Spruch
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. SCHERZ als Vorsitzende und durch die Richterin Mag. TAURER sowie den fachkundigen Laienrichter Mag. HALBAUER als Beisitzende über die Beschwerde von XXXX , vertreten durch Kriegsopfer- und Behindertenverband für Wien, Niederösterreich und Burgenland, gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien (SMS), vom 15.10.2024, nach Beschwerdevorentscheidung vom 07.02.2025, OB: 71672709700113, betreffend die Abweisung der beantragten Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“, zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird gemäß §§ 42 und 47 des Bundesbehindertengesetzes (BBG) iVm § 1 der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen idgF als unbegründet abgewiesen und die Beschwerdevorentscheidung bestätigt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
Beim Beschwerdeführer besteht seit 21.03.2022 ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 vom Hundert (vH).
Im Vorverfahren wurde – auf der Grundlage des neurologischen Sachverständigengutachtens vom 12.10.2022 – die Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel“ in den Behindertenpass des Beschwerdeführers eingetragen. Im Gutachten wurde eine Nachuntersuchung für 05/2024 zur Re-Evaluierung des (einzigen) Leidens „Spastische Paraparese – DD hereditäre spastische Paraparese“ bestimmt.
Sowohl der Behindertenpass als auch der Parkausweis wurden befristet ausgestellt.
Aufgrund des gegenständlichen Antrages des Beschwerdeführers auf Verlängerung des befristet ausgestellten Behindertenpasses mit allen Zusatzeintragungen und des Parkausweises, der am 16.04.2024 beim Sozialministeriumservice (im Folgenden: SMS, belangte Behörde) vor Ablauf der Befristung einlangte, und des mit Schreiben vom 25.06.2024 nachgereichten Befundes einer neurologischen Spezialambulanz holte das SMS ein Sachverständigengutachten einer Neurologin vom 08.08.2024, basierend auf einer Untersuchung am selben Tag, ein.
In diesem Gutachten wurden erneut ein Gesamtgrad der Behinderung von 50 vH und folgende Funktionseinschränkung festgestellt:
Betreffend die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel hielt die Gutachterin fest, die Grunderkrankung führe zwar zu einer Einschränkung der Gehstrecke, das objektivierbare Ausmaß des Defizits könne jedoch eine maßgebliche Erschwernis der Erreichbarkeit öffentlicher Verkehrsmittel nicht ausreichend begründen. Kurze Wegstrecken von etwa 300 bis 400 m könnten aus eigener Kraft, ohne fremde Hilfe und ohne maßgebende Unterbrechung, allenfalls unter Verwendung der funktionellen Elektrostimulation zurückgelegt werden. Hilfsmittel wie die vorhandene „Funktionelle Elektrostimulation bds“ würden vom Beschwerdeführer zur Begutachtung nicht mitgeführt werden. Diese Hilfsmittel, aber auch eine Peroneusschiene oder orthopädische Schuhe seien ihm zum Zurücklegen von Wegstrecken zumutbar. Anamnestisch habe durch kürzlich stattgefundene rehabilitative Maßnahmen die Gangsicherheit verbessert werden können. Die Geh-, Steh- und Steigfähigkeit des Beschwerdeführers seien ausreichend. Niveauunterschiede könnten überwunden werden, da die Beugefunktion im Bereich der Hüft-, Knie- und Sprunggelenke ausreichend sei und das sichere Ein- und Aussteigen gewährleistet sei. Bei genügender Funktionsfähigkeit der oberen Extremitäten sei das Festhalten beim Ein- und Aussteigen sowie die Möglichkeit Haltegriffe zu erreichen und sich anzuhalten, genügend, der Transport in öffentlichen Verkehrsmitteln sei daher gesichert durchführbar. Die Zusatzeintragung „Parkausweis“ sei gutachterlicherseits nicht begründbar. Ein Immundefekt, im Rahmen dessen trotz Therapie erhöhte Infektanfälligkeit und wiederholt außergewöhnliche Infekte wie atypische Pneumonien auftreten, liege nicht vor.
Im Rahmen des gewährten Parteiengehörs gab der Beschwerdeführer durch seine Vertretung eine Stellungnahme zum Gutachten ab. Der Beschwerdeführer sei nicht in der Lage eine Wegstrecke von 300 bis 400 m zurückzulegen, aufgrund der Vorfußheberschwäche sei ihm das Überwinden von Niveauunterschieden, vor allem auch das Einsteigen in öffentliche Verkehrsmittel, nicht möglich. Vorgelegt wurden weitere medizinische Unterlagen, und zwar ein molekulargenetischer Befund vom 12.08.2024 und ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten vom 25.09.2024.
In ihrer Stellungnahme vom 14.10.2024 führte die Neurologin dazu zusammengefasst aus, sie halte an der getroffenen Beurteilung fest. Sie wies insbesondere darauf hin, dass das Mitführen eines einfachen Hilfsmittels wie eines Gehstockes zumutbar sei, um das fachärztlich berichtete Sturzrisiko hintanzuhalten.
Mit Bescheid des SMS vom 15.10.2024 wurde der Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass abgewiesen. Begründend wurde auf das eingeholte Gutachten der Neurologin samt Stellungnahme verwiesen.
Im Rahmen der fristgerecht dagegen erhobenen Beschwerde wurde im Wesentlichen vorgebracht, beim Beschwerdeführer bestehe ein unsicheres ataktisch spastisches Gangbild. Das Gehen sei für ihn deutlich erschwert, die Wegstrecke vermindert und die Ermüdbarkeit beim Gehen deutlich erhöht. Zum Gehen benötige der Beschwerdeführer ein Stimulationsgerät, um Krämpfe und Kontrakturen zu verhindern. Aufgrund der Erkrankung sei er nicht in der Lage, eine Wegstrecke von 300 m bis 400 m zurückzulegen, er könne mithilfe des Stimulationsgerätes maximal 200 m gehen. Die Verwendung eines Gehstockes sei ihm — entgegen den Ausführungen im Sachverständigengutachten der belangten Behörde — nicht möglich, weil die Füße am Boden schleifen und nachgezogen werden würden. Der Beschwerdeführer könne keine Gehhilfen verwenden, da er durch das Schleifen der Vorfüße am Boden über die Gehhilfe stolpere. Aufgrund der Gangstörung bestehe eine erhebliche Einschränkung im Alltag mit reduzierter Wegstrecke und Sturzgefahr. Hinzu komme, dass es bei kühleren Temperaturen noch zu einer weiteren deutlichen Verschlechterung der Mobilität komme, da dadurch der Tonus in den Beinen steige. Auch durch viel Stress oder Zeitdruck erhöhe sich der Tonus der Beine stark und es sei daher die Gehfähigkeit noch weiter beeinträchtigt. Das Stimulationsgerät reduziere lediglich das Schleifen der Vorfüße am Boden durch Aktivierung der Vorfußhebermuskulatur, es habe jedoch wenig Einfluss auf die Spastizität bzw. Tonussituation im Rest der Beine (Oberschenkel, Hüftmuskulatur). Es sei nicht nachvollziehbar, warum die Sachverständige der belangten Behörde zum Ergebnis komme, dass die Geh-, Steh- und Steigfähigkeit des Beschwerdeführers ausreichend sei, Niveauunterschiede überwunden werden könnten, da die Beugefunktion im Bereich der Hüft-, Knie- und Sprunggelenke ausreichend vorhanden wäre. Wie den beiliegenden Befunden und Gutachten eindeutig zu entnehmen sei, bestehe beim Beschwerdeführer eine deutlich ausgeprägte hereditäre spastische Paraparese und sei diese Erkrankung progredient, weswegen sich in den letzten Jahren die Beweglichkeit und Mobilität weiter deutlich verschlechtert habe, was eben zu einer entsprechenden Einschränkung in der Mobilität bzw. Wegstrecke führe. Hingewiesen werde explizit darauf, dass sich im vorgelegten neurologischen Sachverständigengutachten vom 25.09.2024 im neurologischen Status eine deutlich ausgeprägte spastische Paraparese mit subklonischem BSR und überhöhtem ASR finde. Trotz regelmäßiger Physiotherapie könne eine Progredienz nicht verhindert werden. Dies sei von der Sachverständigen der belangten Behörde nicht berücksichtigt worden. Auch sei es nicht nachvollziehbar, warum die Sachverständige der Meinung sei, dass der Beschwerdeführer nun wiederum 300 m bis 400 m aus eigener Kraft, ohne fremde Hilfe und ohne maßgebende Unterbrechung, allenfalls unter Verwendung der funktionellen Elektrostimulation zurücklegen könnte. Selbst unter der Verwendung des Stimulationsgerätes könne der Beschwerdeführer nur maximal 200 m zurücklegen. Hinzu komme, dass das Stimulationsgerät nicht jeden Tag verwendet werden könne, sondern maximal drei- bis viermal pro Woche, damit die Muskeln nicht verlernen würden zu arbeiten. Somit sei es dem Beschwerdeführer — auch unter Verwendung des Stimulationsgerätes — keinesfalls möglich eine adäquate Wegstrecke zurückzulegen. Beantragt wurden die Durchführung einer mündlichen Verhandlung und die Einholung eines Sachverständigengutachtens aus dem Fachbereich der Neurologie.
Erneut vorgelegt wurden zudem der molekulargenetische Befund vom 12.08.2024 sowie das neurologisch-psychiatrische Gutachten vom 25.09.2024. Neu vorgelegt wurde der Befund des AKH Wien vom 24.09.2024.
Aufgrund der Beschwerde holte das SMS ein weiteres Sachverständigengutachten der befassten Neurologin vom 27.11.2024 ein, da es beabsichtigte, eine Beschwerdevorentscheidung zu erlassen.
Dieses Akten-Gutachten ergab auszugsweise Folgendes:
„Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):
Aktengutachten im Rahmen einer BVE; der AW ist mit dem GA vom 08/2024 nicht einverstanden; es werden neue Befunde vorgelegt.
Die letzte Begutachtung erfolgte am 08.08.2024 mit Anerkennung von 50% GdB für die Diagnose „gZ Hereditäre spastische Paraparese“ mit Nachuntersuchung 08/2034.
Vorgelegte Befunde:
Technische Universität München, Anstalt des öffentlichen Rechts, Institut für Humangenetik der TU München, 12.08.2024-wurde bereits in der Stellungnahme 10/2024 berücksichtigt.
Univ.Prof. Dr. XXXX , FA f. Neurologie und FA f. Psychiatrie, 25.09.2024- wurde bereits in der Stellungnahme 10/2024 berücksichtigt.
AKH, neuromuskuläre Ambulanz, 24.09.2024
Befundbesprechung der zuletzt ergänzend durchgeführten Genomsequenzierung. Hier zeigte sich eine
heterozygote pathogene intragenische Deletion im Gen SPAST. Bei gut passendem Phänotyp kann somit
die Diagnose einer spastischen Paraplegie Typ 4 gestellt werden.
Es erfolgte eine Aufklärung über den genetischen Befund im Sinne des GTGs und der Befund wurde Hr.
[…] ausgehändigt. Des Weiteren erfolgte eine Aufklärung über den autosomal dominanten Erbgang,
es besteht somit eine 50%ige Wahrscheinlichkeit, dass der Patient die Variante an seine Nachkommen
weiter vererbt. Eine weitere Beratung in einer Ambulanz für Humangenetik wird empfohlen und dem Pat, wurde eine diesbezügliche Kontaktadresse ausgehändigt.
Es werden eine engmaschige physiotherapeutische Betreuung sowie regelmäßige neurologische Rehabilitationen und jährliche Kontrollen in der neuromuskulären Ambulanz empfohlen…
Diagnose: Spastische Paraplegie, autosomal-dominante, Typ 4
Behandlung/en / Medikamente / Hilfsmittel:
-
Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:
Stellungnahme zu gesundheitlichen Änderungen im Vergleich zum Vorgutachten:
Verglichen mit dem Vorgutachten vom 08/2024: Leiden 1 wird unverändert übernommen.
[…] Nachuntersuchung 08/2034 - weil Re-Evaluierung von Leiden 1, Stabilisierung durch etwaige Gentherapien möglich.
1. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Welche der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen lassen das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen sowie den sicheren Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht zu und warum?
Bei […] besteht eine Gangbeeinträchtigung, die zwar zu einer Einschränkung der Gehstrecke führt, das objektivierbare Ausmaß des Defizits kann jedoch eine maßgebliche Erschwernis der Erreichbarkeit öffentlicher Verkehrsmittel nicht ausreichend begründen. Kurze Wegstrecken von etwa 300 bis 400 m können aus eigener Kraft, ohne fremde Hilfe und ohne maßgebende Unterbrechung, allenfalls unter Verwendung einer Verwendung der funktionellen Elektrostimulation, orthopädischen Schuhen oder einer Peroneusschiene bzw. einer Oberschenkelbandage zurückgelegt werden, hier sind weitere Hilfsmittelanpassungen noch ausständig. Die Geh-, Steh-und Steigfähigkeit des Antragstellers sind ausreichend.
Niveauunterschiede können überwunden werden, da die Beugefunktion im Bereich der Hüft-, Knie- und Sprunggelenke ausreichend ist und das sichere Ein- und Aussteigen gewährleistet sind. Bei genügender Funktionsfähigkeit der oberen Extremitäten ist das Festhalten beim Ein- und Aussteigen sowie die Möglichkeit Haltegriffe zu erreichen und sich anzuhalten, genügend, der Transport in öffentlichen Verkehrsmitteln ist daher gesichert durchführbar, die beantragte Zusatzeintragung aus gutachterlicher Sicht nicht begründbar.
2. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Liegt ein Immundefekt vor im Rahmen dessen trotz Therapie erhöhte Infektanfälligkeit und wiederholt außergewöhnliche Infekte wie atypische Pneumonien auftreten?
Nein.
Gutachterliche Stellungnahme:
Bezüglich der bereits im Rahmen des Parteiengehörs eingebrachten Befunde wird auf die ausführliche Stellungnahme vom 14.10.2024 verwiesen.
Durch den neu eingebrachten fachärztlichen Befund aus 09/2024 konnten keine neuen Erkenntnisse objektiviert werden.
Anmerkung:
Parteien obliegen grundsätzlich der Mitwirkungspflicht.
Im Rahmen der Begutachtung 08/2024 wurden weder die Funktionelle Elektrostimulation mitgeführt noch der Arztbrief der Rehabilitation der Klinik Pirawath (inklusive der ausführlichen therapeutischen Berichte) im Juni 2024 vorgelegt (hier kam es anamnetisch zu einer Besserung der Gangsicherheit, desweiteren wurde eine Oberschenkelbandage links getestet).
Maßgebliche Paresen konnten im Rahmen der Begutachtung jedenfalls nicht objektiviert werden.“
Im Rahmen des zum Gutachten gewährten Parteiengehörs brachte der Beschwerdeführer im Wege seiner Rechtsvertretung eine Stellungnahme ein. Im Wesentlichen wurde ergänzend vorgebracht, ein gesicherter Transport in öffentlichen Verkehrsmitteln könne aufgrund der eingeschränkten Standfestigkeit des Beschwerdeführers nicht stattfinden. Selbst die Möglichkeit, sich an Haltegriffen festzuhalten könne aufgrund der Instabilität der Beine ein Stürzen nicht verhindern. Zudem sei der Aufenthalt in den Haltestellen zu kurz, um aufzustehen, die Haltewunschtaste zu betätigen und das Fahrzeug zeitgerecht zu verlassen. Beim Beschwerdeführer komme es aufgrund der Anstrengung des Gehens zu einem erhöhten akuten Harndrang, der nicht ausreichend zurückhaltbar sei, um zu Fuß rechtzeitig eine öffentliche Toilette aufsuchen zu können. Trotz kurzfristiger Verbesserung nach einem Reha-Aufenthalt stelle sich im anschließenden Alltag wieder ein Verschlechterungszustand (trotz regelmäßiger Physiotherapie) ein. In allen Befunden werde beschrieben, dass die Gehstrecke beim Beschwerdeführer stark eingeschränkt sei, eine deutlich spastische Gangstörung vorliege und er keinesfalls öffentliche Verkehrsmittel benützen könne. Neu vorgelegt wurden ICF-Funktionseinschränkungen vom 24.04.2024 und eine physiotherapeutische Stellungnahme vom 13.07.2022.
Die daraufhin vom SMS eingeholte Stellungnahme der befassten Neurologin vom 03.01.2025 ergab auszugsweise Folgendes:
„Im Rahmen der Untersuchung wurden alle objektivierbaren Funktionseinschränkungen nach den Kriterien der EVO eingestuft. Maßgebliche Paresen konnten im Rahmen der Begutachtung jedenfalls nicht objektiviert werden. Verwiesen wird auch auf die ausführlichen neurologischen Sachverständigengutachten aus 11/2024 und 08/2024 sowie auf die die Stellungnahme aus 10/2024.
Bezüglich des berichteten urologischen Leidens liegen keine fachärztlichen Befunde mit etwaiger Therapieempfehlung vor. Bezüglich der Spastik ist die Einleitung einer medikamentösen Therapie noch ausständig.
Es liegen keine neuen, noch nicht berücksichtigten fachärztlichen Befunde bzw. Erkenntnisse vor, die eine Änderung der Einschätzung bewirken würden, somit wird an der Gesamteinschätzung festgehalten.“
Mit der gegenständlichen Beschwerdevorentscheidung vom 07.02.2025 wurde die Beschwerde des Beschwerdeführers abgewiesen. Begründend wurde im Wesentlichen auf das nach Beschwerdeerhebung eingeholte Akten-Gutachten samt Stellungnahme der Neurologin verwiesen.
Der Beschwerdeführer stellte in weiterer Folge durch seine Vertretung den Antrag, dem Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde vorzulegen. Vorgebracht wurde, dass bereits mit der Beschwerde sowie nachfolgenden Stellungnahme Befunde vorgelegt worden seien, in denen eindeutig das Vorliegen einer spastischen Paraparese beschrieben werde. Der Beschwerdeführer verwende ein Stimulationsgerät, um Krämpfe und Kontrakturen zu verhindern. Er könne wegen seiner Spastik, die eine Bewegungseinschränkung und Verkürzung der Wegstrecke mit sich bringe, keine öffentlichen Verkehrsmittel benützen. Verwiesen wurde insbesondere auf die Ausführungen des Sachverständigen im vorgelegten Gutachten und des AKH. Erneut wurde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt.
Mit Beschwerdevorlage vom 24.02.2025 legte das SMS dem Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde samt Verwaltungsakt vor. Diese langten am 25.02.2025 beim Bundesverwaltungsgericht ein.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Der Beschwerdeführer ist im Besitz eines bis 30.11.2034 befristeten Behindertenpasses mit einem Gesamtgrad der Behinderung in der Höhe von 50 vH und der Zusatzeintragung „Der Inhaber/die Inhaberin des Passes ist TrägerIn einer Orthese“.
1.2. Dem Beschwerdeführer ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar.
1.2.1. Art und Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigung(en):
Beschwerderelevanter Status:
Klinischer Status – Fachstatus:
Neurologischer Status:
wach, voll orientiert, kein Meningismus
Caput: HN II-XII unauffällig.
OE: Rechtshändigkeit, Trophik unauffällig, Tonus unauffällig, grobe Kraft proximal und distal 5/5, Vorhalteversuch der Arme: unauffällig, Finger-Nase-Versuch: keine Ataxie, MER (RPR, BSR, TSR) seitengleich mittellebhaft auslösbar, Eudiadochokinese beidseits, Knips bds positiv.
UE: Trophik unauffällig, Tonus rechtsbetont Spur erhöht, Hüftbeugen KG 4-5, Kniestrecker bds KG 5, Vorfußheber links KG 4, rechts KG 4-, Positionsversuch der Beine: Spur Absinken bds, Knie-Hacke-Versuch: keine Ataxie, MER (PSR, ASR) seitengleich gesteigert, Babinski links positiv, rechts stumme Sohle.
Sensibilität: intakte Angabe. Sprache: unauffällig
Romberg: unauffällig
Unterberger: nicht demonstriert
Fersenstand: kaum möglich. Zehengang: unauffällig.
Gesamtmobilität – Gangbild:
Mobilitätsstatus: Gangbild: spastisch ohne Hilfsmittel mit vermindertem Abrollen rechtsbetont und verkürzter Schrittlänge (ohne FES), Standvermögen: sicher, prompter Lagewechsel.
Führerschein vorhanden
Status Psychicus: wach, in allen Qualitäten orientiert, Duktus kohärent, Denkziel wird erreicht, Aufmerksamkeit unauffällig, keine kognitiven Defizite, Affekt unauffällig, Stimmungslage ausgeglichen, Antrieb unauffällig, Konzentration normal, keine produktive Symptomatik.
Funktionseinschränkung: gZ Hereditäre spastische Paraparese (spastisches Gangbild mit rechtsbetont distaler Schwäche, keine maßgeblichen Paresen)
1.2.2. Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigung auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel:
Die festgestellte Funktionseinschränkung wirkt sich nicht in erheblichem Ausmaß negativ auf die Benützung der öffentlichen Verkehrsmittel aus.
Beim Beschwerdeführer besteht eine Gangbeeinträchtigung, die zwar zu einer Einschränkung der Gehstrecke führt, das objektivierbare Ausmaß des Defizits kann jedoch eine maßgebliche Erschwernis der Erreichbarkeit öffentlicher Verkehrsmittel nicht ausreichend begründen. Kurze Wegstrecken von etwa 300 bis 400 m können aus eigener Kraft, ohne fremde Hilfe und ohne maßgebende Unterbrechung, allenfalls unter Verwendung der funktionellen Elektrostimulation, von orthopädischen Schuhen oder einer Peroneusschiene bzw. einer Oberschenkelbandage zurückgelegt werden, hier sind weitere Hilfsmittelanpassungen noch ausständig. Die Geh-, Steh-und Steigfähigkeit des Beschwerdeführers sind ausreichend. Niveauunterschiede können überwunden werden, da die Beugefunktion im Bereich der Hüft-, Knie- und Sprunggelenke ausreichend ist und das sichere Ein- und Aussteigen gewährleistet sind. Bei genügender Funktionsfähigkeit der oberen Extremitäten ist das Festhalten beim Ein- und Aussteigen sowie die Möglichkeit Haltegriffe zu erreichen und sich anzuhalten, genügend, der Transport in öffentlichen Verkehrsmitteln ist daher gesichert durchführbar.
Es besteht keine erhebliche Einschränkung der Mobilität durch die festgestellte Funktionseinschränkung. Es besteht auch keine erhebliche Einschränkung der körperlichen Belastbarkeit, es besteht keine schwere Erkrankung des Herz-Kreislaufsystems oder der Lunge. Es sind keine Behelfe erforderlich, die das Ein- und Aussteigen sowie die sichere Beförderung unter Verwendung von Ausstiegshilfen und Haltegriffen in einem öffentlichen Verkehrsmittel wesentlich beeinträchtigen.
Beim Beschwerdeführer liegen keine erheblichen Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen vor, die das Zurücklegen einer angemessenen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen oder die Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel beeinträchtigen.
Relevante Einschränkungen von Sinnesfunktionen konnten nicht festgestellt werden.
Es ist keine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems vorhanden.
2. Beweiswürdigung:
Zur Klärung des Sachverhaltes hatte die belangte Behörde zunächst ein neurologisches Sachverständigengutachten vom 08.08.2024 mit Untersuchung am selben Tag eingeholt. Darin wurde unter Berücksichtigung der festgestellten Funktionseinschränkung „gZ Hereditäre spastische Paraparese“ kein Hindernis für die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel festgestellt. Verglichen zum Gutachten aus 05/2022 sei es zu keinen Änderungen gekommen.
Nach den Einwendungen im Rahmen des Parteiengehörs, wonach beim Beschwerdeführer ein unsicheres ataktisch spastisches Gangbild bestehe, er eine Wegstrecke von 300 bis 400 m nicht zurücklegen könne und ihm aufgrund der Vorfußheberschwäche das Überwinden von Niveauunterschieden sowie das Einsteigen in öffentliche Verkehrsmittel nicht möglich sei, und der vorgelegten Befunde holte das SMS ergänzend eine Stellungnahme der Neurologin vom 14.10.2024 ein, die – unter Berücksichtigung der vorgelegten Befunde des Beschwerdeführers – an ihrer Beurteilung festhielt.
Aufgrund des Beschwerdevorbringens holte das SMS ein weiteres Sachverständigengutachten der befassten Neurologin vom 27.11.2024 ein, da es beabsichtigte eine Beschwerdevorentscheidung zu erlassen. Sie blieb erneut bei ihrer Einschätzung betreffend die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel:
Die Sachverständige hielt in diesem Akten-Gutachten nachvollziehbar fest, dass beim Beschwerdeführer eine Gangbeeinträchtigung besteht, die zwar zu einer Einschränkung der Gehstrecke führt, das objektivierbare Ausmaß des Defizits kann jedoch eine maßgebliche Erschwernis der Erreichbarkeit öffentlicher Verkehrsmittel nicht ausreichend begründen. Kurze Wegstrecken von etwa 300 bis 400 m können aus eigener Kraft, ohne fremde Hilfe und ohne maßgebende Unterbrechung, allenfalls unter Verwendung der funktionellen Elektrostimulation, von orthopädischen Schuhen oder einer Peroneusschiene bzw. einer Oberschenkelbandage zurückgelegt werden, hier sind weitere Hilfsmittelanpassungen noch ausständig. Die Geh-, Steh-und Steigfähigkeit des Antragstellers sind ausreichend. Niveauunterschiede können überwunden werden, da die Beugefunktion im Bereich der Hüft-, Knie- und Sprunggelenke ausreichend ist und das sichere Ein- und Aussteigen gewährleistet sind. Bei genügender Funktionsfähigkeit der oberen Extremitäten ist das Festhalten beim Ein- und Aussteigen sowie die Möglichkeit Haltegriffe zu erreichen und sich anzuhalten, genügend, der Transport in öffentlichen Verkehrsmitteln ist daher gesichert durchführbar, die beantragte Zusatzeintragung aus gutachterlicher Sicht nicht begründbar.
Weiters geht auch aus diesem Gutachten der Sachverständigen nachvollziehbar hervor, dass beim Beschwerdeführer kein Immundefekt im Rahmen dessen trotz Therapie erhöhte Infektanfälligkeit und wiederholt außergewöhnliche Infekte wie atypische Pneumonien auftreten vorliegt. Relevante Einschränkungen von Sinnesfunktionen gehen aus dem Gutachten zudem nicht hervor.
Die mit der Beschwerde vorgelegten medizinischen Unterlagen waren von der Sachverständigen zum Teil bereits in ihrer Stellungnahme vom 14.10.2024 berücksichtigt worden. Zum neu eingebrachten fachärztlichen Befund aus 09/2024 hielt sie im Akten-Gutachten plausibel fest, dass daraus keine neuen Erkenntnisse objektiviert werden konnten.
Maßgebliche Paresen konnten – nach den nachvollziehbaren Ausführungen der Gutachterin – im Rahmen der Begutachtung jedenfalls nicht objektiviert werden.
Angemerkt wurde von der Gutachterin zudem, dass im Rahmen der Begutachtung 08/2024 weder die funktionelle Elektrostimulation mitgeführt noch der Arztbrief der Rehabilitation der Klinik Pirawarth (inklusive der ausführlichen therapeutischen Berichte) im Juni 2024 (hier kam es anamnetisch zu einer Besserung der Gangsicherheit, des Weiteren wurde eine Oberschenkelbandage links getestet) vorgelegt wurde. Eine nachvollziehbare Erklärung dafür hat der Beschwerdeführer nicht aufgezeigt, weshalb ihm diesbezüglich eine mangelnde Mitwirkung im Verfahren vorzuwerfen ist.
Aufgrund der Einwendungen gegen das Akten-Gutachten vom 27.11.2024 holte das SMS eine weitere Stellungnahme der befassten Neurologin vom 03.01.2025 ein. Darin erklärt sie erneut plausibel, dass im Rahmen der Begutachtung maßgebliche Paresen nicht objektiviert werden konnten. Bezüglich des berichteten urologischen Leidens legt sie überzeugend dar, dass keine fachärztlichen Befunde mit etwaiger Therapieempfehlung vorliegen. Bezüglich der Spastik ist die Einleitung einer medikamentösen Therapie – laut nachvollziehbaren Ausführungen der Sachverständigen – noch ausständig. Es liegen – wie die Gutachterin plausibel darlegt – keine neuen, noch nicht berücksichtigten fachärztlichen Befunde bzw. Erkenntnisse vor, die eine Änderung der Einschätzung bewirken würden, weshalb die Gutachterin bei ihrer schlüssigen Gesamteinschätzung blieb.
Insbesondere wurden in den Gutachten und Stellungnahmen der Neurologin alle vorgelegten relevanten (medizinischen) Unterlagen sowie das Beschwerdevorbringen und das im Rahmen des Parteiengehörs zum Gutachten vom 27.11.2024 erstattete Vorbringen berücksichtigt.
Es liegt kein geeignetes Vorbringen vor, das Ergebnis der Gutachten samt Stellungnahmen in Zweifel zu ziehen. Darin wurden die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt.
Auch das Vorbringen im Vorlageantrag war nicht geeignet, zu einem anderen Ergebnis zu führen.
Wenn darin nochmals auf die bereits vorgelegten Befunde verwiesen wird, wird darauf hingewiesen, dass sich die Sachverständige damit im Detail auseinandergesetzt hat:
Der Befund der neurologischen Spezialambulanz vom 21.06.2024 wurde von der Gutachterin bereits im Gutachten vom 08.08.2024 berücksichtigt.
In ihrer ausführlichen Stellungnahme vom 14.10.2024 ging die Gutachterin auf den molekulargenetischen Befund vom 12.08.2024 und das vorgelegte Gutachten vom 24.09.2024 ein. Sie blieb darin nachvollziehbar bei der Einschätzung, dass die Funktionsbeeinträchtigung des Beschwerdeführers die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zulässt.
Im nach Beschwerdeerhebung eingeholten Gutachten vom 27.11.2024 berücksichtigte die Sachverständige den Befund des AKH vom 24.09.2024. Die Gutachterin erklärte nachvollziehbar, dass daraus keine neuen Erkenntnisse objektiviert werden konnten.
In der Stellungnahme vom 03.01.2025 ging die Sachverständige zudem auf die Einwendungen zum Gutachten vom 27.11.2024 und die großteils erneut vorgelegten medizinischen Unterlagen ein und blieb – wie bereits ausgeführt – bei ihrer schlüssigen Gesamteinschätzung.
Seitens des Bundesverwaltungsgerichtes bestehen in Gesamtbetrachtung daher keine Zweifel an der Richtigkeit, Vollständigkeit und Schlüssigkeit der von der belangten Behörde eingeholten Sachverständigengutachten samt Stellungnahmen. Diese wurden daher in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung zu Grunde gelegt.
Eine etwaige durch die Beschwerdeführervertretung angedeutete Befangenheit der Sachverständigen ist für den Senat nicht zu erkennen. Die Gutachterin hat eine objektive Beurteilung vorgenommen, aus dem Akteninhalt ergibt sich nichts Gegenteiliges. Ein weiteres Gutachten aus dem Fachgebiet der Neurologie war somit nicht einzuholen.
3. Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.
Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.
Zu A) Abweisung der Beschwerde:
Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen (§ 45 Abs. 1 BBG).
Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3), der Behindertenpass gemäß § 43 Abs. 1 oder der Parkausweis für Menschen mit Behinderungen gemäß § 43 Abs. 1a eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu (§ 45 Abs. 2 BBG, auszugsweise).
Zur Frage der Unzumutbarkeit der Benützung der öffentlichen Verkehrsmittel:
Gemäß § 1 Abs. 4 Z 3 der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen (kurz: VO über die Ausstellung von Behindertenpässen und Parkausweisen), BGBl II 2013/495, zuletzt geändert durch BGBl II 2016/263, ist die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist, auf Antrag des Menschen mit Behinderung jedenfalls einzutragen; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und
– erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder
– erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder
– erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder
– eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder
– eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach Abs. 4 Z 1 lit. b oder d
vorliegen.
Gemäß § 1 Abs. 5 der VO über die Ausstellung von Behindertenpässen und Parkausweisen bildet die Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in Abs. 4 genannten Eintragungen erfüllt sind, ein Gutachten eines/einer ärztlichen Sachverständigen des Sozialministeriumservice. Soweit es zur ganzheitlichen Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen erforderlich erscheint, können Experten/Expertinnen aus anderen Fachbereichen beigezogen werden. Bei der Ermittlung der Funktionsbeeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigen.
Entscheidend für die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist, wie sich eine bestehende Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt (VwGH 20.10.2011, 2009/11/0032).
In den Erläuterungen zur Stammfassung der VO über die Ausstellung von Behindertenpässen und Parkausweisen wird betreffend § 1 Abs. 2 Z 3 (in der geltenden Fassung geregelt in § 1 Abs. 4 Z 3) ausgeführt:
Grundsätzlich ist eine Beurteilung nur im Zuge einer Untersuchung des Antragstellers/der Antragstellerin möglich. Im Rahmen der Mitwirkungspflicht des Menschen mit Behinderung sind therapeutische Möglichkeiten zu berücksichtigen. Therapierefraktion – das heißt keine therapeutische Option ist mehr offen – ist in geeigneter Form nachzuweisen. Eine Bestätigung des Hausarztes/der Hausärztin ist nicht ausreichend.
Durch die Verwendung des Begriffes „dauerhafte Mobilitätseinschränkung“ hat schon der Gesetzgeber (StVO-Novelle) zum Ausdruck gebracht, dass es sich um eine Funktionsbeeinträchtigung handeln muss, die zumindest 6 Monate andauert. Dieser Zeitraum entspricht auch den grundsätzlichen Voraussetzungen für die Erlangung eines Behindertenpasses.
Unter erheblicher Einschränkung der Funktionen der unteren Extremitäten sind ungeachtet der Ursache eingeschränkte Gelenksfunktionen, Funktionseinschränkungen durch Erkrankungen von Knochen, Knorpeln, Sehnen, Bändern, Muskeln, Nerven, Gefäßen, durch Narbenzüge, Missbildungen und Traumen zu verstehen.
Zusätzlich vorliegende Beeinträchtigungen der oberen Extremitäten und eingeschränkte Kompensationsmöglichkeiten sind zu berücksichtigen. Eine erhebliche Funktionseinschränkung wird in der Regel ab einer Beinverkürzung von 8 cm vorliegen.
Erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit betreffen vorrangig cardiopulmonale Funktionseinschränkungen. Bei den folgenden Einschränkungen liegt jedenfalls eine Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel vor:
- arterielle Verschlusskrankheit ab II/B nach Fontaine bei fehlender therapeutischer Option
- Herzinsuffizienz mit hochgradigen Dekompensationszeichen
- hochgradige Rechtsherzinsuffizienz
- Lungengerüsterkrankungen unter Langzeitsauerstofftherapie
- COPD IV mit Langzeitsauerstofftherapie
- Emphysem mit Langzeitsauerstofftherapie
- mobiles Gerät mit Flüssigsauerstoff muss nachweislich benützt werden
Erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Funktionen umfassen im Hinblick auf eine Beurteilung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel folgende Krankheitsbilder:
- Klaustrophobie, Soziophobie und phobische Angststörungen als Hauptdiagnose nach ICD 10 und nach Ausschöpfung des therapeutischen Angebotes und einer nachgewiesenen Behandlung von mindestens 1 Jahr,
- hochgradige Entwicklungsstörungen mit gravierenden Verhaltensauffälligkeiten,
- schwere kognitive Einschränkungen, die mit einer eingeschränkten Gefahreneinschätzung des öffentlichen Raumes einhergehen,
- nachweislich therapierefraktäres, schweres, cerebrales Anfallsleiden – Begleitperson ist erforderlich.
Eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems, die eine Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel wegen signifikanter Infektanfälligkeit einschränkt, liegt vor bei:
- anlagebedingten, schweren Erkrankungen des Immunsystems (SCID – severe combined immunodeficiency),
- schweren, hämatologischen Erkrankungen mit dauerhaftem, hochgradigem Immundefizit (z. B: akute Leukämie bei Kindern im 2. Halbjahr der Behandlungsphase, Nachuntersuchung nach Ende der Therapie),
- fortgeschrittenen Infektionskrankheiten mit dauerhaftem, hochgradigem Immundefizit,
- selten auftretenden chronischen Abstoßungsreaktion nach Nierentransplantationen, die zu zusätzlichem Immunglobulinverlust führen.
Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu dieser Zusatzeintragung ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel dann unzumutbar, wenn eine kurze Wegstrecke nicht aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe, allenfalls unter Verwendung zweckmäßiger Behelfe ohne Unterbrechung zurückgelegt werden kann oder wenn die Verwendung der erforderlichen Behelfe die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in hohem Maße erschwert. Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist auch dann nicht zumutbar, wenn sich die dauernde Gesundheitsschädigung auf die Möglichkeit des Ein- und Aussteigens und die sichere Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel unter Berücksichtigung der beim üblichen Betrieb dieser Verkehrsmittel gegebenen Bedingungen auswirkt. Zu prüfen ist die konkrete Fähigkeit öffentliche Verkehrsmittel zu benützen. Zu berücksichtigen sind insbesondere zu überwindende Niveauunterschiede beim Aus- und Einsteigen, Schwierigkeiten beim Stehen, bei der Sitzplatzsuche, bei notwendig werdender Fortbewegung im Verkehrsmittel während der Fahrt (VwGH 22.10.2002, 2001/11/0242; 14.05.2009, 2007/11/0080).
Betreffend das Kalkül „kurze Wegstrecke“ wird angemerkt, dass der Verwaltungsgerichtshof von einer – unter Zugrundelegung städtischer Verhältnisse – durchschnittlich gegebenen Entfernung zum nächsten öffentlichen Verkehrsmittel von 300 bis 400 m ausgeht (vgl. u.a. VwGH 27.05.2014, Ro 2014/11/0013; 27.01.2015, 2012/11/0186).
Beim Beschwerdeführer liegen – wie sich aus den getroffenen Feststellungen ergibt – weder erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten noch der körperlichen Belastbarkeit vor bzw. konnten keine erheblichen Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen festgestellt werden. Es ist auch keine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems vorhanden. Ebenso wenig liegen eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach § 1 Abs. 4 Z 1 lit. b oder d der VO über die Ausstellung von Behindertenpässen und Parkausweisen vor.
Es ist beim Beschwerdeführer von einer ausreichenden Funktionsfähigkeit des Bewegungsapparates auszugehen, die vorgebrachte Einschränkung der Gehstrecke konnte nicht in einem Ausmaß festgestellt werden, welche die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel erheblich erschwert. Die Gutachterin hat nachvollziehbar dargelegt, dass kurze Wegstrecken von etwa 300 bis 400 m vom Beschwerdeführer aus eigener Kraft, ohne fremde Hilfe und ohne maßgebende Unterbrechung, allenfalls unter Verwendung der funktionellen Elektrostimulation, von orthopädischen Schuhen oder einer Peroneusschiene bzw. einer Oberschenkelbandage zurückgelegt werden können.
Das Festhalten beim Ein- und Aussteigen ist möglich. Die Geh-, Steh- und Steigfähigkeit des Beschwerdeführers sowie die Möglichkeit, Haltegriffe zu erreichen und sich festzuhalten, sind genügend. Der Transport in öffentlichen Verkehrsmitteln ist daher gesichert durchführbar.
Es wird im Beschwerdefall zum aktuellen Entscheidungszeitpunkt somit davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass nicht vorliegen.
Somit war spruchgemäß zu entscheiden.
Der Vollständigkeit halber wird auch darauf hingewiesen, dass die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29b StVO nicht vorliegen, zumal die Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ im Behindertenpass nach dem Bundesbehindertengesetz Voraussetzung für die Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29b StVO ist.
Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:
Das Verwaltungsgericht hat auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen (§ 24 Abs. 1 VwGVG).
Die Verhandlung kann entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben oder die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig zu erklären ist (§ 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG).
Der Beschwerdeführer hat die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden (§ 24 Abs. 3 VwGVG).
Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entgegenstehen (§ 24 Abs. 4 VwGVG).
Das Verwaltungsgericht kann von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden (§ 24 Abs. 5 VwGVG).
In seinem Urteil vom 18. Juli 2013, Nr. 56.422/09 (Schädler-Eberle/Liechtenstein) hat der EGMR in Weiterführung seiner bisherigen Judikatur dargelegt, dass es Verfahren gebe, in denen eine Verhandlung nicht geboten sei, etwa wenn keine Fragen der Beweiswürdigung aufträten oder die Tatsachenfeststellungen nicht bestritten seien, sodass eine Verhandlung nicht notwendig sei und das Gericht auf Grund des schriftlichen Vorbringens und der schriftlichen Unterlagen entscheiden könne (VwGH 03.10.2013, 2012/06/0221).
Der Anspruch einer Partei auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung ist kein absoluter: Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte und – ihm folgend – des Verfassungsgerichtshofes kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn die Tatfrage unumstritten und nur eine Rechtsfrage zu entscheiden ist oder wenn die Sache keine besondere Komplexität aufweist (vgl. VfGH 08.10.2020, E 1873/2020, mwN).
Zur Klärung des Sachverhaltes hatte die belangte Behörde zunächst ein neurologisches Sachverständigengutachten sowie eine Stellungnahme eingeholt. Darin war kein Hindernis für die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel festgestellt worden. Nach Beschwerdeerhebung holte sie ein weiteres neurologisches Gutachten samt Stellungnahme ein. Darin wurde (erneut) nachvollziehbar das Nichtvorliegen der Voraussetzungen – konkret das Nichtvorliegen erheblicher Funktionseinschränkungen – für die Vornahme der beantragten Zusatzeintragung festgestellt.
Wie unter Punkt II. 2. bereits ausgeführt, wurden die Sachverständigengutachten samt Stellungnahmen als nachvollziehbar, vollständig und schlüssig erachtet. Sohin erscheint der Sachverhalt geklärt, dem Bundesverwaltungsgericht liegt kein Vorbringen vor, das mit dem Beschwerdeführer mündlich zu erörtern gewesen wäre. Alle relevanten Befunde bzw. Unterlagen des Beschwerdeführers wurden in den vom SMS eingeholten Gutachten und Stellungnahmen berücksichtigt. Im Vorlageantrag wurde insbesondere auf die bereits vorgelegten – und von der Sachverständigen berücksichtigten – medizinischen Unterlagen und das von der Gutachterin berücksichtigte Beschwerdevorbringen verwiesen. Durch die mündliche Erörterung war eine weitere Klärung der Rechtssache somit nicht zu erwarten.
Zudem wird darauf hingewiesen, dass der vorliegende Sachverhalt zur Gänze auf den dem Beschwerdeführer bekannten Aktenteilen basiert und dieser Sachverhalt in den entscheidungswesentlichen Punkten weder ergänzungsbedürftig ist noch in entscheidenden Punkten als nicht richtig erschien (vgl. VwGH 19.09.2018, Ra 2018/11/0145).
Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte daher – trotz Beantragung – unterbleiben.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Die Entscheidung hängt von Tatsachenfragen ab. Maßgebend ist das festgestellte Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigungen.