JudikaturJustiz12Os18/23y

12Os18/23y – OGH Entscheidung

Entscheidung
22. Mai 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 22. Mai 2023 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Oshidari, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski und Dr. Brenner und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Fitzthum in der Strafsache gegen * A* wegen mehrerer Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Jugendschöffengericht vom 29. November 2022, GZ 13 Hv 64/22g 68, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Artner, des Angeklagten und seines Verteidigers Mag. Brandstätter zu Recht erkannt:

Spruch

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) und demzufolge auch der Beschluss auf Erteilung einer Weisung und Anordnung von Bewährungshilfe aufgehoben und insoweit in der Sache selbst erkannt:

* A* wird für die ihm zur Last liegenden Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB (zum Teil idF BGBl I 2013/116) und des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB sowie die Vergehen der Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 15 StGB unter Anwendung des § 28 StGB sowie des § 5 Z 4 JGG nach § 201 Abs 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 24 Monaten verurteilt. Gemäß § 43a Abs 3 StGB wird ein Teil der Strafe von 23 Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen.

Mit ihrer Berufung wird die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen – auch einen rechtskräftigen Freispruch enthaltenden – Urteil wurde * A* mehrerer Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB (zum Teil idF BGBl I 2013/116; A./1./), mehrerer Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (A./2./), mehrerer Vergehen der Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB (A./3./) sowie eines Vergehens der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB (B./) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er in E*

A./ im Zeitraum von 22. Juli 2018 bis Sommer 2021

1./ die am * 2010 geborene * W* in mehreren Angriffen dadurch, dass er sie an den Händen packte, ihr den Mund zuhielt, sie in sein Zimmer zerrte, ihre Hände mit einem Seil fesselte, ihr zumeist den Mund mit einem Tuch verband, sich zum Teil auf ihre Füße setzte, ihr die Hose und die Unterhose auszog und sie digital vaginal penetrierte, mit Gewalt zur Duldung dem Beischlaf gleichzusetzender geschlechtlicher Handlungen genötigt;

2./ an der genannten Unmündigen durch die zu A./1./ dargestellten Taten dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlungen unternommen;

3./ die Genannte nach jeder zu A./ beschriebenen Tat dadurch, dass er sinngemäß ankündigte, er werde sie umbringen, wenn sie jemandem davon erzähle, somit durch gefährliche Drohung mit einer Verletzung am Körper, zu einer Unterlassung, nämlich zur Abstandnahme von der Schilderung dieser Vorfälle gegenüber anderen, zu nötigen versucht;

B./ die Genannte in der Zeit zwischen 22. Juli 2018 und Sommer 2021 dadurch, dass er ankündigte, er werde sie ansonsten umbringen, somit durch gefährliche Drohung mit einer Verletzung am Körper, zu einer Handlung, nämlich zu einem Zungenkuss, genötigt.

[3] Der Angeklagte wurde dafür unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB und des § 5 Z 4 JGG nach § 201 Abs 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Jahren verurteilt, die nach § 43 Abs 1 StGB unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.

Rechtliche Beurteilung

[4] Gegen die gänzlich bedingte Nachsicht der verhängten Freiheitsstrafe richtet sich die aus § 281 Abs 1 Z 11 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft.

[5] Die Sanktionsrüge (Z 11 erster Fall) ist mit ihrem Einwand im Recht, dass bei einer Verurteilung (auch) nach § 201 StGB, soweit die ihr zugrundeliegende Tat ab dem 1. Jänner 2020 begangen wurde, die bedingte Nachsicht der verhängten Freiheitsstrafe nach § 43 Abs 1 StGB – auch in Jugendstrafsachen (vgl § 5 erster Satz JGG) – ausgeschlossen ist (§ 43 Abs 3 StGB; RIS Justiz RS0133833; Fabrizy/Michel Kwapinski/Oshidari , StGB 14 § 43 Rz 10; aA Schroll in WK² JGG § 5 Rz 52/1 f).

[6] Nach den – (insoweit bloß) disloziert im Rahmen der rechtlichen Beurteilung getroffenen – Feststellungen des Erstgerichts verübte der Angeklagte die § 201 Abs 1 StGB zu subsumierenden Taten zum Teil „seit 01.01.2020“ (US 13).

[7] Die im Urteil ausgesprochene gänzlich bedingte Strafnachsicht erweist sich damit als unzulässig und begründet Nichtigkeit gemäß § 281 Abs 1 Z 11 dritter Fall StPO ( Ratz , WK StPO § 281 Rz 678, 724; Hinterhofer/Oshidari , Strafverfahren Rz 9.256; aA Kert in LiK StPO § 281 Abs 1 Z 11 Rz 19, der in der vorliegenden Konstellation eine Überschreitung der Strafbefugnis sieht).

[8] Demgemäß war – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde das angefochtene Urteil im Strafausspruch und demzufolge auch der Beschluss auf Erteilung von Weisungen und Anordnung von Bewährungshilfe (ON 69) aufzuheben und insoweit in der Sache selbst zu erkennen (§ 288 Abs 2 Z 3 erster Satz StPO).

[9] Bei der damit erforderlichen Strafneubemessung war nach § 201 Abs 1 StGB iVm § 5 Z 4 JGG von einem Strafrahmen von bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe auszugehen.

[10] Erschwerend waren das Zusammentreffen mehrerer Verbrechen und Vergehen, das sehr junge Alter des Opfers sowie der lange Tatzeitraum, mildernd hingegen der bisher ordentliche Lebenswandel, die Schadensgutmachung und der Umstand, dass es teilweise beim Versuch geblieben ist, zu werten.

[11] Davon ausgehend erachtete der Oberste Gerichtshof unter Berücksichtigung des Handlungs , des Gesinnungs und des Erfolgsunwerts der Tat die im Spruch angeführte Strafe als angemessen. Wie dargelegt, kam eine gänzlich bedingte Nachsicht der verhängten Strafe nicht in Betracht. Mit Blick auf die vom Angeklagten seit 4. Juli 2022 freiwillig in Anspruch genommene Jugendintensivbetreuung mit wöchentlichen Terminen und den darüber von der Vereinigung Rettet das Kind Niederösterreich erstatteten äußerst positiven Bericht vom 15. Mai 2023, den ebenfalls positiven Bericht des Vereins Limes vom 11. Mai 2023 über insgesamt zehn freiwillige Gespräche mit dem Angeklagten sowie die Stellungnahme des Bewährungshelfers vom 15. Mai 2023 konnte jedoch aus spezialpräventiven Überlegungen ein Teil der Strafe von 23 Monaten unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehen werden. Damit beträgt der nicht bedingt nachgesehene Teil das Mindestmaß von einem Monat (§ 43a Abs 3 letzter Satz StGB).

[12] Mit ihrer Berufung war die Staatsanwaltschaft auf die Strafneubemessung zu verweisen.

[13] Die Entscheidung über die allfällige neuerliche Erteilung von Weisungen und die Anordnung der Bewährungshilfe obliegt dem Erstgericht (vgl RIS Justiz RS0086098).

[14] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.