JudikaturBVwG

W164 2277322-1 – Bundesverwaltungsgericht Entscheidung

Entscheidung
Öffentliches Recht
16. April 2025

Spruch

W164 2277322-1/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Rotraut LEITNER als Vorsitzende sowie die fachkundige Laienrichterin Mag. Melanie WEIGERSTORFER (aus dem Kreis der Arbeitgeber:innen) als Beisitzerin und den fachkundigen Laienrichter Peter SCHERZ (aus dem Kreis der Arbeitnehmer:innen) als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX geb. XXXX , gegen den Bescheid des Arbeitsmarktservice vom 25.05.2023, Zl. VSNR XXXX , AMS 317-Melk, in der Fassung der Beschwerdevorentscheidung vom 17.08.2023, Zl. WF 2023-0566-3-008699 betreffend den Verlust des Anspruchs auf Arbeitslosengeld für den Zeitraum von 21.04.2023 bis 01.06.2023 nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung und einer nicht öffentlichen Beratung vom 08.04.2025 zu Recht erkannt:

A)

Der angefochtene Bescheid wird gemäß § 28 Abs 1, Abs 2 und Abs 5 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) aufgehoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Mit Bescheid vom 25.05.2023 sprach das Arbeitsmarkservice (im Folgenden: belangte Behörde, AMS) aus, dass der Beschwerdeführer gemäß § 38 iVm § 10 AlVG den Anspruch auf Notstandshilfe für den Zeitraum von 21.04.2023 bis 01.06.2023 verloren habe. Der angeführte Zeitraum verlängere sich um die in ihm liegenden Zeiträume, des Krankengeldbezugs. Begründend wurde ausgeführt, der Beschwerdeführer habe eine vom AMS vermittelte zumutbare Beschäftigung nicht angenommen. Gründe für eine Nachsicht der Rechtsfolgen würden nicht vorliegen bzw. könnten nicht berücksichtigt werden.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom 17.08.2023 wies die belangte Behörde diese Beschwerde als unbegründet ab.

Aufgrund des rechtzeitig gestellten Vorlageantrags legte die belangte Behörde die Beschwerde samt dem Bezug habenden Akt dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.

Im Zuge des Beschwerdeverfahrens räumte das AMS gegenüber dem Bundesverwaltungsgericht mit aufgetragener Stellungnahme vom 03.01.2024 ein, dass im vorliegenden Fall die Prüfung des Entgeltschutzes gem. § 9 Abs 3, zweiter Satz, AlVG versehentlich unterlassen wurde. Der BF habe vor der strittigen Zeit ab 03.01.2023 Arbeitslosengeld mit einer Bemessungsgrundlage von € 2.220,99 bezogen. 80% davon seien € 1.776,79. Die gegenständlich am 28.02.2023 zugewiesene Teilzeitstelle mit 32 Wochenstunden hätte eine Entlohnung € 1.850,00 aus Basis einer 40-Stundenbeschäftigung ausgewiesen. Für die zugewiesene Beschäftigung von 32 Wochenstunden hätte der BF einen Anspruch auf € 1.480,00 gehabt, was nicht dem Entgeltschutz gem. § 9 Abs 3, zweiter Satz, AlVG entsprochen hätte. Der Bescheid vom 25.03.2023 wäre daher zu beheben gewesen.

Mit Stellungnahme vom 04.01.2024 legte das AMS eine Gesprächsnotiz vom 23.05.2023 vor, der zufolge der potentielle Dienstgeber dem AMS auf Nachfrage telefonisch bekannt gegeben habe, dass bei Bereitschaft für eine Aushilfe im Service auch Vollzeit möglich wäre. Das AMS änderte seine mit 03.01.2024 geäußerte Rechtsansicht und vertrat nun die Rechtsmeinung, dass die verfahrensgegenständliche Stellenzuweisung den Entgeltschutz des § 9 Abs 3 AlVG erfüllt hätte.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer bezieht seit dem Jahr 2009 wiederkehrend Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung. Von 03.01.2023 bis 17.10.2023 bezog der BF aufgrund einer neuen Anwartschaft Arbeitslosengeld iHv € 1.776,79 monatlich (Bemessungsgrundlage von € 2.220,99).

Der Beschwerdeführer verfügt über einen Lehrabschluss sowie Berufserfahrung als Einzelhandelskaufmann im Lebensmittelhandel; darüber hinaus war er auch als Produktions- und Lagerarbeiter sowie zuletzt als Tankstellenkassier tätig.

Am 28.02.2023 wurde dem Beschwerdeführer von der belangten Behörde ein Vermittlungsvorschlag für eine Teilzeitstelle (32 Wochenstunden) als Shopmitarbeiter bzw. Kassier im Restaurant einer Autoraststätte bei der potentiellen Dienstgeberin XXXX GmbH mit der Aufforderung übermittelt, sich sofort und wie im Inserat beschrieben zu bewerben. Der Vermittlungsvorschlag sah einen Monatsbruttolohn von € 1.850,00 auf Basis von 40 Wochenstunden vor. Es kam nicht zur Beschäftigungsaufnahme. Das AMS legte dem BF mit dem angefochtenen Bescheid Vereitelung gem. § 10 AlVG zur Last.

Am 23.05.2025 gab der potentielle Dienstgeber dem AMS auf Nachfrage bekannt, dass bei Bereitschaft für eine Aushilfe im Service auch Vollzeit möglich wäre.

2. Beweiswürdigung:

Der Sachverhalt ist soweit hier wesentlich unstrittig. Die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung erscheint nicht geboten.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 56 Abs. 2 AlVG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide einer Geschäftsstelle durch einen Senat, dem zwei fachkundige Laienrichter:innen angehören, je eine:r aus dem Kreis der Arbeitgeber:innen und eine:r aus dem Kreis der Arbeitnehmer:innen. Im vorliegenden Fall war daher Senatszuständigkeit gegeben.

Zu A)

Die im vorliegenden Beschwerdefall maßgebenden Bestimmungen des Arbeitslosenversicherungsgesetzes 1977 (AlVG) lauten:

Arbeitslosengeld

Voraussetzungen des Anspruches

§ 7. (1) Anspruch auf Arbeitslosengeld hat, wer

1. der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht,

2. die Anwartschaft erfüllt und

3. die Bezugsdauer noch nicht erschöpft hat.

(2) Der Arbeitsvermittlung steht zur Verfügung, wer eine Beschäftigung aufnehmen kann und darf (Abs. 3) und arbeitsfähig (§ 8), arbeitswillig (§ 9) und arbeitslos (§ 12) ist.

(3) – (8) (...)

Arbeitswilligkeit

§ 9. (1) Arbeitswillig ist, wer bereit ist, eine durch die regionale Geschäftsstelle oder einen vom Arbeitsmarktservice beauftragten, die Arbeitsvermittlung im Einklang mit den Vorschriften der §§ 2 bis 7 des Arbeitsmarktförderungsgesetzes (AMFG), BGBl. Nr. 31/1969, durchführenden Dienstleister vermittelte zumutbare Beschäftigung in einem Arbeitsverhältnis als Dienstnehmer im Sinn des § 4 Abs. 2 ASVG anzunehmen, sich zum Zwecke beruflicher Ausbildung nach- oder umschulen zu lassen, an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt teilzunehmen, von einer sonst sich bietenden Arbeitsmöglichkeit Gebrauch zu machen und von sich aus alle gebotenen Anstrengungen zur Erlangung einer Beschäftigung zu unternehmen, soweit dies entsprechend den persönlichen Fähigkeiten zumutbar ist.

(2) Eine Beschäftigung ist zumutbar, wenn sie den körperlichen Fähigkeiten der arbeitslosen Person angemessen ist, ihre Gesundheit und Sittlichkeit nicht gefährdet, angemessen entlohnt ist, in einem nicht von Streik oder Aussperrung betroffenen Betrieb erfolgen soll, in angemessener Zeit erreichbar ist oder eine entsprechende Unterkunft am Arbeitsort zur Verfügung steht sowie gesetzliche Betreuungsverpflichtungen eingehalten werden können. Als angemessene Entlohnung gilt grundsätzlich eine zumindest den jeweils anzuwendenden Normen der kollektiven Rechtsgestaltung entsprechende Entlohnung. Die zumutbare tägliche Wegzeit für Hin- und Rückweg beträgt jedenfalls eineinhalb Stunden und bei einer Vollzeitbeschäftigung jedenfalls zwei Stunden. Wesentlich darüber liegende Wegzeiten sind nur unter besonderen Umständen, insbesondere wenn am Wohnort lebende Personen üblicher Weise eine längere Wegzeit zum Arbeitsplatz zurückzulegen haben oder besonders günstige Arbeitsbedingungen geboten werden, zumutbar.

(3) In den ersten 100 Tagen des Bezuges von Arbeitslosengeld auf Grund einer neu erworbenen Anwartschaft ist eine Vermittlung in eine nicht dem bisherigen Tätigkeitsbereich entsprechende Tätigkeit nicht zumutbar, wenn dadurch eine künftige Beschäftigung im bisherigen Beruf wesentlich erschwert wird. In den ersten 120 Tagen des Bezuges von Arbeitslosengeld auf Grund einer neu erworbenen Anwartschaft ist eine Beschäftigung in einem anderen Beruf oder eine Teilzeitbeschäftigung nur zumutbar, wenn das sozialversicherungspflichtige Entgelt mindestens 80 vH des der letzten Bemessungsgrundlage für das Arbeitslosengeld entsprechenden Entgelts beträgt. […]

§ 10. (1) Wenn die arbeitslose Person

1. sich weigert, eine ihr von der regionalen Geschäftsstelle oder einen vom Arbeitsmarktservice beauftragten, die Arbeitsvermittlung im Einklang mit den Vorschriften der §§ 2 bis 7 AMFG durchführenden Dienstleister zugewiesene zumutbare Beschäftigung anzunehmen oder die Annahme einer solchen Beschäftigung vereitelt, oder

2. (...)

3. (...)

4. (...)

so verliert sie für die Dauer der Weigerung, mindestens jedoch für die Dauer der auf die Pflichtverletzung gemäß Z 1 bis 4 folgenden sechs Wochen, den Anspruch auf Arbeitslosengeld. Die Mindestdauer des Anspruchsverlustes erhöht sich mit jeder weiteren Pflichtverletzung gemäß Z 1 bis 4 um weitere zwei Wochen auf acht Wochen. Die Erhöhung der Mindestdauer des Anspruchsverlustes gilt jeweils bis zum Erwerb einer neuen Anwartschaft. Die Zeiten des Anspruchsverlustes verlängern sich um die in ihnen liegenden Zeiträume, während derer Krankengeld bezogen wurde.

(2) (...)

(3) Der Verlust des Anspruches gemäß Abs. 1 ist in berücksichtigungswürdigen Fällen wie zB bei Aufnahme einer anderen Beschäftigung nach Anhörung des Regionalbeirates ganz oder teilweise nachzusehen.

(4) (...)

§ 38. Soweit in diesem Abschnitt nichts anderes bestimmt ist, sind auf die Notstandshilfe die Bestimmungen des Abschnittes 1 sinngemäß anzuwenden.

Nach der gefestigten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs kann ein Arbeitsloser vom Arbeitsmarktservice zu einer Beschäftigung zugewiesen werden, sofern diese nicht evident unzumutbar ist bzw. das Arbeitsmarktservice nicht von vornherein (etwa auf Grund eines diesbezüglichen Einwands des Arbeitslosen) Kenntnis von einem die Unzumutbarkeit begründenden Umstand hat. Es liegt dann am Arbeitslosen, beim Vorstellungsgespräch mit dem potenziellen Dienstgeber die näheren Bedingungen der bekannt gegebenen Beschäftigungsmöglichkeit zu erörtern (vgl. zuletzt VwGH Ra 2021/08/0133 vom 02.11.2022).

Bezogen auf den vorliegenden Fall ergibt sich daraus:

Der BF stand in der für das vorliegende Verfahren maßgeblichen Zeit noch in den ersten 120 Tagen seines Arbeitslosengeldbezuges. Das sozialversicherungspflichtige Entgelt der zugewiesenen Beschäftigung hätte daher mindestens 80 vH des der letzten Bemessungsgrundlage für das Arbeitslosengeld entsprechenden Entgelts betragen müssen. Dies war hier nicht der Fall: Die verfahrensgegenständlich zugewiesene Beschäftigung beinhaltete ausgehend vom zugewiesenen Stellenangebot ausdrücklich nur eine Teilzeitbeschäftigung mit 32 Wochenstunden. Bei Aufnahme dieser Beschäftigung hätte der BF weniger als 80 vH des der letzten Bemessungsgrundlage für das Arbeitslosengeld entsprechenden Entgelts erhalten. Die zugewiesene Beschäftigung entsprach daher ausgehend vom Stellenangebot nicht den Zumutbarkeitskriterien des § 9 Abs 3, zweiter Satz AlVG. Sie war für den BF, der sich nicht in den ersten 120 Tagen seines Arbeitslosengeldbezugs befand, evident unzumutbar.

Eine Verpflichtung des BF, sich auf eine evident unzumutbare Stelle zu bewerben und mit dem potentiellen Dienstgeber zu erörtern, ob allenfalls auch eine Vollzeitbeschäftigung mit entsprechender Bezahlung möglich wäre, ist aus der oben wiedergegebenen höchstgerichtlichen Judikatur für den hier vorliegenden Fall nicht abzuleiten. Rückfragen solcher Art vorzunehmen, wäre in einem Fall wie dem vorliegenden – es handelt sich um einen Fall, der die Beachtung eindeutiger besonderer Zumutbarkeitskriterien erforderte - Sache des AMS gewesen. Die Klarstellung, dass auch Vollzeit angeboten werde, hätte das AMS vor der verfahrensgegenständlichen Stellenzuweisung vornehmen und dem BF rechtzeitig zur Kenntnis bringen müssen.

Soweit der potentielle Dienstgeber dem AMS am 23.05.2023 – somit dem Scheitern der verfahrensgegenständlichen Beschäftigungsaufnahme nachfolgend - bekannt gab, dass bei Bereitschaft für Aushilfe im Service auch Vollzeit möglich wäre, ist dies rechtlich als eine nachträgliche Abänderung des ursprünglich zugewiesenen Stellenangebotes zu beurteilen, die für die hier vorzunehmende Prüfung nicht mehr relevant ist.

Das Vorliegen einer Vereitelung iSd § 10 AlVG kommt im vorliegenden Fall daher nicht in Betracht. Weitere Prüfungen diesbezüglich erübrigen sich.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.