JudikaturBVwG

W260 2298952-1 – Bundesverwaltungsgericht Entscheidung

Entscheidung
24. September 2025

Spruch

W260 2298952-1/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Markus BELFIN als Vorsitzender und die fachkundigen Laienrichter Michael HEINDL und Alexander WIRTH als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Arbeitsmarktservice Wien Schönbrunner Straße vom 11.06.2024, nach Beschwerdevorentscheidung vom 24.07.2024 WF: 2024-0566-9-022503, wegen Verlust des Anspruches auf Notstandshilfe gemäß §§ 10 iVm 38 Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977 (AlVG), in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. XXXX (im Folgenden: BF) stand seit 2006 mit Unterbrechungen im Bezug von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung und war ab dem Jahr 2007 regelmäßig im Bezug von Notstandshilfe. In der Vergangenheit wurde gegen den BF wiederholt eine Sperre gemäß § 10 AIVG verhängt, zuletzt im Jahr 2023.

2. Am 02.04.2024 wurde dem BF im Rahmen einer Betreuungsvereinbarung durch das AMS Wien Schönbrunner Straße, ein Vermittlungsvorschlag für eine zumutbare Stelle bei der Firma XXXX GmbH in XXXX übermittelt. Der Vorschlag wurde dem BF gemeinsam mit vier weiteren Stellenangeboten per E-Mail zugestellt.

3. Die Vermittlung betraf die Position eines Kommissionierers, eine Tätigkeit, die den Qualifikationen und der bisherigen Berufserfahrung des BF entsprach. Die Arbeitsstelle war vollzeitnah, kollektivvertraglich entlohnt, und die übrigen Zumutbarkeitskriterien gemäß § 9 AIVG (Wegzeit, gesundheitliche Eignung, Entlohnung, Betreuungspflichten etc.) waren nach Einschätzung des AMS erfüllt.

4. Der BF gab in einer Niederschrift vom 27.05.2024 an, dass er sich bereits am 02.04.2024 per E-Mail bei der Firma XXXX beworben habe. Ein Nachweis dieser Bewerbung konnte trotz wiederholter Aufforderung von ihm nicht vorgelegt werden.

5. Das AMS stellte fest, dass der BF erst am 29.05.2024 per E-Mail-Kontakt mit der Firma XXXX aufgenommen hatte. Eine Rückmeldung des Unternehmens an das AMS vom 05.07.2024 bestätigte, dass vor dem 29.05.2024 keine Bewerbung des BF vorlag.

6. Das AMS Wien erließ daraufhin am 11.06.2024 einen Bescheid, mit dem es den Anspruch des BF auf Notstandshilfe gemäß § 10 iVm § 38 AIVG für die Dauer von 56 Tagen ab 06.05.2024 aberkannte.

7. Gegen diesen Bescheid erhob der BF mit Eingabe vom 17.06.2024 fristgerecht Beschwerde. Er brachte vor, dass er sich rechtzeitig per E-Mail beworben habe, die Bewerbung jedoch versehentlich gelöscht worden sei, bzw. von der Firma XXXX nicht mehr auffindbar sei.

8. Mit Beschwerdevorentscheidung vom 24.07.2024 wurde die Beschwerde durch das AMS abgewiesen. Der BF stellte am 28.07.2024 fristgerecht einen Vorlageantrag gemäß § 14 Abs. 2 VwGVG.

9. Im Vorlageantrag verwies der BF erneut auf seine behauptete Bewerbung vom 02.04.2024, Nachweise wurden nicht vorgelegt.

10. Das AMS übermittelte daraufhin dem Bundesverwaltungsgericht den Verwaltungsakt zur Entscheidung.

11. Im Rahmen des Parteiengehörs wurde dem BF das Vorlageschreiben der belangten Behörde zur etwaigen Stellungnahme übermittelt, eine solche langte nicht ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1 Der BF befindet sich mit Unterbrechungen seit dem Jahr 2006 im Bezug von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung und bezog seit dem 16.07.2007 wiederholt Notstandshilfe.

1.2 Am 02.04.2024 übermittelte das AMS Wien Schönbrunner Straße dem BF im Rahmen einer Betreuungsvereinbarung fünf Stellenangebote per E-Mail, darunter ein Angebot der Firma XXXX GmbH für die Stelle eines Kommissionierers in XXXX . Die Stelle war kollektivvertraglich entlohnt (EUR 13,09 brutto/Stunde), entsprach den beruflichen Kenntnissen und Fähigkeiten des BF (u.a. Lagererfahrung).

1.3 Der BF behauptete, sich unmittelbar nach Erhalt des Vermittlungsvorschlags beworben zu haben, konnte jedoch auf Nachfrage keinen Bewerbungsnachweis erbringen.

1.4 Laut Aktenlage (EDV-Vermerke des AMS und Korrespondenz mit XXXX ) bewarb sich der BF nicht innerhalb der gesetzten Frist, sondern erst mit E-Mail vom 29.05.2024.

Die Firma XXXX teilte dem AMS mit, dass bis dahin keine Bewerbung des BF eingelangt sei. Auch die spätere E-Mail ist als neue Bewerbung zu werten, nicht als Nachfrage zur Bewerbung vom 02.04.2024.

1.5 Die Stelle war laut Angaben der Firma XXXX bereits mit 07.05.2024 besetzt, sodass eine spätere Bewerbung nicht mehr relevant war.

1.6 Der BF wurde vom AMS mehrmals zur Übermittlung eines Bewerbungsnachweises aufgefordert, konnte diesen jedoch nicht erbringen. Er begründete dies damit, dass er die Bewerbung gelöscht habe, oder sie eventuell vom Dienstgeber versehentlich ignoriert worden sei.

1.7 In einer Stellungnahme vom 16.07.2024 äußerte der BF, dass Missverständnisse vorkommen könnten und er es bedaure, dass seine ursprüngliche Bewerbung nicht mehr rekonstruierbar sei. Seine Beraterin beim AMS hätte ihm geraten, sich nochmals zu bewerben, was er am 29.05.2024 getan habe.

1.8 Die Firma XXXX bestätigte in einem E-Mail vom 05.07.2024, dass vor dem 29.05.2024 keine Bewerbung unter der Mailadresse des BF eingelangt sei. Eine Absage sei aufgrund der verspäteten Bewerbung nicht mehr erfolgt.

1.9 Es liegt keine dokumentierte Reaktion oder Nachfrage des BF zwischen dem 02.04.2024 und dem 29.05.2024 vor. Erst durch die Aufforderung des AMS zur Vorlage eines Nachweises reagierte der BF erneut gegenüber dem Dienstgeber.

1.9 Der BF befand sich bereits mehrfach im Sanktionsverfahren nach § 10 AIVG. Die gegenständliche Sperre ist seine vierte in Folge.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Beweis wurde erhoben durch Einsichtnahme in den Verwaltungsakt der belangten Behörde, insbesondere in folgende Urkunden und Schriftstücke:

Der schriftlichen Betreuungsvereinbarung und E-Mail-Versendung vom 02.04.2024,

den EDV-gestützten Vermerken und dem Leistungsakt des AMS,

der Niederschrift vom 27.05.2024,

der E-Mail des BF vom 29.05.2024 an die Firma XXXX ,

der Rückmeldung der Firma XXXX vom 05.07.2024,

der E-Mail-Korrespondenz zwischen dem BF und dem AMS,

sowie den eigenen Angaben des BF im Rahmen des behördlichen Ermittlungsverfahrens.

2.2 Die Angaben des BF, er habe sich ordnungsgemäß und fristgerecht beworben, waren mangels objektivierbarer Beweise nicht glaubwürdig.

Das Verhalten des BF war zudem inkonsistent: Statt einen Nachweis einzufordern, tätigte er verspätet eine neue Bewerbung.

2.3 Die Behauptung, die E-Mail sei versehentlich gelöscht worden, oder von der Firma übersehen worden, erscheint als Schutzbehauptung. Es liegt im Verantwortungsbereich des Arbeitslosen, seine Bewerbungspflichten ernst zu nehmen und nachvollziehbar zu dokumentieren und wird auf die rechtliche Beurteilung verwiesen. Es ist nicht Aufgabe des AMS oder des potenziellen Dienstgebers, nicht belegbare Behauptungen zu verifizieren. Die einzige belegbare Bewerbung datiert vom 29.05.2024 und erfolgte außerhalb des zumutbaren Zeitraums. Der Einwand, sich tatsächlich am 02.04.2024 beworben zu haben, wurde mehrfach wiederholt, blieb jedoch stets unsubstantiiert.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1 Nach § 10 Abs. 1 Z 1 AIVG verliert eine arbeitslose Person den Anspruch auf Leistungen, wenn sie eine zumutbare Beschäftigung nicht annimmt oder deren Zustandekommen vereitelt. Die Mindestdauer der Sperre beträgt sechs Wochen, bei wiederholten Pflichtverletzungen erhöht sich der Ausschlusszeitraum um jeweils zwei Wochen (§ 10 Abs. 1 letzter Satz AIVG).

3.2 Im konkreten Fall war die angebotene Beschäftigung objektiv zumutbar (§ 9 AIVG) und entsprach den Fähigkeiten und der Berufserfahrung des BF. Das Verhalten des BF, sich nicht fristgerecht und nachweislich zu bewerben, obwohl er sich der arbeitsmarktpolitischen Konsequenzen bewusst war, ist als Vereitelung im Sinne des § 10 Abs. 1 Z 1 AIVG zu qualifizieren.

3.3 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (zB VwGH 25.06.2013, 2011/08/0187; VwGH 19.10.2011, 2008/08/0251) ist eine Vereitelung bereits dann gegeben, wenn das Verhalten der arbeitslosen Person geeignet war, das Zustandekommen eines Beschäftigungsverhältnisses zu verhindern. Auf ein Verschulden oder eine bestimmte innere Haltung des Arbeitslosen kommt es dabei nicht an. Das Verhalten des BF war objektiv geeignet, das Zustandekommen des Arbeitsverhältnisses zu verhindern. Es genügt somit bereits die objektive Wirkung des Verhaltens – unabhängig von der subjektiven Intention.

3.4 Diese Auslegung entspricht auch der Kommentarliteratur: Nach Mosler in Mosler/Resch/Weber, AlVG³, § 10 Rz 10, ist entscheidend, ob die arbeitslose Person durch ihr Verhalten „das Zustandekommen des Beschäftigungsverhältnisses tatsächlich verhindert“ hat; ein subjektives Verschulden sei „nicht erforderlich“. Ebenso führt Weber aaO § 10 Rz 19 aus: „Eine Pflichtverletzung liegt bereits dann vor, wenn objektiv eine Verletzung der Melde- oder Bewerbungspflicht vorliegt; das Verschulden ist dabei unbeachtlich.“

3.5 Die Anwendung dieser Regelung auf die Notstandshilfe ergibt sich aus § 38 AIVG, der vorsieht, dass – soweit im dritten Abschnitt des Gesetzes nichts anderes bestimmt ist – die Bestimmungen des ersten Abschnittes sinngemäß auch auf die Notstandshilfe Anwendung finden.

Damit gelten insbesondere auch die Vorschriften über Arbeitswilligkeit (§§ 9–11) und Sanktionen (§ 10) sinngemäß für Notstandshilfebezieher. Der Kommentar hält dazu fest: „§ 38 beantwortet [die Frage nach der Anwendbarkeit] in einer sehr grundsätzlichen Weise und erklärt alle Bestimmungen, die für das AlG gelten, sinngemäß auch für die NH maßgebend, sofern keine Sonderregelungen getroffen sind.“ (Mosler/Resch/Weber, AlVG³, § 38 Rz 2).

In der Kommentarliteratur (vgl. Sdoutz/Zechner, Arbeitslosenversicherungsgesetz, 18 Lfg (Juni 2021) S. 34 Rn 273) werden die Entscheidungen des BVwG vom 3.10.2018, W266 2193540-1; W266 2204408-1 als Beispiel angeführt, dass es in genannten Entscheidungen bereits vor Versenden der Bewerbung bzw. beim Versenden der Bewerbung Probleme mit der EDV gegeben hätte und daher ein höherer Sorgfaltsmaßstab gelten müsse und es am Arbeitslosen liege, sich hinsichtlich der Zustellung seiner E-Mail an den potenziellen Arbeitgeber zu versichern.

Hierzu könne er um eine entsprechende Antwort auf seine E-Mail im Sinne einer persönlichen Empfangsbestätigung ersuchen oder auch eine telefonische Rücksprache mit dem potenziellen Arbeitgeber halten.

Hierbei ist vor allem die Rechtsprechung des VwGH vom 23.11.2009 hervorzuheben, wonach der Absender die Gefahr für den Verlust eines Anbringens, daher auch einer E-Mail trägt.

3.6 Demnach ist auch § 10 AIVG in der vorliegenden Konstellation auf den Bezug der Notstandshilfe uneingeschränkt anwendbar, da keine abweichende Sonderregelung besteht. Die Argumentation des AMS stützt sich somit auf eine gesetzlich vorgesehene und durch die herrschende Kommentarliteratur und Rechtsprechung gedeckte Interpretation.

3.7 Die Tatsache, dass es sich um die vierte Sanktion handelt, begründet den Acht-Wochen-Zeitraum der Anspruchsverwirkung. Auch eine Nachsicht gemäß § 10 Abs. 3 AIVG war nicht zu gewähren, da der BF keine andere Beschäftigung aufnahm und keine relevanten berücksichtigungswürdigen Gründe vorgebracht wurden.

Die Entscheidung des AMS war nicht zu beanstanden und entspricht der geltenden Rechtslage.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

3.8. Zum Entfall der mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Im gegenständlichen Fall ergibt sich der entscheidungserhebliche Sachverhalt zweifelsfrei aufgrund der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde.

Das Vorbringen in der Beschwerde und im Vorlageantrag beinhaltet kein substantiiertes Tatsachenvorbringen, welches zu einem anderen Verfahrensausgang führen könnte, es hat sich aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes keine Notwendigkeit ergeben, den Sachverhalt mit dem Beschwerdeführer oder der belangten Behörde näher zu erörtern.

Bei Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung handelt es sich zwar um „civil rights” iSd Art. 6 EMRK (vgl. VwGH vom 24.11.2016, Ra 2016/08/0142, mwN). Im vorliegenden Fall liegen jedoch keine (entscheidungserheblichen) widersprechenden prozessrelevanten Behauptungen vor, die es erforderlich machen würden, dass sich das Gericht im Rahmen einer mündlichen Verhandlung einen persönlichen Eindruck von der Glaubwürdigkeit von Zeugen bzw. Parteien verschafft (vgl. zu den Fällen, in denen von Amts wegen eine mündliche Verhandlung durchzuführen ist, etwa VwGH vom 07.08.2017, Ra 2016/08/0171). Im Ergebnis stehen dem Entfall der Verhandlung daher – trotz ihrer Beantragung – weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 GRC entgegen (vgl. VwGH vom 07.08.2017, Ra 2016/08/0140).

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde bzw. Vorlageantrag vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Wie unter Punkt II.3. dargelegt, ergeht die Entscheidung in Anlehnung an die dort zitierte ständige einheitliche Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu §§ 17 ZustellG.