2025-0.021.375 – Datenschutzbehörde Entscheidung
Text
GZ: 2025-0.021.375 vom 4. Februar 2025 (Verfahrenszahl: DSB-D124.1328/24)
[Anmerkung Bearbeiter/in: Namen und Firmen, Rechtsformen und Produktbezeichnungen, Adressen (inkl. URLs, IP- und E-Mail-Adressen), Aktenzahlen (und dergleichen), statistische Angaben etc., sowie deren Initialen und Abkürzungen können aus Pseudonymisierungsgründen abgekürzt und/oder verändert sein. Offenkundige Rechtschreib-, Grammatik- und Satzzeichenfehler wurden korrigiert.]
BESCHEID
SPRUCH
Die Datenschutzbehörde entscheidet über die Datenschutzbeschwerde von Sigrid A*** (Beschwerdeführerin) vom 12. Mai 2024 gegen Gregor N*** (Beschwerdegegner) wegen der Verletzung im Recht auf Geheimhaltung wie folgt:
1. Die Beschwerde wird hinsichtlich der Kamera im Garten abgewiesen .
2. Der Beschwerde wird hinsichtlich der Kameras im Wohnzimmer und im Vorzimmer stattgegeben und es wird festgestellt , dass der Beschwerdegegner durch die Bild- und Tonverarbeitung der personenbezogenen Daten der Beschwerdegegnerin mittels Kameras in ihrem Recht auf Geheimhaltung verletzt hat .
3. Dem Beschwerdegegner wird aufgetragen , innerhalb einer Frist von 2 Wochen bei sonstiger Exekution die Bild- und Tonverarbeitungen der Kameras im Wohnzimmer und im Vorzimmer zeitlich derart einzuschränken , dass während des Pflegedienstes keine Aufnahmen angefertigt werden bzw. die Kameras während des Pflegedienstes außer Betrieb gesetzt sind.
Rechtsgrundlagen : Art. 5, 6, 51 Abs. 1, Art. 57 Abs. 1 lit. f sowie Art. 77 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2016/679 (Datenschutz-Grundverordnung, im Folgenden: DSGVO), ABl. Nr. L 119 vom 4.5.2016 S. 1; §§ 1, 18 Abs. 1 sowie 24 Abs. 1 und Abs. 5 des Datenschutzgesetzes (DSG), BGBl. I Nr. 165/1999 idgF.
BEGRÜNDUNG
A. Vorbringen der Parteien und Verfahrensgang
1. In ihrer verfahrenseinleitenden Eingabe vom 12. Mai 2024 bringt die Beschwerdeführerin vor durch den Beschwerdegegner in ihrem Recht auf Geheimhaltung verletzt worden zu sein und begehrt die Feststellung der Rechtsverletzung.
Die Beschwerdeführerin sei am 12. März 2024 bei einem Kunden, dem Herrn J***, in Ausübung ihrer Tätigkeit als Heimhelferin durch Kameras gefilmt worden. Diese seien vom Beschwerdegegner, dem Erwachsenenvertreter des Herrn J***, installiert worden. Am 12. Mai 2024 habe der Beschwerdegegner der Beschwerdeführerin eine Videoaufnahme vom 12. März 2024 gezeigt, die die Beschwerdegegnerin bei ihrer Tätigkeit als Heimhelferin beim Kunden, dem Herrn J***, zeige. Die Kameras seien seit einigen Monaten dort installiert und der Beschwerdeführer habe beim Arbeitgeber der Beschwerdeführerin immer wieder beteuert und versichert, dass es sich dabei nur um Attrappen handle. Die Kolleginnen der Beschwerdeführerin und sie selbst hätten von Anfang an deren Zustimmung und Einwilligung dazu verweigert.
2. In seiner Stellungnahme vom 11. Juni 2024 erläutert der Beschwerdegegner , dass er drei Kameras montiert habe. Ursprünglich seien es 4 Kameras gewesen. Am 10. Jänner 2024 seien verdächtige Fußspuren im Garten von Herrn J*** im Schnee sichtbar gewesen, diese hätten vom verschlossenen Gartentor bis zum Schlafzimmerfenster und vom Schlafzimmerfenster auf die Terrasse gereicht. Der Beschwerdegegner sei dann bei der Polizei in L***stadt gewesen und habe gefragt, was er tun könne, da Herr J*** Angst habe. Bei der Polizei sei ihm gesagt worden, er solle Wildkameras aufstellen. Dann habe er der Polizei gesagt, dass immer wieder Geld wegkomme, da habe die Polizei nicht helfen können.
Der Beschwerdegegner habe sich nach den Sprechtagen bei Gericht erkundigt und habe dann mit einem Richter sein Anliegen besprochen. Der Richter habe dem Beschwerdegegner zu Kameras geraten. Als der Beschwerdegegner erwähnte, dass der Pflegedienst zu Herrn J*** komme, habe dieser gesagt, dass die Kameras abgedeckt werden müssten, solange die vom Pflegedienst ihre Arbeit machen würden und wenn der Pflegedienst fertig sei, müssten diese die Kameras wieder freimachen. Das sei am 5. Februar 2024 um ca. 9:50 Uhr gewesen.
Der Beschwerdegegner habe dann die Stationsleitung von der G***hilfsorganisation, Frau E***, informiert, dass er Kameras installieren wolle und bei der Montage Bescheid geben werde. Am 13. Februar 2024 habe er dann Frau E*** angerufen, um ihr zu sagen, dass er die Kameras am Wochenende montieren werde und, dass sie es den Mitarbeiter:innen sagen solle, dass diese abgedeckt werden müssten und wenn sie fertig seien mit ihrem Pflegedienst, dann sollten die Damen die Kameras wieder freimachen.
Da Herr J*** leider dement sei, und er schon des Öfteren gestürzt sei, und er mit der Rettung ins Krankenhaus habe müssen, da er schon einmal in einem Blecheimer Taschentücher unabsichtlich zum Glimmen und zur Rauchentwicklung gebracht habe und da er eine brennende Zigarette in einen Mülleimer im Wohnzimmergeworfen habe, sei das notwendig. Die Beschwerdeführerin habe dem Beschwerdegegner gegenüber erwähnt, dass Herr J*** angeblich immer mit dem Schlüsselbund auf die Vitrine schlage, was nicht stimme, das habe der Beschwerdegegner nie gesehen.
Die Kameras würden nur Bewegungen aufnehmen und das 20 Sekunden bis zu einer Minute. Nach drei Tagen würden die Aufnahmen automatisch gelöscht werden. Es gebe leider keine kürzere Einstellung. Die Kameras seien nicht gekennzeichnet. Eine hänge im Vorraum mit Linse Richtung Eingangstür. Die zweite Kamera stehe im Wohnzimmer im Wandregal, sie könne um 360 Grad gedreht werden. Die dritte Kamera hänge an einem Holzsteher und zeige auf den Garten und die Terrasse. Der Beschwerdeführer habe die Kameras wirklich nur wegen Herrn J*** montiert, weil er große Angst um ihn habe und er habe auch nie die Absicht gehabt, diese Bilder zu veröffentlichen. Die Kameras seien von der Marke Video***. Es seien Indoor- und Outdoorkameras mit Zwei-Weg-System.
Am 12. März 2024 habe die Beschwerdeführerin Herrn J*** etwas zu unterschreiben gegeben. Dabei habe sie gesagt: „ Peterle, ich habe da was von der Chefin zum Unterschreiben “. Obwohl die G***hilfsorganisation gewusst habe, dass Herr J*** nicht mehr unterschreiben dürfe und das schon seit 16. November 2022. Der Beschwerdegegner habe erst durch die Aufnahme, die nur 20 Sekunden gedauert habe, bemerkt, dass Herr J*** jeden Monat etwas unterschrieben habe. Am 13. März 2024 habe der Beschwerdegegner die Beschwerdeführerin gefragt, ob sie Herrn J*** etwas unterschreiben ließ, und das habe sie verneint. Da der Beschwerdegegner auch seine eigenen Termine gehabt habe, habe er es einmal darauf beruhen lassen.
Der Eingabe angeschlossen waren Lichtbilder, die die Kameras, die Positionierungen der Kameras und die jeweiligen Erfassungswinkel darstellen.
3. Mit 24. Juni 2024 langte bei der Datenschutzbehörde der Abschlussbericht vom 14. Juni 2024 der Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft H***stadt ein. Von der Staatsanwaltschaft wurde einerseits wegen der Anzeige der Beschwerdeführerin gegen den Beschwerdegegner wegen sexueller Belästigung ermittelt und andererseits wegen der Anzeige des Beschwerdegegners gegen die Beschwerdeführerin wegen Verleumdung.
4. Am 5. Dezember 2024 führte die Datenschutzbehörde die Einvernahme des Beschwerdegegners , sowie der Beschwerdeführerin durch.
5. In ihrer Stellungnahme vom 6. Dezember 2024 erläuterte die Beschwerdeführerin , dass bei der G***hilfsorganisation immer wieder E-Mails zum Zweck des Updates bzw. der Information an die Mitarbeiter:innen ausgesandt werden würden.
Der Eingabe beigeschlossen waren E-Mails, die seitens der Vorgesetzten, darunter auch seitens der Frau E***, an die Mitarbeiter:innen der G***hilfsorganisation versandt wurden.
6. In seiner Stellungnahme vom 16. Dezember 2024 führt der Beschwerdegegner aus, dass er der G***hilfsorganisation nie gesagt habe, dass es sich um Attrappen handeln würde. Er habe lediglich gesagt, dass die Kameras so aussehen würden wie Attrappen. Denn sonst hätte er nicht gesagt, dass die Pflegekräfte die Kameras abdecken sollten, wenn sie zum Herrn J*** kommen würden. Es habe nie Attrappen gegeben. Die Kameras seien notwendig, da Herr J*** unter Angstzuständen leide. Der Beschwerdegegner müsse in einem solchen Fall schnell zu ihm fahren und ihn beruhigen. Die Bild- und Tonaufzeichnungen würden drei Tage gespeichert werden und dann automatisch gelöscht werden.
Der Beschwerdegegner sei seit Jänner 2023 der Erwachsenenvertreter des Herrn J***. Der Beschwerdegegner habe – entgegen der Behauptung der Beschwerdeführerin in ihrem Vorbringen und der Einvernahme am 5. Dezember 2024 – diese nie sexuell belästigt oder beleidigt. Herr J*** sei sein Stiefvater, deshalb sei er so oft bei ihm. Er habe sich auch zu Lebzeiten seiner Mutter um beide gekümmert. Er habe mit Herrn J*** Gespräche über das Pflegeheim geführt, da dieser sich davor gefürchtet habe. Mittlerweile warte er auf einen Platz im Pflegeheim für Herrn J***. Im Übrigen führt der Beschwerdegegner das bisher Vorgebrachte aus.
Der Eingabe beigeschlossen war die Urkunde zur Bestellung des Beschwerdegegners zum gerichtlichen Erwachsenenvertreter des Herrn J*** vom 16. Jänner 2023 und der Berichtigungsbeschluss vom 18. November 2022.
7. In ihrer Stellungnahme vom 20. Dezember 2024 erläuterte die Beschwerdeführerin , dass der Beschwerdegegner die Kameras im Februar 2024 montiert habe, aber keine Einwilligung vorgelegen habe. Ihre Vorgesetzte, Michaela E***, habe ihr mehrmals versichert, dass es sich bei den Kameras – obwohl diese geblinkt hätten – um Attrappen handle, diese weder Bild noch Ton aufzeichnen würden und lediglich die Kamera im Garten aktiv sei.
8. Am 13. Jänner 2025 führte die Datenschutzbehörde die Einvernahme der Zeugin Michaela E*** durch.
9. In ihrer Stellungnahme vom 10. Jänner 2024 führte die Beschwerdeführerin aus, dass sie nicht mehr genau wisse, worum es sich bei dem Schriftstück, das sie Herrn J*** in der Videoaufnahme unterschreiben ließ, gehandelt habe. Sie habe jedenfalls den Auftrag ihrer Chefin bekommen dieses unterschreiben zu lassen. Sie wisse nicht, was danach damit passiert sei. Es sei beschlossen worden, dass während der Anwesenheit des Beschwerdegegners keine Betreuung mehr stattzufinden habe.
Im Übrigen führte die Beschwerdeführerin das bereits Vorgebrachte wiederholt aus.
10. In seiner Stellungnahme vom 19. Jänner 2025 führt der Beschwerdegegner aus, dass er Frau E*** angerufen habe, um ihr von den Kameras zu erzählen und das sei nicht bei der Pflegevisite gewesen. Er habe von Anfang an gesagt, dass es keine Attrappen seien und auch bezüglich des Abdeckens habe er von Anfang gesagt das sie es machen sollten. Im Übrigen erläutert der Beschwerdeführer bereits Vorgebrachtes.
B. Beschwerdegegenstand
Ausgehend vom verfahrenseinleitenden Vorbringen ist Beschwerdegegenstand die Frage danach, ob der Beschwerdegegner die Beschwerdeführerin durch die Installation von Videokameras an ihrem Arbeitsplatz in ihrem Recht auf Geheimhaltung verletzt hat.
C. Sachverhaltsfeststellungen
1. Die Beschwerdeführerin arbeitet als Heimhelferin bei der Niederösterreichischen G***hilfsorganisation. Im Zuge dieser Tätigkeit pflegte sie auch den Herrn J***, dessen Erwachsenenvertreter der Beschwerdegegner ist.
Beweiswürdigung : Die getroffenen Feststellungen gründen auf dem übereinstimmenden Vorbringen der Beschwerdeführerin und des Beschwerdegegners, sowie der Parteieneinvernahme der Beschwerdeführerin vom 5. Dezember 2024 und der Parteieneinvernahme des Beschwerdegegners vom 5. Dezember 2024.
2. Aufgrund der Angstzustände und Gefahr der Selbstverletzung durch Herrn J***, insbesondere der Sturzgefahr, montierte der Beschwerdegegner im Februar 2024 zwei funktionsfähige Kameras in der Wohnung seines Vertretenen. Diese befinden sich im Eingangsbereich und im Wohnzimmer und erfassen das Pflegepersonal beim Betreten und Verlassen der Wohnung, sowie beim Verrichten des Pflegedienstes. Die Kameras verarbeiten Bild- und Tonmaterial. Der Aufnahmebereich gestaltet sich wie folgt (Format nicht 1:1 übernommen):
[Anmerkung Bearbeiter/in: Die an dieser Stelle im Original als grafische Dateien wiedergegebenen Lichtbilder (Abbildungen 1 und 2) aus der Wohnung des Herrn J*** wurden aus Pseudonymisierungsgründen entfernt.]
Beweiswürdigung : Die getroffenen Feststellungen gründen auf den Ausführungen des Beschwerdegegners in seinem Vorbringen und den angeschlossenen und hier abgebildeten Lichtbildbeilagen, der Parteieneinvernahme der Beschwerdeführerin vom 5. Dezember 2024 und den glaubwürdigen Ausführungen von Michaela E*** in der Zeugeneinvernahme vom 13. Jänner 2025.
3. Aufgrund von Spuren im Schnee montierte er eine weitere Kamera im Garten. Die Beschwerdeführerin weder beim Betreten, noch beim Verlassen und auch nicht bei der Verrichtung ihrer Arbeit von der Kamera erfasst. Der Aufnahmebereich gestaltet sich wie folgt (Format nicht 1:1 übernommen):
[Anmerkung Bearbeiter/in: Das an dieser Stelle im Original als grafische Datei wiedergegebene Lichtbild (Abbildung 3) aus dem Garten des Herrn J*** wurden aus Pseudonymisierungsgründen entfernt.]
Beweiswürdigung : Die getroffenen Feststellungen gründen auf den Ausführungen des Beschwerdegegners in seinem Vorbringen und den angeschlossenen und hier abgebildeten Lichtbildbeilagen und der Parteieneinvernahme der Beschwerdeführerin vom 5. Dezember 2024.
3. Der Beschwerdegegner teilte der Zeugin Michaela E***, der damaligen Vorgesetzten der Beschwerdeführerin, im Zuge der Pflegevisite mit, dass es sich bei den Kameras im Wohn- und Eingangsbereich um Attrappen handeln würde und lediglich die Kamera im Garten aktiv sei.
[Anmerkung Bearbeiter/in: Der an dieser Stelle im Original als grafische Datei wiedergegebene Auszug aus einer E-Mail (Abbildung 4) kann mit zumutbarem Aufwand nicht pseudonymisiert werden und wurde daher entfernt.]
Beweiswürdigung : Die getroffenen Feststellungen gründen auf dem Vorbringen der Beschwerdeführerin, dem von dieser vorgelegten und hier abgebildeten E-Mail-Verkehr ihrer Vorgesetzten und den Mitarbeiter:innen der G***hilfsorganisation, den glaubwürdigen Ausführungen der Beschwerdeführerin in der Parteieneinvernahme am 5. Dezember 2024 und den glaubwürdigen Ausführungen von Michaela E*** in der Zeugeneinvernahme vom 13. Jänner 2025, die mit jenen der Beschwerdeführerin übereinstimmen.
4. Die Zeugin Michaela E*** übermittelte die Informationen über die Kameras mündlich im Rahmen der Dienstbesprechung an die Mitarbeiter:innen der G***hilfsorganisation. Seitens der G***hilfsorganisation wurde der Beschwerdegegnerin, ebenso wie den übrigen Mitarbeiter:innen, kommuniziert, dass sie die Kameras sicherheitshalber trotzdem abdecken sollten, wenn sie die Wohnung des Herrn J*** zum Pflegedienst betreten. Danach sollten sie Pfleger:innen die Kameras wieder aufdecken. Es bestand der Verdacht, dass es sich um keine Attrappen, sondern um funktionsfähige Kameras handelt. Die Beschwerdeführerin vergaß manchmal die Kameras zu verdecken, während sie ihren Pflegedienst verrichtete.
[Anmerkung Bearbeiter/in: Der an dieser Stelle im Original als grafische Dateien wiedergegebene Auszug aus einem E-Mail-Verkehr (Abbildungen 5 und 6) kann mit zumutbarem Aufwand nicht pseudonymisiert werden und wurde daher entfernt.]
Beweiswürdigung : Die getroffenen Feststellungen gründen auf dem Vorbringen der Beschwerdeführerin, dem von dieser vorgelegten und hier abgebildeten E-Mail-Verkehr ihrer Vorgesetzten und den Mitarbeiter:innen der G***hilfsorganisation, den glaubwürdigen Ausführungen der Beschwerdeführerin in der Parteieneinvernahme am 5. Dezember 2024 und den glaubwürdigen Ausführungen von Michaela E*** in der Zeugeneinvernahme vom 13. Jänner 2025.
5. Die Beschwerdegegnerin wurde zu keinem Zeitpunkt nach einer Zustimmung bezüglich der Kameras gefragt. Sie war nie damit einverstanden erfasst zu werden, ebenso wenig wie die übrigen Mitarbeiter:innen der G***hilfsorganisation.
[Anmerkung Bearbeiter/in: Der an dieser Stelle im Original als grafische Datei wiedergegebene Auszug aus einer E-Mail (Abbildung ohne Bezeichnung) kann mit zumutbarem Aufwand nicht pseudonymisiert werden und wurde daher entfernt.]
Beweiswürdigung : Die getroffenen Feststellungen gründen auf dem Vorbringen der Beschwerdeführerin, dem von dieser vorgelegten und hier abgebildeten E-Mail-Verkehr ihrer Vorgesetzten und den Mitarbeiter:innen der G***hilfsorganisation, den glaubwürdigen Ausführungen der Beschwerdeführerin in der Parteieneinvernahme am 5. Dezember 2024 und den glaubwürdigen Ausführungen von Michaela E*** in der Zeugeneinvernahme vom 13. Jänner 2025.
6. Der Beschwerdegegner konfrontierte die Beschwerdeführerin am 13. März 2024 mit einer Videoaufzeichnung von ihr. Dieses Video wurde mit der Kamera im Wohnzimmer aufgezeichnet. Auf der Aufzeichnung ist die Beschwerdeführerin zu sehen, wie sie Herrn J*** ein Schriftstück unterschreiben lässt.
Beweiswürdigung : Die getroffenen Feststellungen gründen auf dem übereinstimmenden Vorbringen der Beschwerdeführerin und des Beschwerdegegners. Die Feststellungen zum auf der Aufzeichnung dargestellten Sachverhalt gründen auf dem Vorbringen des Beschwerdegegners und dem Video, das der Beschwerdegegner im Rahmen der Parteieneinvernahme am 5. Dezember 2024 der Datenschutzbehörde vorlegte.
D. In rechtlicher Hinsicht folgt daraus:
1. Zum Recht auf Geheimhaltung:
Nach § 1 Abs. 1 DSG hat Jedermann Anspruch auf Geheimhaltung der ihn betreffenden personenbezogenen Daten, soweit ein schutzwürdiges Interesse daran besteht. Das Bestehen eines solchen Interesses ist ausgeschlossen, wenn Daten infolge ihrer allgemeinen Verfügbarkeit oder wegen ihrer mangelnden Rückführbarkeit auf den Betroffenen einem Geheimhaltungsanspruch nicht zugänglich sind.
Die Legaldefinitionen und Grundsätze der DSGVO sind zur Auslegung des Rechts auf Geheimhaltung heranzuziehen (vgl. § 4 Abs. 1 DSG sowie den Bescheid der DSB vom 31. Oktober 2018, GZ DSB-D123.076/0003-DSB/2018). Gemäß Art. 4 Z. 1 DSGVO sind personenbezogene Daten alle Informationen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person beziehen. Gemäß Art. 4 Z. 2 DSGVO ist eine Verarbeitung jeder mit oder ohne Hilfe automatisierter Verfahren ausgeführter Vorgang im Zusammenhang mit personenbezogenen Daten wie das Erheben, das Erfassen, die Organisation, das Ordnen, die Speicherung, die Anpassung oder Veränderung, das Auslesen, das Abfragen, die Verwendung, die Offenlegung durch Übermittlung, Verbreitung oder eine andere Form der Bereitstellung, den Abgleich oder die Verknüpfung, die Einschränkung, das Löschen oder die Vernichtung.
2. Zur Rollenverteilung:
Die Festlegung der datenschutzrechtlichen Rollenverteilung ist für das Beschwerdeverfahren nach § 24 DSG bzw. Art. 77 Abs. 1 DSGVO von entscheidender Bedeutung, da bestimmt wird, wer für die Einhaltung der jeweiligen Datenschutzbestimmungen verantwortlich ist, wie die betroffene Person ihre Rechte ausüben kann und letztlich auch gegen wen die Datenschutzbeschwerde gerichtet werden muss (Beschwerdegegner).
Nach Art. 4 Z 7 DSGVO ist jene natürliche oder juristische Person, Behörde, Einrichtung oder andere Stelle Verantwortlicher für eine Verarbeitung, die allein oder gemeinsam mit anderen über die Zwecke und Mittel der Verarbeitung von personenbezogenen Daten entscheidet. Dabei ist das wesentliche Kriterium die Entscheidungskomponente. Die Rolle des Verantwortlichen ergibt sich somit in erster Linie aus dem Faktum, dass eine bestimmte Stelle entschieden hat, personenbezogene Daten für ihre eigenen Zwecke zu verarbeiten. Der „Zweck“ beschreibt dabei ein erwartetes Ergebnis, während die „Mittel“ die Art und Weise festlegen, wie das erwartete Ergebnis erreicht werden soll (vgl. die EDSA Guidelines vom 2. September 2020 07/2020 zum Konzept des Verantwortlichen und Auftragsverarbeiters Rz 15 ff).
Der Beschwerdegegner entschied sachverhaltsgegenständlich über den Zweck der Datenverarbeitung, nämlich die Kontrolle und in weiterer Folge der Schutz des Herrn J***, dessen Erwachsenenvertreter er ist. Er entschied auch über die Mittel, nämlich die Montage von Videokameras. Der Beschwerdegegner ist sohin Verantwortlicher gemäß Art. 4 Z 7 DSGVO.
3. Zur Kamera im Garten:
Die Kamera im Garten erfasst, wie festgestellt, lediglich den Außenbereich der Wohnung des Pflegebefohlenen. Die Kamera erfasst nicht den Eingangsbereich, weshalb das Kommen und Gehen der Beschwerdeführerin nicht erfasst wird. Der Pflegedienst selbst wird in der Wohnung verrichtet, weshalb nicht von einer Erfassung der Beschwerdeführerin während der Ausübung ihrer Tätigkeit als Heimhelferin ausgegangen werden kann. Die Beschwerdeführerin hat auch nie behauptet von dieser Kamera im Garten erfasst worden zu sein. Daher ist der Anwendungsbereich von § 1 Abs. 1 DSG bezüglich der Kamera im Garten nicht eröffnet, da sich die Informationen nicht auf die Beschwerdeführerin beziehen und damit nicht als personenbezogene Daten zu qualifizieren sind.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden und die Beschwerde in diesem Punkt abzuweisen .
4. Zu den Kameras im Wohn- und Vorzimmer:
Sachverhaltsgegenständlich zeichnet der Beschwerdegegner mit den Kameras sowohl Bild als auch Ton, demnach das Aussehen, alle Handlungen und das Gesprochene, der Beschwerdeführerin auf. Daher ist der Anwendungsbereich von § 1 Abs. 1 DSG eröffnet, da sich die Informationen auf die Beschwerdeführerin beziehen und damit als personenbezogene Daten gemäß Art. 4 Z 1 DSGVO zu qualifizieren sind. Die Handlung des Beschwerdegegners, nämlich die Bild - und Tonverarbeitung, ist als Verarbeitung gemäß Art. 4 Z 2 DSGVO zu werten.
Beschränkungen des Anspruchs auf Geheimhaltung sind gemäß § 1 Abs. 2 DSG dann zulässig, wenn personenbezogene Daten im lebenswichtigen Interesse des Betroffenen verwendet werden, der Betroffene seine Zustimmung (bzw. in der Terminologie der DSGVO: Einwilligung) erteilt hat, wenn eine qualifizierte gesetzliche Grundlage für die Verwendung besteht, oder wenn die Verwendung durch überwiegende berechtigte Interessen eines Dritten gerechtfertigt ist.
Die gegenständliche Datenverarbeitung liegt nicht im lebenswichtigen Interesse des Beschwerdeführers und eine Zustimmung sowie eine qualifizierte gesetzliche Grundlage liegen ebenso wenig vor.
An dieser Stelle ist der Vollständigkeit halber anzumerken, dass auch das Grundrecht auf Geheimhaltung nach § 1 Abs. 2 DSG als Rechtsgrundlage für die Verarbeitung die „berechtigten Interessen Dritter“ vorsieht. Anders als nach Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO ist jedoch zu berücksichtigen, dass § 1 Abs. 2 DSG keinen Gleichstand, sondern ein Überwiegen der Interessen Dritter für die Zulässigkeit der Verarbeitung erfordert. Das Schema für die Interessenabwägung ist jedoch auch auf den Fall von § 1 Abs. 2 DSG übertragbar.
Demnach ist die Verarbeitung auf der Rechtsgrundlage „berechtigte Interessen“ unter drei kumulativen Voraussetzungen zulässig (vgl. Art. 29-Datenschutzgruppe, Stellungnahme 06/2014 zum Begriff des berechtigten Interesses des für die Verarbeitung Verantwortlichen gemäß Artikel 7 der Richtlinie 95/46/EG, WP 217, 844/14/EN, S. 43 f, wonach implementierte Schutzmaßnahmen zur Verhinderung bzw. Abmilderung unangemessener Folgen für den Betroffenen als Faktor im Rahmen der Interessenabwägung gebührend zu berücksichtigen sind):
i. Wahrnehmung eines berechtigten Interesses durch den Verantwortlichen oder den bzw. die Dritten, denen die Daten übermittelt werden,
ii. Erforderlichkeit der Verarbeitung der personenbezogenen Daten zur Verwirklichung des berechtigten Interesses und
iii. kein Überwiegen der Grundrechte und Grundfreiheiten der vom Datenschutz betroffenen Person über das wahrgenommene berechtigte Interesse (vgl. das Urteil des EuGH vom 4. Juli 2023, C-252/21 Rz 106).
Der Beschwerdegegner erläutert mit der Montage der Kameras den Schutz des Herrn J*** zu bezwecken. Er ist der Erwachsenenvertreter des Herrn J*** und erläutert in seinem Vorbringen die Gefahr der Selbstgefährdung durch den Vertretenen, insbesondere die Sturzgefahr. Der Schutz lebenswichtiger Interessen einer anderen natürlichen Person ist insbesondere im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 lit. d DSGVO durchaus als berechtigtes Interesse zu werten.
Die Datenverarbeitung ist jedoch (an)dauernd angelegt. Der Grundsatz der Datenminimierung nach Art. 5 Abs. 1 lit. c DSGVO knüpft unmittelbar an die Zweckbindung an und legt drei kumulative Tatbestandselemente fest: Die Angemessenheit, die Erheblichkeit und die Beschränkung auf das notwendige Maß. ErwGr 39 führt dazu zusätzlich aus, dass personenbezogene Daten nur verarbeitet werden dürfen, wenn der Zweck der Verarbeitung nicht in zumutbarer Weise durch andere Mittel erreicht werden kann. Damit soll dieser Grundsatz sicherstellen, dass die Verarbeitung personenbezogener Daten auf ein unvermeidbares Minimum reduziert wird ( Jahnel , Kommentar zur Datenschutz-Grundverordnung Art. 5 DSGVO, Stand 1.12.2020, rdb.at). In einer Gesamtbetrachtung verlangt der Grundsatz der Datenminimierung eine Minimierung der betroffenen Personen als auch eine Beschränkung der zu jeder betroffenen Person gespeicherten Daten.
Die Aufzeichnung des gesamten Wohnraums, und das durchgehend, war jedoch nicht erforderlich zur Wahrnehmung des berechtigten Interesses. Während der Anwesenheit des Pflegepersonals sind diese anwesenden Personen in der Lage den Gesundheitszustand und das allgemeine Wohlbefinden des Herrn J*** zu kontrollieren und sicherzustellen. Der Beschwerdegegner hätte auf andere Art und Weise - nämlich zeitlich beschränkt - den gesundheitlichen und psychischen Zustand des Herrn J*** kontrollieren können. Eine Prüfung des Überwiegens der Grundrechte und Grundfreiheiten der vom Datenschutz betroffenen Person über das wahrgenommene berechtigte Interesse erübrigt sich. Selbst wenn der Beschwerdeführer - so wie er ausführt - das Abdecken der Kameras angeordnet hätte, fehlt es ebenfalls an der Erforderlichkeit und liegt eine Verletzung des Datenminimierungsgrundsatzes vor, da die Beschwerdeführerin beim Ab- und Aufdecken erfasst wird und der Ton trotzdem weiterhin aufgezeichnet wird.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden und der Beschwerde hinsichtlich der Kameras im Wohnzimmer und im Vorzimmer stattzugeben .
5. Zum Leistungsauftrag:
Die Datenschutzbehörde verfügt gemäß Art. 58 Abs. 2 lit. d DSGVO über Abhilfebefugnisse, die es ihr gestatten, einen Verantwortlichen anzuweisen, Verarbeitungsvorgänge auf eine bestimmte Weise und innerhalb eines bestimmten Zeitraumes zu ändern bzw. durchzuführen. Gestützt auf die vorzitierte Bestimmung, war dem Beschwerdegegner daher amtswegig aufzutragen, die Einstellung der verfahrensgegenständlichen Kamera zu ändern.
Wie festgestellt, verletzt der Beschwerdeführer das Recht auf Geheimhaltung durch den Betrieb der Kameras im Wohnzimmer und im Vorzimmer. Der Beschwerdegegner argumentiert, dass die Bild- und Tonverarbeitung zum Schutz der berechtigten Interessen Dritter, dem Gesundheitszustand und dem allgemeinen Wohlbefinden seines Pflegebefohlenen, gerechtfertigt sei. Dem kann nicht gefolgt werden.
Im gegenständlichen Fall ist jedenfalls die Möglichkeit gegeben, die An- und Abwesenheiten der Pfleger:innen nachzuvollziehen. Das zeitlich ununterbrochene Überwachen der Wohnung ist zur Zweckerreichung nicht notwendig und widerspricht daher dem Grundsatz der Datenminimierung gemäß Art. 5 Abs. 1 lit. c DSGVO.
Die Art und Weise, wie der Erstbeschwerdegegner den Leistungsauftrag in Spruchpunkt 3 konkret umsetzt, bleibt diesem überlassen. Die Datenschutzbehörde hat eine zeitliche Beschränkung dahingehend ausgesprochen, dass während der Zeit des Pflegedienstes keine Aufnahmen durch Kamera 1, Kamera 2, Kamera 3 und Kamera 4 angefertigt werden bzw. die Kameras außer Betrieb gesetzt werden. Außerhalb des Pflegedienstes - und somit außerhalb der Anwesenheit von anderen betroffenen Personen obliegt es dem Beschwerdeführer präventive Maßnahmen zum Schutz seines Pflegebefohlenen zu treffen.
Das Abdecken der Kameras alleine ist keine ausreichende Maßnahme, um die Datenschutzrechte der Pflegebediensteten zu wahren, da diese mittels Tonverarbeitung dennoch durchgehend erfasst werden und mittels Bildverarbeitung bis zum Abdecken der Kameras und nach dem Aufdecken wieder erfasst werden. Darüber hinaus wird mit einer solchen Maßnahme die Wahrung ihrer Rechte den Pfleger:innen als betroffene Personen aufgebürdet, während der Beschwerdeführer als Verantwortlicher für die Einhaltung der DSGVO zu sorgen hat.
Der Beschwerdegegner hat der Datenschutzbehörde gemäß Art. 58 Abs. 1 lit. a DSGVO Nachweise über die Einschränkung der Verarbeitung vorzulegen. Eine Frist von zwei Wochen scheint angemessen, um die Änderungen, die keinen großen technischen Aufwand darstellen, umzusetzen und um der Datenschutzbehörde entsprechende Belege dafür zu übermitteln.