IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Sabine FILZWIESER-HAT als Einzelrichterin über die Beschwerde der XXXX , geb. XXXX Staatsangehörigkeit: Somalia, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25.03.2024, Zahl XXXX , wegen, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am XXXX , zu Recht:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 und Abs. 4 iVm § 2 Abs. 1 Z 15 AsylG der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Die Beschwerdeführerin, eine somalische Staatsangehörige, stellte am 29.09.2023 einen Antrag auf internationalen Schutz. Am selben Tag erfolgte eine Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes. Am 13.03.2024 fand eine niederschriftliche Einvernahme der Beschwerdeführerin vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl statt.
3. Mit im Spruch angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I.). Ihr wurde gemäß § 8 Abs. 1 AsylG der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung für subsidiär Schutzberechtigte für ein Jahr erteilt (Spruchpunkt III.).
4. Gegen Spruchpunkt I. des rechtswirksam zugestellten Bescheids erhob die Beschwerdeführerin im Wege ihrer rechtsfreundlichen Vertretung fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht und beantragte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.
5. Am XXXX fand eine öffentliche mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit der Beschwerdeführerin und ihrer Rechtsvertretung statt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person der Beschwerdeführerin:
Die Beschwerdeführerin ist somalische Staatsangehörige, ihr Geburtsdatum wurde mit XXXX festgestellt. Sie gehört dem Clan Tuney, XXXX an, bekennt sich zur Glaubensrichtung des Islam und spricht muttersprachlich Somalisch.
Sie wurde in Barawe geboren und ist in XXXX , Somaliland aufgewachsen, wo sie allein mit ihrer Großmutter väterlicherseits gelebt hat. Ihr Vater ist bereits verstorben und ihre Mutter und ihre Schwester hat sie zuletzt gesehen, als sie klein war. Sie hat keinen Kontakt zu ihnen und weiß nicht, wo diese sich aufhalten. Sie gab diesbezüglich an, dass sie sich nicht an sie erinnern kann und ihre Großmutter ihr erzählt hat, dass Al Shabaab diese mitgenommen hat und sie deshalb Barawe verlassen haben. Andere Verwandte in Somalia hat sie nicht, eine Tante mütterlicherseits lebt in Österreich.
Die Beschwerdeführerin hat in Somalia nicht die Schule besucht und ihrer Großmutter beim Verkauf von Obst und Gemüse geholfen, ansonsten hat sie ihr Zuhause nie allein verlassen wegen der Sicherheitslage vor Ort. Der Grund für die Ausreise aus Somalia war der Gesundheitszustand ihrer Großmutter, weswegen sie in die Türkei gereist sind, wo die Großmutter gestorben ist.
Die Beschwerdeführerin verließ Somalia im Jahr 2021, reiste im September 2023 irregulär ins Bundesgebiet ein und stellte am 29.09.2023 den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Sie hält sich seither durchgehend in Österreich auf und ist strafgerichtlich unbescholten.
1.2. Zur Rückkehrmöglichkeit nach Somalia:
Die Beschwerdeführerin verfügt in Somalia über kein soziales oder familiäres Netzwerk, auf welches sie bei einer Rückkehr zurückgreifen könnte und welches in der Lage wäre, sie wirtschaftlich zu unterstützen oder bei sich aufzunehmen. Es steht ihr vor dem Hintergrund der Länderberichte somit auch kein Schutz durch männliche Verwandte, durch ihren Clan oder von staatlicher Seite zur Verfügung. Sonstige tragfähige Anknüpfungspunkte in Somalia sind nicht hervorgekommen.
Bei der Beschwerdeführerin wurde in Somalia eine Genitalverstümmelung durchgeführt. Ärztlich wurde eine Defibulation empfohlen, die sie durchführen lassen will.
Der Beschwerdeführerin kommt in Österreich der Status einer subsidiär Schutzberechtigten zu.
1.3. Zur maßgeblichen Lage in Somalia werden nachfolgende Feststellungen getroffen:
Minderheiten und Clans
Letzte Änderung 2025-01-16
Das westliche Verständnis der Zivilgesellschaft ist im somalischen Kontext irreführend, da kaum zwischen öffentlicher und privater Sphäre unterschieden wird. In ganz Somalia gibt es starke Traditionen sozialer Organisation außerhalb des Staates, die vor allem auf sozialem Vertrauen innerhalb von Verwandtschaftsgruppen fußen. Seit Beginn des Bürgerkriegs haben sich die sozialen Netzwerkstrukturen neu organisiert und gestärkt, um das Überleben ihrer Mitglieder zu sichern (BS 2024).
Clans [zu Clanschutz siehe auch Rechtsschutz, Justizwesen]: Der Clan ist die relevanteste soziopolitische und ökonomische Einheit in Somalia. Für den Somali stellt er die wichtigste Identität dar, für die es zu streiten und zu sterben gilt (NLM/Barnett 7.8.2023). Clans kämpfen für das einzelne Mitglied. Gleichzeitig werden alle Männer im Clan als Krieger erachtet (AQSOM 4 6.2024). Der Clan bildet aber eine volatile, vielschichtige Identität mit ständig wechselnden Allianzen (NLM/Barnett 7.8.2023). Er bestimmt das Leben des Individuums, seinen Zugang zu Sicherheit und Schutz, Ressourcen (z. B. Arbeit, Geschäfte, Land) und bildet das ultimative Sicherheitsnetz (AQSOM 4 6.2024; vgl. SPC 9.2.2022). Clanälteste dienen als Vermittler zwischen Staat und Gesellschaft. Sie werden nicht einfach aufgrund ihres Alters gewählt. Autorität und Führungsposition werden verdient, nicht vererbt. Ein Clanältester repräsentiert seine Gemeinschaft, ist ihr Interessensvertreter gegenüber dem Staat. Innerhalb der Gemeinschaft dienen sie als Friedensstifter, Konfliktvermittler und Wächter des traditionellen Rechts (Xeer). Bei Streitigkeiten mit anderen Clans ist der Clanälteste der Verhandler (Sahan/SWT 26.10.2022).
Clanwissen: Laut Experten gibt es bis auf sehr wenige Waisenkinder in Somalia niemanden, der nicht weiß, woher er oder sie abstammt (ACCORD 31.5.2021, S. 2f/37/39f). Das Wissen um die eigene Herkunft, die eigene Genealogie, ist von überragender Bedeutung. Dieses Wissen dient zur Identifikation und zur Identifizierung (Shukri/TEL 3.5.2021). Auch junge Menschen im urbanen Umfeld kennen ihren Clan, allerdings fehlen ihnen manchmal die Details - etwa zu Clanältesten. Laut einer Quelle der FFM Somalia 2023 betrifft dies tendenziell eher junge Frauen (SOMNAT/STDOK/SEM 5.2023).
Diskriminierung im Clanwesen: Diskriminierung steht in Somalia generell oft nicht mit ethnischen Erwägungen in Zusammenhang, sondern vielmehr mit der Zugehörigkeit zu bestimmten Minderheitenclans oder Clans, die in einer bestimmten Region keine ausreichende Machtbasis und Stärke besitzen (AA 23.8.2024). Die meisten Bundesstaaten fußen auf einer fragilen Balance zwischen unterschiedlichen Clans. In diesem Umfeld werden weniger mächtige Clans und Minderheiten oft vernachlässigt (BS 2024). Selbst relativ starke Clans können von einem lokalen Rivalen ausmanövriert werden, und es kommt zum Verlust der Kontrolle über eine Stadt oder eine regionale Verwaltung. Meist ist es die zweitstärkste Lineage in einem Bezirk oder einer Region, welche über die Verteilung von Macht und Privilegien am unglücklichsten ist (Sahan/SWT 30.9.2022). Gleichzeitig mag auf einer Ebene innerhalb eines Clans oberflächlich betrachtet Einheit herrschen, doch wenn man näher heranzoomt, treten Konflikte zwischen den unteren Clanebenen zutage (NLM/Barnett 7.8.2023).
Ohnehin marginalisierte Gruppen werden diskriminiert und stoßen auf Schwierigkeiten, ihr Recht auf Teilhabe an wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und politischen Prozessen wahrzunehmen (UNSOM 5.8.2023; vgl. BS 2024). Die Marginalisierung führt zu einer ungerechten und diskriminierenden Verteilung der Ressourcen (UNSOM 5.8.2023) - etwa beim Zugang zu humanitärer Hilfe (AA 23.8.2024). Menschen, die keinem der großen Clans angehören, sehen sich in der Gesellschaft signifikant benachteiligt. Dies gilt etwa beim Zugang zur Justiz (UNHCR 22.12.2021b, S. 56); und auch von Politik und Wirtschaft werden sie mitunter ausgeschlossen. Minderheiten und berufsständische Kasten werden in mindere Rollen gedrängt - trotz des oft sehr relevanten ökonomischen Beitrags, den genau diese Gruppen leisten (BS 2024). Mitunter kommt es auch zu physischer Belästigung (UNHCR 22.12.2021b, S. 56). Insgesamt ist allerdings festzustellen, dass es hinsichtlich der Vulnerabilität und Kapazität unterschiedlicher Minderheitengruppen signifikante Unterschiede gibt (UN OCHA 14.3.2022).
Recht [siehe hierzu auch Rechtsschutz, Justizwesen]: Die Übergangsverfassung und Verfassungen der Bundesstaaten verbieten die Diskriminierung und sehen Minderheitenrechte vor (UNHCR 22.12.2021b, S. 56). Weder Xeer (SEM 31.5.2017, S. 42) noch Polizei und Justiz benachteiligen Minderheiten systematisch. Faktoren wie Finanzkraft, Bildungsniveau oder zahlenmäßige Größe einer Gruppe können Minderheiten dennoch den Zugang zur Justiz erschweren (SEM 31.5.2017, S. 42; vgl. ÖB Nairobi 10.2024). Von Gerichten Rechtsschutz zu bekommen, ist für Angehörige von Minderheiten noch schwieriger als für andere Bevölkerungsteile (FIS 7.8.2020b, S. 21). Es kommt mitunter zu staatlicher Diskriminierung. So wurde beispielsweise in Mogadischu ein Strafprozess, bei welchem Rahanweyn und Bantu als Kläger gegen einen Polizeioffizier, der von einem großen Clan stammt, aufgetreten waren, vom Gericht ohne Weiteres eingestellt (Horn 6.5.2024).
Auch im Xeer sind Schutz und Verletzlichkeit einer Einzelperson eng verbunden mit der Macht ihres Clans (SEM 31.5.2017, S. 31). Weiterhin ist es für Minderheitsangehörige aber möglich, sich im Rahmen formaler Abkommen (Gashanbuur) einem anderen Clan anzuschließen bzw. sich unter Schutz zu stellen (AQSOM 4 6.2024; vgl. DI 6.2019, S. 11). Diese Resilienzmaßnahme wurde von manchen Gruppen etwa angesichts der Hungersnot 2011 und der Dürre 2016/17 angewendet (DI 6.2019, S. 11). Aufgrund dieser Allianzen werden auch Minderheiten in das System des Xeer eingeschlossen. Wenn ein Angehöriger einer Minderheit, die mit einem großen Clan alliiert ist, einen Unfall verursacht, trägt auch der große Clan zu Mag/Diya (Kompensationszahlung) bei (SEM 31.5.2017, S. 33). Gemäß einer Quelle haben schwächere Clans und Minderheiten trotzdem oft Schwierigkeiten – oder es fehlt überhaupt die Möglichkeit – ihre Rechte im Xeer durchzusetzen (LIFOS 1.7.2019, S. 14).
Netzwerke abseits von Clans: Die Mitgliedschaft in islamischen Organisationen und Verbänden gewinnt immer mehr an Bedeutung. Sie bietet eine Möglichkeit zur sozialen Organisation über Clangrenzen hinweg. Mit einer Mitgliedschaft kann eine "falsche" Clanzugehörigkeit in eingeschränktem Ausmaß kompensiert werden. Zumindest in bestimmten Teilen Somalias entsteht auch eine Form von Sozialkapital unter Mitgliedern der jüngeren Generation, die biografische Erfahrungen und Interessen (Bildung oder Beruf) teilen und manchmal in Jugendorganisationen organisiert sind oder sich in informellen Diskussionsgruppen und online treffen (BS 2024).
[…]
Bevölkerungsstruktur
Letzte Änderung 2024-12-04
Somalia ist eines der wenigen Länder in Afrika, wo es eine dominante Mehrheitskultur und -Sprache gibt. Die Mehrheit der Bevölkerung findet sich innerhalb der traditionellen somalischen Clanstrukturen (UNHCR 22.12.2021a). Die Landesbevölkerung ist nach Angabe einer Quelle ethnisch sehr homogen; allerdings ist der Anteil ethnischer Minderheiten an der Gesamtbevölkerung demnach unklar (AA 23.8.2024). Gemäß einer Quelle teilen mehr als 85 % der Bevölkerung eine gemeinsame ethnische Herkunft (USDOS 22.4.2024). Eine andere Quelle besagt, dass die somalische Bevölkerung aufgrund von Migration, ehemaliger Sklavenhaltung und der Präsenz von nicht nomadischen Berufsständen divers ist (Wissenschaftl. Mitarbeiter GIGA 3.7.2018). Es gibt weder eine Konsistenz noch eine Verständigungsbasis dafür, wie Minderheiten definiert werden (UN OCHA 14.3.2022). Die UN gehen davon aus, dass ca. 30 % aller Somali Angehörige von Minderheiten sind (MBZ 6.2023). Abseits davon trifft man in Somalia auf Zersplitterung in zahlreiche Clans, Subclans und Sub-Subclans, deren Mitgliedschaft sich nach Verwandtschaftsbeziehungen bzw. nach traditionellem Zugehörigkeitsempfinden bestimmt (AA 18.4.2021, S. 12). Diese Unterteilung setzt sich fort bis hinunter zur Kernfamilie (SEM 31.5.2017).
Insgesamt ist das westliche Verständnis einer Gesellschaft im somalischen Kontext irreführend. Dort gibt es kaum eine Unterscheidung zwischen öffentlicher und privater Sphäre. Zudem herrscht eine starke Tradition der sozialen Organisation abseits des Staates. Diese beruht vor allem auf sozialem Vertrauen innerhalb von Abstammungsgruppen. Seit dem Zusammenbruch des Staates hat sich diese soziale Netzwerkstruktur reorganisiert und verstärkt, um das Überleben der einzelnen Mitglieder zu sichern (BS 2024). Die Zugehörigkeit zu einem Clan ist der wichtigste identitätsstiftende Faktor für Somalis. Sie bestimmt, wo jemand lebt, arbeitet und geschützt wird. Darum kennen Somalis üblicherweise ihre exakte Position im Clansystem (SEM 31.5.2017). Insgesamt gibt es keine physischen Charakteristika, welche die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Clan erkennen ließen (Landinfo 4.4.2016).
Große Clanfamilien: Die sogenannten "noblen" Clanfamilien können (nach eigenen Angaben) ihre Abstammung auf mythische gemeinsame Vorfahren und den Propheten Mohammed zurückverfolgen. Die meisten Minderheiten sind dazu nicht in der Lage (SEM 31.5.2017). Somali sehen sich als Nation arabischer Abstammung, "noble" Clanfamilien sind meist Nomaden:
• Darod gliedern sich in die drei Hauptgruppen: Ogaden, Marehan und Harti sowie einige kleinere Clans. Die Harti sind eine Föderation von drei Clans: Die Majerteen sind der wichtigste Clan Puntlands, während Dulbahante und Warsangeli in den zwischen Somaliland und Puntland umstrittenen Grenzregionen leben. Die Ogaden sind der wichtigste somalische Clan in Äthiopien, haben aber auch großen Einfluss in den südsomalischen Juba-Regionen sowie im Nordosten Kenias. Die Marehan sind in Süd-/Zentralsomalia präsent.
• Hawiye leben v. a. in Süd-/Zentralsomalia. Die wichtigsten Hawiye-Clans sind Habr Gedir und Abgaal, beide haben in und um Mogadischu großen Einfluss.
• Dir leben im Westen Somalilands sowie in den angrenzenden Gebieten in Äthiopien und Dschibuti, außerdem in kleineren Gebieten Süd-/Zentralsomalias. Die wichtigsten Dir-Clans sind Issa, Gadabursi (beide im Norden) und Biyomaal (Süd-/Zentralsomalia).
• Isaaq sind die wichtigste Clanfamilie in Somaliland, wo sie kompakt leben. Teils werden sie zu den Dir gerechnet (SEM 31.5.2017). Sie selbst erachten sich nicht als Teil der Dir (AQSOM 4 6.2024).
• Rahanweyn bzw. Digil-Mirifle sind eine weitere Clanfamilie (SEM 31.5.2017).
Territorien: Alle Mehrheitsclans sowie ein Teil der ethnischen Minderheiten – nicht aber die berufsständischen Gruppen – haben ihr eigenes Territorium. Dessen Ausdehnung kann sich u. a. aufgrund von Konflikten verändern (SEM 31.5.2017).
Minderheiten: Als Minderheiten werden jene Gruppen bezeichnet, die aufgrund ihrer geringeren Anzahl schwächer als die "noblen" Mehrheitsclans sind. Dazu gehören Gruppen anderer ethnischer Abstammung; Gruppen, die traditionell als unrein angesehene Berufe ausüben; sowie die Angehörigen "nobler" Clans, die nicht auf dem Territorium ihres Clans leben oder zahlenmäßig klein sind (SEM 31.5.2017).
[…]
Berufsständische Minderheiten, aktuelle Situation
Letzte Änderung 2025-01-16
Berufsständische Gruppen unterscheiden sich weder durch Abstammung noch durch Sprache und Kultur von der Mehrheitsbevölkerung (SEM 31.5.2017). Sie sind somalischen Ursprungs, wurden aber von den traditionellen Clan-Lineages ausgeschlossen (UNHCR 22.12.2021a). Im Gegensatz zu den „noblen“ Clans wird ihnen nachgesagt, ihre Abstammungslinie nicht auf Prophet Mohammed zurückverfolgen zu können (SEM 31.5.2017). Ihre traditionellen Berufe werden als unrein oder unehrenhaft erachtet (UNHCR 22.12.2021a, S. 57; vgl. SEM 31.5.2017) - etwa Jäger, Lederverarbeiter, Schuster, Friseure, Töpferinnen, traditionelle Heiler oder Hebammen (MBZ 6.2023). Diese Gruppen stehen damit auf der untersten Stufe der sozialen Hierarchie in der Gesellschaft. Sie leben verstreut in allen Teilen des somalischen Kulturraums, mehrheitlich aber in Städten. Ein v. a. im Norden bekannter Sammelbegriff für einige berufsständische Gruppen ist Gabooye, dieser umfasst etwa die Tumal, Madhiban, Muse Dheriyo und Yibir (SEM 31.5.2017; vgl. AQSOM 4 6.2024). Ein anderer Sammelbegriff ist Midgan (UNHCR 22.12.2021a).
Diskriminierung: Für die Gabooye hat sich die Situation im Vergleich zur Jahrtausendwende, als sie nicht einmal normal die Schule besuchen konnten, gebessert. Insbesondere unter jungen Somali ist die Einstellung zu ihnen positiver geworden; mittlerweile ist es für viele Angehörige der Mehrheitsclans üblich, auch mit Angehörigen berufsständischer Gruppen zu sprechen, zu essen, zu arbeiten und Freundschaften zu unterhalten. Es gibt keine gezielten Angriffe gegen oder Misshandlungen von Gabooye (SEM 31.5.2017). In Mogadischu sind Angehörige von Minderheiten keiner systematischen Gewalt ausgesetzt. Allerdings sind all jene Personen, welche nicht einem dominanten Clan der Stadt angehören, potenziell gegenüber Kriminalität vulnerabler (Landinfo 21.5.2019b). Ein Experte erklärt, dass Gabooye zwar nicht angegriffen werden, diese aber davor Angst haben. Minderheiten werden demnach nicht aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer Minderheit angegriffen, es sei denn, dass sie bei einem Vorhaben im Weg stehen (AQSOM 4 6.2024).
Allerdings sind Angehörige berufsständischer Kasten Belästigung und Ausbeutung ausgesetzt (Sahan/SWT 1.12.2023). Sie werden als Bürger zweiter Klasse erachtet (BS 2024; vgl. AQSOM 4 6.2024). Zu ihrer Diskriminierung trägt bei, dass sie sich weniger strikt organisieren und sie viel ärmer sind. Daher sind sie nur in geringerem Maß in der Lage, Kompensation zu zahlen oder Blutrache anzudrohen (Wissenschaftl. Mitarbeiter GIGA 3.7.2018; vgl. SEM 31.5.2017). Es kommt zu Beschimpfungen, Ausschluss von bestimmten Berufen, Einschränkungen beim Landbesitz sowie zu Diskriminierung im Bildungs- und Gesundheitssystem (AQSOM 4 6.2024). Insgesamt ist die soziale Stufe und die damit verbundene Armut für viele das Hauptproblem. Hinzu kommt, dass diese Minderheiten in der Regel eine tendenziell schlechtere Kenntnis des Rechtssystems haben. Der Zugang berufsständischer Gruppen zur Bildung ist erschwert, weil an ihren Wohnorten z. B. Schulen fehlen. Außerdem verlassen viele Kinder die Schule früher, um zu arbeiten. Viele Familien sind auf derartige Einkommen angewiesen. Die meist schlechtere Bildung wiederum führt zur Benachteiligung bei der Arbeitssuche, bei der die Clanzugehörigkeit ohnehin oft zu Diskriminierung führen kann. Da berufsständische Gruppen nur über eine kleine Diaspora verfügen, profitieren sie zudem in geringerem Ausmaß von Remissen als Mehrheitsclans (SEM 31.5.2017).
Aufgrund der oft schlechten Ausbildung treffen Gabooye außerhalb ihrer traditionellen Berufe am Arbeitsmarkt auf Schwierigkeiten (MBZ 6.2023). Dennoch sind vereinzelt auch Angehörige berufsständischer Gruppen wirtschaftlich erfolgreich. Auch wenn sie weiterhin die ärmste Bevölkerungsschicht stellen, finden sich einzelne Angehörige in den Regierungen, im Parlament und in der Wirtschaft (SEM 31.5.2017).
Mischehe: In dieser Frage kommt es weiterhin zu einer gesellschaftlichen Diskriminierung, da Mehrheitsclans Mischehen mit Angehörigen berufsständischer Gruppen meist nicht akzeptieren. Dies gilt insbesondere dann, wenn eine Mehrheitsfrau einen Minderheitenmann heiratet. Der umgekehrte Fall ist weniger problematisch (SEM 31.5.2017; vgl. ÖB Nairobi 10.2024). Aufgrund dieser Stigmatisierung (FH 2024a) kommen Mischehen äußerst selten vor (SEM 31.5.2017; vgl. FIS 5.10.2018). Diesbezüglich bestehen aber regionale Unterschiede: Im Clan-mäßig homogeneren Norden des somalischen Kulturraums sind Mischehen seltener und gleichzeitig stärker stigmatisiert als im Süden (ÖB Nairobi 10.2024; vgl. SEM 31.5.2017). Hawiye und Rahanweyn sehen die Frage der Mischehe weniger eng. Außerdem ist der Druck auf Mischehen insbesondere in ländlichen Gebieten ausgeprägt (SEM 31.5.2017). In Mogadischu sind Mischehen möglich (FIS 5.10.2018). Auch al Shabaab hat Hindernisse für Mischehen beseitigt, in ihren Gebieten kommt es zunehmend zu solchen Eheschließungen (ICG 27.6.2019a). Die Gruppe hat Fußsoldaten, die zu Gruppen mit niedrigem Status gehören, dazu ermutigt, Frauen und Mädchen von "noblen" Clans (z. B. Hawiye, Darod) zu heiraten (Ingiriis 2020).
Eine Mischehe führt so gut wie nie zu Gewalt oder gar zu Tötungen. Seltene Vorfälle, in denen es etwa in Somaliland im Zusammenhang mit Mischehen zu Gewalt kam, sind in somaliländischen Medien dokumentiert (SEM 31.5.2017). Trotzdem können diese Ehen negative Folgen für die Ehepartner mit sich bringen – insbesondere, wenn der Mann einer Minderheit angehört (ÖB Nairobi 10.2024). So kommt es häufig zur Verstoßung des aus einem "noblen" Clan stammenden Teils der Eheleute durch die eigenen Familienangehörigen. Letztere besuchen das Paar nicht mehr, kümmern sich nicht um dessen Kinder oder brechen den Kontakt ganz ab; es kommt zu sozialem Druck (SEM 31.5.2017). Diese Art der Verstoßung kann vor allem in ländlichen Gebieten vorkommen. Eine Mischehe sorgt auf jeden Fall für Diskussionen und Getratsche, nach einer gewissen Zeit wird sie nach Angaben einer Quelle aber meist akzeptiert (FIS 5.10.2018).
[…]
Relevante Bevölkerungsgruppen
Frauen - allgemein
Letzte Änderung 2024-12-02
Sowohl im Zuge der Anwendung der Scharia als auch bei der Anwendung traditionellen Rechtes sind Frauen nicht in Entscheidungsprozesse eingebunden. Die Scharia wird ausschließlich von Männern angewendet, die oftmals zugunsten von Männern entscheiden (USDOS 22.4.2024). Zudem gelten die aus der Scharia interpretierten Regeln des Zivil- und Strafrechts. In der Scharia gelten für Frauen andere gesetzliche Maßstäbe als für Männer (z. B. halbe Erbquote). Insgesamt gibt es hinsichtlich der grundsätzlich diskriminierenden Auslegungen der zivil- und strafrechtlichen Elemente der Scharia keine Ausweichmöglichkeiten, diese gelten auch in Somaliland (AA 23.8.2024).
Auch im Rahmen der Ausübung des Xeer (traditionelles Recht) haben Frauen nur eingeschränkt Einfluss. Verhandelt wird unter Männern, und die Frau wird üblicherweise von einem männlichen Familienmitglied vertreten (SPC 9.2.2022; vgl. ÖB Nairobi 10.2024). Oft werden Gewalttaten gegen Frauen außerhalb des staatlichen Systems zwischen Clanältesten geregelt, sodass ein Opferschutz nicht gewährleistet ist (AA 23.8.2024). Auch Vergewaltigungsfälle werden oft im Rahmen kollektiver Clanverantwortung abgehandelt (ÖB Nairobi 11.1.2024; vgl. AQ21 11.2023; SPC 9.2.2022). Diesbezüglich geschaffene Gesetze haben zwar Signalwirkung, diese wendet sich aber insbesondere nach Außen (ÖB Nairobi 11.1.2024). Viele Fälle werden auch gar nicht gemeldet. Weibliche Opfer befürchten, von ihren Familien oder Gemeinden verstoßen zu werden, sie fürchten sich z. B. auch vor einer Scheidung oder einer Zwangsehe. Anderen Opfern sind die formellen Regressstrukturen schlichtweg unbekannt (SPC 9.2.2022). Im traditionellen System werden Vergewaltigungen oft mittels Blutgeld zwischen den betroffenen Clans ausverhandelt. Dabei darf das Opfer nach Angaben einer Quelle über die Höhe des Betrags mitentscheiden (ÖB Nairobi 11.1.2024). Andererseits werden Frauen im Falle von Clankonflikten oft als neutral erachtet, da es für sie leichter möglich ist, sich an unterschiedliche Clans zu wenden, um z. B. eine Waffenruhe zu erbitten. Folglich sind Frauen aufgrund der Verwandtschaftsverhältnisse beim Peace Building durchaus mächtig (AQ21 11.2023).
Während Frauen in Somalia zunehmend entscheidende wirtschaftliche Rollen übernehmen und häufig als Hauptverdiener ihrer Familien auftreten, stoßen sie bei der Suche nach politischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten auf Hindernisse. Oft finden sie sich in schlecht bezahlten Positionen wieder (BS 2024). Gemäß einer Studie zum Gender-Gap in Süd-/Zentralsomalia und Puntland verfügen Frauen dort nur über 50 % der Möglichkeiten der Männer – und zwar mit Bezug auf Teilnahme an der Wirtschaft; wirtschaftliche Möglichkeiten; Politik; und Bildung (SOMSUN 6.4.2021). Viele traditionelle und religiöse Eliten stellen sich vehement gegen eine stärkere Beteiligung von Frauen am politischen Leben (AA 23.8.2024). Auf allen politischen Ebenen herrscht dementsprechend eine Absenz von Frauen. Insgesamt ist dies auf die patriarchale, auf Clans basierende Gesellschaft zurückzuführen (Sahan/SWT 19.1.2024; vgl. AA 23.8.2024). Trotzdem finden sich bei Behörden, bei den Macawiisley, in der Bundesarmee, bei der NISA und den Darawish Frauen, bei der Polizei sind es ca. 10 % (AQ21 11.2023; vgl. Sahan/SWT 9.9.2022).
Mädchen / Frauen - Weibliche Genitalverstümmelung und -Beschneidung (FGM/C)
Letzte Änderung 2024-12-03
Arten bzw. Typen der Beschneidung: Gudniin ist die allgemeine somalische Bezeichnung für Beschneidung – egal ob bei einer Frau oder bei einem Mann (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 65f). Laut einer in Puntland gemachten Studie gibt es auch noch andere Namen für FGM/C, etwa Dhufaanid (Kastration) oder Tolid (Zunähen) (UNFPA 4.2022). In Somalia herrschen zwei Formen von FGM/C vor:
a) Einerseits die am meisten verbreitete sogenannte Pharaonische Beschneidung (Gudniinka Fircooniga), welche weitgehend dem WHO Typ III (Infibulation) entspricht (UNFPA 4.2022; vgl. LIFOS 16.4.2019, S. 13f; HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 66f) und von der somalischen Bevölkerung unter dem - mittlerweile auch dort geläufigen - Synonym "FGM" verstanden wird (UNFPA 4.2022; vgl. HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 68).
b) Andererseits die Sunna (Gudniinka Sunna) (LIFOS 16.4.2019, S. 13f; vgl. HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 66f), welche laut einer Quelle generell dem weniger drastischen WHO Typ I entspricht (LIFOS 16.4.2019, S. 13f), laut einer anderen Quelle WHO Typ I und II (AV 2017, S. 29), laut einer dritten Quelle WHO Typ IV (MoHDSL/UNFPA 2021) und schließlich laut einer vierten Quelle eine breite Palette an Eingriffen umfasst (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 41ff/66f). Demnach wird die Sunna nochmals unterteilt in die sog. große Sunna (Sunna Kabir) und die kleine Sunna (Sunna Saghir); es gibt auch Mischformen (LIFOS 16.4.2019, S. 14f; vgl. HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 41ff/66f). De facto kann laut Quellen unter dem Begriff „Sunna“ jede Form – von einem kleinen Schnitt bis hin zur fast vollständigen pharaonischen Beschneidung – gemeint sein, die von der traditionellen Form von FGM (Infibulation) abweicht (FIS 5.10.2018, S. 30; vgl. LIFOS 16.4.2019, S. 39). Aufgrund der Problematik, dass es keine klare Definition der Sunna gibt (LIFOS 16.4.2019, S. 14f; vgl. FIS 5.10.2018, S. 31), wissen Eltern laut einer Quelle oft gar nicht, welchen Eingriff die Beschneiderin genau durchführen wird (LIFOS 16.4.2019, S. 14f). Allgemein wird die Sunna von Eltern und Betroffenen als harmlos erachtet, mit dieser Form werden nur geringfügige gesundheitliche Komplikationen in Zusammenhang gebracht (UNFPA 4.2022).
Bei einer Studie aus Somaliland wird die Sunna hingegen als WHO Typ IV bezeichnet ("... andere verletzende Prozeduren an den weiblichen Genitalien für nicht-medizinische Zwecke, z. B. einstechen, durchstechen, einritzen, ausschaben, verätzen."). Teilnehmer der Studie beschreiben zwei Arten der Sunna: Einerseits jene Form, bei welcher eine eingeschränkte Beschneidung ("Small Cut") sowie ein Vernähen mit ein oder zwei Stichen erfolgt; andererseits eine mildere Form, bei welcher die Klitoris mit einer Nadel eingestochen wird und keine weiteren Misshandlungen erfolgen - insbesondere kein Vernähen (MoHDSL/UNFPA 2021).
[…]
Prävalenz [siehe auch Unterkapitel]: FGM ist in Somalia auch weiterhin weit verbreitet (USDOS 22.4.2024; vgl. AA 23.8.2024) und bleibt die Norm (Landinfo 14.9.2022, S. 16). Lange Zeit wurde die Zahl betroffener Frauen mit 98 % angegeben. Diese Zahl ist laut somalischem Gesundheitsministerium bis 2015 auf 95 % und bis 2018 auf 90 % gefallen (FIS 5.10.2018, S. 29). UN News berichtet von "mehr als 90 %" (UNN 4.2.2022). Gemäß einer Studie aus dem Jahr 2017 sind rund 13 % der 15-17-jährigen Mädchen nicht beschnitten (STC 9.2017). In der Altersgruppe von 15-49 Jahren liegt die Prävalenz hingegen bei 98 %, jene der Infibulation bei 77 %, wie eine andere Studie besagt (BMC/Yussuf/et al. 2020, S. 1f). Laut einer anderen Quelle sind 88 % der 5-9-jährigen Mädchen bereits beschnitten oder verstümmelt (CARE 4.2.2022). Insgesamt gibt es diesbezüglich nur wenige aktuelle Daten. Generell ist von einer Rückläufigkeit auszugehen (LIFOS 16.4.2019, S. 19f; vgl. STC 9.2017).
[…]
Gesellschaft [siehe auch Unterkapitel]: Außerdem sprachen sich in einer Umfrage aus dem Jahr 2017 42,6 % gegen die Tradition von FGM aus (AV 2017, S. 19). Allerdings gaben nur 15,7 % an, dass in ihrer Gemeinde („Community“) FGM nicht durchgeführt wird (AV 2017, S. 25). Bei einer Studie im Jahr 2015 wendete sich die Mehrheit der Befragten gegen die Fortführung der Infibulation, während es kaum Unterstützung für eine völlige Abschaffung von FGM gab (CEDOCA 9.6.2016, S. 7). Die Unterstützung für FGM/C ist jedenfalls gesunken (BMC/Yussuf/et al. 2020, S. 2). Zum Beispiel wurden in Cadaado (Mudug) im November 2020 nur noch 28 von 278 Eingriffen als Infibulation ausgeführt, im Dezember waren es 22 von 222. Dahingegen sind es Anfang 2019 noch über 200 Infibulationen pro Monat gewesen. Auch hier hat sich die Sunna durchgesetzt (RE 15.2.2021). Bei der Bewertung dieses Trends muss aber berücksichtigt werden, dass in manchen Fällen davon auszugehen ist, dass einfach nur nicht so weit zugenäht wird wie früher; der restliche Eingriff aber de facto einer Infibulation entspricht - und trotzdem von den Betroffenen als Sunna bezeichnet wird (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 70).
Wer eine Beschneidung veranlasst bzw. entscheidet: Nach Angaben mehrerer Quellen liegt üblicherweise die Entscheidung darüber, ob eine Beschneidung stattfinden soll, bei der Mutter (FIS 5.10.2018, S. 30; vgl. CEDOCA 9.6.2016, S. 17f; Landinfo 14.9.2022, S. 11; HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 85; MoHDSL/UNFPA 2021). Der Vater hingegen wird wenig eingebunden (Landinfo 14.9.2022, S. 11; vgl. HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 85) bzw. wird die Entscheidung "manchmal" gemeinsam getroffen (MoHDSL/UNFPA 2021). Laut einer Quelle geht es bei dieser Entscheidung aber weniger um das "ob" als vielmehr um das "wie und wann" (Landinfo 14.9.2022, S. 11). Eine Studie aus dem Jahr 2022 in Puntland bestätigt, dass Mütter die Entscheidung hinsichtlich von FGM und Väter jene hinsichtlich der Beschneidung der Söhne treffen. Tendenziell können Väter neuerdings mehr Mitsprache halten. Insgesamt ist es aber die Mutter, die für die Jungfräulichkeit, Reinheit und Ehefähigkeit ihrer Töchter verantwortlich ist (UNFPA 4.2022).
Es kann zu – teils sehr starkem – psychischem Druck auf eine Mutter kommen, damit eine Tochter beschnitten wird. Um eine Verstümmelung zu vermeiden, kommt es auf die Standhaftigkeit der Mutter an. Spricht sich auch der Kindesvater gegen eine Verstümmelung aus, und bleibt dieser standhaft, dann ist es leichter, dem psychischen Druck seitens der Gesellschaft und gegebenenfalls durch die Familie standzuhalten (DIS 1.2016, S. 8ff). Manchmal wird der Vater von der Mutter bei der Entscheidung übergangen (UNFPA 4.2022; vgl. LIFOS 16.4.2019, S. 25f/42f) oder aber eine vermeintlich gemeinsame Entscheidung für eine mildere Sunna wird nachträglich von der Mutter - ohne Wissen des Vaters - zu einer Infibulation "korrigiert" (MoHDSL/UNFPA 2021). Nach anderen Angaben liegt es an den Eltern, darüber zu entscheiden, welche Form von FGM an der Tochter vorgenommen wird. Manchmal halten Großmütter oder andere weibliche Verwandte Mitsprache. In ländlichen Gebieten können Großmütter eher Einfluss ausüben (LIFOS 16.4.2019, S. 25f/42f; vgl. FIS 5.10.2018, S. 30). Dort ist es mitunter auch schwieriger, FGM infrage zu stellen (FIS 5.10.2018, S. 30f). Gemäß Angaben anderer Quellen sind Großmütter oft maßgeblich in die Entscheidung involviert (Landinfo 14.9.2022, S. 11; vgl. MoHDSL/UNFPA 2021; HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 85) bzw. üben sie signifikanten Einfluss aus (UNFPA 8.10.2023). Laut anderen Angaben kann es vorkommen, dass eine Mutter bei weiblichen Verwandten Ratschläge einholt (UNFPA 4.2022). In einer somaliländischen Studie wird angegeben, dass Mütter die Schlüsselrolle spielen, an zweiter Stelle stehen die Großmütter. Manchmal fordern Mädchen auch selbst eine Beschneidung ein (MoHDSL/UNFPA 2021).
Dass Mädchen ohne Einwilligung der Mutter von Verwandten einer FGM unterzogen werden, ist zwar nicht auszuschließen, aber unwahrscheinlich. Keine Quelle des Danish Immigration Service konnte einen derartigen Fall berichten (DIS 1.2016, S. 10ff). Quellen der schwedischen COI-Einheit Lifos nennen als diesbezüglich annehmbare Ausnahme (theoretisch) den Fall, dass ein bei den Großeltern lebendes Kind von der Großmutter FGM zugeführt wird, ohne dass es dazu eine Einwilligung der Eltern gibt (LIFOS 16.4.2019, S. 26).
Motivation: Der Hauptantrieb, weswegen Mädchen weiterhin einer FGM/C unterzogen werden, ist der Druck, sozialen Erwartungen und Normen gerecht zu werden (MoHDSL/UNFPA 2021; vgl. HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 82). FGM gilt als Tradition, die von Generation zu Generation weitergegeben wird. Die somalische Kultur gelten die "drei weiblichen Schmerzen" als integraler Bestandteil des Frauseins: Die Beschneidung, die Hochzeitsnacht und das Gebären. Nicht zuletzt glauben viele Frauen, dass die Beschneidung im Islam verpflichtend vorgesehen ist (MoHDSL/UNFPA 2021).
Frauen fürchten sich vor einem gesellschaftlichen Ausschluss und vor Diskriminierung - ihrer selbst und ihrer Töchter. Eine Beschneidung bringt hingegen soziale Vorteile und sichert der Familie und dem Mädchen die Integration in die Gesellschaft (UNFPA 4.2022; vgl. MoHDSL/UNFPA 2021). So gibt es etwa Berichte über erwachsene Frauen, die sich einer Infibulation unterzogen haben, da sie sich durch (sozialen) Druck dazu gezwungen sahen (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 73). Es herrscht die Angst vor Stigmatisierung und Diskriminierung (MoHDSL/UNFPA 2021). Mitunter üben nicht-beschnittene Mädchen aufgrund des gesellschaftlichen Drucks selbst Druck auf Eltern aus, damit die Verstümmelung vollzogen wird (UNFPA 4.2022; vgl. MoHDSL/UNFPA 2021; HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 83; LIFOS 16.4.2019, S. 42f/26; ACCORD 31.5.2021, S. 41).
Die Beschneidung wird als Ehre für ein Mädchen erachtet, als Investition in die Zukunft. Das Mädchen wird dadurch von der Gesellschaft akzeptiert, gilt als züchtig und verheiratbar und gewährleistet voreheliche Jungfräulichkeit (MoHDSL/UNFPA 2021; vgl. LIFOS 16.4.2019, S. 38f; Landinfo 14.9.2022, S. 11). Außerdem gilt eine Infibulation als ästhetisch (Landinfo 14.9.2022, S. 10; vgl. UNFPA 4.2022).
Durchführung: Die Mehrheit der Beschneidungen wird von traditionellen Beschneiderinnen (Guddo) vorgenommen (MoHDSL/UNFPA 2021). Mädchen werden zunehmend von medizinischen Fachkräften beschnitten (UNFPA 4.2022; vgl. MoHDSL/UNFPA 2021; FGMCRI o.D.). Bei einer Studie in Somaliland gaben nur 5 % der Mütter an, selbst von einer Fachkraft beschnitten worden zu sein; bei den Töchtern waren es hingegen schon 33 % (Landinfo 14.9.2022, S. 11). Diese "Medizinisierung" von FGM/C ist v. a. im städtischen Bereich und bei der Diaspora angestiegen (UNICEF 29.6.2021; vgl. MoHDSL/UNFPA 2021) und in erster Linie dann, wenn die Eltern nur eine Sunna durchführen lassen wollen (MoHDSL/UNFPA 2021). FGM/C erfolgt also zunehmend im medizinischen Bereich – in Spitälern, Kliniken oder auch bei Hausbesuchen. In Mogadischu gibt es sogar Straßenwerbung für "FGM Clinics". Insgesamt sind die Ausführenden aber immer noch oft traditionelle Geburtshelferinnen, Hebammen und Beschneiderinnen (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 73f).
Der Eingriff wird an Einzelnen oder auch an Gruppen von Mädchen vorgenommen. In ländlichen Gebieten Puntlands und Somalilands üblicherweise in Gruppen. Auch in Mogadischu ist das die übliche Praxis. Oft gibt es danach für die Mädchen eine Feier (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 73f). Auch eine somaliländische Quelle berichtet, dass die Beschneidung mit einer Feier in der Nachbarschaft verbunden ist (MoHDSL/UNFPA 2021). Eine traditionelle Beschneiderin verlangt üblicherweise 20 US-Dollar für einen Eingriff, bei finanzschwachen Familien kann dieser Preis auf 5 US-Dollar reduziert werden (UNFPA 4.2022).
Alter bei der Beschneidung: Diesbezüglich gibt es unterschiedliche Angaben. Die meisten Quellen der schwedischen COI-Einheit Lifos sowie UNFPA nennen ein Alter von 5-10 bzw. 5-9 Jahren (LIFOS 16.4.2019, S. 20/39; vgl. UNFPA 8.10.2023). Eine größere Studie aus dem Jahr 2020 nennt für Somalia folgende Zahlen: 71 % der Frauen im Alter von 15-49 Jahren ist im Alter von 5-9 Jahren beschnitten worden, 28 % im Alter von 10-14 Jahren und jeweils unter 1 % unter 5 und über 15 Jahren (DNS/Gov Som 2020). UNICEF wiederum nennt ein Alter von 4-14 Jahren als üblich; die NGO IIDA gibt an, dass die Beschneidung üblicherweise vor dem achten Geburtstag erfolgt (CEDOCA 9.6.2016, S. 6). Eine Studie aus dem Jahr 2017 nennt für ganz Somalia die Gruppe der 10-14-Jährigen (STC 9.2017), dieses Alter erwähnt auch eine NGO (FGMCRI o.D.). Eine andere Quelle nennt ein Alter von 10-13 Jahren (AA 23.8.2024). Gemäß einer Quelle werden Mädchen, welche die Pubertät erreicht haben, nicht mehr einer FGM unterzogen, da dies gesundheitlich zu riskant ist. Hat ein Mädchen die Pubertät erreicht, fällt demnach auch der Druck durch die Verwandtschaft weg (DIS 1.2016, S. 11). Laut einer Quelle sind aus der Diaspora zum Zwecke von FGM nach Somalia geschickte Mädchen meist älter als allgemein üblich (Landinfo 14.9.2022).
In Puntland und Somaliland erfolgt die Beschneidung laut einer Studie aus dem Jahr 2011 meist im Alter von 10-14 Jahren (LIFOS 16.4.2019, S. 20). Eine Studie aus dem Jahr 2022 hingegen besagt für Puntland, dass Mädchen bis zum 13. Geburtstag der Praktik unterzogen sein müssen, wenn die Mutter Hänseleien entgehen will (UNFPA 4.2022). In einer Studie aus dem Jahr 2020 werden für Somaliland folgende Zahlen genannt: 57 % der Mädchen wurden im Alter von 5-9 Jahren beschnitten, 41 % zwischen 10 und 14 Jahren, 1 % noch danach (MoPNDSL 2021).
Eine Quelle erklärt, dass das Beschneidungsalter immer weiter sinkt (CARE 4.2.2022). Auch in der Studie aus dem Jahr 2020 ist dieser Trend zu erkennen [siehe Grafik unten]. Unter den 40-49-jährigen Frauen wurden 67 % im Alter von 5-9 Jahren beschnitten, bei der Gruppe der 15-19-jährigen sind es hingegen 73 % (DNS/Gov Som 2020). Auch in Somaliland ist das Alter im Zuge des Wechsels hin zur Sunna laut Angaben einer Quelle auf 5-8 Jahre gesunken (PC/Powell/Yussuf 1.2018, S. 22). In den Zahlen einer Studie aus dem Jahr 2020 ist ein derartiger Trend hingegen nicht ablesbar (MoPNDSL 2021).
[…]
Abolition: In der Diaspora nimmt die Praktik ab. Der Druck sinkt mit der Distanz zur Heimat und zur Familie (Landinfo 14.9.2022, S. 17). In manchen Gemeinden und Gemeinschaften z. B. in Borama, Garoowe oder Mogadischu, wo Aufklärung bezüglich FGM stattgefunden hat, stellen sich die Haushalte gemeinschaftlich gegen jegliche Art von FGM (ÖB Nairobi 10.2024; vgl. HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 65). Von jenen, die nicht von Aufklärungskampagnen betroffen waren, gab es nur eine kleine Minderheit aus gut gebildeten Menschen und Personen der Diaspora, die sich von allen Formen von FGM verabschiedet hat (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 65; vgl. Landinfo 14.9.2022). Eine Expertin erklärt, dass hinsichtlich FGM kein Zwang herrscht, dass allerdings eine Art Gruppendruck besteht (ACCORD 31.5.2021, S. 41). So kann es auch vorkommen, dass in der Diaspora lebende Mädchen „nach Hause“ oder in bestimmte europäische Städte geflogen werden, wo FGM vollzogen wird (GN 3.11.2022). Andererseits nimmt der Druck in der jüngeren Generation ab, manche junge Menschen sehen keinen Grund für die Stigmatisierung und Diskriminierung von Unbeschnittenen (MoHDSL/UNFPA 2021).
Eine andere Quelle erklärt, dass der Verzicht auf jegliche Form von FGM in Somalia eine radikale Entscheidung darstellt, die gegen grundlegende Normen verstößt. Damit sich Eltern aus eigener Initiative gegen eine Beschneidung ihrer Tochter wehren können, müssen sie über Kenntnisse und Einwände gegen die Praxis sowie über genügend Robustheit und Ressourcen verfügen, um die Einwände für Familie, Netzwerke und lokale Gemeinschaften zu fördern (Landinfo 14.9.2022). Jedenfalls gibt es trotz aller Widrigkeiten sowohl in urbanen als auch in ländlichen Gebieten Eltern, die ihre Töchter nicht verstümmeln lassen (DIS 1.2016, S. 9) und auch Frauen, die sich offen dazu bekennen. So berichtet etwa eine Studienteilnehmerin, dass sie als Kind sehr an ihrer Verstümmelung gelitten hat. Deswegen hat sie ihre Töchter nicht beschneiden lassen und drängt auch andere Eltern zu diesem Schritt. Einige wenige Teilnehmerinnen an der besagten Studie haben offen erklärt, ihre Töchter nicht anrühren zu wollen (MoHDSL/UNFPA 2021). Manche Mütter in Gemeinden, wo Aufklärung hinsichtlich der negativen Folgen einer Genitalverstümmelung stattgefunden hat, bekennen sich offen dazu, dass an ihren Töchtern eine solche nicht vorgenommen worden ist (ÖB Nairobi 10.2024).
Mehrere Studien zeigen, dass 2-4 von 100 Frauen nicht beschnitten sind (MoHDSL/UNFPA 2021; vgl. DNS/Gov Som 2020). Beschneiderinnen berichten von einem geringeren Einkommen, weil Eltern ihre Dienste nicht mehr in Anspruch nehmen (MoHDSL/UNFPA 2021).
Leben ohne Beschneidung: Laut Quellen der finnischen FFM im Jahr 2018 ist es gerade in Städten kein Problem mehr, sich einer Beschneidung zu widersetzen. Demnach steigt dort die Zahl unbeschnittener Mädchen (FIS 5.10.2018, S. 31). Nach anderen Angaben hängt die Akzeptanz unbeschnittener Frauen bzw. jener, die nicht einer Infibulation unterzogen wurden, maßgeblich von der Familie ab. Generell steht man ihnen in urbanen Gebieten eher offen gegenüber (LIFOS 16.4.2019, S. 23). Eine weitere Quelle erklärt, dass es in der Stadt kein Problem ist, zuzugeben, dass die eigene Tochter nicht beschnitten ist. Auf dem Land ist das demnach anders (CEDOCA 9.6.2016, S. 21). Nach älteren Angaben "bekennen" nur wenige Mütter, dass sie ihre Töchter nicht beschneiden haben lassen; und diese stammen v. a. aus Gemeinden, die zuvor Aufklärungskampagnen durchlaufen hatten (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 65).
Die in der Gemeinde zirkulierte Information, wonach eine Frau nicht infibuliert ist, wirkt sich auf das Ansehen und letztendlich auf die Heiratsmöglichkeiten der Frau und anderer Töchter der Familie aus (LIFOS 16.4.2019, S. 38f; vgl. Landinfo 14.9.2022, S. 11). Wird der unbeschnittene Status eines Mädchens bekannt, kann dies zu Hänseleien und zur Stigmatisierung führen (LIFOS 16.4.2019, S. 39). Kulturell gilt die Klitoris als "schmutzig" (Landinfo 14.9.2022, S. 10; UNFPA 4.2022). Folglich werden unbeschnittene Frauen mitunter als schmutzig oder un-somalisch (Landinfo 14.9.2022, S. 16), als abnormal und schamlos (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 82f) oder aber als un-islamisch bezeichnet. Sie werden u. a. in der Schule gehänselt und drangsaliert, sie und ihre Familie als Schande für die Gemeinschaft erachtet. Ein diesbezügliches Schimpfwort ist hier Buurya Qab (UNFPA 4.2022), ein Weiteres leitet sich vom Wort für Klitoris (Kintir) ab: Kinitrey. Allerdings gaben bei einer Studie in Somaliland nur 14 von 212 Frauen an, überhaupt eine (völlig) unbeschnittene Frau zu kennen (Landinfo 14.9.2022, S. 16). Die Sunna als Alternative zur Infibulation wird laut einer rezenten Studie aus Puntland jedoch akzeptiert (UNFPA 4.2022).
Eine andere Option ist es, dass eine Familie, die sich gegen FGM entschieden hat, versucht, die Tatsache geheim zu halten (FIS 5.10.2018, S. 30f). In größeren Städten ist es auch möglich, den unbeschnittenen Status ganz zu verbergen. Die Anonymität ist eher gegeben, die soziale Interaktion geringer; dies ist in Dörfern mitunter sehr schwierig (DIS 1.2016, S. 24/9; vgl. LIFOS 16.4.2019, S. 39). Es kommt zu keinen körperlichen Untersuchungen, um den Status hinsichtlich einer vollzogenen Verstümmelung bei einem Mädchen festzustellen (DIS 1.2016, S. 12f; vgl. ACCORD 31.5.2021, S. 41). Dies gilt auch für Rückkehrer aus dem Westen. In ländlichen Gebieten wird wahrscheinlich schneller herausgefunden, dass ein Mädchen nicht verstümmelt ist (DIS 1.2016, S. 12f). Menschen sprechen miteinander, sie könnten ein betroffenes Mädchen z. B. fragen, wo es denn beschnitten worden sei (ACCORD 31.5.2021, S. 41).
Nach anderen Angaben ist es nicht unüblich, dass eine Gemeinschaft darüber Bescheid weiß, welche Mädchen beschnitten sind und welche nicht. Grund dafür ist, dass gleichaltrige Mädchen einer Nachbarschaft oder eines Ortes oft gleichzeitig beschnitten werden (Landinfo 14.9.2022, S. 16). Gleichzeitig ist FGM auch unter den Mädchen selbst ein Thema. Es sprechen also nicht nur Mütter untereinander darüber, ob ihre Töchter bereits beschnitten wurden; auch Mädchen reden untereinander darüber (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 83).
Eine Mutter kann den Status ihrer Tochter verschleiern, indem sie vorgibt, dass diese einer Sunna unterzogen worden ist (DIS 1.2016, S. 12f). Eine Mutter berichtet in einer somaliländischen Studie, dass sie von den eigenen Töchtern zu einer Beschneidung gedrängt worden ist. Sie hat diese in eine medizinische Einrichtung gebracht, wo u. a. unter Verwendung von Fake-Anästhetika und Kunstblut ein Eingriff vorgegaukelt worden ist. Seither gelten die Töchter als beschnitten (MoHDSL/UNFPA 2021).
Süd-/Zentralsomalia, Puntland
Letzte Änderung 2024-12-03
Rechtliche Lage: In der Übergangsverfassung steht, dass eine Beschneidung von Mädchen eine grausame und erniedrigende Praktik ist, die der Folter gleichkommt und daher verboten ist (HRW 29.3.2024; vgl. USDOS 22.4.2024; AA 23.8.2024). Allerdings mangelt es an einer Definition von "Beschneidung" und es ist unklar, ob damit FGM gemeint ist (HRW 29.3.2024). Zudem wird kein Strafmaß genannt. Das Strafgesetz aus dem Jahr 1964 sieht zwar Strafen für die Verletzung einer Person vor, es sind aber keine Fälle bekannt, wo FGM/C dahingehend einer Strafverfolgung zugeführt worden wäre – selbst dann, wenn ein Mädchen an den Folgen der Verstümmelung verstorben ist (LIFOS 16.4.2019, S. 28f). Laut einer Quelle wurden im März 2024 im Bundesstaat Galmudug alle Formen von FGM verboten (Halqabsi 24.3.2024).
Insgesamt gibt es jedenfalls keine nationale Gesetzgebung, welche FGM ausdrücklich verbietet oder kriminalisiert (Landinfo 14.9.2022; vgl. TEA 17.12.2022; UNFPA 5.3.2021). Gesetzesvorschläge scheiterten wiederholt an der fehlenden Zustimmung des Parlaments (AA 23.8.2024). Denn es gibt zwei unterschiedliche Agenden: Die eine will jegliche Form von FGM/C ausrotten. Die andere richtet sich gegen die schweren Formen und ist für die Erhaltung der Sunna (PC/Powell/Yussuf 1.2018, S. 24).
Es gibt keine Strafverfolgung (MBZ 6.2023). Generell mangelt es den Behörden landesweit an Integrität und Kapazität, um eine für die Beschneidung eines Mädchens verantwortliche Person rechtlich zu verfolgen. Es gibt folglich auch keine Beispiele dafür, wo eine solche Person bestraft worden wäre (LIFOS 16.4.2019, S. 42).
Rechtliche Lage - Puntland: In Puntland hingegen wurde im Juni 2021 die sogenannte FGM Zero Tolerance Bill vom Präsidenten unterzeichnet und vom Ministerkabinett verabschiedet. Damit sind alle Formen von FGM verboten worden. Nicht nur Beschneiderinnen, sondern auch an einer FGM beteiligtes medizinisches Personal, Eltern und Helfershelfer werden mit dem Gesetz kriminalisiert (UNFPA 6.10.2021). Schon 2013 hatten religiöse Führer und Akademiker eine Fatwa veröffentlicht, wonach jede Form von FGM verboten ist (UNFPA 4.2022; vgl. LIFOS 16.4.2019, S. 29). Das neue Gesetz hatte bislang allerdings wenig praktische Änderungen zur Folge (AA 23.8.2024).
Al Shabaab hatte ursprünglich jede Form von FGM verboten. Mittlerweile gilt das Verbot für die Infibulation, während die Sunna akzeptiert wird (LIFOS 16.4.2019, S. 22/41f). Generell ist al Shabaab nicht willens, dieses Verbot auf dem von ihr kontrollierten Gebiet auch durchzusetzen. Die Gruppe unterstützt die Tradition nicht, geht aber auch nicht aktiv dagegen vor (DIS 1.2016, S. 8). So zeigt das Verbot auf dem Gebiet von al Shabaab kaum einen Effekt (Landinfo 14.9.2022, S.15).
Gesellschaft: Bei einer Studie aus dem Jahr 2020 gaben 76 % der Befragten an, dass es weiterhin Beschneidungen geben sollte. Allerdings wurde bei dieser Studie nicht nach spezifischen Typen gefragt. Im urbanen Raum sprechen sich 70 % der Frauen für eine Fortführung aus, bei den Nomaden sind es 83 %. Auch der finanzielle und der Bildungsstatus spielen eine Rolle: Nur 64 % der reicheren Frauen gaben an, dass FGM fortgeführt werden sollte, bei den Ärmsten waren es 81 %; bei jenen mit der meisten Bildung 44 %, bei jenen ohne Bildung 78 % (DNS/Gov Som 2020).
Prävalenz: Bei einer umfassenden Studie aus dem Jahr 2020 haben 99 % der befragten somalischen Frauen angegeben, einer Form von FGM/C unterzogen worden zu sein. Die Quote in den unterschiedlichen Altersgruppen sinkt nur langsam: Bei den 45-49-Jährigen liegt die Beschnittenenquote bei fast 99,8 %, bei den 15-19-Jährigen bei 98,8 % (DNS/Gov Som 2020).
Typen: Insgesamt haben 64 % der Frauen eine Infibulation erlitten, 12 % eine Zwischenform und 22 % wurden der Sunna unterzogen. Hier gibt es keine relevanten Unterschiede hinsichtlich des Lebensraumes (urban, ländlich, nomadisch). Bei jüngeren Frauen und Mädchen ist die Sunna verbreiteter. Bei der Gruppe der 15-19-Jährigen sind es 37 %, bei den 45-49-jährigen Frauen hingegen nur 9 %. Dafür erlitten in der Alterskohorte 45-49 82 % eine Infibulation. Frauen mit höherer Bildung haben eher eine Sunna (52 %), jene mit niedriger oder keiner Bildung eher eine Infibulation (70 %). Eine ähnliche Situation gilt für reich (51 % Infibulation) vs. arm (71 %) (DNS/Gov Som 2020).
Gleichzeitig gibt es in Süd-/Zentralsomalia auch Bevölkerungsgruppen oder Gemeinschaften, wo generell keine Infibulation durchgeführt wird. Dies betrifft etwa einige ländliche Gemeinden der Rahanweyn sowie einige Bantugruppen an der äthiopischen Grenze, aber auch die städtischen Gemeinschaften der Reer Xamar und Reer Baraawe. Dort gibt es zwar die Sunna, nicht aber die Infibulation. Jedenfalls sind solche Gruppen die Ausnahme und nicht die Regel (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 71f).
Prävalenz und Typen - Puntland: Bereits im Jahr 2011 erhobene Zahlen für Puntland zeigten eine rückläufige FGM-Rate. In der Altersgruppe 45-49 waren 2011 97,8 % der Frauen von irgendeiner Form von FGM betroffen, in jener von 15-19 Jahren waren es 97,3 %, in der Gruppe 10-14 waren es 82,3 % (CEDOCA 9.6.2016, S. 15). Die Infibulationsrate ist von 93,2 % im Jahr 2005 auf 86,7 % im Jahr 2011 zurückgegangen (CEDOCA 9.6.2016, S. 10; vgl. LIFOS 16.4.2019, S. 14). Dementgegen gaben bei einer puntländischen Studie im Jahr 2018 nur 65 % der befragten Frauen an, selbst beschnitten zu sein; nur ein Drittel gab an, dass die eigene Tochter beschnitten sei (LIFOS 16.4.2019, S. 20).
Maßnahmen: Internationale und lokale NGOs führen Sensibilisierungsprogramme durch (UNFPA 4.2022). Mit durch internationale Organisationen finanzierten Kampagnen wird landesweit gegen FGM angekämpft, auch einige Ministerien sind aktiv. UNFPA gibt an, dass 890 somalische Gemeinden zwischen 2014 und 2017 die Durchführung von FGM aufgegeben haben (LIFOS 16.4.2019, S. 31). UNFPA führt die Kampagne Dear Daughter, mit welcher Eltern – und v. a. Mütter – hinsichtlich der Folgen von FGM sensibilisiert werden. Während das Thema früher als Tabu erachtet wurde, sprechen Politiker und Persönlichkeiten sich heute öffentlich gegen FGM aus (TEA 17.12.2022).
Somaliland
Letzte Änderung 2025-01-16 14:11
Politik und Recht: Vom Guurti (House of Elders) sind Frauen ausgeschlossen; in der Regierung sind zwei von 24 Ministern weiblich. Die Somaliland Human Rights Commission hat eine Frau als Vorsitzende (USDOS 12.4.2022). Nach der Wahl vom Mai 2021 gab es im Unter- bzw. Repräsentantenhaus keine Abgeordnete (FH 2024a). Im Mai 2023 wurde als Nachfolgerin für einen verstorbenen Parlamentarier der UCID eine Frau angelobt (SD 14.5.2023; vgl. AA 23.8.2024). Nur drei von 220 Lokalräten landesweit sind weiblich (USDOS 12.4.2022).
Wie auch in Somalia finden sich in Somaliland aus der Scharia interpretierte Regeln des Zivil- und Strafrechts, die Frauen tendenziell benachteiligen (AA 23.8.2024). Nicht nur bei der Anwendung der Scharia, sondern auch hinsichtlich des traditionellen Rechts werden Frauen benachteiligt (FH 2024a). Gleichwohl gibt es politische Ansätze, die mittel- bis langfristig eine Annäherung des Status von Mann und Frau anstreben (AA 23.8.2024).
Wirtschaft und Arbeit: Siehe dazu Grundversorgung/Wirtschaft / Somaliland / Wirtschaft und Arbeit
Die Zahl an Alleinerzieherinnen ist in Somaliland gestiegen. Mitverantwortlich dafür ist die ebenfalls gestiegene Zahl an Scheidungen, die sich auch in einem Anstieg an Wiederverheirateten und Patchwork-Familien niederschlagen (FIS 5.10.2018, S. 27f).
Häusliche Gewalt bleibt weiterhin ein Problem (FH 2024a). Prinzipiell können sich Frauen in solchen Fällen zwar an Behörden wenden, in der Praxis gestaltet sich dies allerdings schwierig (FIS 5.10.2018, S. 33).
Vergewaltigungen: Gruppenvergewaltigungen stellen in urbanen Gebieten weiterhin ein Problem dar. Täter sind oftmals Jugendliche oder Studenten. Diese Vergewaltigungen geschehen meist in ärmeren Stadtteilen, bei Migranten, zurückgekehrten Flüchtlingen oder IDPs im städtischen Raum (USDOS 22.4.2024). Im Gegensatz zum Süden Somalias gibt es aus Somaliland so gut wie keine Berichte über Vergewaltigungen durch Uniformierte (FIS 5.10.2018, S. 32).
Aufgrund sozialen Drucks werden Vergewaltigungen nur selten angezeigt (FH 2024a). Zudem ist das Gesetz gegen Sexualdelikte nach Einwänden des Religionsministeriums durch den Präsidenten wieder außer Kraft gesetzt. Ein neues Gesetz bezüglich Vergewaltigung und Sexualverbrechen wurde eingebracht und passierte im August 2020 das Repräsentantenhaus. Dieses Gesetz bricht einige internationale Menschenrechtsstandards. Es gestattet u.a. Kinder- und Zwangsehe und schließt eine Vergewaltigung in der Ehe aus. Das Gesetz lag zuletzt beim Guurti (MBZ 6.2023; vgl. ÖB Nairobi 10.2024) und ist noch nicht in Kraft getreten (ÖB Nairobi 10.2024).
Nach anderen Angaben wurde hingegen 2018 das erste Mal in der Geschichte Vergewaltigung per Gesetz zum Verbrechen erklärt, mit Haftandrohung von 4-7 Jahren, bei Gewalt und Drohungen 15-20 Jahren, im Falle von Minderjährigen unter 15 oder von Gruppenvergewaltigungen mit 20-25 Jahren, im Falle von Verletzungen oder HIV-Übertragung lebenslänglich. Schlussendlich werden Vergewaltigungen auch zur Anzeige gebracht: Von Jänner bis August 2022 wurden in Somaliland fast 300 Vergewaltigungen zur Anzeige gebracht, 2020 sind es 161 gewesen (Halbeeg 1.9.2022). Nach anderen Angaben sind im Jahr 2022 bis November 266 Vergewaltigungen angezeigt worden, es gab 280 Beschuldigte. 240 davon wurden gefasst (SD 4.11.2022). Auch auf Betreiben von Frauenhäusern werden Vergewaltigungen nachgewiesen und zur Anzeige gebracht, Verhaftungen folgen (UNICEF 26.2.2024). Im Juni 2024 hat Präsident Bihi ein Dekret unterzeichnet, das die Verhandlung von Vergewaltigungsfällen durch Clanälteste verbietet. Alle derartigen Fälle müssen künftig der staatlichen Justiz zugeführt werden (HO 25.6.2024b).
Hilfe: Die NGO WAAPO - ein Partner mehrerer UN-Organisationen - führt Frauenhäuser in Hargeysa, Borama und Burco. Das Angebot richtet sich an Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt und von FGM und dient auch dem Kinderschutz. Die Einrichtungen bieten psychosoziale Beratung, medizinische Unterstützung, Rechtshilfe und Mediation (WAAPO o.D.a; vgl. UN OCHA 2022). Diese Dienste erfolgen kostenlos. Die Häuser arbeiten auch mit der Polizei zusammen. Den Frauen wird geholfen, nach Gewalttaten für Gerechtigkeit zu sorgen (UNICEF 26.2.2024). 2021 hat UNFPA gemeinsam mit dem somaliländischen Sozial- und Familienministerium eine 24-Stunden-Hotline eingerichtet, an welche sich Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt richten können. Bereits in den ersten Monaten konnte über hundert Opfern geholfen werden, u.a. durch Beratung und Vermittlung. Die Nummer der Hotline wird z. B. über das Radio verbreitet (UNFPA 28.10.2021).
Reinfibulation, Deinfibulation
Letzte Änderung 2024-12-04
Die Thematik der Reinfibulation (Wiederherstellung einer Infibulation, Wiederzunähen) betrifft jene Frauen und Mädchen, die bereits einer Infibulation unterzogen und später deinfibuliert wurden. Letzteres erfolgt z. B. im Rahmen einer Geburt, zur Erleichterung des Geschlechtsverkehrs (LIFOS 16.4.2019, S. 35/12; vgl. Landinfo 14.9.2022, S. 9/12) oder aber z. B. auf Wunsch der Familie, wenn bei der Menstruation Beschwerden auftreten (LIFOS 16.4.2019, S. 32; vgl. Landinfo 14.9.2022, S. 12). Es gibt zudem anekdotische Berichte, wonach eine neue Intervention durchgeführt wurde, weil die Familie eine umfassendere Intervention als die ursprüngliche gewünscht hat (Landinfo 14.9.2022; vgl. HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 74).
Eine Reinfibulation kommt v. a. dann vor, wenn Frauen - üblicherweise noch vor der ersten Eheschließung - eine bestehende Jungfräulichkeit vorgeben wollen (DIS 1.2016, S. 23). Obwohl es vor einer Ehe gar keine physische Untersuchung der Jungfräulichkeit gibt (LIFOS 16.4.2019, S. 40f), kann es bei jungen Mädchen, die z. B. Opfer einer Vergewaltigung wurden, zu Druck oder Zwang seitens der Eltern kommen, sich einer Reinfibulation zu unterziehen (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 73/76; vgl. CEDOCA 13.6.2016, S. 9). Vergewaltigungsopfer werden oft wieder zugenäht (HO 27.2.2019; vgl. Landinfo 14.9.2022, S. 12). Es gibt anekdotische Berichte über Fälle, in denen unverheiratete Mädchen oder junge Frauen aus der Diaspora nach Somalia geschickt wurden, um eine Reinfibulation durchzuführen (Landinfo 14.9.2022).
Eine Quelle gibt an, dass es Folgen - bis hin zur Scheidung - haben kann, wenn ein Ehemann in der Hochzeitsnacht feststellt, dass eine Deinfibulation bereits vorliegt. Eine Scheidung kann in diesem Fall zu einer indirekten Stigmatisierung infolge von "Gerede" führen. Generell können zur Frage der Reinfibulation von vor der Ehe deinfibulierten Mädchen und jungen Frauen nur hypothetische Angaben gemacht werden, da z. B. den von der schwedischen COI-Einheit LIFOS befragten Quellen derartige Fälle überhaupt nicht bekannt waren (LIFOS 16.4.2019, S. 40f).
Als weitere Gründe, warum sich Frauen für eine Reinfibulation im Sinne einer weitestmöglichen Verschließung entscheiden, werden in einer Studie aus dem Jahr 2015 folgende genannt: a) nach einer Geburt: Manche Frauen verlangen z. B. eine Reinfibulation, weil sie sich nach Jahren an ihren Zustand gewöhnt hatten und sich die geöffnete Narbe ungewohnt und unwohl anfühlt; b) manche geschiedene Frauen möchten als Jungfrauen erscheinen; c) Eltern von Vergewaltigungsopfern fragen danach; d) in manchen Bantu-Gemeinden in Süd-/Zentralsomalia möchten Frauen, deren Männer für längere Zeit von zu Hause weg sind, eine Reinfibulation als Zeichen der Treue (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 76; vgl. CEDOCA 9.6.2016, S. 11).
Gesellschaftlich verliert die Frage einer Deinfibulation oder Reinfibulation nach einer Eheschließung generell an Bedeutung, da die Vorgabe der Reinheit/Jungfräulichkeit irrelevant geworden ist (LIFOS 16.4.2019, S. 40). Für verheiratete oder geschiedene Frauen und für Witwen gibt es keinen Grund, eine Jungfräulichkeit vorzugeben (CEDOCA 13.6.2016, S. 6).
Wird eine Frau vor einer Geburt deinfibuliert, kann es vorkommen, dass nach der Geburt eine Reinfibulation stattfindet. Dies obliegt i.d.R. der Entscheidung der betroffenen Frau (LIFOS 16.4.2019, S. 40; vgl. CEDOCA 9.6.2016, S. 26). Die Gesellschaft hat kein Problem damit, wenn eine Deinfibulation nach einer Geburt bestehen bleibt, und es gibt üblicherweise keinen Druck, sich einer Reinfibulation zu unterziehen. Viele Frauen fragen aber offenbar von sich aus nach einer (manchmal nur teilweisen) Reinfibulation (CEDOCA 13.6.2016, S. 9f/26). Gemäß Angaben einer Quelle ist eine derartige - von der Frau verlangte - Reinfibulation in Somalia durchaus üblich. Manche Frauen unterziehen sich demnach mehrmals im Leben einer Reinfibulation (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 73/75f). Nach anderen Angaben kann ein derartiges Neu-Vernähen der Infibulation im ländlichen Raum vorkommen, ist in Städten aber eher unüblich (FIS 5.10.2018, S. 29). Die Verbreitung variiert offenbar auch geographisch: Bei Studien an somalischen Frauen in Kenia haben sich 35 von 57 Frauen einer Reinfibulation unterzogen. Gemäß einer anderen Studie entscheiden sich in Puntland 95 % der Frauen nach einer Geburt gegen eine Reinfibulation (CEDOCA 9.6.2016, S. 13f). Insgesamt gibt es zur Reinfibulation keine Studien, die Prävalenz ist unbekannt. Eine Wissenschaftlerin, die sich seit Jahren mit FGM in Somalia auseinandersetzt, sieht keine Grundlage dafür, dass nach einer Geburt oder Scheidung systematisch eine Reinfibulation durchgeführt wird – weder in der Vergangenheit noch in der heutigen Zeit. Im somalischen Kontext wird demnach eine Infibulation durchgeführt, um die Jungfräulichkeit vor der Ehe zu „beweisen“. Dementsprechend macht es keinen Sinn, eine verheiratete Frau nach der Geburt zu reinfibulieren (Landinfo 14.9.2022, S. 12f).
Freilich kann es vorkommen, dass eine Frau – wenn sie z. B. physisch nicht in der Lage ist, eine Entscheidung zu treffen – auch gegen ihren Willen einer Reinfibulation unterzogen wird; die Entscheidung treffen in diesem Fall weibliche Verwandte oder die Hebamme. Es kann auch nicht völlig ausgeschlossen werden, dass Frauen durch Druck von Familie, Freunden oder dem Ehemann zu einer Reinfibulation gedrängt werden. Insgesamt hängt das Risiko einer Reinfibulation also zwar vom Lebensumfeld und der körperlichen Verfassung der Frau nach der Geburt ab, aber generell liegt die Entscheidung darüber bei ihr selbst. Sie kann sich nach der Geburt gegen eine Reinfibulation entscheiden. Es kommt in diesem Zusammenhang weder zu Zwang noch zu Gewalt. Keine der zahlreichen, von der schwedischen COI-Einheit LIFOS dazu befragten Quellen hat jemals davon gehört, dass eine deinfibulierte Rückkehrerin nach Somalia dort zwangsweise reinfibuliert worden wäre (LIFOS 16.4.2019, S. 41).
2. Beweiswürdigung:
2.1. Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zur Identität der Beschwerdeführerin getroffen wurden, beruhen diese auf ihren Angaben im Verfahren vor der belangten Behörde und dem Bundesverwaltungsgericht. Ihr Geburtsdatum basiert auf dem Gutachten zur Altersfeststellung. Die übrigen Feststellungen zu ihrer Person und ihrer Familie stützen sich auf ihre Aussagen im Verfahren.
Dass bei ihr FGM durchgeführt wurde und eine Defibulation geplant ist, geht überdies aus einem ärztlichen Bericht bzw. klinischen Unterlagen hervor.
Die Feststellungen zu ihrer Einreise und ihrem Aufenthalt in Österreich ergeben sich unstrittig aus dem Zeitpunkt ihrer Asylantragstellung.
Anhand eines aktuellen Auszugs aus dem Strafregister war festzustellen, dass die Beschwerdeführerin in Österreich strafgerichtlich unbescholten ist.
2.2. Die Feststellungen zum Fluchtvorbringen der Beschwerdeführerin stützen sich auf die von ihr im Verfahren, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, getätigten glaubhaften Angaben sowie dem in der mündlichen Verhandlung gewonnenen persönlichen Eindruck der erkennenden Richterin.
Die Schilderungen der Beschwerdeführerin zu ihren Lebensumständen in Somalia waren durchwegs nachvollziehbar, in sich schlüssig und stringent. Ebenso erscheinen die Umstände rund um die geschilderten Begebenheiten, auch in Bezug auf ihre Familienangehörigen, vor dem Hintergrund der Berichtslage zur Lage von Frauen in Somalia durchaus plausibel.
Die Feststellung, dass die Beschwerdeführerin in Somalia über kein soziales oder familiäres Netzwerk verfügt, auf welches sie bei einer Rückkehr in ihrem Heimatort zurückgreifen könnte und welches in der Lage wäre, sie wirtschaftlich zu unterstützen oder bei sich aufzunehmen, folgt aus ihren glaubhaften Aussagen zu ihren Familienangehörigen. Dies wurde auch vom Bundesamt nicht in Zweifel gezogen. Insofern braucht auch nicht auf die vom Bundesamt angeführten Unstimmigkeiten in ihrem Fluchtvorbringen eingegangen werden. Die Feststellung zum mangelnden Schutz erging darüber hinaus auf Grundlage der Länderberichte.
Im Übrigen ist die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative im vorliegenden Fall ausgeschlossen, wie auch die Behörde dargelegt hat. Bei einer Rückkehr nach Somalia müsste die Beschwerdeführerin, die keine Schulbildung hat und keinen Beruf erlernt hat, zumindest vorläufig in einem IDP-Lager unterkommen, wo sie als alleinstehende Frau mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt wäre. Dies ergibt sich aus den vorliegenden Länderberichten, wonach diese Form von Gewalt „speziell für IDPs“ ein großes Problem darstellt.
2.3. Die fallbezogenen Feststellungen zur Lage in Somalia stützen sich auf das vom Bundesverwaltungsgericht im Rahmen der Verhandlung ins Verfahren eingeführte Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 16.01.2025, Version 7. Die Länderfeststellungen gründen sich auf Berichte verschiedener anerkannter und teilweise vor Ort agierender staatlicher und nichtstaatlicher Institutionen und Personen, die in ihren Aussagen ein übereinstimmendes und schlüssiges Gesamtbild der Situation in Somalia ergeben. Angesichts der Seriosität der angeführten Erkenntnisquellen und der Plausibilität der überwiegend übereinstimmenden Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Ausführungen zu zweifeln. Eine fallrelevante Änderung, welche zu einer anderen Beurteilung führen könnte, ist auch nicht durch das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 07.08.2025, Version 8, eingetreten, wie sich das Gericht durch Einschau vergewissert hat.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchteil A)
3.1. Zur Zuerkennung des Status der Asylberechtigten:
3.1.1 Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatssicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, idF des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974 (Genfer Flüchtlingskonvention – GFK), droht.
Als Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
3.1.2 Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes ist nach ständiger Rechtsprechung des VwGH die „wohlbegründete Furcht vor Verfolgung“ (vgl. VwGH 22.12.1999, Zl. 99/01/0334; 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011). Eine solche liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 21.09.2000, Zl. 2000/20/0286).
Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen (VwGH 24.11.1999, Zl. 99/01/0280). Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 19.12.1995, Zl. 94/20/0858; 23.09.1998, Zl. 98/01/0224; 09.03.1999, Zl. 98/01/0318; 09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 06.10.1999, Zl. 99/01/0279 mwN; 19.10.2000, Zl. 98/20/0233; 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011).
Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen muss (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0318; 19.10.2000, Zl. 98/20/0233). Bereits gesetzte vergangene Verfolgungshandlungen können im Beweisverfahren ein wesentliches Indiz für eine bestehende Verfolgungsgefahr darstellen, wobei hierfür dem Wesen nach eine Prognose zu erstellen ist (VwGH 05.11.1992, Zl. 92/01/0792; 09.03.1999, Zl. 98/01/0318). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der GFK genannten Gründen haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 nennt, und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatstaates bzw. des Staates ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein, wobei Zurechenbarkeit nicht nur ein Verursachen bedeutet, sondern eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr bezeichnet (VwGH 16.06.1994, Zl. 94/19/0183).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 28.03.1995, 95/19/0041; 27.06.1995, 94/20/0836; 23.07.1999, 99/20/0208; 21.09.2000, 99/20/0373; 26.02.2002, 99/20/0509 m.w.N.; 12.09.2002, 99/20/0505; 17.09.2003, 2001/20/0177) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - asylrelevant wären. Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 m.w.N.).
Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Es ist erforderlich, dass der Schutz generell infolge Fehlens einer nicht funktionierenden Staatsgewalt nicht gewährleistet wird (vgl. VwGH 01.06.1994, Zl. 94/18/0263; 01.02.1995, Zl. 94/18/0731). Die mangelnde Schutzfähigkeit hat jedoch nicht zur Voraussetzung, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht – diesfalls wäre fraglich, ob von der Existenz eines Staates gesprochen werden kann –, die ihren Bürgern Schutz bietet. Es kommt vielmehr darauf an, ob in dem relevanten Bereich des Schutzes der Staatsangehörigen vor Übergriffen durch Dritte aus den in der GFK genannten Gründen eine ausreichende Machtausübung durch den Staat möglich ist. Mithin kann eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH 22.03.2000, Zl. 99/01/0256).
Verfolgungsgefahr kann nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Einzelverfolgungsmaßnahmen abgeleitet werden, vielmehr kann sie auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 22.10.2002, Zl. 2000/01/0322).
Die Voraussetzungen der GFK sind nur bei jenem Flüchtling gegeben, der im gesamten Staatsgebiet seines Heimatlandes keinen ausreichenden Schutz vor der konkreten Verfolgung findet (VwGH 08.10.1980, VwSlg. 10.255 A). Steht dem Asylwerber die Einreise in Landesteile seines Heimatstaates offen, in denen er frei von Furcht leben kann, und ist ihm dies zumutbar, so bedarf er des asylrechtlichen Schutzes nicht; in diesem Fall liegt eine sog. „inländische Fluchtalternative“ vor. Der Begriff „inländische Fluchtalternative“ trägt dem Umstand Rechnung, dass sich die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung iSd. Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK, wenn sie die Flüchtlingseigenschaft begründen soll, auf das gesamte Staatsgebiet des Heimatstaates des Asylwerbers beziehen muss (VwGH 08.09.1999, Zl. 98/01/0503 und Zl. 98/01/0648).
3.1.3 Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die Beschwerdeführerin eine ihr in ihrem Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus den in der GFK genannten Gründen landesweit drohende Verfolgung glaubhaft gemacht hat:
Im Hinblick auf die derzeit vorliegenden herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen zur aktuellen Lage von Frauen in Somalia haben sich zwar keine ausreichenden Anhaltspunkte dahingehend ergeben, dass alle somalischen Frauen gleichermaßen bloß auf Grund ihres gemeinsamen Merkmals der Geschlechtszugehörigkeit und ohne Hinzutreten weiterer konkreter und individueller Eigenschaften im Fall ihrer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Gefahr laufen, im gesamten Staatsgebiet Somalias einer systematischen asylrelevanten (Gruppen-)Verfolgung ausgesetzt zu sein. Die Intensität von solchen Einschränkungen und Diskriminierungen könnte allerdings bei Hinzutreten weiterer maßgeblicher individueller Umstände, etwa der Zugehörigkeit zu einem niederen Clan oder bei Fehlen eines sozialen oder familiären Netzwerkes, Asylrelevanz erreichen.
Dies ist gegenständlich der Fall. Im konkreten Fall kann mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Gefahr geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt zu sein nicht ausgeschlossen werden. Wie bereits festgehalten gehen die aktuellen Länderinformationen bei alleinstehenden somalischen Frauen ohne „männlichen Schutz“ im Allgemeinen von einer besonderen Vulnerabilität dahingehend aus, dass diese einem besonders hohen Risiko unterliegen, in einem IDP-Lager Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt zu werden. Die Beschwerdeführerin, die in Somalia über kein ausreichendes soziales oder familiäres Netzwerk verfügt, das in der Lage wäre, sie wirtschaftlich zu unterstützen oder bei sich aufzunehmen, müsste im Fall einer Rückkehr zumindest anfänglich in einem solchen IDP-Lager unterkommen. Insofern ist, wie schon in der Beweiswürdigung festgehalten, auch keine innerstaatliche Relokationsmöglichkeit für die Beschwerdeführerin gegeben.
Dass der Beschwerdeführerin keine innerstaatliche Fluchtalternative in anderen Landesteilen Somalias zur Verfügung steht, folgt zudem zwingend bereits aus dem ihr gewährten subsidiären Schutz. § 11 AsylG 2005 erlaubt die Annahme einer inländischen Fluchtalternative nur, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht gegeben sind (vgl. etwa VwGH 23.11.2016, Ra 2016/18/0054; VwGH 12.03.2021, Ra 2020/19/0315).
Da darüber hinaus keine von der Beschwerdeführerin verwirklichte Asylausschluss- oder -endigungsgründe festzustellen waren, ist der Beschwerde stattzugeben, dieser der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen und gemäß § 3 Abs. 5 AsylG auszusprechen, dass der Beschwerdeführerin somit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
Gemäß § 3 Abs. 4 iVm § 75 Abs. 24 AsylG 2005 kommt einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, eine befristete Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigter zu, wenn er einen Antrag auf internationalen Schutz nicht vor dem 15.11.2015 gestellt hat. Die Aufenthaltsberechtigung gilt drei Jahre und verlängert sich um eine unbefristete Gültigkeitsdauer, sofern die Voraussetzungen für eine Einleitung eines Verfahrens zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten nicht vorliegen oder das Aberkennungsverfahren eingestellt wird. Der gegenständliche Antrag auf internationalen Schutz wurde am 29.09.2023 gestellt; der Beschwerdeführerin, der der Status der Asylberechtigten zuerkannt wurde, kommt daher eine auf drei Jahre befristete Aufenthaltsberechtigung zu.
Zu Spruchteil B)
3.2. Unzulässigkeit der Revision:
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab (vgl. dazu die zu Spruchpunkt A zitierte Rechtsprechung), noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Die in Bezug auf einen Antrag auf internationalen Schutz vom Bundesverwaltungsgericht im Einzelfall vorzunehmende Beweiswürdigung ist – soweit diese nicht unvertretbar ist – nicht revisibel (z.B. VwGH 19.04.2016, Ra 2015/01/0002, mwN).
Rückverweise