JudikaturBVwG

I423 1255563-3 – Bundesverwaltungsgericht Entscheidung

Entscheidung
19. Februar 2025

Spruch

I423 1255563-3/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a Daniela GREML über die Beschwerde der XXXX , geb. am XXXX , StA. Nigeria, vertreten durch den Verein Deserteur- und Flüchtlingsberatung gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 28.08.2024, IFA-Zahl/Verfahrenszahl: XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 22.01.2025 zu Recht:

A)

I. Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

II. Die Spruchpunkte II. bis VI. des angefochtenen Bescheides werden ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerin stellte nach ihrer illegalen Einreise ins Bundesgebiet am 26.07.2004 einen Antrag auf internationalen Schutz, der mit Bescheid des [damals] Bundeasylamtes vom 03.12.2004, Zl. XXXX , abgewiesen und die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Nigeria für zulässig erklärt wurde. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des [damals] Asylgerichtshofs vom 10.03.2009 abgewiesen, die Zulässigkeit der Abschiebung nach Nigeria festgestellt und die Beschwerdeführerin aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen.

2. Am 04.12.2018 stellte die Beschwerdeführerin einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 56 Abs. 1 AsylG 2005, der mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, im Folgenden als belangte Behörde oder BFA bezeichnet, vom 09.07.2019 als unzulässig zurückgewiesen wurde. Eine dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 29.08.2019, GZ XXXX , als unbegründet ab.

3. Mit 04.03.2024 stellte die Beschwerdeführerin den verfahrensgegenständlichen Asylfolgeantrag, den sie in ihrer Erstbefragung vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag damit begründete, dass sie lesbisch sei, was in ihrer Heimat nicht erlaubt wäre. Wegen ihrer sexuellen Orientierung würde sie in ihrer Heimat umgebracht werden. Sie sei schon immer lesbisch gewesen, habe dies jedoch aufgrund ihrer Herkunft versteckt und könne erst seit 2019 darüber sprechen. Dies liege besonders daran, dass sie die Organisation „Queer Base“ kennengelernt habe, durch die sie ermutigt worden sei, darüber zu sprechen. Auch sei sie krank und leide sie unter Depressionen, Schmerzen in den Beinen und Bluthochdruck und nässe in der Nacht in ihr Bett. In Nigeria habe sie Mutter, Vater und Bruder verloren und habe sie dort niemanden mehr, den sie um Hilfe bitten könne. Ihre Kinder würden zwar in Nigeria leben, sie habe aber aufgrund ihrer Situation keinen Kontakt mit ihnen und könne ihnen auch nichts bieten.

4. Am 09.07.2024 erfolgte vor dem BFA eine niederschriftliche Einvernahme der Beschwerdeführerin. Zu ihrem Fluchtvorbringen brachte sie dabei im Wesentlichen vor, dass sie lesbisch und wegen ihrer Sexualität gefährdet sei. Sie habe sich das in Afrika nicht eingestehen können. Die Gesetze in Afrika seien sehr streng und habe sie sich nicht dazu bekennen können. Auch in Österreich habe sie das den Schwarzen, die sie getroffen habe, nicht sagen können. Erst 2019, als sie XXXX kennengelernt habe, habe sie darüber reden können und gesehen, dass es auch andere wie sie gebe. Die Beziehung mit XXXX habe aber nicht wirklich funktioniert, weil sich die Beschwerdeführerin vor der Polizei versteckt habe. 2023 habe sie dann erfahren, dass es Queer Base und ARA gebe, wo man frei reden könne und nicht verurteilt werde. In der Öffentlichkeit könne sie nicht darüber sprechen und wisse auch in der Kirche niemand etwas davon. Wenn sie zurück nach Nigeria müsse, wäre sie in Gefahr, weil sie eine Lesbe sei und man dort sogar auf der Straße deswegen getötet werden könne. Sie fürchte im Falle ihrer Rückkehr um ihr Leben. Zudem leide sie an Bluthochdruck und Depressionen; in Nigeria habe sie niemanden mehr, der ihr helfen könne.

5. Mit Bescheid vom 28.08.2024 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin vom 04.03.2024 auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Nigeria (Spruchpunkt II.) als unbegründet abgewiesen. Zugleich erteilte das BFA der Beschwerdeführerin keine Aufenthaltsberechtigung „besonderer Schutz“ (Spruchpunkt III.), erließ gegen sie eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.) und stellte die Zulässigkeit ihrer Abschiebung nach Nigeria fest (Spruchpunkt V.). Ihr wurde eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen eingeräumt (Spruchpunkt VI.).

6. Dagegen erhob die rechtsvertretene Beschwerdeführerin Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht, wobei sie sich auf ihre homosexuelle Orientierung stützte. Die Beschwerde samt Verwaltungsakt langte am 04.10.2024 beim Bundesverwaltungsgericht ein. Nach Unzuständigkeitsanzeige wurde die Rechtssache am 08.10.2024 der Gerichtsabteilung I423 zugeteilt.

7. Mit 14.01.2024 langte in Hinblick auf die anberaumte mündliche Verhandlung eine Stellungnahme ein und wurden Beweismittel vorgelegt.

8. Am 22.01.2025 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht, Außenstelle Innsbruck, in Anwesenheit der Beschwerdeführerin, ihrer Rechtsvertretung und einer Dolmetscherin für die englische Sprache eine mündliche Beschwerdeverhandlung statt, in der die Beschwerdeführerin einvernommen wurde. Eine Vertreterin bzw. ein Vertreter des BFA blieb der Verhandlung entschuldigt fern.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person der Beschwerdeführerin

Die volljährige Beschwerdeführerin ist nigerianische Staatsangehörige und christlichen Glaubens. Ihre Identität steht nicht fest.

Die Beschwerdeführerin leidet an erhöhtem Blutdruck, wogegen sie täglich zweimal Iterium 1 mg einnimmt. Weiters wurden ihr eine suizidale Krise bei schwerer depressiver Episode, eine Posttraumatische Belastungsstörung, Kopfschmerzen, Pollakisurie und Lumboischialgie diagnostiziert, wogegen ihr eine Mehrzahl an Medikamenten verschrieben wurde. Die Beschwerdeführerin ist arbeitswillig.

Sie stammt aus Edo-State. In Nigeria schloss die Beschwerdeführerin die Sekundarschule ab und trugen ihre Eltern für sie in finanzieller Hinsicht Sorge. Sie reiste illegal nach Österreich, wo sie sich seit mindestens 26.07.2004 aufhält.

Im Herkunftsstaat leben noch die beiden Kinder der Beschwerdeführerin, zu denen jedoch kein Kontakt besteht. In Österreich verfügt sie über keine Familienangehörigen.

Im Bundesgebiet meldete sich die Beschwerdeführerin als Prostituierte an, was behördlich mittels Bescheid vom 27.08.2004 zur Kenntnis genommen wurde. Diese Tätigkeit gab sie 2009 wieder auf. Vom 01.23.2019 bis 30.06.2019 war sie geringfügig im Haushalt einer Privatperson beschäftigt. Die Beschwerdeführerin ist Mitglied im Kulturverein XXXX , wo sie auch an Veranstaltungen teilnimmt. Auch nimmt sie regelmäßig an Veranstaltungen von Queer Base teil und hat sie dort mehrere Beratungsgespräche geführt. Sie verfügt in Österreich über einen Freundeskreis, hauptsächlich aus der LGBTIQ-Gemeinschaft und auch aus ihrer Kirchengemeinschaft. Seit April 2024 ist sie in einer Wohngemeinschaft des Vereins XXXX für LGBTIQ-Geflüchtete untergebracht. Die Beschwerdeführerin hat am 15.05.2013 ein Sprachdiplom Deutsch in A2 Grundstufe Deutsch 2 erworben. Sie kann sich in einfachen Zusammenhängen auf Deutsch ausdrücken und Fragen auf Deutsch beantworten bzw. deutschen Aussagen folgen.

Strafgerichtlich ist sie unbescholten.

Mit Bescheid des [damals] Bundesasylamtes vom 03.12.2004, Zl. XXXX , wurde der Asylantrag der Beschwerdeführerin vom 26.07.2004, den sie damals mit einer ritualistischen Tätigkeit ihres Ehemanns begründete, abgewiesen, die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Nigeria für zulässig erklärt und die Beschwerdeführerin aus dem Bundesgebiet ausgewiesen. Eine dagegen erhobene Beschwerde wies der [damals] Asylgerichtshof mit Erkenntnis vom 10.03.2009, Zl. XXXX , ab, sprach die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Nigeria aus und wies diese aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Nigeria aus. Die Behandlung einer dagegen erhobenen Beschwerde lehnte der Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom 01.07.2009, XXXX , ab.

Einen am 04.12.2018 gestellten Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 56 Abs. 1 AsylG 2005 wies das BFA mit Bescheid vom 09.07.2019, IFA-Zahl/Verfahrenszahl: XXXX , als unzulässig zurück. Eine dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 29.08.2019, GZ XXXX , als unbegründet ab.

1.2. Zu den Fluchtmotiven und der individuellen Rückkehrsituation der Beschwerdeführerin

Die Beschwerdeführerin ist homosexuell.

Aufgrund ihrer (homo-)sexuellen Orientierung wird die Beschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr nach Nigeria sehr wahrscheinlich der Gefahr einer Verfolgung ausgesetzt sein. Homosexualität steht in Nigeria unter Strafe. Es ist in Nigeria mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin, sofern sie ihre sexuelle Orientierung nicht verleugnet bzw. äußerst gut verbirgt, im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat sowohl der Gefahr einer staatlichen Verfolgung als auch einer Verfolgung durch Privatpersonen ausgesetzt sein wird. Staatliche Behörden sind nicht schutzwillig und tritt der Staat auch selbst als Verfolger auf. Jedenfalls wäre die Beschwerdeführerin gezwungen, ihre Homosexualität zu verheimlichen bzw. könnte sie diese nicht ausleben.

1.3. Zu den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat

Anlassfallbezogen werden Feststellungen zur Situation von Homosexuellen anhand vom aktuellen Länderinformationsblatt für Nigeria getroffen:

Homosexualität

Homosexuelle Handlungen jeglicher Art sind – unabhängig vom Geschlecht der betroffenen Personen – sowohl nach säkularem Recht als auch nach Scharia-Recht (Körperstrafen bis hin zum Tod durch Steinigung in besonderen Fällen) strafbar (AA 21.12.2023; vgl. ÖB Abuja 10.2024, EUAA 6.2024, HRW 16.1.2025). Nigeria ist eines der Länder, die auch Geschlechtsverkehr zwischen Frauen ausdrücklich unter Strafe stellen. In den Antidiskriminierungsgesetzen wird die sexuelle Ausrichtung nicht als eigener Schutzgrund genannt (EUAA 6.2024).

Der Criminal Code (Strafgesetz, südliche Staaten) aus dem Jahr 2004, das in den meisten südlichen Bundesstaaten als staatliches Gesetz gilt, sieht für einvernehmliche gleichgeschlechtliche Beziehungen eine Freiheitsstrafe von 14 Jahren und für „grobe Unsittlichkeit“ drei Jahre vor. In den nördlichen Bundesstaaten sieht der Penal Code (Strafgesetz, nördliche Staaten) von 1959 eine Freiheitsstrafe von 14 Jahren für einvernehmliche gleichgeschlechtliche Beziehungen vor (EUAA 6.2024). Darüber hinaus gilt in zwölf nördlichen Bundesstaaten das Scharia Recht, wo homosexuelle Handlungen mit Tod durch Steinigung bestraft werden können (USDOS 23.4.2024; vgl. ÖB Abuja 10.2024, EUAA 6.2024). Obwohl dieses Gesetz von den Behörden aktiv angewendet wurde, kam es im Laufe des Jahres 2023 zu keiner Hinrichtung (USDOS 23.4.2024).

Der im Jänner 2014 verabschiedete Same Sex Marriage Prohibition Act (SSMPA) sieht vor, dass homosexuelle Paare, die heiraten oder öffentlich ihre Zuneigung zeigen, mit Haft bestraft werden können. Das Gesetz sieht bis zu 14 Jahre Haft für Eheschließungen und zivilrechtliche Partnerschaften zwischen zwei Frauen oder zwei Männern vor. Wer seine Liebesbeziehung zu einem Menschen des gleichen Geschlechts direkt oder indirekt öffentlich zeigt, soll dem Gesetz zufolge mit bis zu zehn Jahren Haft bestraft werden können (ÖB Abuja 10.2024; vgl. HRW 16.1.2025, USDOS 23.4.2024). Die gleiche Strafe ist für die Gründung und Unterstützung von Clubs, Organisationen oder anderen Einrichtungen für Schwule und Lesben vorgesehen (ÖB Abuja 10.2024; vgl. AA 21.12.2023, HRW 16.1.2025).

Im Jahr 2022 wurde ein Gesetzentwurf des Parlaments zum Verbot von Crossdressing in zweiter Lesung als „verfassungswidrig“ eingestuft. Im April 2024 zitierten Quellen den PR-Beauftragten der Polizei mit der Aussage, dass Menschen wegen Crossdressing nicht verhaftet werden können, da es sich nicht um eine Straftat handelt. In den nördlichen Bundesstaaten, in denen die Scharia gilt, ist Cross-Dressing jedoch nach wie vor illegal (EUAA 6.2024).

Insgesamt gibt es keine systematische staatliche Verfolgung oder aktive Überwachung von Angehörigen sexueller Minderheiten (STDOK 15.9.2020; vgl. ÖB Abuja 10.2024). Die Rechtsänderung durch den SSMPA hat bisher nicht zu einer flächendeckenden verschärften Strafverfolgung geführt (AA 21.12.2023). Von Zeit zu Zeit wird von Verhaftungen ganzer Feiergesellschaften auf "homosexuellen Geburtstagsparties" berichtet. In diesen Fällen kommt es auch zu Anklagen und Gerichtsverfahren, die jedoch nicht in Verurteilungen münden (ÖB Abuja 10.2024; vgl. EUAA 6.2024). Die Anwendung von Strafgesetz und Scharia gestaltet sich schwierig, denn es gilt der Nachweis gleichgeschlechtlichen Sexualverkehrs. Auch unter dem SSMPA gab es kaum Anklagen. Üblicherweise verlaufen Gerichtsfälle unter diesen Gesetzen im Sand. Allerdings werden manchmal andere Vergehen vorgeschoben, um eine Verurteilung zu vereinfachen. Zudem schafft die Existenz der spezifisch auf sexuelle Minderheiten anwendbaren Gesetze die Basis dafür, dass Personen von staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren drangsaliert, bedroht oder erpresst werden können. Verhaftungen wiederum ziehen kaum jemals Anklagen nach sich, sondern dienen in erster Linie der Erpressung (STDOK 15.9.2020).

Seit der Verabschiedung des SSMPA werden Angehörige sexueller Minderheiten noch häufiger Opfer von Mob-Angriffen und Polizeigewalt (AA 21.12.2023). Die Menschenrechtsverletzungen reichen von Massenverhaftungen unter dem Vorwand einer Ehe gleichgeschlechtlicher Partner, illegale Durchsuchungen, Erpressung, Entführung, Mob-Gewalt, Erpressung, Körperverletzung, Diebstahl, Vergewaltigung, Verletzung der Privatsphäre, Bekehrungspraktiken, gewaltsame Zwangsräumung, unrechtmäßige Entlassung, Diskriminierung in allen Bereichen der Gesellschaft bis zu verschiedenen Formen der Belästigung durch staatliche und nicht-staatliche Akteure. Der Standort und die sozioökonomische Schicht der betroffenen Personen haben einen erheblichen Einfluss auf den Umgang mit diesen und das Ausmaß dieser Übergriffe (TIERS 3.2024). Angehörige sexueller Minderheiten sind Gewalt durch die Polizei ausgesetzt, darunter willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen, körperliche Misshandlungen und Erpressung (EUAA 6.2024).

Am 27.8.2023 führte die Polizei im Bundesstaat Delta eine Razzia bei einer Party durch, die von Angehörigen sexueller Minderheiten organisiert worden war, und nahm mehr als 200 Personen fest. Die Polizei behauptete, dass es sich bei der Veranstaltung um eine gleichgeschlechtliche Hochzeit gehandelt hat, aber einige Vertreter von Organisationen der Zivilgesellschaft erklärten, die Behörden hätten diese Behauptung erfunden, um die Razzia zu rechtfertigen. Am 28.9.2023 wurden alle Festgenommenen gegen Kaution freigelassen, obwohl die Anklagen am Jahresende noch offen waren (USDOS 23.4.2024; vgl. HRW 11.1.2024).

Die überwiegende Mehrheit von Menschenrechtsverletzungen gegenüber Angehörigen sexueller Minderheiten geht jedoch von nicht-staatlichen Akteuren aus. Staatlicher Schutz ist diesbezüglich nicht zu erwarten (TIERS 28.6.2021; vgl. STDOK 15.9.2020). Im aktuellen TIERS-Bericht für das Jahr 2023 wird erwähnt, dass in 137 Fällen von Menschenrechtsverletzungen im Bereich sexueller Minderheiten staatliche Akteure die Täter waren, in 854 Fällen nicht-staatliche Akteure (TIERS 3.2024). Zu Ermittlungen kommt es nicht. Dieses Phänomen betrifft aber nicht nur Angehörige sexueller Minderheiten, vielmehr ist der Standard der Polizei allgemein niedrig. Allerdings kommt es bei dieser Personengruppe mitunter sogar zur Nötigung oder Verhaftung des Opfers (STDOK 15.9.2020). Laut TIERS zeigen staatliche Beamte, einschließlich der Strafverfolgungsbehörden, oft einen Mangel an Bereitschaft oder Kapazität, Fälle zu bearbeiten, die sexuelle Minderheiten betreffen. Opfer suchen keine Hilfe aufgrund von Stigmatisierung und Diskriminierung oder aus Angst, angegriffen oder verhaftet zu werden (EUAA 6.2024).

Eine andere Möglichkeit, Gerechtigkeit zu suchen, besteht in der Anrufung der National Human Rights Commission (NHRC). Zwar bleibt der offizielle staatliche Diskurs bezüglich sexueller Minderheiten von Homophobie geprägt. Trotzdem gibt es in staatlichen Bereichen Anknüpfungspunkte – v. a. im Gesundheitsbereich und eben bei der NHRC. Positive Trends sind hier sichtbar im Bereich der Kooperation mit der NHRC und der Anerkennung von Menschenrechtsverletzungen durch diese Behörde (STDOK 15.9.2020). Im Jahresbericht der NHRC für das Jahr 2022 heißt es, dass sie mit NGOs zusammenarbeitet, um Schulungen für Strafverfolgungsbeamte zu Angelegenheiten sexueller Minderheiten abzuhalten, um deren Schutz zu verbessern (EUAA 6.2024).

Die Zustimmung der Bevölkerung zum SSMPA und anderen Strafmaßnahmen gegenüber sexuellen Minderheiten ist immer noch hoch, doch ist diese zugleich innerhalb weniger Jahre auch drastisch gesunken. Immer mehr Menschen sind zudem bereit, ein homosexuelles Familienmitglied zu akzeptieren. Mit vermehrter Toleranz sinkt die Radikalität der Homophobie. Allerdings ist die Gewaltschwelle in Nigeria generell niedrig. Während in den Medien eine negative Berichterstattung über sexuelle Minderheiten weiterhin vorherrscht, ist auch dort ein Trend zur Liberalisierung bemerkbar. Immer wieder kommt es nun zu sachlicher Berichterstattung, auch Filme zur Thematik wurden veröffentlicht (STDOK 15.9.2020).

Das Gesetz verbietet die Diskriminierung durch staatliche oder nicht-staatliche Akteure aufgrund der sexuellen Ausrichtung oder der Geschlechtsidentität nicht. Angehörige sexueller Minderheiten berichten von Diskriminierungen bei der Beschäftigung, bei der Wohnungssuche und beim Zugang zur Gesundheitsversorgung aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen sexuellen Ausrichtung oder Geschlechtsidentität oder -ausdruck (USDOS 23.4.2024).

Gesellschaftliche Diskriminierung bei offenem Zurschaustellen der sexuellen Orientierung ist vorhanden (ÖB Abuja 10.2024) bzw. "allgegenwärtig" (EUAA 6.2024). Das gesellschaftliche Klima Homosexuellen gegenüber ist feindselig (AA 21.12.2023). Konservative religiöse gesellschaftliche Normen werden als Hauptgrund für die Homophobie in Nigeria beschrieben. Religiöse Institutionen und Persönlichkeiten verbreiten homophobe Botschaften. Homophobe Einstellungen sind in der nigerianischen Gesellschaft tief verwurzelt (EUAA 6.2024).

Es kann nach wie vor riskant sein, sich gegenüber der Familie als homosexuell zu outen. Es kann zum Verstoßen, zum Einsperren, zu Gewalt oder zur Zuführung zu einer „Konversionstherapie“ („conversion therapy“) kommen. Allerdings sinkt die Ablehnung homosexueller Familienmitglieder und gleichzeitig steigt deren Akzeptanz. Generell gehen viele Nigerianer mit ihrer Sexualität nicht offen um. Das gesellschaftliche Umfeld führt zur Geheimhaltung gleichgeschlechtlicher Beziehungen. Zahlreiche Angehörige sexueller Minderheiten sind „normal“ verheiratet. Dies dient einerseits der Verschleierung, andererseits dem Entsprechen sozialer Normen (STDOK 15.9.2020).

Angehörige sexueller Minderheiten werden durch eine kriminelle Praxis namens Kito ins Visier genommen, bei der sie über Online-Dating-Apps angelockt und später, meist von einer Gruppe von Männern, angegriffen und ausgeraubt werden. Die Angriffe werden manchmal gefilmt und zur Erpressung der Opfer verwendet. Einige dieser Videos werden im Internet veröffentlicht und können zum Verlust des Arbeitsplatzes, zur Räumung der Wohnung, zur Ablehnung durch Familienmitglieder und zur Verschlechterung der psychischen Gesundheit führen. TIERS bezeichnete Zwangsräumungen im Anschluss an Erpressungen als einen „anhaltenden Trend“. Es handelt sich bei den Opfern meist um Schwule und queere Männer, aber auch Frauen, die sexuellen Minderheiten angehören, werden durch Kito ins Visier genommen, einschließlich Fälle, in denen der Täter vorgab, von der Polizei zu sein (EUAA 6.2024).

Praktiken zur Änderung der sexuellen Orientierung sind in Nigeria üblich, einschließlich medizinischer und religiöser Therapien. Laut TIERS praktizieren einige religiöse Führer Konversionstherapien, um homosexuelle Personen zu „heilen“, während CNN über die Geschichte einer lesbischen Frau berichtete, die von ihrer Familie in eine Kirche geschickt wurde, um sie „von Dämonen zu befreien“. Zwischen Dezember 2022 und November 2023 dokumentierte TIERS 15 Fälle von Konversionspraktiken. Es gibt auch Berichte über unangemessene Operationen, die an intersexuellen Menschen vorgenommen wurden, manchmal ohne deren Zustimmung (EUAA 6.2024).

In mehreren Großstädten können Angehörige und Communities sexueller Minderheiten freier leben. Zudem gibt es dort ein größeres Ausmaß an möglicher Unterstützung. Der maßgebliche Vorteil ist die Anonymität. Diese sinkt naturgemäß im ländlichen Raum – aber auch in den Slums der Großstädte. Es gibt aber auch konträre Meinungen, wonach nämlich die Gesellschaft in bestimmten ländlichen Gebieten toleranter sei als in der Stadt. Die meisten dokumentierten Fälle von Menschenrechtsverletzungen betreffen Städte. Dies kann aber freilich auch damit zu tun haben, dass dort Vorfälle eher gemeldet und dokumentiert werden (STDOK 15.9.2020).

Homosexuellen-NGOs arbeiten weiter, die Netzwerke sind sogar ausgebaut und sichtbarer geworden. Die Zahl an Organisationen hat sich nahezu verdreifacht. Nur in seltenen – dokumentierten – Ausnahmefällen kam es zu staatlichen Maßnahmen gegen NGOs. Fördergelder werden weiterhin gezahlt und sind nach Angaben einer Quelle sogar gestiegen (STDOK 15.9.2020).

Lokale NGOs sammeln Informationen zu Menschenrechtsverletzungen an Angehörigen sexueller Minderheiten. Ein Beispiel für eine umfangreiche Datensammlung dieser Art stellt der jährlich aktualisierte Menschenrechtsbericht von TIERs und kooperierenden NGOs dar. Einige NGOs betreiben Hotlines bzw. stellen Telefonnummern für Notfälle zur Verfügung. Die meisten Quellen gehen davon aus, dass etwa in Polizeigewahrsam geratene Personen wissen, wen sie zur Unterstützung anrufen können. Die Unterstützung wird in erster Linie zwecks Kautionszahlung („bail out“) geleistet (STDOK 15.9.2020). Dennoch sind Organisationen, die sich für die Rechte sexueller Minderheiten einsetzen, in Nigeria faktisch verboten, mit Ausnahme von Organisationen, die Rechtsberatung anbieten oder über HIV und AIDS aufklären. Die Initiative für Frauengesundheit und Gleichberechtigung (Women's Health and Equal Rights Initiative, WHER) bietet psychosoziale Unterstützung für lesbische, bisexuelle und queere Frauen, während Love Is a Crime auch rechtliche und psychologische Unterstützung für Angehörige sexueller Minderheiten bietet, die Opfer von Menschenrechtsverletzungen sind (EUAA 6.2024).

Einige Anwälte und Vereinigungen stellen Angehörigen sexueller Minderheiten Rechtshilfe zur Verfügung. Diese kommt u. a. beim sogenannten „bail out“ aus dem Polizeigewahrsam zu tragen. Gelangt ein Fall tatsächlich vor Gericht, kommt es üblicherweise zur (juristischen) Intervention von NGOs (STDOK 15.9.2020).

Netzwerke sexueller Minderheiten sind v. a. in großen Städten präsent und aktiv. Vormals gab es im ländlichen Bereich wenn, dann aus dem Gesundheitsbereich heraus aktive Organisationen. Nunmehr versuchen einige städtische Netzwerke, ihre Arbeit auch auf ländliche Gegenden auszudehnen. Insgesamt hat sich die Reichweite der Netzwerke in den letzten Jahren verbessert. Sprachgrenzen und Infrastruktur stellen allerdings Barrieren dar. In den meisten Fällen wissen Angehörige sexueller Minderheiten, wen bzw. welche Organisation sie bei Bedarf kontaktieren können. Angehörige sexueller Minderheiten können sich durch einen Umzug in eine (andere) Stadt oder einen anderen Stadtteil aus einer direkten Risikolage befreien. Netzwerke und NGOs der Community unterstützen Personen bei diesem Schritt. In einigen Städten gibt es auch von NGOs organisierte Notquartiere (safe house / shelter). Es kommt mitunter auch zu „Zuweisungen“ bedrohter Personen von einer Stadt in eine andere (STDOK 15.9.2020).

Grundsätzlich ist weibliche Homosexualität weniger stark tabuisiert als männliche. Homosexuelle Frauen sind in geringerem Ausmaß von Verhaftungen und Menschenrechtsverletzungen bedroht und betroffen. Allerdings sind ihre Netzwerke schwächer. Mitunter kommt es zu Vergewaltigungen und anderen Formen von Gewalt. Manche Frauen werden von ihren Familien eingesperrt oder zwangsweise zu „Therapien“ gezwungen (STDOK 15.9.2020).

Sichtbarkeit im Auftreten und im Verhalten stellt einen Risikofaktor dar. Dies betrifft insbesondere Männer, die sich feminin geben, doch auch Frauen, die diesbezüglich gegen gesellschaftliche Normen verstoßen, können betroffen sein. Das gemeinsame Wohnen alleine stellt für gleichgeschlechtliche Personen kein Problem dar, dies ist in Nigeria – von der Wohnung bis hin zum Hotelzimmer – aus Kostengründen nicht unüblich. Der Einfluss des Alters oder des Familienstandes auf die Frage des persönlichen Risikos von Angehörigen sexueller Minderheiten ist unklar. Einen maßgeblichen Einfluss hat hingegen der sozio-ökonomische Status einer Person. Mit zunehmender Finanzkraft, Bildung und Vernetzung – also mit zunehmenden Privilegien – sinkt das Risiko gegen null. Hauptrisikogruppe sind hingegen jene Personen, deren Alltag in einem Umfeld mit niedrigem sozialen und ökonomischen Status verankert ist (STDOK 15.9.2020).

Quellen:

AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (21.12.2023): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Nigeria (Stand: November 2023), https://www.ecoi.net/en/file/local/2102769/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Nigeria,_21.12.2023.pdf, Zugriff 27.5.2024 [Login erforderlich]

EUAA - European Union Agency for Asylum (6.2024): Nigeria - Country Focus, https://www.ecoi.net/en/file/local/2112320/2024_07_EUAA_COI_Report_Nigeria_Country_Focus.pdf, Zugriff 29.7.2024

HRW - Human Rights Watch (16.1.2025): World Report 2025 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2120043.html, Zugriff 20.1.2025

HRW - Human Rights Watch (11.1.2024): World Report 2024 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2103137.html, Zugriff 17.6.2024

ÖB Abuja - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2024): Asylländerbericht Nigeria Oktober 2024, https://www.ecoi.net/en/file/local/2116558/NIGR_ÖB-Bericht_2024_10.docx, Zugriff 24.10.2024 [Login erforderlich]

STDOK - Staatendokumentation des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl [Österreich] (15.9.2020): Analyse zur Lage sexueller Minderheiten unter Hinzunahme der Informationen der FFM Nigeria 2019, Update der Analyse sexuelle Minderheiten vom 30.9.2016, https://www.ecoi.net/en/file/local/2038276/NIGR_Analyse_Homosexuelle_2020_09_15_KE.pdf, Zugriff 24.7.2024

TIERS - The Initiative for Equal Rights Nigeria (3.2024): 2023 Human Rights Violations Report - based on real or perceived sexual orientation, gender identity / expression and sex characteristics in Nigeria, https://theinitiativeforequalrights.org/wp-content/uploads/2024/03/2023-Human-Rights-Violation-Report-2.pdf, Zugriff 24.7.2024

TIERS - The Initiative for Equal Rights Nigeria (28.6.2021): Answer via E-Mail

USDOS - United States Department of State [USA] (23.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices: Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2107771.html, Zugriff 3.6.2024

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zum Sachverhalt

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt des BFA unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben der Beschwerdeführerin vor diesem und den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes samt vorgelegten Unterlagen, in den bekämpften Bescheid, den Beschwerdeschriftsatz sowie in das Länderinformationsblatt zu Nigeria. Auszüge aus dem Zentralen Melderegister, dem Zentralen Fremdenregister, dem Strafregister, dem Dachverband der österreichischen Sozialversicherungsträger und dem Betreuungsinformationssystem wurden ergänzend eingeholt.

Weiters fand am 22.01.2025 vor dem Bundesverwaltungsgericht, Außenstelle Innsbruck, mündliche Beschwerdeverhandlungen statt, in der die Beschwerdeführerin im Beisein ihrer Rechtsvertretung und einer Dolmetscherin für die englische Sprache zu ihren Fluchtgründen befragt wurde.

2.2. Zur Person der Beschwerdeführerin

Die Identität der Beschwerdeführerin steht mangels Vorlage identitätsbezeugender Dokumente im Original nicht fest. Die von ihr als Kopie vorgelegte, im Jahr 2018 ausgestellte „Attestation of Birth“ (AS 117) ist keiner Echtheitsüberprüfung zugänglich und reicht nicht aus, um von den angegebenen Daten gesichert ausgehen zu können. Ihren gleichbleibenden Angaben war zu entnehmen, dass die Beschwerdeführerin nigerianische Staatsangehörige, volljährig sowie christlichen Glaubens ist (Asylantrag vom 26.07.2004, AS 3 ff; Protokoll vom 30.07.2004, AS 21; Protokoll vom 01.12.2004, AS 77; Protokoll vom 04.03.2024, AS 17 f) und aus Edo State stammt (Protokoll vom 01.12.2004, AS 77; Protokoll vom 04.03.2024, AS 17; Protokoll vom 09.07.2024, AS 61). Sie selbst konkretisierte vor dem BFA, in Nigeria die Sekundärschule abgeschlossen zu haben und dass ihre Eltern für ihren Lebensunterhalt aufgekommen seien (Protokoll vom 09.07.2024, AS 60), was keine Bedenken hervorzurufen vermag.

Hinsichtlich ihres Gesundheitszustandes legte die Beschwerdeführerin eine Mehrzahl an medizinischen Unterlagen vor, auf deren Zusammenschau die diesbezüglichen Feststellungen basieren. In der mündlichen Verhandlung brachte die Beschwerdeführerin glaubhaft ihre Arbeitswilligkeit zum Ausdruck (Protokoll vom 22.01.2025, S 5).

Ihr Aufenthalt im Bundesgebiet seit mindestens 26.07.2004 ergibt sich aus dem Datum ihrer erstmaligen Asylantragstellung an diesem Tag (Speicherauszug vom 26.07.2004, AS 9) und geht auch aus dem im Verwaltungsakt befindlichen Bescheid des [damals] Asylamtes dieses Datum hervor (AS 133 ff).

Die Beschwerdeführerin selbst schilderte vor dem BFA, dass noch ihre beiden Kinder in Nigeria leben würden, jedoch kein Kontakt bestehe (Protokoll vom 09.07.2024, AS 60). Zumal sie befragt nach ihren sozialen Bindungen in Österreich ausschließlich die Kirchenmitglieder vorbrachte (Protokoll vom 09.07.2024, AS 59) und verneinte, über Verwandte in Österreich zu verfügen (Protokoll vom 07.09.2024, AS 60), war festzustellen, dass kein Familienleben im Bundesgebiet besteht.

Der Bescheid vom 27.08.2004 hinsichtlich der Anmeldung der Beschwerdeführerin als Prostituierte liegt im Verwaltungsakt ein (AS 53 ff). Vor dem BFA konkretisierte sie, 2009 mit der Prostitution wieder aufgehört zu haben (Protokoll vom 09.07.2024, AS 59). Ihre geringfügige Beschäftigung in einem Privathaushalt ist im Sozialversicherungsdatenauszug ersichtlich. Hinsichtlich ihrer Mitgliedschaft im XXXX liegt ein entsprechendes Schreiben des Vereins im Verwaltungsakt ein, in dem auf ihre Veranstaltungsteilnahme hingewiesen wird (AS 91 f) und wurden dazu auch Bilder in Vorlage gebracht (AS 97 ff; Beilage ./A). Auch vonseiten Queer Base liegen entsprechende Bestätigungsschreiben im Verwaltungsakt (AS 25) und Gerichtsakt (Stellungnahme vom 13.01.2025) ein und wurden Bilder zu den Aktivitäten, an denen die Beschwerdeführerin teilgenommen hat, vorgelegt (AS 95, AS 113). Daneben wurden auch Videolinks zur PRIDE Vienna 2024 vorgelegt (AS 141 ff). In Anbetracht der in Vorlage gebrachten Unterlagen war festzustellen, dass die Beschwerdeführerin über einen Freundeskreis, hauptsächlich aus der LGBTIQ-Gemeinschaft verfügt. Zumal sie auch auf ihre Mitgliedschaft in der Kirche XXXX Bezug nahm, bei der sie auch gewohnt habe, und die Kirchenmitglieder „wie ihre Familie“ bezeichnete (Protokoll vom 09.07.2024, AS 58), zudem auch auf mehrmalige Messbesuche pro Woche abstellte (Protokoll vom 09.07.2024, AS 59), war festzustellen, dass auch ein Freundeskreis in ihrer Kirchengemeinschaft gegeben ist. Ihre Unterkunftnahme seit April 2024 in einer Wohngemeinschaft des Vereins XXXX für LGBTIQ-Geflüchtete ist einerseits im Melderegisterauszug ersichtlich, andererseits wurde dazu auch vom Verein ein Betätigungsschreiben in Vorlage gebracht (Stellungnahme vom 13.01.2025). Das Sprachdiplom Deutsch in A2 Grundstufe Deutsch 2 liegt im Verwaltungsakt ein (AS 115). Im Rahmen der mündlichen Verhandlung konnte festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerin sich auf Deutsch in einfachen Zusammenhängen ausdrücken und auch Fragen auf Deutsch beantworten kann bzw. deutschen Aussagen folgen konnte (Protokoll vom 22.01.2025, S 11).

Ihrem Strafregisterauszug war die strafgerichtliche Unbescholtenheit zu entnehmen.

Der Bescheid des [damals] Bundesasylamtes vom 03.12.2004 liegt im Verwaltungsakt ein (AS 133 ff), ebenso das Erkenntnis des [damals] Asylgerichtshofs (AS 239 ff) und der Beschluss des Verfassungsgerichtshofs (AS 331 f).

Die Feststellungen zum Verfahren nach § 56 Abs. 1 AsylG 2005 basieren auf dem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 29.08.2019.

2.3. Zu den Fluchtmotiven und der individuellen Rückkehrsituation der Beschwerdeführerin

Im Hinblick darauf, dass im Asylverfahren die Aussage eines Antragstellers die zentrale Erkenntnisquelle darstellt, stützt sich die erkennende Richterin vor allem auf die unmittelbaren Angaben der Beschwerdeführerin.

Entgegen der Ansicht des BFA gelangt das Bundesverwaltungsgericht nach Abhaltung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung in Anwesenheit der Beschwerdeführerin, jedoch in entschuldigter Abwesenheit des Bundesamts, zum Schluss, dass die homosexuelle Orientierung der Beschwerdeführerin und die daraus resultierende Verfolgungsgefahr in Nigeria glaubhaft sind.

Dazu ist festzuhalten, dass die Behauptung, homosexuell zu sein, kaum einer objektiven Überprüfung zugänglich ist und die Frage der Glaubwürdigkeit primär nur aufgrund der Aussagen der Beschwerdeführerin bewertet werden kann.

Zwar brachte die Beschwerdeführerin in ihrem ersten Asylverfahren im Jahr 2004 noch nicht ihre Homosexualität vor, doch ist gerade in Zusammenhang mit der sexuellen Orientierung immanent, dass es sich um eine sensible Thematik handelt und der Umgang bzw. auch die Auseinandersetzung damit stark vom Umfeld geprägt ist, in dem man seine Sozialisierung erfahren hat und die dabei vermittelten Werte, Ansichten und Einstellungen nicht ohne Weiteres abgelegt werden können. Gerade diese inneren Schwierigkeiten hinsichtlich des Eingestehens der homosexuellen Orientierung, die ambivalenten Gefühlen in diesem Zusammenhang, die – nach wie vor bestehenden – Unsicherheiten hinsichtlich der Reaktionen des Umfelds sowie den Weg zu ihrer eigenen sexuellen Identität konnte die Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar beschreiben und anhand ihrer Lebensrealität in Nigeria einordnen (Protokoll vom 22.01.2025, S 5 ff). Im Hinblick auf Fragen zu ihrer Homosexualität hinterließ die Beschwerdeführerin vor dem Bundesverwaltungsgericht einen persönlich glaubwürdigen Eindruck, wobei ihre Angaben in der mündlichen Verhandlung auch mit den Darlegungen der Beschwerdeführerin vor dem BFA, insbesondere zur tatsächlichen Auseinandersetzung mit ihrer sexuellen Orientierung im Jahr 2018/19, korrespondierten (Protokoll vom 09.0.7.2024, AS 68 ff). Zum persönlichen Eindruck tragen schließlich auch die Aktivitäten der Beschwerdeführerin bei Queer Base und im Kulturverein XXXX bei, sowie das Wohnen in einer Wohngemeinschaft für LGBTIQ-Geflüchtete. Der Vollständigkeit halber bleibt schließlich noch festzuhalten, dass die Homosexualität der Beschwerdeführerin ihrerseits bereits im Verfahren nach § 56 AsylG 2005 zur Sprache gebracht wurde (Erkenntnis vom 29.08.2019, S 3). Dass die Beschwerdeführerin erst 2024 den gegenständlichen Asylantrag gestellt hat, verstärkt sogar den Eindruck, dass die Beschwerdeführerin noch Zeit brauchte, um sich mit ihrer eigenen Sexualität auseinanderzusetzen.

An der Glaubhaftigkeit der Homosexualität der Beschwerdeführerin ändert schließlich auch nichts, dass sie Mutter zweier in Nigeria wohnhafter Kinder ist (Protokoll vom 09.07.2024, AS 60), wollte sie sich damals doch ihre sexuelle Orientierung nicht eingestehen bzw. kämpfte sie dagegen an (Protokoll vom 22.01.2025, S 7).

Zwar zeichnen sich leichte Verbesserungen hinsichtlich der Situation Homosexueller in Nigeria ab und mag ihnen in den letzten Jahren vergleichsweise auch mehr Toleranz entgegengebracht worden sein, ungeachtet dessen gilt es jedoch zu beachten, dass in Nigeria nach wie vor homosexuelle Handlungen jeglicher Art – unabhängig vom Geschlecht der betroffenen Personen – sowohl nach säkularem Recht als auch nach Scharia-Recht strafbar sind. Die Strafnormen in Nigeria sehen hinsichtlich einvernehmlich gleichgeschlechtlicher Beziehungen Freiheitsstrafen von 14 Jahren vor, in den nördlichen Bundesstaaten können homosexuelle Straftaten darüber hinaus mit Tod durch Steinigung bestraft werden.

Nigeria ist eines der Länder, die auch Geschlechtsverkehr zwischen Frauen ausdrücklich unter Strafe stellen. Grundsätzlich ist weibliche Homosexualität weniger stark tabuisiert als männliche. Homosexuelle Frauen sind in geringerem Ausmaß von Verhaftungen und Menschenrechtsverletzungen bedroht und betroffen. Allerdings sind ihre Netzwerke schwächer. Mitunter kommt es zu Vergewaltigungen und anderen Formen von Gewalt. Manche Frauen werden von ihren Familien eingesperrt oder zwangsweise zu „Therapien“ gezwungen. Sichtbarkeit im Auftreten und im Verhalten stellt einen Risikofaktor dar.

Es gibt zwar keine systematische staatliche Verfolgung oder aktive Überwachung von Angehörigen sexueller Minderheiten, dennoch finden Diskriminierung in allen Bereichen der Gesellschaft bis zu verschiedenen Formen der Belästigung durch staatliche und nicht-staatliche Akteure statt. Angehörige sexueller Minderheiten sind der Gewalt durch die Polizei ausgesetzt, darunter willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen, körperliche Misshandlungen und Erpressung.

Die überwiegende Mehrheit von Menschenrechtsverletzungen gegenüber Angehörigen sexueller Minderheiten geht jedoch von nicht-staatlichen Akteuren aus. Staatlicher Schutz ist diesbezüglich nicht zu erwarten. Staatliche Beamte, einschließlich der Strafverfolgungsbehörden, zeigen oft einen Mangel an Bereitschaft oder Kapazität, Fälle zu bearbeiten, die sexuelle Minderheiten betreffen. Das Gesetz verbietet die Diskriminierung durch staatliche oder nicht-staatliche Akteure aufgrund der sexuellen Ausrichtung oder der Geschlechtsidentität nicht. Berichtet wird von Diskriminierungen bei der Beschäftigung, bei der Wohnungssuche und beim Zugang zur Gesundheitsversorgung aufgrund der tatsächlichen oder vermeintlichen sexuellen Ausrichtung oder Geschlechtsidentität oder Geschlechtsausdruck.

Somit steht fest, dass die Beschwerdeführerin einer massiven Gefährdung in Nigeria ausgesetzt wäre.

Homosexualität ist in ganz Nigeria strafbar, sodass es keinerlei Gebiete gibt, in denen die Beschwerdeführerin vor einer Verfolgung aufgrund ihrer sexuellen Orientierung sicher wäre. Somit steht ihr fallgegenständlich auch keine innerstaatliche Fluchtalternative offen.

Es besteht sohin mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr, dass die Beschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr nach Nigeria einer aktuellen Verfolgung aufgrund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Homosexuellen ausgesetzt sein wird.

2.4. Zur Situation im Herkunftsstaat der Beschwerdeführerin

Zu den zur Feststellung der asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat ausgewählten Quellen wird angeführt, dass es sich hierbei um eine ausgewogene Auswahl verschiedener Quellen sowohl staatlichen als auch nicht-staatlichen Ursprungs handelt, welche es ermöglichen, sich ein möglichst umfassendes Bild von der Lage im Herkunftsstaat zu machen. Zur Aussagekraft der einzelnen Quellen wird angeführt, dass zwar in nationalen Quellen rechtsstaatlich-demokratisch strukturierter Staaten, von denen der Staat der Veröffentlichung davon ausgehen muss, dass sie den Behörden jenes Staates, über den berichtet wird, zur Kenntnis gelangen, diplomatische Zurückhaltung geübt wird, wenn es um kritische Sachverhalte geht, doch andererseits sind gerade diese Quellen aufgrund der nationalen Vorschriften vielfach zu besonderer Objektivität verpflichtet, weshalb diesen Quellen keine einseitige Parteinahme unterstellt werden kann. Zudem werden auch Quellen verschiedener Menschenrechtsorganisationen herangezogen, welche oftmals das gegenteilige Verhalten aufweisen und so gemeinsam mit den staatlich-diplomatischen Quellen ein abgerundetes Bild ergeben. Bei Berücksichtigung dieser Überlegungen hinsichtlich des Inhaltes der Quellen, ihrer Natur und der Intention der Verfasser handelt es sich nach Ansicht des erkennenden Gerichts bei den Feststellungen um ausreichend ausgewogenes und aktuelles Material (vgl. VwGH 07.06.2000, 99/01/0210).

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchpunkt A) Stattgabe der Beschwerde:

3.1.1. Rechtslage

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 leg. cit. zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abs. A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht (Vergleiche auch die Verfolgungsdefinition im § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates verweist).

Im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention ist als Flüchtling anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich in Folge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist.

Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des einzelnen zu verstehen.

Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen.

Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH vom 06.10.1999, Zl. 99/01/0279).

3.1.2. Anwendung der Rechtslage auf den gegenständlichen Beschwerdefall

Im gegenständlichen Fall brachte die Beschwerdeführerin vor, aufgrund ihrer homosexuellen Orientierung in Nigeria der Gefahr einer Verfolgung ausgesetzt zu sein.

Verfolgung aufgrund der sexuellen Ausrichtung (Homosexualität) ist schon nach den eindeutigen ErläutRV zum AsylG 1991 unter den Tatbestand der Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe zu subsumieren. (270 Blg Nr.18. GP11, Putzer-Rohrböck, Asylrecht, S. 43).

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) stellte in seinem Urteil vom 7. November 2013, C-199/12 bis C-201/12, klar, dass Homosexuelle eine bestimmte soziale Gruppe gemäß Art. 10 Abs. 1 lit d der Statusrichtlinie darstellen. Der EuGH wies darauf hin, dass die sexuelle Ausrichtung ein Merkmal darstellt, das so bedeutsam für die Identität ist, dass die Betreffenden nicht gezwungen werden können, darauf zu verzichten. Das erste Kriterium der Definition einer sozialen Gruppe sei daher bei Homosexuellen grundsätzlich erfüllt. Das zweite Kriterium, die wahrgenommene Andersartigkeit und abgegrenzte Identität, sei zu bejahen, wenn Homosexualität im Herkunftsland durch strafrechtliche Bestimmungen kriminalisiert sei. Das Bestehen strafrechtlicher Bestimmungen erfülle jedoch für sich genommen nicht die von Art. 9 Abs. 1 der Statusrichtlinie geforderte Schwere der Menschenrechtsverletzungen. Eine Verfolgungshandlung sei vielmehr erst dann zu bejahen, wenn die angedrohte Freiheitsstrafe in der Praxis auch tatsächlich verhängt werde und sie dadurch zu einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung gemäß Art. 9 Abs. 2 lit c der Statusrichtlinie werde. Es sei allerdings unerheblich, ob ein Antragsteller die Gefahr der Verfolgung dadurch vermeiden könnte, dass er seine Homosexualität geheim hält oder Zurückhaltung beim Ausleben der sexuellen Ausrichtung übt.

Es steht unbestritten fest, dass homosexuelle Kontakte in Nigeria strafrechtlich verboten sind. Laut EuGH erfüllt das Bestehen strafrechtlicher Bestimmungen für sich genommen nicht die von Art. 9 Abs. 1 der Statusrichtlinie geforderte Schwere der Menschenrechtsverletzungen – dies ist erst der Fall, wenn die angedrohte Freiheitsstrafe in der Praxis auch tatsächlich verhängt wird. Das Gesetz in Nigeria gegen LGBTI-Personen wird aufgrund ihrer tatsächlichen oder wahrgenommenen sexuellen Orientierung aktiv angewandt, mag es 2023 auch zu keiner Hinrichtung gekommen sein.

Art. 9 der Statusrichtlinie definiert Verfolgungshandlungen im Sinne des Art. 1 Abschnitt A der Genfer Flüchtlingskonvention. Entscheidend für das Vorliegen einer Verfolgung ist die Schwere der Handlung, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sein muss, dass sie eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung darstellt. Alternativ kann die geforderte Schwere durch eine Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen erreicht werden. Verfolgungshandlungen sind etwa die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt, sowie unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung.

Für das Bundesverwaltungsgericht steht aufgrund der oben zitierten Berichte fest, dass Homosexuelle in Nigeria – neben den strafrechtlichen Bestimmungen – mit verschiedenen Eingriffen konfrontiert sind: So wird offen gelebte Homosexualität in Nigeria gesellschaftlich nicht toleriert, werden Personen von staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren drangsaliert, bedroht oder erpresst, sind Angehörige sexueller Minderheiten der Gewalt durch die Polizei ausgesetzt, ist staatlicher Schutz nicht zu erwarten und wird von Diskriminierungen bei der Beschäftigung, bei der Wohnungssuche und beim Zugang zur Gesundheitsversorgung aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen sexuellen Ausrichtung oder Geschlechtsidentität berichtet, mögen teilweise auch positive Trends erkennbar sein.

Es muss daher aufgrund der Kumulierung verschiedener Übergriffe davon ausgegangen werden, dass in Nigeria eine Verfolgung homosexueller Personen, welche ihre sexuelle Orientierung nicht verbergen, erfolgt.

Bei einer Rückkehr nach Nigeria wäre die Beschwerdeführerin zu ihrem eigenen Schutz gezwungen, ihre sexuelle Orientierung im Geheimen zu leben. Wie bereits ausgeführt, kann nach der Judikatur des EuGH nicht verlangt werden, dass eine Person die Gefahr der Verfolgung dadurch vermeiden könnte, dass er/sie seine/ihre Homosexualität geheim hält oder Zurückhaltung beim Ausleben der sexuellen Ausrichtung übt.

In diesem Sinne wies (in Bezug auf einen Asylwerber aus dem Iran) auch der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 21.06.2017, Zl. 3074/2016-9 darauf hin, dass eine Rückkehr des homosexuellen Asylwerbers – hier in den Iran - im Ergebnis dazu führen würde, dass der Beschwerdeführer gezwungen wäre, seine sexuelle Orientierung weiterhin im Geheimen – unter ständiger Angst entdeckt zu werden – zu leben, um sich nicht der Gefahr von Diskriminierung, strafgerichtlicher Verfolgung oder körperlicher Schädigung auszusetzen. Dies sei mit dem Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union vom 07.11.2013 in den Rechtssachen C-199/12 bis C-201/12 (zur Auslegung der Richtlinie 2004/83/EG), Minister voor Immigratie en Asiel gegen X ua., nicht vereinbar.

Bei einer Gesamtbetrachtung des vorliegenden individuellen Falles besteht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr, dass die Beschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr nach Nigeria schwerwiegenden Eingriffen in ihre zu schützende persönliche Sphäre ausgesetzt wäre und zwar aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Homosexuellen.

Es liegt daher im Sinne der oben zitierten Judikatur ein Fluchtgrund nach der Genfer Flüchtlingskonvention vor und bestehen vor dem Hintergrund der herangezogenen Länderberichte (vgl. dazu die Ausführungen unter Punkt II.1.3.) auch keinerlei Hinweise darauf, dass diese Verfolgungssituation nicht mehr aktuell wäre.

In Anbetracht des Umstandes, dass Homosexualität in Nigeria bereits per Gesetz unter Strafe gestellt ist, gibt es auch keinerlei Gebiete, in denen die Beschwerdeführerin vor einer Verfolgung aufgrund ihrer Homosexualität sicher wäre. Somit steht ihr fallgegenständlich auch keine innerstaatliche Fluchtalternative offen.

Asylausschluss- oder Endigungsgründe liegen nicht vor und war der Beschwerdeführerin im Ergebnis gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 ist mit dieser Entscheidung, mit der der Beschwerdeführerin der Status der Asylberechtigten zuerkannt wurde, die Feststellung zu verbinden, dass ihr damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Aufgrund der Gewährung des Asylstatus waren die weiteren, auf einer negativen Entscheidung über den Status der Asylberechtigten aufbauenden Spruchpunkte ersatzlos zu beheben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder fehlt es an einer Rechtsprechung zur Glaubhaftmachung von Asylgründen, noch weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Im gegenständlichen Fall wurde keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen. Die vorliegende Entscheidung basiert auf den oben genannten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes.

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