JudikaturJustiz11Os53/07i

11Os53/07i – OGH Entscheidung

Entscheidung
25. September 2007

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 25. September 2007 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ebner, Dr. Schwab, Dr. Lässig und Mag. Lendl als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Gutlederer als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Norbert P***** wegen mehrerer Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB sowie weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 21. Dezember 2006, GZ 042 Hv 105/06a-19, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde und aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch IV, in der rechtlichen Unterstellung der dem Schuldspruch III zugrunde liegenden Tat unter den Tatbestand des § 207a Abs 1 Z 1 StGB iVm § 207a Abs 4 Z 1 und 2 StGB idF BGBl I 2004/15 sowie demzufolge auch im Strafausspruch aufgehoben und die Strafsache an das Landesgericht für Strafsachen Wien zu neuer Verhandlung sowie Entscheidung im Umfang der Aufhebung zurückverwiesen.

Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde zurückgewiesen. Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf die Kassation des Strafausspruchs verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der Angeklagte (richtig:) mehrerer Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (I), (richtig:) mehrerer Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 StGB (II), des Vergehens der pornographischen Darstellung Minderjähriger nach § 207a Abs 1 Z 1 iVm § 207a Abs 4 Z 1 und 2 StGB idF BGBl I 2004/15 (III) sowie (richtig:) mehrerer Vergehen der pornographischen Darstellung Minderjähriger nach § 207a Abs 3 zweiter Fall iVm § 207a Abs 4 Z 3 und 4 StGB idF BGBl I 2004/15 (IV) schuldig erkannt.

Danach hat er

(I) in der Zeit etwa vom Jahresbeginn 1997 bis zum Februar 2004 in ca ein- bis zweimal monatlich wiederholten Angriffen geschlechtliche Handlungen an der am 28. Februar 1991 geborenen Lea H***** vorgenommen und von ihr an sich vornehmen lassen, indem er sie an den Brüsten berührte, zwischen den Beinen berührte und streichelte, ihre Scheide betastete sowie leckte und ihre Hand zu seinem Glied führte und dieses von ihr berühren und streicheln ließ,

(II) durch die zu I beschriebenen Handlungen mit der seiner Erziehung und Aufsicht unterstehenden minderjährigen Enkelin seiner Lebensgefährtin unter Ausnützung seiner Stellung gegenüber dieser Person geschlechtliche Handlungen vorgenommen und von ihr an sich vornehmen lassen,

(III) zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt im Jahr 1999 oder 2000 mit Hilfe des Selbstauslösers seiner Digitalkamera Fotos vom Genitalbereich der Lea H***** hergestellt, wobei er sie veranlasste, ihre Beine zu spreizen, und er ihre Schamlippen auseinanderzog, und das hiebei gewonnene Bildmaterial auf seinem PC abgespeichert sowie (IV) in der Zeit vom Jahr 2003 bis zum Jänner 2006 in etwa vier- bis fünfmaligen Angriffen pornographische Darstellungen von minderjährigen Personen aus dem Internet auf seinen PC heruntergeladen, gespeichert und solcherart besessen.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus Z 3, 5, 9 lit a und 9 lit b des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten ist teilweise im Recht.

Das auf den Umstand, dass im Kopf der angefochtenen Entscheidung ursprünglich ein anderer Name des Angeklagten als der des Beschwerdeführers aufgeschienen ist (US 2), bezogene Vorbringen der Verfahrensrüge (Z 2) kann mit Blick auf den diesbezüglichen - mittlerweile rechtskräftigen (S 223) - Berichtigungsbeschluss (ON 24, s auch US 2) auf sich beruhen.

Mit dem Einwand, bestimmte Beilagen der Akten seien nicht verlesen worden, wird ein aus Z 3 beachtlicher Mangel inhaltlich nicht einmal behauptet. Der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass nach dem ungerügten Protokoll über die Hauptverhandlung (ON 18) der erhebliche Inhalt der zu verlesenden Aktenstücke gemäß § 252 Abs 2a StPO einverständlich vorgetragen worden ist (S 151). Der Vorwurf der Mängelrüge (Z 5), die angefochtene Entscheidung enthalte hinsichtlich des Schuldspruchs I keine Feststellungen zur Entwicklung der Brüste des Tatopfers (der Sache nach Z 9 lit a), übergeht die dem Beschwerdeführer angelasteten Tathandlungen des Betastens und Leckens der Scheide sowie des Veranlassens, sein Glied zu berühren und zu streicheln (US 5) und verfehlt solcherart den vom Gesetz geforderten Bezugspunkt.

Der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass die Frage, ob die Brustgegend eines unmündigen Mädchens zur unmittelbaren Geschlechtssphäre gehört, deren Berührung auch nach außen hin sexuell sinnbezogen erscheinen kann, nicht generell und ausschließlich davon abhängt, ob die physische Entwicklung des Mädchens gerade in dieser Körperregion so weit fortgeschritten ist, dass seine Brüste als Sekundärmerkmale des weiblichen Körpers bereits ausgeprägt sind (12 Os 46/05i).

Der Einwand, die angefochtene Entscheidung sei mit Blick auf die Feststellung des Endes des Tatzeitraums zum Schuldspruch I mit „zwei Jahre später als 2002" undeutlich, bezieht sich nicht auf schuld- oder subsumtionsrelevante Tatsachen, weil Lea H***** die für den Tatbestand des § 207 Abs 1 StGB entscheidende Altersgrenze von 14 Jahren (§ 74 Abs 1 Z 1 StGB) aufgrund ihres Geburtsdatums (28. Februar 1991) während des gesamten Jahres 2004 noch nicht erreicht hatte.

Im Übrigen sei darauf hingewiesen, dass die diesbezügliche Urteilspassage das Tatzeitende mit „Anfang 2004" (US 6) ohnedies relativ exakt eingrenzt, wobei insoweit auch auf den - nach ständiger Judikatur zur Verdeutlichung der Entscheidungsgründe heranzuziehenden (zuletzt 11 Os 95/06i; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 271) - Urteilstenor („ca Februar 2004" - US 2) hingewiesen sei.

Entgegen der Rüge besteht zwischen der Formulierung im Erkenntnis (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO), der Beschwerdeführer habe sein Glied von Lea H***** berühren und streicheln „lassen" (US 3), und jener in den Entscheidungsgründen, Lea H***** habe das Glied des Beschwerdeführers berühren und streicheln „müssen" (US 5), kein innerer Widerspruch. Die Frage, ob Lea H***** am 28. Februar 1991 oder (wie offenbar auf Grund eines Schreib- oder Diktatfehlers in den Urteilsgründen angeführt) am 28. Jänner 1991 geboren ist, betrifft mit Blick auf den - hinsichtlich der Schuldsprüche I und II - (nur) bis zum Beginn des Jahres 2004 reichenden Tatzeitraum (US 6) keine entscheidende Tatsache.

Der Einwand der Rechtsrüge (Z 9 lit a, nominell verfehlt auch Z 5 zweiter und dritter Fall), das Erstgericht habe zum Schuldspruch I keine Berührungen zwischen dem Körper des Beschwerdeführers und dem des Opfers festgestellt, ignoriert die Urteilskonstatierungen, wonach der Beschwerdeführer Lea H***** an der Brust und zwischen den Beinen angriff, ihre nackte Scheide betastete, sie an Brust, Beinen, Gesäß und im Genitalbereich streichelte, auf die Scheide küsste, an den Schamlippen leckte und ihre Hand an sein Glied führte (US 5). Die Beschwerdeprämisse, das Erstgericht habe zum Schuldspruch I nicht ein Lecken der Scheide, sondern ein solches der Kleidung und überdies nicht den Einsatz der Zunge des Beschwerdeführers festgestellt (nominell verfehlt auch Z 5 dritter Fall), erschöpft sich in der eigenständigen Interpretation der in ihrer - insoweit maßgeblichen (zuletzt 11 Os 43/07v; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 394) - Gesamtheit gegenteiligen Urteilsannahmen und entzieht sich solcherart einer inhaltlichen Erwiderung.

Die Behauptung, die angefochtene Entscheidung enthalte zum Schuldspruch II keine Feststellungen zur Aufsichtsstellung des Beschwerdeführers gegenüber Lea H***** (nominell verfehlt auch Z 5 erster und zweiter Fall), übergeht prozessordnungswidrig die Konstatierung, dass dem Beschwerdeführer in den relevanten Zeiträumen deren Erziehung sowie die Aufsicht über sie zugekommen ist (US 5, 9). Der Ansatz, das zum Schuldspruch III festgestellte Verhalten sei nach der zur Tatzeit geltenden Rechtslage nicht strafbar gewesen, entzieht sich mangels argumentativen Substrats einer inhaltlichen Erwiderung. Die Ausführungen zur Untauglichkeit des Versuchs (§ 15 Abs 3 StGB) können im Hinblick auf die Verurteilung wegen einer vollendeten Tat (US 4) auf sich beruhen.

Das Vorbringen zum Schuldspruch IV lässt nicht erkennen, aus welchem Grund der Besitz pornographischer Darstellungen mit Unmündigen entgegen dem Gesetzeswortlaut nach der vor dem StRÄG 2004 BGBl I 2004/15 geltenden Fassung des § 207a StGB nicht strafbar gewesen sein soll (vgl § 207a Abs 3 StGB idF vor BGBl I 2004/15). An dieser Stelle sei festgehalten, dass auf die der Subsumtion recte zugrunde zu legende Gesetzesfassung noch eingegangen werden wird. Der Einwand der weiteren Rechtsrüge (Z 9 lit b, der Sache nach Z 10), die vom Schuldspruch III umfasste Tat sei aufgrund der Subsidiaritätsklausel des § 207a Abs 4 StGB idF vor BGBl I 2004/15 (allein) dem Tatbestand des § 207 Abs 1 StGB zu unterstellen, führt die Rüge nicht zugunsten des Beschwerdeführers aus, weil wegen dieser Taten keine Verurteilung nach der letztgenannten - mit strengerer Strafe als die zur Anwendung gelangte bedrohten - Bestimmung erfolgt ist. Der Vollständigkeit halber sei festgehalten, dass die Tatbegriffe der in Rede stehenden Normen einander nicht decken, aus welchem Grund § 207a Abs 1 Z 1 StGB und § 207 Abs 1 StGB echt konkurrieren (vgl Schick in WK2 § 207a Rz 33).

Im bisher behandelten Umfang war die Nichtigkeitsbeschwerde daher gemäß § 285d Abs 1 StPO schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen.

Hingegen weist die Verfahrensrüge (Z 3, der Sache nach Z 5 zweiter Fall) zutreffend darauf hin, dass das Erstgericht zum Schuldspruch IV die die subjektive Tatseite leugnende Verantwortung des Beschwerdeführers (S 147 f) mit Stillschweigen übergangen hat. Im Hinblick darauf ist die beweiswürdigende Bezugnahme auf die „äußeren Geschehnisse" sowie das „teilweise" - insoweit gerade nicht vorliegende - Geständnis des Beschwerdeführers (US 8) nicht geeignet, diesen Schuldspruch zu tragen.

Aufgrund dieses Begründungsmangels war der Nichtigkeitsbeschwerde hinsichtlich des Schuldspruchs IV schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort Folge zu geben (§ 285e StPO).

Darüber hinaus überzeugte sich der Oberste Gerichtshof aus Anlass der Beschwerde davon, dass die angefochtene Entscheidung bezüglich des Schuldspruchs III an dem nicht relevierten Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 10 StPO leidet (§ 290 Abs 1 zweiter Satz StPO). Die Verurteilung erfolgte nämlich insoweit nach der durch Art I Z 18 StRÄG 2004 geänderten Fassung des §§ 207a StGB (s insbesonders US 3, 4, 9), die (erst) mit 1. Mai 2004 in Kraft getreten ist (Art VI StRÄG 2004). Demgegenüber stellt die angefochtene Entscheidung den diesbezüglichen Tatzeitraum als im Jahr 1999 oder 2000 gelegen fest (US 6). Dieser Subsumtionsfehler ist geeignet, zum Nachteil des Beschwerdeführers zu wirken, weil § 207a Abs 1 StGB in der Fassung vor dem StRÄG 2004 eine (deutlich) geringere Strafdrohung vorsah als nunmehr, aus welchem Grund auch insoweit mit einer (Teil )Aufhebung vorzugehen war.

Im zweiten Rechtsgang werden die Tatrichter die Verantwortung des Beschwerdeführers zum Vorwurf, pornographisches Material besessen zu haben (IV), in der Hauptverhandlung unter Bezugnahme auf die Ergebnisse des Beweisverfahrens zu hinterfragen und im Rahmen der Beweiswürdigung eingehend zu erörtern haben. Im Fall erneuter Schuldsprüche nach den Bestimmungen des § 207a StGB (III, IV) wird anlässlich der Subsumtion auf die Frage der im jeweiligen Tatzeitpunkt geltenden Gesetzeslage Bedacht zu nehmen sein. Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf die Kassation des Strafausspruchs zu verweisen.