JudikaturBvwgW137 2139324-5

W137 2139324-5 – Bundesverwaltungsgericht Entscheidung

Entscheidung
22. April 2024

Spruch

W137 2139324-5/31E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Peter HAMMER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , StA. Marokko, ( XXXX geb. XXXX StA. Algerien) gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.09.2019, Zl. 821660501 – 190969640, sowie die Anhaltung in Schubhaft seit 23.09.2019 zu Recht erkannt:

A)

I. Der Beschwerde wird stattgegeben und die Anhaltung in Schubhaft ab 23.09.2019 für rechtswidrig erklärt.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) hat gemäß § 35 VwGVG dem Beschwerdeführer den Verfahrensaufwand in Höhe von 1689,60 Euro binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

III. Der Antrag des Bundes auf Ersatz der Aufwendungen wird gemäß § 35 VwGVG abgewiesen.

B)

Die Revision ist gem. Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt

1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Marokko. Er verfügt über keine Personaldokumente. Nach seiner illegalen Einreise in das Bundesgebiet stellte er 2012 erstmals einen Antrag auf internationalen Schutz wobei er sich tatsachenwidrig als Minderjähriger und algerischer Staatsbürger ausgab. Unter dieser Identität stellte er in Österreich erfolglos vier Anträge auf internationalen Schutz, während deren Führung er wiederholt straffällig wurde. Seit 2016 wurde er mit Unterbrechungen immer wieder in Schubhaft angehalten und schon seit 2013 immer wieder in Strafhaft.

2. Mit Mandatsbescheid vom 23.09.2019 ordnete das Bundesamt (erneut) die Schubhaft gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG über den Beschwerdeführer an. Begründet wurde diese im Wesentlichen mit dem wiederholten Entziehen aus früheren Asylverfahren sowie der praktisch vollständig fehlenden Verankerung des Beschwerdeführers im Bundesgebiet. Zudem habe er zunächst asylverfahren unter einer falschen Identität geführt und es bestehe neben einer rechtskräftigen Rückkehrentscheidung auch ein auf zehn Jahre befristetes Einreiseverbot. Hinsichtlich der Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit verwies das Bundesamt im Wesentlichen auf fünf strafrechtliche Verurteilungen.

Berücksichtigt wurde vom Bundesamt in der Abwägung auch, dass der Beschwerdeführer seit 2016 an beiden Beinen unterhalb der Knie amputiert ist und Beinprothesen trägt.

3. Am 02.01.2020 langte beim Bundesverwaltungsgericht die nunmehr verfahrensgegenständliche Beschwerde ein. Darin wird im Wesentlichen vorgebracht, dass der Beschwerdeführer von Marokko bisher noch nicht identifiziert habe werden können. Er sei auch schon mehrmals gegen Anordnung eines gelinderen Mittels aus der Schubhaft entlassen worden und habe wiederholt einen Antrag auf freiwillige Rückkehr gestellt. Trotz seiner Bemühungen sei ihm kein Reisedokument ausgestellt worden.

Das Bundesamt habe auch die Fluchtgefahr mangelhaft begründet und es sei der Sicherungszweck der Haft nicht erfüllbar, weil keine Identifizierung seitens Marokkos erfolgt sei. Eine Abschiebung erscheine innerhalb der zulässigen Höchstdauer der Anhaltung in Schubhaft nicht möglich.

Ausdrücklich (nur) zur Verhältnismäßigkeit der Anhaltung in Schubhaft wurde in der Beschwerde der staatlich beigegebenen Vertreterin Diakonie Flüchtlingsdienst GmbH auf gesundheitliche Probleme des Beschwerdeführers, insbesondere Amputationen an beiden Unterschenkeln, hingewiesen.

Beantragt werde daher a) die Einholung eines psychiatrischen Gutachtens; b) eine mündliche Verhandlung durchzuführen; c) den angefochtenen Bescheid und die bisherige Anhaltung in Schubhaft als rechtswidrig zu erklären; d) auszusprechen, dass die Voraussetzungen für eine weitere Anhaltung nicht vorliegen; e) der Behörde den Ersatz der Kosten aufzuerlegen.

4. Ebenfalls am 02.01.2020 langte der Verwaltungsakt beim Bundesverwaltungsgericht ein. Im Rahmen einer gesonderten Stellungnahme verwies das Bundesamt insbesondere auf das Vorverhalten des Beschwerdeführers und führte aus, dass es seitens Marokkos auch noch keine Absage gegeben habe, weshalb die grundsätzliche Möglichkeit der Ausstellung eines Heimreisezertifikats jedenfalls bestehe. Der Beschwerdeführer sei auch zweifelsfrei haftfähig und im „normalen Vollzug“ untergebracht.

Beantragt wurden die Abweisung der Beschwerde, die Fortsetzung der Schubhaft sowie die Verpflichtung des Beschwerdeführers zum Kostenersatz.

5. Am 07.01.2020 führte das Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung in Anwesenheit des Beschwerdeführers, seiner Vertreterin und der belangten Behörde durch. Dabei erklärte der Beschwerdeführer eingangs mehrfach, er wolle nach Italien geschickt werden, wo seine Schwester mit drei Kindern lebe. Er habe diese und auch seine Mutter dort besucht. Der Mutter – die nach Marokko zurückgekehrt sei – habe er auch seinen Reisepass gegeben. Der Kontakt zu ihr bestehe, sie wolle ihm den Reisepass aber nicht schicken, weil sie nicht für ihn sorgen könne.

Die weitere Verhandlung verlief wie folgt (R – Richter; BehV – Behördenvertreter; BF – Beschwerdeführer; BFV – Beschwerdeführervertreter):

„R an BehV: Sie haben vorhin von der Wahrscheinlichkeit einer zeitnahen Ausstellung gesprochen. Gehen Sie von einem Termin aus der innerhalb 2-3 Monate eingehalten werden kann oder ob diese überhaupt möglich ist?

BehV: Ich gehe davon aus, dass in der maximalen Höchstdauer die HRZ-Ausstellung erfolgt. Ich kann in dem Fall aber nicht für die marokkanischen Behörden sprechen. Auf Grund der bisherigen Erfahrungswerte geht das BFA weiterhin von der Möglichkeit einer HRZ-Ausstellung aus. Genauere Fristen kann ich nicht angeben, es wird aber laufend urgiert. Sollte der BF dementsprechenden mitwirken, ist mit einer schnelleren Ausstellung zu rechnen.

R an BFV: Wollen Sie eine Stellungnahme abgeben?

BFV: Aus Sicht der Rechtsvertretung ist der BF nicht haftfähig bzw. ist die Anhaltung in Schubhaft auf Grund seines Gesundheitszustandes nicht verhältnismäßig. Er ist unter starkem Medikamenteneinfluss. Er konnte auf die vom R gestellten Fragen auch teilweise keine klaren Antworten geben. Es ist amtsbekannt, dass auch seine beiden Beine amputiert wurden. Es ist nicht nachvollziehbar, warum bis dato kein amtsärztliches Gutachten eingeholt wurde bzw. warum sich im gegenständlichen Akt keine medizinischen Unterlagen befinden. Eine gesundheitliche Eingangsuntersuchung vom 23.09.2019 ist nicht mehr aktuell, sofern diese überhaupt stattgefunden hat und sagt gar nicht über dem aktuellen Gesundheitszustand des BF aus. Es wird nochmals der Antrag auf Einholung eines amtsärztlichen und psychiatrischen Gutachtens wiederholt.

R an BFV: Der BF hat zu Beginn der Verhandlung ausdrücklich bestätigt, dass er in der Schubhaft in Wien untersucht worden ist. Ziehen Sie das in Zweifel?

BFV: Ich habe keine Zweifel daran, aber ich hätte gerne Unterlagen gesehen. Diese muss der BehV zur Verfügung stellen.

R an BFV: Sie haben gemeint, dass eine Haftfähigkeitsfeststellung nicht mehr aktuell ist. Haben Sie irgendein konkretes Datum, wo eine substanzielle Verschlechterung des BF besteht?

BFV: Aus dem heutigen Zeitpunkt ist eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes des BF eingetreten. Ich kann allerdings nicht genau sagen, wann. Aus diesem Grund wurde auch die Einholung eines amtsärztlichen Gutachtens beantragt. Die Haftfähigkeit ist vom heutigen Tag aus zu beurteilen.

R an BFV: In der vorliegenden Beschwerde vom 02.01.2020 wird die grundsätzliche Haftfähigkeit des BF nicht in Zweifel gezogen. Beantragt wurde ein psychiatrisches Gutachten ausdrücklich „zum Beweis, dass der BF weiterhin an einer psychisch relevanten Störung leidet.“ Das ist der Beschwerde auf Seite 7 zu entnehmen. Sie bringen damit nunmehr etwas substanziell Anderes vor. Für dieses überraschende Vorbringen konnte das BVwG keinerlei Vorkehrungen treffen. Wollen Sie dazu eine Stellungnahme abgeben?

BFV: Ich stelle noch einmal den Antrag…

R schlägt auf den Tisch: Sie beantworten jetzt meine Frage und stellen nicht erneut einen Antrag.

BFV: Es wird nochmals auf die Beschwerde verwiesen.

R an BFV: Behalten Sie das Vorbringen einer gänzlich fehlenden Haftfähigkeit bei?

BFV: Aus heutiger Sicht ist er nicht haftfähig.

R an BFV: Aus Sicht der BFV war der BF am 02.01.2020 grundsätzlich haftfähig. Warum hat sich diese Situation in den letzten 5 Tagen geändert?

BFV: Ich verweise auf meine Ausführungen, die ich vorhin gemacht habe.

R: Das bedeutet Sie ändern die Anträge in der Beschwerde substanziell ab und beantragen nunmehr ein Gutachten der Haftfähigkeit und nicht mehr zum Bestehen einer psychischen Erkrankung?

BFV: Und zur Unverhältnismäßigkeit der Anhaltung in Haft.

R: Die Frage der Unverhältnismäßigkeit ist eine juristische und keine medizinische Frage. Beantworten Sie bitte die Frage nach der Änderung des Antrags bzgl. Des amtsärztlichen Gutachtens?

BFV: Es wird nochmals auf meine Ausführungen in der heutigen Verhandlung verwiesen.

R: Stimmen Sie mir zu, dass die heutigen Ausführungen eine substantielle Änderung dessen ist, was in der Beschwerde vom 02.01.2020 ausgeführt wird?

BFV: Das kann ich nicht beurteilen.

BF wird ermahnt nicht laufend zu unterbrechen.

R an BFV: Welche Ausbildung haben Sie im Rahmen der Diakonie erhalten?

BFV: Diese Frage wird nicht beantwortet.

R: Warum?

BFV: Diese Frage wird nicht beantwortet.

Diese Ausführungen der BFV werden dem BF auf Arabisch übersetzt.

BF verweist auf seinen „Anwalt“ Josef PÖCKSTEINER bei der Diakonie. Die anwesende BFV teilt ihm mit, dass dieser nicht anwesend sein kann.

R an BFV: Sie sind bereits seit 07.10.2019, also seit 3 Monaten, bevollmächtiget BFV des BF. „Sie“ bedeutet in diesem Fall den Diakonie Flüchtlingsdienst. Können Sie mir sagen, ob Sie in diesen drei Monaten Nachforschungen bzgl. der gesundheitlichen Probleme des BF betrieben haben bzw. ob Sie in dieser schon substanzielle Bedenke gegenüber den Behörden geäußert haben?

BFV: Es wurde Akteneinsicht beantragt beim Referenten XXXX . Es wurden uns keine medizinischen Unterlagen zur Verfügung gestellt. Wir haben nur die Informationen bzgl. Freiwilliger Ausreise erhalten, Ersuchen um Vorführung der marokkanischen Botschaften, Aktenvermerke usw.

R an BFV: Unstrittig ist, dass Sie am 15.10.2019 Akteneinsicht genommen haben. Haben Sie das allfällige Fehlen substanziellen Unterlagen nach der Akteneinsicht gegenüber dem Bundesamt vorgebracht?

BFV: Es ist mir nichts bekannt.

R: Haben Sie in Verwandte in Österreich oder Personen zu denen eine enge Beziehung besteht?

BF: Ich habe einen Freund, er ist alt. Er ist hier in Wien. Ich kenne ihn aus der Moschee. Verwandte habe ich keine in Österreich.

R: Angenommen ich würde die Anhaltung in Schubhaft beenden. Wo würden Sie dann Unterkunft nehmen?

BF: Ich werde zum Asylzentrum gehen. Sie werden mir eine Adresse geben; ich könnte wieder im Asylheim leben.

R an BFV: Wollen Sie zu den Unterkunftsmöglichkeiten des BF etwas angeben?

BFV: Er würde einer Wohnsitzauflage nachkommen.

R: Ihre Vertreterin hat gerade ausgeführt, dass Sie im Falle der Aufhebung der Schubhaft, Ihrer Wohnsitzauflage nachkommen würden. Sie haben das im Juli 2019 nicht gemacht. Warum sollte ich Ihnen diesmal glauben?

BF: Ich war in Graz. In Graz kenne ich mich leider nicht gut aus. Wenn ich hier in Wien bleiben kann, kenne ich auch viele Leute, die mir helfen würden.

R an BehV: Könnten Sie sich eine Wohnsitzauflage für den BF vorstellen?

BehV: Die Behörde geht im vorliegenden Fall von einer erheblichen Fluchtgefahr aus. Der BF ist bisher einem gelinderen Mittel und einer Wohnsitzauflage nicht nachgekommen. Er unternimmt auch sonst keine Schritte, um an dem Verfahren mitzuwirken. Auf Grund der Straffälligkeit besteht auch ein großes öffentliches Interesse der Außerlandesbringung des BF.

R an BFV: Haben Sie Fragen an den BF?

BFV: Keine Fragen.

R an BehV: Haben Sie Fragen an den BF?

BehV: Keine Fragen.“

Im Anschluss wurde die gegenständliche Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts mündlich verkündet.

6. Am 13.01.2020 beantragte die Vertreterin des Beschwerdeführers die schriftliche Ausfertigung der Entscheidung.

7. Mit Beschluss vom 30.01.2020 bewilligte der Verwaltungsgerichtshof dem Beschwerdeführer Verfahrenshilfe (unter anderem) durch Beigabe eines Rechtsanwalts zur Abfassung einer außerordentlichen Revision.

8. Am 07.02.2020 wurde der Beschwerdeführer vom Bundesamt unter Anordnung eines gelinderen Mittels aus der Schubhaft entlassen.

9. Ohne die schriftliche Ausfertigung der Entscheidung abzuwarten brachte der Verfahrenshelfer des Beschwerdeführers – durch seine Substitutin RA Dr. Romana ZEH-GINDL - am 03.03.2020 eine außerordentliche Revision – verbunden mit einem „Antrag auf sofortige Enthaftung aus der Schubhaft“ sowie einem „Antrag auf Enthaftung aus der Schubhaft / Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung“ beim Bundesverwaltungsgericht ein.

Inhaltlich wurde auf die Judikatur zu Schubhaft in Verbindung mit der Dublin III-VO, die im Zusammenhang mit Marokko anwendbar sei, verwiesen und ausgeführt, dass keine mündliche Verhandlung stattgefunden habe und die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers nicht einvernommen worden sei. Eine Haftunfähigkeit sei „augenscheinlich“ gewesen und die Fortsetzung der Anhaltung unverhältnismäßig.

Das Bundesverwaltungsgericht hat diese Revision und den Gerichtsakt umgehend dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegt. Eine Reaktion darauf erfolgte nicht.

10. Nach schriftlicher Ausfertigung der Entscheidung wurde diese vom Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 30.03.2023, Ra 2020/21/0046-20, aufgehoben. Begründend führte der Verwaltungsgerichtshof eine nicht hinreichende Einbeziehung des Gesundheitszustandes in die Verhältnismäßigkeitsprüfung seitens des Gerichts an.

Ergänzend dazu führte er aus, dass dieser Mangel auch bereits den Schubhaftbescheid des Bundesamtes betreffe.

11. Auf Nachfrage erklärte die im Revisionsverfahren tätige Anwältin, nur für dieses bevollmächtigt zu sein und über keinen Kontakt zum Beschwerdeführer zu verfügen.

Aufgrund der Aktenlage wird folgender Sachverhalt der gegenständlichen Entscheidung zugrunde gelegt:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Marokko. Seine Identität steht nicht fest. Er besitzt über einen marokkanischen Reisepass den er bei einem zwischenzeitlichen Aufenthalt in Italien (2018) seiner Mutter übergeben hat, die damit nach Marokko zurückgekehrt ist. Alleiniger Zweck dieser Aktion war, den Pass dem Zugriff der österreichischen Behörden zu entziehen, eine Abschiebung durch das BFA zu vereiteln sowie die Ausstellung eines Heimreisezertifikats zu erschweren. Er ist (in Bezug auf seinen Herkunftsstaat) nicht ausreisewillig.

2012 stellte er in Österreich erstmalig (erfolglos) einen Antrag auf internationalen Schutz, wobei er bewusst falsche Angaben zu seiner Identität machte. Er gab sich damals als minderjähriger Algerier (Jahrgang 1996 – also rund 7 Jahre jünger als nach seinen aktuellen Angaben) aus. Die Identität als marokkanischer Staatsangehöriger wurde von ihm erst 2018 bekannt gegeben – nachdem Algerien die Ausstellung eines Heimreisezertifikats unter Hinweis auf eine mutmaßlich marokkanische Staatsangehörigkeit verweigert hatte. Er hat in Österreich erfolglos fünf Anträge auf internationalen Schutz gestellt (vier davon unter der falschen algerischen Identität).

Der Beschwerdeführer ist nicht Asylberechtigter und nicht subsidiär Schutzberechtigter. Gegen den Beschwerdeführer besteht ein rechtskräftiges Einreiseverbot aus Österreich (bis 2025). Der Beschwerdeführer ist zum Entscheidungszeitpunkt nicht Asylwerber.

Der Beschwerdeführer wurde in Österreich mehrfach strafrechtlich verurteilt (darunter schwerer Raub und Suchtmitteldelikte – 2014; 28 Monate Freiheitsstrafe) und wurde von 2013 bis 2016 insgesamt 28 Monate in Justizanstalten angehalten. Von April 2018 bis April 2019 – nach der Amputation der Unterschenkel aufgrund eines Unfalles - erfolgte eine weitere Anhaltung in Justizanstalten. Dies aufgrund einer Verurteilung wegen Gefährlicher Drohung.

Der Beschwerdeführer spricht nur schlecht Deutsch, verfügt über keine familiären und substanziellen sozialen Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet. Er ging nie einer legalen Beschäftigung nach und ist mittellos. Ein gesicherter Wohnsitz besteht nicht. Der Beschwerdeführer hielt sich in Österreich immer wieder ohne Meldung auf; zwischenzeitlich reiste er jedenfalls 2013 und 2018 nach Italien, um dort Familienangehörige zu besuchen.

Der Beschwerdeführer wurde Ende 2016 in Folge eines Unfalles an beiden Beinen unterhalb der Knie amputiert und trägt seither Beinprothesen. Er ist mit diesen uneingeschränkt autonom mobil und konnte etwa problemlos allein nach Italien verreisen. Darüber hinaus wird er wegen psychischer Probleme (Anpassungsstörung, Depression) medikamentös behandelt und vom Verein DIALOG betreut. Es gibt keine Hinweise auf darüberhinausgehende substanzielle gesundheitliche Probleme.

Der Beschwerdeführer war bei Anordnung der Schubhaft wie auch zum Zeitpunkt der mündlichen Beschwerdeverhandlung uneingeschränkt haftfähig.

Das Vollmachtsverhältnis mit dem bevollmächtigten Vertreter wurde am 07.10.2019 geschlossen; Kontakte in Haft erfolgten danach am 14.10., 16.10., 21.10., 06.11., 12.11., 29.11., 20.12.2019 und 03.01.2020 (jeweils Rechtsberatung); am 15.10.2019 erfolgte eine Akteneinsicht durch den Vertreter. Das Fehlen relevanter Akteninhalte wurde danach nicht angezeigt. Nach keinem dieser Termine wurde eine mutmaßliche (gesundheitlich bedingte) Haftunfähigkeit des Beschwerdeführers der Behörde oder der Leitung des Polizeianhaltezentrums zur Kenntnis gebracht.

Der Beschwerdeführer hat sechs Jahre lang in Österreich unter Angabe einer falschen Identität, darunter die ersten zwei unter Vorspiegelung von Minderjährigkeit, gelebt und damit versucht, Behörden und Gerichte durch tatsachenwidrige Behauptungen zu täuschen und fremdenrechtliche Maßnahmen zu vereiteln. Darüber hinaus hat er sich von 2012 bis 2016 durch Täuschung über seine Identität massive Privilegien in mehreren Strafverfahren erschlichen. Zu allen relevanten Themen machte er im Laufe mehrerer Einvernahmen von Jänner 2018 bis zur gegenständlichen Beschwerdeverhandlung substanziell widersprüchliche Angaben. Der Beschwerdeführer ist in besonders hohem Maße nicht vertrauenswürdig.

Das Vollmachtsverhältnis – inklusive Inkassovollmacht - hinsichtlich der gegenständlichen Beschwerde ist schon vor der Revisionsentscheidung erloschen; die im Revisionsverfahren tätige Rechtsanwältin verfügt ebenfalls über keine weitergehende Vertretungsvollmacht – ihre Vollmacht ist mit der Revisionsentscheidung des VwGH erloschen.

Unmittelbar nach der Entlassung aus der Schubhaft unter Auferlegung des gelinderen Mittels ist der Beschwerdeführer untergetaucht. Er verfügt seit 11.09.2019 in Österreich über keine Meldeadresse.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Beweiswürdigung:

1.1. Der Verfahrensgang und der Sachverhalt ergeben sich aus dem Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des Bundesamtes zur Zl. 821660501 – 2190969640 (gegenständliche Schubhaft) sowie den weiteren Verwaltungsakten betreffend den Beschwerdeführer und den Gerichtsakten des Bundesverwaltungsgerichts hinsichtlich früherer Beschwerdeverfahren.

Unstrittig ist die Übergabe des Reisepasses an die Mutter bei einem zwischenzeitlichen Italienaufenthalt (AS 334 des Verwaltungsaktes). Der einzige logisch nachvollziehbare Zweck eines solchen Vorgehens ist, das Reisedokument (dessen Existenz zuvor dem Bundesamt verschwiegen wurde, weil es die falschen Identitätsangaben belegt hätte) dauerhaft dem Zugriff der Behörden zu entziehen – und damit eine Abschiebung substanziell zu erschweren. Eine andere auch nur halbwegs schlüssige Erklärung konnte auch der Beschwerdeführer nicht geben. Die fehlende Ausreisewilligkeit ergibt sich aus den Angaben des Beschwerdeführers, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, wobei die wiederholte Bereitschaft, (illegal) nach Italien auszureisen in diesem Zusammenhang ohne Relevanz ist.

1.2. Ebenso sind die Feststellungen zur Nutzung einer falschen Identität im Bundesgebiet im Rahmen der ersten Asylverfahren. Die diesbezüglichen Feststellungen im Detail ergeben sich aus der Aktenlage. Gleiches gilt für den rechtlichen Status des Asylwerbers im Zeitpunkt der Entscheidung sowie das aufrechte Einreiseverbot.

1.3. Aus dem Strafregister sind die rechtskräftigen Verurteilungen des Beschwerdeführers in Österreich ersichtlich. Die Anhaltezeiten in Justizanstalten ergeben sich aus dem Zentralen Melderegister.

1.4. Die Feststellungen zu den bisherigen Meldungen des Beschwerdeführers im Bundesgebiet ergeben sich aus einer rezenten Abfrage im Zentralen Melderegister. Die Feststellungen zur fehlenden Integration des Beschwerdeführers ergeben sich aus der Aktenlage und insbesondere den rechtskräftigen Entscheidungen in den bisherigen asyl- und fremdenrechtlichen Verfahren. Gegenteiliges wurde auch in der Beschwerde nicht behauptet. Familiäre oder substanzielle sonstige soziale Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet wurden vom Beschwerdeführer, ebenso wie eine legale Beschäftigung, nie behauptet. Die Angabe, er wolle heiraten - wisse aber nicht, wen, lässt keinen Rückschluss auf eine allfällige Beziehung zu. Eine solche wurde im Übrigen auch nicht behauptet. Die Verwandtenbesuche in Italien (zumindest 2013 und 2018) ergeben sich aus den Angaben des Beschwerdeführers in seinen Befragungen, insbesondere jener zur HRZ-Ausstellung 2019 und in der Beschwerdeverhandlung vom 07.01.2020, in der der das Treffen mit der Mutter 2018 in Italien ausdrücklich bestätigt wurde.

Im Verfahren sind auch keine legalen Beschäftigungsverhältnisse des Beschwerdeführers hervorgekommen; die Mittellosigkeit ergibt sich aus der Anhaltedatei. Vielmehr war der Beschwerdeführer in Österreich bisher nur als Asylwerber unter falscher Identität und im Zusammenhang mit Straftaten aktenkundig.

1.5. Die festgestellten gesundheitlichen Probleme – sowohl die psychischen als auch die physischen (Amputation) - des Beschwerdeführers sind unstrittig und mehrfach belegt. Im Beschwerdeverfahren finden sich keine Hinweise auf darüberhinausgehende gesundheitliche Probleme des Beschwerdeführers oder eine substanzielle Verschlechterung der bekannten Probleme. Der Beschwerdeführer hat auch glaubhaft dargelegt, 2018 seine Mutter in Italien besucht zu haben – womit seine autonome und nahezu uneingeschränkte Mobilität unter Nutzung der Beinprothesen offenkundig ist.

Eine Überprüfung der Haftfähigkeit bei Einlieferung in das PAZ ist obligatorisch und wurde vom Beschwerdeführer bezüglich September 2019 auch ausdrücklich bestätigt. Auch in der Beschwerde findet sich kein Hinweis auf eine gesundheitliche Problematik, die sich auf die (grundsätzliche) Haftfähigkeit auswirken würde.

Offenkundig war der Beschwerdeführer auch von April 2018 bis April 2019 haftfähig – als er eine unbedingte Freiheitsstrafe in Österreich verbüßen musste. Eine anschließende Verschlechterung des Gesundheitszustandes wurde im Beschwerdeverfahren ebenfalls nicht behauptet. Zudem wurde zwischenzeitlich auch die Haftfähigkeit amtsärztlich bestätigt und es wurde der Beschwerdeführer während der gegenständlichen Anhaltung in Schubhaft laufend medizinisch betreut, ohne dass es dabei Zweifel an seiner Haftfähigkeit gegeben hätte.

In der Anhaltedatei sind zudem acht Kontakte mit seiner bevollmächtigten Vertreterin verzeichnet. Nach keinem dieser Kontakte erfolgte eine Mitteilung (an das Gericht, die Behörde oder die Leitung des PAZ), dass es Zweifel an der Haftfähigkeit des Beschwerdeführers gäbe. Auf die entsprechenden Nachfragen in der Beschwerdeverhandlung – auch, wann und wodurch zwischenzeitlich eine (in der Beschwerde nicht behauptete) Haftunfähigkeit eingetreten sein sollte - konnte die anwesende Vertreterin keine auch nur irgendwie substanzhaltigen Antworten geben („es ist mir nichts bekannt“, „ich kann das nicht beurteilen“, „Ich verweise auf meine Ausführungen“).

1.6. Aus der Aktenlage ist das systematische Vorgehen des Beschwerdeführers, Behörden und Gerichte durch bewusst wahrheitswidriger Angaben zu seiner Identität über Jahre hinweg zum eigenen Vorteil zu täuschen, zweifelsfrei ersichtlich. Zunächst betrifft dies die Führung von mehreren Asylverfahren unter falscher Identität von 2012 bis 2018 (und der damit einhergehenden Vorspiegelung einer Minderjährigkeit bis 2014). Damit einhergehend ergibt sich schon aus dem geltenden Recht die Unberechtigte Inanspruchnahme substanzieller Privilegien hinsichtlich Verfahrensführung, Versorgung und auch materieller Entscheidung. Auch hinsichtlich der bereits kurz nach Einreise ins Bundesgebiet einsetzenden kriminellen Aktivitäten des Beschwerdeführers ist die erschlichene Inanspruchnahme von einschlägigen Privilegien evident und aktenkundig – im Strafregister wird er etwa als „Minderjähriger“ oder „junger Erwachsener“ geführt – obwohl zu diesen Zeitpunkten tatsächlich bereits 24 beziehungsweise 27 Jahre alt. Dazu kommen widersprüchliche Angaben etwa zu Anzahl und Zeitpunkt der Aufenthalte in Italien.

Aus diesem Gesamtverhalten ergibt sich die in besonderem Maße fehlende Vertrauenswürdigkeit des Beschwerdeführers.

1.7. Die Feststellungen betreffend die Vertretung des Beschwerdeführers ergeben sich aus der Aktenlage sowie dem notorischen Wissen um das Ende der Betrauung der ARGE Rechtsberatung mit der Funktion des Rechtsberaters im Verfahren (und der damit verbundenen generellen Niederlegung von Vollmachten). Mit der im Revisionsverfahren bevollmächtigten Rechtsanwältin wurde Rücksprache gehalten – zudem wurde sie nur im Rahmen der Verfahrenshilfe tätig.

Die Feststellungen zu den Meldeadressen des Beschwerdeführers ergeben sich aus einer rezenten Abfrage im ZMR.

2. Rechtliche Beurteilung

2.1. Soweit das Verwaltungsgericht nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, hat es gemäß § 27 VwGVG den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs.1 Z 3 und 4 VwGVG) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3 VwGVG) zu überprüfen. Gemäß § 9 Abs. 1 VwGVG hat die Beschwerde u.a. (Z 3) die Gründe, auf die sich die Behauptung der Rechtswidrigkeit stützt, sowie (Z 4) das Begehren zu enthalten. In den erläuternden Bemerkungen der Regierungsvorlage zur Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I Nr. 51/2012, wurde zu § 27 VwGVG ausgeführt: „Der vorgeschlagene § 27 legt den Prüfungsumfang des Verwaltungsgerichtes fest. Anders als die Kognitionsbefugnis einer Berufungsbehörde (vgl. § 66 Abs. 4 AVG) soll die Kognitionsbefugnis des Verwaltungsgerichtes durch den Inhalt der Beschwerde beschränkt sein.“

2.2. Der mit „Rechtsschutz bei Festnahme, Anhaltung und Schubhaft“ betitelte § 22a des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF, lautet:

㤠22a. (1) Der Fremde hat das Recht, das Bundesverwaltungsgericht mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung anzurufen, wenn

1. er nach diesem Bundesgesetz festgenommen worden ist,

2. er unter Berufung auf dieses Bundesgesetz angehalten wird oder wurde, oder

3. gegen ihn Schubhaft gemäß dem 8. Hauptstück des FPG angeordnet wurde.

(1a) Für Beschwerden gemäß Abs. 1 gelten die für Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist.

(2) Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes über die Fortsetzung der Schubhaft hat binnen einer Woche zu ergehen, es sei denn, die Anhaltung des Fremden hätte vorher geendet. Hat das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer gemäß § 13 Abs. 3 AVG aufgetragen, innerhalb bestimmter Frist einen Mangel der Beschwerde zu beheben, wird der Lauf der Entscheidungsfrist bis zur Behebung des Mangels oder bis zum fruchtlosen Ablauf der Frist gehemmt.

(3) Sofern die Anhaltung noch andauert, hat das Bundesverwaltungsgericht jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.

(4) Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde.

(5) Gegen die Anordnung der Schubhaft ist eine Vorstellung nicht zulässig.“

Das Bundesverwaltungsgericht ist somit gemäß § 22a Abs. 1 BFA-VG für die Entscheidung der gegenständlichen Beschwerde zuständig.

Zu Spruchteil A)

2.3. Der mit „Schubhaft“ betitelte § 76 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, lautet:

„§ 76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn 1. dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, 2. dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder 3. die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.

Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt.

(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, 1. ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert; 1a. ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind; 2. ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist; 3. ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat; 4. ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt; 5. ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde; 6. ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern a. der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat, b. der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder c. es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt; 7. ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt; 8. ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme; 9. der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme (Z 1 oder 2) durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß.“

2.4. Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 PersFrBVG und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen. Kann der Sicherungszweck auf eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Weise, wie etwa durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG, erreicht werden (§ 76 Abs. 1 FPG), ist die Anordnung der Schubhaft nicht zulässig (VfGH 03.10.2012, VfSlg. 19.675/2012; VwGH 22.01.2009, Zl. 2008/21/0647; 30.08.2007, Zl. 2007/21/0043).

Ein Sicherungsbedarf ist in der Regel dann gegeben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder diese zumindest wesentlich erschweren werde (§ 76 Abs. 3 FPG). Es ist allerdings nicht erforderlich, dass ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme bereits eingeleitet worden ist (VwGH 28.06.2002, Zl. 2002/02/0138).

Die fehlende Ausreisewilligkeit des Fremden, d.h. das bloße Unterbleiben der Ausreise, obwohl keine Berechtigung zum Aufenthalt besteht, vermag für sich genommen die Verhängung der Schubhaft nicht zu rechtfertigen. Vielmehr muss der – aktuelle – Sicherungsbedarf in weiteren Umständen begründet sein, etwa in mangelnder sozialer Verankerung in Österreich. Dafür kommt insbesondere das Fehlen ausreichender familiärer, sozialer oder beruflicher Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet in Betracht, was die Befürchtung, es bestehe das Risiko des Untertauchens eines Fremden, rechtfertigen kann. Abgesehen von der damit angesprochenen Integration des Fremden in Österreich ist bei der Prüfung des Sicherungsbedarfes auch sein bisheriges Verhalten in Betracht zu ziehen, wobei frühere Delinquenz das Gewicht des öffentlichen Interesses an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung maßgeblich vergrößern kann (VwGH 21.12.2010, Zl. 2007/21/0498; weiters VwGH 08.09.2005, Zl. 2005/21/0301; 23.09.2010, Zl. 2009/21/0280).

3. Zur Frage der Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides und der Anhaltung in Schubhaft seit 23.09.2019

Wie im Verfahrensgang angeführt, hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 30.03.2023 ausgeführt, dass der angefochtene Bescheid hinsichtlich der Verhältnismäßigkeitsabwägung mangelhaft sei (RZ 10); an diese Feststellung ist das Verwaltungsgericht gebunden.

Dementsprechend ist der Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid und die Anhaltung in Schubhaft ab 23.09.2019 stattzugeben.

4. Da sich der Beschwerdeführer zum nunmehrigen Entscheidungszeitpunkt nicht mehr in Schubhaft befindet, hat der Abspruch über eine allfällige Fortsetzung derselben zu entfallen.

5. Kostenersatz

5.1. Gemäß § 22a Abs. 1a BFA-VG gelten für Beschwerden nach dieser Bestimmung die für Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist (für die Zeit vor Inkrafttreten des § 22a Abs. 1a BFA-VG s. VwGH 23.04.2015, Ro 2014/21/0077).

5.2. Gemäß § 35 Abs. 1 VwGVG hat die im Verfahren über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt obsiegende Partei Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei. Wenn die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig erklärt wird, dann ist gemäß Abs. 2 der Beschwerdeführer die obsiegende und die Behörde die unterlegene Partei. Wenn die Beschwerde zurückgewiesen oder abgewiesen wird oder vom Beschwerdeführer vor der Entscheidung durch das Verwaltungsgericht zurückgezogen wird, dann ist gemäß Abs. 3 die Behörde die obsiegende und der Beschwerdeführer die unterlegene Partei. Die §§ 52 bis 54 VwGG sind gemäß Abs. 6 auf den Anspruch auf Aufwandersatz gemäß Abs. 1 sinngemäß anzuwenden.

Der Beschwerdeführer hat als (vollständig) obsiegende Partei Anspruch auf Kostenersatz im beantragten Umfang. Dem Bund gebührt als unterlegener Partei hingegen kein Kostenersatz.

Zu B)

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.

Dies liegt im gegenständlichen Fall nicht vor.

Die Revision war daher nicht zuzulassen.

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