutrifft (S 519 bis 525/I).

Dem auf Vernehmung von dreizehn, in der Anzeige (ON 2) namentlich genannten Personen gerichteten Begehren zum Beweis dafür, „dass die Personenzahl zur gleichen Zeit am 30. 6. 2007 nicht mehr als 50 Personen gleichzeitig betragen hat und dass kein gemeinsamer Wille dahingehend bestanden hat, Straftaten in Verwirklichung des Tatbestandes des § 274 Abs 1 in eventu Abs 2 StGB zu begehen" (S 527/I), folgten die Tatrichter mit Recht nicht (S 529/I), weil der Beweisantrag nicht erkennen ließ, aufgrund welcher konkreten Wahrnehmungslage die gewünschte Beweisaufnahme das behauptete Ergebnis erwarten lasse, und solcherart auf eine im Erkenntnisverfahren unzulässige Erkundungsbeweisführung abzielte (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 330).

Der Antrag auf zeugenschaftliche Vernehmung Claudia Th*****s zum Nachweis dafür, „dass die Aussage des Angeklagten L***** dahingehend der Wahrheit entspricht, dass ihm lediglich ein Lichtbild vorgehalten wurde" (S 527/I), verfiel zu Recht der Abweisung (S 529/I), weil er sich nicht auf schuld- oder subsumtionsrelevante Umstände bezog. Das die Beweisanträge ergänzende Beschwerdevorbringen hat auf Grund des im Nichtigkeitsverfahren bestehenden Neuerungsverbots auf sich zu beruhen.

Der Einwand der Mängelrüge (Z 5), die angefochtene Entscheidung sei hinsichtlich der die Menschenmenge bildenden Personenanzahl undeutlich (Z 5 erster Fall) trifft nicht zu. Das Erstgericht stellt nämlich insoweit ausdrücklich fest, dass an den „direkten Angriffen" zwischen 100 und 150 Personen teilnahmen und zudem andere diese durch das Beischaffen von Steinen, die als Wurfgeschosse dienen sollten, unterstützten (US 11). Im Hinblick darauf, dass nach insoweit einhelliger Lehre und Judikatur 100 Personen jedenfalls eine Menschenmenge iS des § 274 Abs 1 StGB darstellen (Oshidari/Althuber, SbgK § 274 Rz 8), sind die angeführten Konstatierungen bezüglich des angesprochenen Tatbestandsmerkmals somit hinreichend deutlich. Indem die Rüge die Anzahl der Verletzten releviert, verkennt sie, dass der Tatbestand des Landfriedenbruchs insoweit keine Mindestanzahl vorsieht. Hinsichtlich der Feststellung, dass überhaupt Personen verletzt worden sind (US 11), vermag sich das Erstgericht mängelfrei auf die in der Hauptverhandlung verlesene (S 531/I) Anzeige (ON 2) sowie die Aussage des Zeugen Dr. Werner E***** (S 477/I) zu stützen (US 13).

Soweit die Beschwerde Feststellungen darüber vermisst, „an welcher Gruppe bzw wobei sich die Angeklagten konkret beteiligten" (der Sache nach Z 9 lit a), leitet sie nicht aus dem Gesetz ab, aus welchem Grund die begehrten Konstatierungen zur rechtsrichtigen Subsumtion erforderlich sein sollen.

Die Behauptung, die Feststellungen zur Beteiligung der Beschwerdeführer würden nicht hinreichen (erneut der Sache nach Z 9 lit a), lässt nicht erkennen, welche über die getroffenen (US 11 bis 13) hinausgehenden Konstatierungen insoweit geboten seien. Die Prämisse der Rechtsrüge (Z 9 lit a), das Erstgericht treffe keine ausreichenden Feststellungen zum Tatbestandsmerkmal der Zusammenrottung einer Menschenmenge übergeht die diesbezüglichen Konstatierungen (US 11) und verfehlt solcherart den vom Gesetz geforderten Bezugspunkt.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten Maximilian H***** und Oliver P*****:

Indem sich die Rüge nominell auf Z 5a stützt, war auf sie vom Obersten Gerichtshof keine Rücksicht zu nehmen, weil die Beschwerdeführer insoweit weder bei der Anmeldung noch im Rahmen der Ausführung ihrer Beschwerde die Nichtigkeitsgründe einzeln und bestimmt bezeichneten (§ 285 Abs 1 zweiter Satz StPO). Die Überlegungen der Verfahrensrüge werden - undifferenziert - auf Z 3 und Z 4 des § 281 Abs 1 StPO gestützt. In der Folge wird das Vorbringen jeweils unter dem Aspekt des Nichtigkeitsgrundes behandelt, dem es recte zuzuordnen ist.

Mit den weitwendigen Ausführungen zum Termin und zur Dauer der Hauptverhandlung, zu angeblichen (nicht aktenkundigen) Äußerungen der Vorsitzenden, zu behaupteten Fehlern im - ungerügten - Protokoll über die Hauptverhandlung und zu allfälligen Vertagungsmöglichkeiten wird weder eine in der Hauptverhandlung erfolgte Verletzung oder Missachtung einer Bestimmung, deren Einhaltung das Gesetz bei sonstiger Nichtigkeit anordnet (Z 3), behauptet noch auf einen während der Hauptverhandlung gestellten Antrag der Beschwerdeführer oder einen gegen deren Antrag oder Widerspruch gefassten Beschluss (Z 4) Bezug genommen.

Hinsichtlich des Vorbringens zur - auch von diesen Beschwerdeführern in der Hauptverhandlung nicht beantragten - Vernehmung Gregor T*****s und zur Herstellung von Kopien der Videoaufzeichnungen über das Tatgeschehen wird zwecks Vermeidung von Wiederholungen auf die Darlegungen zu den inhaltsgleichen Einwänden der Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten E*****, P***** und L***** verwiesen.

Soweit die Rüge den Vertagungsantrag dieser Angeklagten (S 517/I) releviert, fehlt ihr die Beschwerdelegitimation.

Der Ansatz, das Erstgericht habe „mehrfach" Beweisanträge abgewiesen und „diverseste Zeugen" nicht geladen, entzieht sich mangels Konkretisierung einer inhaltlichen Antwort.

Der Antrag auf Durchführung eines Lokalaugenscheins zum Beweis dafür, „dass maximal 50 Leute gleichzeitig an irgendwelchen Angriffen beteiligt waren und dass sohin die Voraussetzung für ein strafbares Verhalten gemäß § 274 StGB nicht gegeben ist" (S 527/I), wurde - der Beschwerde (nominell verfehlt auch Z 9 lit a) zuwider - zu Recht abgewiesen (S 529/I), weil er nicht erkennen ließ, aus welchem Grund die begehrte Beweisaufnahme das behauptete Ergebnis erwarten lasse, und solcherart auf eine im Erkenntnisverfahren unzulässige Erkundungsbeweisführung zielte.

Das den Beweisantrag ergänzende Beschwerdevorbringen hat aufgrund des im Nichtigkeitsverfahren bestehenden Neuerungsverbots auf sich zu beruhen.

Korrespondierendes gilt für die - entgegen § 285 StPO beim Obersten Gerichtshof eingebrachte - „Ergänzung bzw Modifikation" der Nichtigkeitsbeschwerde, weil das Gesetz nur eine einzige Ausführung der Beschwerdegründe zulässt (Ratz, WK-StPO § 285 Rz 6). Die Einwände der Mängelrüge (Z 5), „sämtliche andere Beteiligte sprechen von deutlich unter 100 Personen" und es sei die Aussage eines (gemeint wohl:) zeugenschaftlich vernommenen Polizeibeamten widerlegt worden (offenbar Z 5 zweiter Fall), ist aufgrund fehlender Konkretisierung einer meritorischen Erledigung nicht zugänglich. Der Umstand, dass die einzelnen Sequenzen der Videoaufzeichnung nicht die gesamte festgestellte Personenanzahl zeigen, wurde im Rahmen der Beweiswürdigung sehr wohl erörtert (US 14).

Der Anregung, „die Gesundheit der österreichischen Polizisten zu überprüfen", fehlt die prozessuale Grundlage.

Inwieweit die Tatsache, dass das Protokoll über die Hauptverhandlung berichtigt (ON 44) und (richtig:) die Urteilsausfertigung an das verkündete Urteil angeglichen (ON 45) worden ist, einen Begründungsmangel (Z 5 vierter Fall) indizieren soll, vermag die Rüge nicht darzulegen.

Indem die Beschwerde Feststellungen zur Gesinnung der an der Zusammenrottung beteiligt gewesenen Personen fordert (der Sache nach Z 9 lit a), lässt sie den gebotenen Vergleich mit dem Gesetzeswortlaut vermissen.

Der Einwand der Rechtsrüge (Z 9 lit a), das Erstgericht habe die Menschenmenge nicht quantifiziert und deren Agieren nicht festgestellt (nominell unrichtig auch Z 5), übergeht die diesbezüglichen Urteilskonstatierungen (US 11) und verfehlt solcherart den vom Gesetz geforderten Bezugspunkt.

Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher gemäß § 285d Abs 1 StPO schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen. Die Entscheidung über die Berufungen und die - teils impliziten (§ 498 Abs 3 dritter Satz StPO) - Beschwerden kommt somit dem Oberlandesgericht zu (§§ 285i, 498 Abs 3 letzter Satz StPO). Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.