JudikaturBvwgW153 2209894-2

W153 2209894-2 – Bundesverwaltungsgericht Entscheidung

Entscheidung
18. April 2024

Spruch

W153 2209894-2/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Christoph KOROSEC als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit: Iran, vertreten durch XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.03.2024, Zl. XXXX , zu Recht:

A) I. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt VII. des angefochtenen Bescheides wird teilweise stattgegeben und gemäß § 53 Abs. 2 FPG die Dauer des Einreiseverbotes auf zwei Jahre herabgesetzt.

II. Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

B) Die ordentliche Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Zum vorangegangenen Verfahren

Der Beschwerdeführer (BF), ein iranischer Staatsangehöriger, reiste spätestens am 01.02.2016 unrechtmäßig in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz.

Anlässlich seiner Erstbefragung gab der BF an, dass sein Leben im Iran in Gefahr gewesen sei. Mitarbeiter in seiner Arbeit seien entsetzt gewesen, weil der BF laute Musik gespielt habe. Es sei ein religiöser Feiertag gewesen, an dem keine Musik gespielt werden dürfe. Der BF habe auf Gott und den Koran geschimpft. Ein Mitarbeiter habe ihn gehasst und ihn schlagen wollen. Er habe den BF mit einem Messer verletzt. Die Mitarbeiter hätten ihm gedroht, dass sie ihn töten wollen. Davon habe die Regierung erfahren und dem BF ebenfalls gedroht. Der BF habe Angst um sein Leben gehabt und das Land verlassen.

Am 28.09.2018 wurde der BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) einvernommen. Dabei gab er im Wesentlichen an, dass er im Iran Probleme aufgrund seiner Zugehörigkeit zu einer Volksgruppe gehabt habe. Er habe auch Probleme beim Militärdienst gehabt, da er diesen nicht absolvieren habe wollen bzw. untauglich gewesen sei. Einen Einberufungsbefehl habe er bekommen, als er 19 Jahre alt gewesen sei. Auch weitere Einberufungsbefehle seien gekommen. Das Leben, welches er sich gewünscht habe, habe ihn zum Verlassen des Landes verleitet. Er sei mit einem Mädchen befreundet gewesen, welches auch seine Arbeitskollegin in einem Restaurant gewesen sei. Die übrigen Mitarbeiter hätten den Vater des Mädchens darüber informiert. Der Vater des Mädchens, der der Restaurantbesitzer gewesen sei, habe mit den Mitarbeitern daraufhin gestritten und habe der BF versucht zu schlichten. Rund zwei Wochen nach diesem Vorfall sei er von diesen Personen mit dem Schwert angegriffen und verletzt worden. Zurückkehren könne der BF nicht, da er aufgrund seiner Reise nach Europa von iranischen Behörden der Schlepperei beschuldigt werde.

Mit Bescheid des BFA vom 17.10.2018 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Iran abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde ihm gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG in den Iran zulässig ist (Spruchpunkt V.) und es wurde ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der BF Staatsangehöriger des Iran und Angehöriger der Volksgruppe der Perser sei, dessen Identität nicht feststehe. Es habe nicht festgestellt werden können, dass der BF eine begründete Furcht vor Verfolgung iSd GFK zu gewärtigen habe.

Gegen diesen Bescheid erhob der BF fristgerecht Beschwerde und darin wurde ausgeführt, dass sich die belangte Behörde nach Ansicht des BF nur oberflächlich und in keiner Weise gründlich mit seinem Vorbringen auseinandergesetzt habe. Er habe sein Vorbringen niemals gesteigert oder seine Fluchtgeschichte nachträglich geändert.

Mit Urteil eines Bezirksgerichts vom XXXX wurde der BF wegen § 83 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von zwei Monaten, bedingt nachgesehen für eine Probezeit von drei Jahren verurteilt.

Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 30.06.2022, XXXX wurde die Beschwerde gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3, 57 AsylG 2005, § 9 BFA-VG und §§ 46, 52, 55 FPG als unbegründet abgewiesen.

Jenem Erkenntnis wurde im – neben Feststellungen zur Lage im Iran – im Wesentlichen der folgende Sachverhalt zugrunde gelegt:

„Der Beschwerdeführer ist im Iran keiner konkreten individuellen Verfolgung ausgesetzt. Gründe, die eine Verfolgung oder sonstige Gefährdung des Beschwerdeführers im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat Iran aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung maßgeblich wahrscheinlich erscheinen lassen, wurden vom Beschwerdeführer nicht glaubhaft gemacht.

Der Beschwerdeführer ist im Fall seiner Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den Iran nicht in seinem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht. Der Beschwerdeführer liefe dort nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

Im Bundesgebiet leben keine Familienangehörigen oder sonstigen Verwandten des Beschwerdeführers.

Der Beschwerdeführer hat an einem Deutschkurs Sprachniveau B1 teilgenommen, jedoch kein Deutschzertifikat erworben.

In seiner Freizeit besucht der Beschwerdeführer lediglich regelmäßig das Fitnessstudio. Enge soziale Bindungen hat der Beschwerdeführer im Bundesgebiet nicht geknüpft. Maßgebliche Integrationsleistungen in sozialer oder beruflicher Hinsicht hat der Beschwerdeführer nicht gesetzt.

Der Beschwerdeführer ging im Bundesgebiet nie einer legalen Erwerbstätigkeit nach, lebt von der Grundversorgung und ist nicht selbsterhaltungsfähig.

Der Beschwerdeführer wurde mit Urteil des Bezirksgerichts XXXX wegen § 83 Abs. 1 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 2 Monaten verurteilt.“

In der Beweiswürdigung wurde (auszugsweise) Folgendes ausgeführt:

„Die Feststellungen zum Gesundheitszustand stützen sich darauf, dass im Verfahren keine lebensbedrohlichen Erkrankungen vorgebracht wurden. Zwar wurde in der nach der mündlichen Beschwerdeverhandlung eingebrachten Stellungnahme ein Antrag zur Einholung eines Gutachtens eines medizinischen Sachverständigen aus dem Fachgebiet Psychiatrie gestellt, um zu klären, ob der Beschwerdeführer derzeit an einer psychischen Störung mit Krankheitswert leidet, jedoch ergibt sich daraus keine lebensbedrohliche Erkrankung des Beschwerdeführers. Das erkennende Gericht verkennt nicht, dass der Beschwerdeführer nach einem Vorfall in einer Flüchtlingsunterkunft nach § 8 Unterbringungsgesetz untersucht wurde und dabei eine „narzisstische Störung mit aggressiv-wahnhafter Verhaltensstörung“ diagnostiziert wurde. Jedoch ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass diese Untersuchung am XXXX stattgefunden hat. Bei der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 28.09.2018 gab der Beschwerdeführer an, dass er vollkommen gesund sei. Auch in der Beschwerdeverhandlung am 05.04.2022 führte der Beschwerdeführer an, dass er gesund sei. Jedoch bekomme er immer wieder Impfungen und habe sein Körper gejuckt. Im Verfahren ist nicht hervorgekommen, dass es seit der Untersuchung am XXXX zu psychischen Auffälligkeiten oder Gesundheitsbeeinträchtigungen gekommen ist. Der Beschwerdeführer hat keine entsprechenden Unterlagen vorgelegt. Soweit in der Stellungnahme zur mündlichen Beschwerdeverhandlung vorgebracht wird, dass der Beschwerdeführer „deutliche Anzeichen“ einer „nach wie vor vorliegenden psychischen Erkrankung“ gezeigt habe und in der Beschwerdeverhandlung ein erratisches Verhalten an den Tag gelegt und sich in wahnhaften Aussagen verstiegen habe, ist festzuhalten, dass das erkennende Gericht den Angaben hinsichtlich des Verhaltens des Beschwerdeführers in der Beschwerdeverhandlung nicht folgt. Der Beschwerdeführer hat in der Beschwerdeverhandlung zwar sich teilweise widersprechende Angaben gemacht, jedoch leidet nicht jede Person, welche widersprüchliche und nicht stringente Angaben macht, automatisch an einer psychischen Erkrankung. Der Beschwerdeführer vermittelte in der Beschwerdeverhandlung nicht den Eindruck, als ob er an einer psychischen Erkrankung leiden würde, sondern viel mehr den Eindruck, als dass er versuche, einen Fluchtgrund zu konstruieren, um einen Asylstatus zu erhalten. Für diese Annahme sprechen auch seine steigernden Angaben, wobei er unterschiedliche fluchtauslösende Umstände schilderte. Diese Annahme wird auch dadurch gestützt, dass der Beschwerdeführer den Eindruck vermittelte, dass ihm das Verfahren nicht wichtig ist und während der Beschwerdeverhandlung in scheinbar unpassenden Momenten (wie zum Beispiel während der Befragung rund um die Verweigerung des Militärdienstes) grinste und sich auch ausfällig äußerte. Dem Vorbringen in der Stellungnahme, dass der Beschwerdeführer in der Beschwerdeverhandlung den Eindruck einer psychischen Erkrankung hinterließ, kann nicht gefolgt werden.

Bezüglich des erst nach Ende der Verhandlung gestellten Antrags auf Einholung eines Gutachtens eines/einer medizinischen Sachverständigen aus dem Fachgebiet Psychiatrie, um zu klären, ob der Beschwerdeführer derzeit an einer psychischen Störung mit Krankheitswert leidet, wird Folgendes ausgeführt:

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist in der Unterlassung einer Beweisaufnahme dann kein Verfahrensmangel gelegen, wenn das von der Partei im Beweisantrag genannte Beweisthema unbestimmt ist. Beweisanträge dürfen weiters dann abgelehnt werden, wenn die Beweistatsachen als wahr unterstellt werden, es auf sie nicht ankommt oder das Beweismittel (ohne unzulässige Vorwegnahme der Beweiswürdigung) untauglich ist. Ob eine Beweisaufnahme in diesem Sinn notwendig ist, unterliegt der einzelfallbezogenen Beurteilung des Verwaltungsgerichtes (VwGH 25.03.2021, Ra 2021/14/0074).

Im Lichte der bereits wiedergegebenen Beweislage und der Erwägungen des Gerichtes dazu ist festzuhalten, dass beim Bundesverwaltungsgericht – aufgrund des Fehlens einer psychiatrischen Vorgeschichte in Zusammenschau mit den Angaben des Beschwerdeführers zu seinem Gesundheitszustand in der Verhandlung und den bloß auf subjektiven Wahrnehmungen basierenden Angaben seiner nicht einschlägig ausgebildeten rechtlichen Vertretung – keine begründeten Zweifel am Gesundheitszustand des Beschwerdeführers entstanden sind, welche die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens rechtfertigen würden.

Sofern der Beschwerdeführer dennoch Ermittlungen dahingehend für erforderlich erachtet, ob bei ihm eine psychische Störung mit Krankheitswert vorliegt, ist dem zu entgegnen, dass ein substanzloses Vorbringen einer Erkrankung ohne konkrete und objektivierbare Anhaltspunkte nicht ausreicht, um die gegenständlichen Ermittlungsergebnisse zu entkräften. Ein derart allgemeines Vorbringen zum Gesundheitszustand, das im Wesentlichen auf Mutmaßungen und persönlichen Eindrücken beruht, würde auf einen unzulässigen Erkundungsbeweis hinauslaufen, zu dessen Aufnahme das Gericht nicht verpflichtet ist (vgl. VwGH 03.01.2018, Ra 2017/11/0207, 0208, mwN).

Aus den genannten Gründen sieht das Gericht keine Veranlassung, ein fachärztliches Gutachten einzuholen.

Schließlich ist auch anzumerken, dass es dem Beschwerdeführer bei Vorliegen eines entsprechenden Leidensdrucks freigestanden wäre, zeitnah eine medizinische bzw. psychologische Behandlung in Anspruch zu nehmen und die Behörde bzw. das Gericht darüber in Kenntnis zu setzen. Trotz der dem Beschwerdeführer obliegenden Mitwirkungspflicht im Asylverfahren und der Verfahrensförderungspflicht nach § 39 Abs. 2a AVG iVm § 17 VwGVG wurde erst nach der durchgeführten Beschwerdeverhandlung – und nicht bereits nach dem Vorbereitungsgespräch – erstmals ein Vorbringen zum Gesundheitszustand samt dem in Rede stehenden Beweisantrag erstattet, ohne es jedoch durch entsprechend aussagekräftige Unterlagen zu untermauern.

Gegen das Vorliegen einer lebensbedrohlichen Erkrankung spricht auch, dass der Beschwerdeführer angegeben hat, ins Fitnessstudio zu gehen. Einem – körperlich oder psychisch – lebendbedrohlich erkrankten Mann wird dies kaum möglich sein.

[…]

Dass keine den Beschwerdeführer betreffende Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat vorliegt, ergibt sich aus folgenden Überlegungen:

Der Beschwerdeführer hat in der Erstbefragung seinen Fluchtgrund im Wesentlichen damit begründet, dass ihn Personen schlagen hätten wollen, weil er laut Musik gehört und auf den Koran geschimpft habe. Er sei mit dem Messer verletzt und mit dem Umbringen bedroht worden. Davon habe auch die Regierung mitbekommen, welche ihm daraufhin ebenfalls gedroht habe.

Vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl steigerte er seine geschilderten Fluchtgründe, indem er nun auch angab, aufgrund folgender Umstände Probleme gehabt bzw. zu haben: So stamme er von einem alten Volk aus der Stadt Shustar ab und habe deswegen Probleme; weiters habe er den Militärdienst verweigert; er sei mit einem Mädchen befreundet gewesen, weshalb er in weiterer Folge von Personen mit einem Schwert angegriffen worden sei und er werde aufgrund seiner bei der Flucht erfolgten Registrierung in Griechenland im Iran der Schlepperei beschuldigt.

Es ist zwar zu berücksichtigten, dass die Erstbefragung nicht dazu dient, die Fluchtgründe umfassend zu erheben. Der Beschwerdeführer hat seine Angaben aber in der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl nicht ergänzt oder präzisiert, sondern völlig neue Sachverhalte angeführt und Fluchtgründe geschildert.

Den Vorfall mit der von ihm zu laut gespielten Musik, seinen negativen Äußerungen gegenüber dem Koran und dass ihn sein Kollege schlagen haben wollen und mit einem Messer verletzt habe, sowie, dass die Regierung von diesem Vorfall erfahren und ihn deshalb ebenfalls bedroht habe, schilderte der Beschwerdeführer weder bei der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl noch in der Beschwerdeverhandlung. Hätte sich dieses Ereignis tatsächlich so zugetragen, wäre zu erwarten, dass der Beschwerdeführer diese Fluchtgeschichte auch in seinen weiteren Befragungen schildert und nicht andere Fluchtgründe erwähnt, weshalb dieses Vorbringen nicht glaubhaft ist.

Zwar brachte der Beschwerdeführer bei der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vor, dass er verletzt worden sei, jedoch konnte er diese angeblichen Verletzungen nicht in Zusammenhang mit der bei der Erstbefragung geschilderten Fluchtgeschichte in Einklang bringen. So gründete die in der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl angegebene Verletzung darauf, dass der Beschwerdeführer mit einem Mädchen befreundet gewesen sei, was seine Kollegen dem Vater des Mädchens mitgeteilt hätten. Der Vater des Mädchens habe deshalb mit den Kollegen gestritten und habe der Beschwerdeführer diesen Streit schlichten wollen. Nach rund zwei Wochen sei der Beschwerdeführer von diesen Personen mit einem Schwert angegriffen geworden.

Nicht nur Details dieser Schilderung stimmen mit den in der Erstbefragung geschilderten Fluchtgründen nicht überein, sondern auch die Eckpunkte sind völlig anders erzählt, sodass sich aus diesen Erzählungen ein völlig anderer Sachverhalt ergibt.

Aber auch der vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl geschilderte Sachverhalt ist nicht glaubhaft, zumal es nicht plausibel ist, dass der Beschwerdeführer zwei Wochen nach einer simplen Streitschlichtung von seinen Kollegen mit einem Schwert (!) angegriffen worden sein soll. Der Beschwerdeführer legte nicht dar, welchen Grund die Kollegen gehabt haben sollen, ihn anzugreifen. Lebensnaher wäre gewesen, dass der Vater des Mädchens im sittenstrengen Iran mit der „Freundschaft“ zwischen dem Beschwerdeführer und seiner Tochter nicht einverstanden gewesen sei. Auch ist es kaum nachvollziehbar, dass die Kollegen des Beschwerdeführers erst zwei Wochen nach dem Streit den Beschwerdeführer angreifen, zumal davon auszugehen ist, dass diese, nach dem sie Arbeitskollegen des Beschwerdeführers gewesen sind, bereits früher eine Möglichkeit dazu gehabt haben sollten.

Das Vorbringen, wonach er aus einem alten Volk aus der Stadt Shustar abstamme und deswegen Probleme gehabt habe, ist nicht nachvollziehbar. Einerseits war es schon vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl viel zu vage und andererseits sind die Angaben des Beschwerdeführers auch in der Beschwerdeverhandlung nicht dazu geeignet gewesen, eine solche Verfolgungsgefahr glaubhaft zu machen:

[…]

Eine Verfolgungsgefahr aufgrund einer Volksgruppenzugehörigkeit wurde somit nicht glaubhaft gemacht.

Auch das Vorbringen, wonach der Beschwerdeführer im Iran der Schlepperei beschuldigt worden sei, weil er bei seiner Flucht in Griechenland seine Personalien angegeben habe, ist nicht glaubwürdig. Aus den Länderberichten ergibt sich nicht, dass griechische Behörden die Personalien an iranische Behörden weitergeben würden. Selbst bei hypothetischer Wahrunterstellung dieser Behauptung wäre es nicht plausibel, weshalb die iranischen Behörden davon ausgehen sollten, dass es sich beim Beschwerdeführer um einen Schlepper handeln sollte. Dieser Annahme fehlt jegliche Grundlage. Auch legte der Beschwerdeführer nicht dar, weshalb er zu dieser Annahme gelangte, sondern wich der mehrfach gestellten Frage durch die belangte Behörde, weshalb er wisse, dass die iranischen Behörden die Information erhalten habe, dass er in Griechenland Asyl beantragt habe, aus. Die Angaben dazu waren äußerst unsubstantiiert und vage und beschränkten sich darauf, dass ein Schreiben zu ihm nach Hause geschickt worden sei, seine Mutter zu Gericht gehen und sich verantworten habe müssen, da der Beschwerdeführer der Schlepperei beschuldigt worden sei. Ein Rechtsanwalt habe der Mutter empfohlen, nicht zu Gericht zu gehen und mitgeteilt, dass die Gefahr bestehe, dass der Beschwerdeführer in Abwesenheit verurteilt werde. Weitere Details, welche diese Annahme rechtfertigen, nannte der Beschwerdeführer nicht. Darüber hinaus ist auch festzuhalten, dass der Beschwerdeführer diese Rückkehrbefürchtung in der Beschwerdeverhandlung mit keinem Wort mehr erwähnte.

Dass der Beschwerdeführer seinen Wehrdienst nicht ableisten wollte, begründete er damit, dass das Militär („sie“) ihn bei Ableistung politisch, körperlich und finanziell ausnutzen hätten wollen. Sie hätten den Beschwerdeführer dort auch vergewaltigen wollen. Vorweg wird festgehalten, dass der Beschwerdeführer glaubhaft gemacht hat, dass er den Wehrdienst nicht ableisten wollte. Eine daraus abzuleitende Verfolgungsgefahr ist jedoch vom Beschwerdeführer nicht glaubhaft dargelegt worden. Dass der Beschwerdeführer seinen Wehrdienst im Iran nicht ableisten will, beruht nur auf subjektiven Überlegungen. Es gibt keinerlei objektivierbare Gründe, dass dem Beschwerdeführer aufgrund der Ableistung des Wehrdienstes in seinem Heimatland eine asylrechtlich relevante Verfolgung oder Folter oder eine unmenschliche Bestrafung drohe. Dass er dort vergewaltigt werden hätte sollen, ist kaum nachvollziehbar und beruht auf bloßen Vermutungen. Darüber hinaus ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer in der Beschwerdeverhandlung den Eindruck vermittelte, die Angabe, dass er vergewaltigt werden sollte, nicht dem Wortsinn nach verwendet, sondern mit diesem Wort einen Zustand beschreiben will, der seines Erachtens nicht korrekt ist. Dies wird auch durch seine Aussage: „Es ist auch Vergewaltigung, wenn jemand zu dir kommt und dich schlagen will“, untermauert.

Dass die vom Beschwerdeführer geschilderten Fluchtgründe nicht glaubhaft sind bzw aus diesen keine tatsächlich gegenüber ihn persönlich bestehende Verfolgungsgefahr abgeleitet werden kann, wird auch durch die Angabe des Beschwerdeführers in der Beschwerdeverhandlung gestützt. Dazu ein Auszug aus dem Einvernahmeprotokoll der mündlichen Beschwerdeverhandlung:

R: Wir sitzen seit 3 Stunden hier. Wo sind die Fluchtgründe?

BF: Muss man Probleme haben? Muss man was getan haben und erst dann woanders hingehen?

R: Also Sie haben keine Fluchtgründe, weil 2017 wollten Sie in den Iran zurück. Sehe ich das richtig?

BF: Ja, ich dachte mir wenn das Leben hier so ist, dann ist es besser in den Iran zurück zu kehren, wenn man so hier leben muss.

R: Wenn ich zuhause verfolgt werde, gehe ich ja nicht zurück, oder?

BF: Wenn mich niemand versteht, wenn ich sagen ich will woanders wohnen und ich will ins Fitness Studio gehen und niemand versteht mich, muss man dann hierbleiben und weiter kämpfen?

R: Also es geht Ihnen hauptsächlich darum, dass Sie in Österreich wieder in einen Fitness Club kommen?

BF: Wenn man nicht in Fitness Center gehen kann und nicht shoppen gehen kann und Kleidung kaufen kann, was macht man dann hier? Warum ist man dann hier. Es gibt sehr viele aus Afghanistan, aus Zentral Asien, ich bin genauso wie die anderen.

R: Also sind Sie hierhergekommen um ins Fitness Studio zu gehen und shoppen zu gehen?

BF: Wenn das möglich ist, warum nicht? Warum erlauben Sie es mir nicht? Ich bin zu dieser Meinung gekommen, es lohnt sich nicht, hier in Österreich zu leben, nur wegen einem Fitness Club, solche Probleme. Es ist lächerlich. Man muss nur leiden und später auch wegen Wassertrinken muss man leiden. Was soll ich noch sagen?

R: Ich dachte, Sie sind hierhergekommen, weil Sie Fluchtgründe hatten im Iran.

BF: Was macht man, wenn man seine Rechte nicht bekommt? Ich wurde gezwungen, dass ich heute hierherkomme und hier sitze.“

Bereits aufgrund dieser Aussagen ist davon auszugehen, dass die vom Beschwerdeführer ursprünglich geschilderten Fluchtgründe nicht existieren. In Zusammenschau mit seinem gesamten Verhalten in der Beschwerdeverhandlung sowie seinen Angaben spricht auch das an den Tag gelegte Desinteresse an der Beschwerdeverhandlung und an dem Verfahren gegen die Glaubhaftigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers.

In der Stellungnahme nach der Verhandlung wurde schließlich noch ausgeführt:

„Bei einer Rückkehr in den Iran fürchtet der BF Verfolgung aufgrund einer ihr unterstellten oppositionellen politischen Gesinnung durch die iranischen Behörden aufgrund der ihm vorgeworfenen Delikte vor welcher er keinerlei Schutz erwarten kann und ihr eine innerstaatliche Fluchtalternative nicht zu Verfügung steht. Darüber hinaus hat der BF zu befürchtet, bei einer Rückkehr in eine ausweglose Lage zu geraten. Der BF ist daher der Status des Asyl- bzw. des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen.“

Da aber der (männliche) Beschwerdeführer in der Beschwerdeverhandlung keinerlei Fluchtgründe vorbrachte, kann weder eine ihm unterstellte oppositionelle Gesinnung noch Verfolgung aufgrund ihm vorgeworfener Delikte – wovon im Verfahren nie die Rede war – erkannt werden.

Gesamthaft betrachtet war daher festzustellen, dass keine Gründe hervorgekommen sind und keine Gründe glaubhaft gemacht wurden, die eine Verfolgung des Beschwerdeführers im Falle der Rückkehr in den Herkunftsstaat aus asylrelevanten Gründen maßgeblich wahrscheinlich erscheinen lassen.

Daher ist im Falle einer Rückkehr des Beschwerdeführers nicht von einer Verfolgung in asylrelevanter Intensität im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention auszugehen.

Dass eine Rückkehr des Beschwerdeführers in seine Heimatregion, die XXXX , möglich ist, ergibt sich aus den Länderfeststellungen im Zusammenhang mit den Angaben des Beschwerdeführers.

Für eine existenzielle Gefährdung des Beschwerdeführers im Falle einer Rückkehr in die XXXX bestehen ebenfalls keine Hinweise. Der Beschwerdeführer besuchte vor der Ausreise aus dem Iran die Volks- und Mittelschule sowie ein Gymnasium, hat eine Schweißerausbildung begonnen und seit seinem 15. Lebensjahr in einem Restaurant gearbeitet. Der Beschwerdeführer ist volljährig und ist es ihm zumutbar, seinen Lebensunterhalt zu sichern. Auch in Zukunft ist ihm die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zumutbar. Es gibt zudem keinen Anhaltspunkt, wieso er in seiner Heimatstadt nicht in der Lage sein sollte, seine Existenz – etwa auch durch Gelegenheits- und Hilfsarbeiten – zu sichern und zumindest anfänglich bei Verwandten zu leben. Auch ergibt sich unter Zugrundelegung der Länderberichte unter dem Aspekt der Sicherheitslage in der XXXX keine besondere Gefährdungssituation für den Beschwerdeführer und wurde eine entsprechende Gefährdungssituation auch nicht behauptet. Aus öffentlich zugänglichen Quellen ergibt sich, dass die XXXX über einen internationalen Flughafen verfügt.

Die dargestellten Umstände rechtfertigen aus Sicht des erkennenden Gerichtes im Lichte einer Gesamtbetrachtung die Annahme, dass sich der Beschwerdeführer in der XXXX eine Existenz aufbauen und sichern kann.

[…]“

Dieses Erkenntnis wurde dem BF am 01.07.2022 zugestellt und erwuchs in Rechtskraft.

Zum gegenständlichen Verfahren

Am 11.09.2023 stellte der BF einen Folgeantrag auf internationalen Schutz, den er in der am gleichen Tag durchgeführten polizeilichen Erstbefragung im Wesentlichen damit begründete, dass die aktuelle Lage im Iran sehr gefährlich sei, denn es würden täglich junge Demonstranten zum Tode verurteilt werden. Deshalb könne der BF nicht zurück. In Österreich habe er keinen Platz zum Wohnen, keine Unterstützung und befinde sich derzeit auf der Straße.

Am 03.10.2023 fand eine niederschriftliche Einvernahme des BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl statt. Der BF gab zunächst zu seinem Gesundheitszustand an, dass er derzeit nur Tabletten aufgrund einer Allergie nehme. Wegen seiner psychischen Probleme nehme er keine Medikamente. Da er hier in Österreich viel durchgemacht habe, habe er psychische Probleme bekommen. Er sei kein Experte, um diese Probleme erklären zu können, aber er habe mit einigen Personen in der Caritas-Unterkunft, in der er gelebt habe, Probleme gehabt. Von 2016 bis vor zwei Monaten habe er in verschiedenen Wohnungen der Caritas gelebt. Er habe sowohl mit Mitbewohnern als auch mit Mitarbeitern der Caritas Probleme gehabt. Sie hätten ihn schlecht behandelt, etwa wenn sie laut gewesen seien oder wegen der Reinigung. Er sei aufgrund seiner psychischen Probleme einmal mit dem Krankenwagen ins Krankenhaus gebracht worden; ärztliche Unterlagen habe er nicht erhalten. Auf die Frage, ob sich sein Gesundheitszustand seit Rechtskraft seines letzten Verfahrens geändert habe, erwiderte der BF, dass er seit zwei Jahren psychisch den gleichen Zustand habe.

Er habe den Iran im Jahr 2016 verlassen, sei im gleichen Jahr nach Österreich eingereist und halte sich seither durchgehend hier auf. Er habe keine Familienangehörigen oder andere enge soziale Bindungen in Österreich, erhalte Grundversorgung und verdiene auch etwas Geld, wenn er für die Caritas arbeite. Deutsch beherrsche er auf dem Niveau A2. Seine Familie sowie Freunde würden im Iran leben.

Seine Fluchtgründe aus dem Vorverfahren seien nach wie vor aufrecht. Befragt, ob es auch neue Gründe gebe, antwortete der BF, dass er in den Iran zurückgekehrt wäre, wenn er dies könnte. Seine alten Fluchtgründe blieben aufrecht. Er wolle aber keine Probleme mit Österreichern haben, weshalb er dann Österreich verlassen müsste. Befragt, weshalb er neuerlich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt habe, gab der BF an, dass er sich hier ein Leben aufbauen und arbeiten wolle. Er habe seit 2016 bis vor ca. zwei Monaten in verschiedenen Unterkünften der Caritas gelebt. Die Mitarbeiter der Caritas hätten ihn unter Druck gesetzt, sie hätten ihm viele Probleme bereitet und gemeint, dass er respektlos sei. Am Ende habe er auf der Straße gelebt. Nochmals gefragt, was sich seit der Rechtskraft der Entscheidung im vorangegangenen Verfahren vom 30.06.2022 geändert habe, gab der BF an, nachdem er die negative Entscheidung vom BVwG bekommen habe, sei ihm gesagt worden, dass er nicht mehr in der Unterkunft der Caritas leben dürfe. Die Polizei habe ihn sozusagen auf die Straße geschmissen. Da er keine Unterkunft mehr gehabt habe, habe er einen Bekannten angerufen, bei dem er dann gewohnt habe. Der BF glaube, dass dieser von der Mafia sei. Er habe ihn unter Druck gesetzt.

Von der Stellungnahme seines Vertreters im letzten Verfahren, wonach er an einer psychischen Störung mit Krankheitswert leide, sei ihm ebensowenig etwas bekannt wie von der Diagnose einer „narzisstischen Störung mit aggressiv-wahnhafter Verhaltensstörung“.

Seine Fluchtgründe habe er alle im letzten Verfahren dargelegt. Der wahre Grund, weshalb er aus dem Iran geflohen sei, sei jedoch gewesen, dass er weder Arbeit noch Geld gehabt habe und sich nichts kaufen habe können. Er habe nicht gewusst, von wo er Geld herbekommen sollte. Mit einem Wort, er habe den Iran aufgrund von Armut verlassen. Er habe die Hoffnung gehabt, dass er in einem anderen Land ein besseres Leben haben könnte. Als er nach Österreich gekommen sei, habe er gar nicht gewusst, dass er eine Einvernahme haben werde. Er habe auch nicht gewusst, was er beim Fluchtgrund erzählen solle. Hier im Lager hätten ihm dann die Leute mit Warnwesten, die dort gearbeitet hätten, erzählt, dass er als Fluchtgrund entweder Homosexualität oder eine Ablehnung der Politik im Iran angeben solle. Der BF bestätigte, dass er den Iran nur aus wirtschaftlichen Gründen, wegen der Armut, verlassen habe. Die hier im Lager arbeitenden Leute hätten ihn dann auf den falschen Weg geleitet. Seine bisherigen Fluchtgründe würden daher doch nicht aufrecht bleiben. Auch sein Anwalt habe ihm damals geraten, dass er mehr über politische als über private Probleme sprechen solle. Über die politischen Probleme im Iran wisse er nicht viel. Für ihn selbst seien seine privaten Probleme schwerwiegend. Er habe aber weder politische noch religiöse Probleme im Iran gehabt.

Mit E-Mail vom 09.10.2023 gab der BF zu den ihm anlässlich der Einvernahme zur Kenntnis gebrachten Länderberichten im Wesentlichen an, dass er sich sicher sei, dass es sich dabei um legitime öffentliche Informationen handle und er keine persönliche Meinung dazu habe.

Mit Schreiben vom 29.01.2024 übermittelte das BFA dem BF die am 26.01.2024 aktualisierte Version des Länderinformationsblatts zum Iran und gewährte ihm die Möglichkeit, dazu binnen einwöchiger Frist eine Stellungnahme einzubringen. Davon machte der BF keinen Gebrauch.

Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.03.2024 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 11.09.2023 sowohl hinsichtlich des Status des Asylberechtigten als auch des Status subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkte I. und II.). Ihm wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.), es wurde gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG in den Iran zulässig ist (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1a FPG wurde festgestellt, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise besteht (Spruchpunkt VI.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 FPG wurde gegen den BF ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.).

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass sich der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt seit Rechtskraft des letzten inhaltlichen Asylverfahrens nicht geändert habe. Der BF habe im nunmehrigen Verfahren keine neuen und glaubhaften Fluchtgründe vorgebracht. Der BF habe in Österreich keine familiären oder maßgeblichen privaten Bindungen und ginge keiner Erwerbstätigkeit nach. Der BF sei in Österreich am XXXX .2020 wegen § 83 Abs. 1 StGB rechtskräftig zu einer bedingten Freiheitsstrafe von zwei Monaten verurteilt worden, habe die ihm gewährte Frist zur freiwilligen Ausreise ungenutzt verstreichen lassen und habe seinen unrechtmäßigen Aufenthalt fortgesetzt. Am XXXX .2021 sei er wegen des Verdachtes der gefährlichen Drohung zur Anzeige gebracht worden. Am XXXX .2023 sei er aus disziplinären Gründen nach mehreren schriftlichen Verwarnungen aufgrund wiederholten aggressiven Verhaltens gegenüber Betreuern und anderen Mitbewohnern aus der Grundversorgung entlassen und am XXXX .2023 polizeilich wegen des Verdachts der Begehung des Delikts des § 28 Abs. 1 SMG zur Anzeige gebracht worden. Zudem sei er von XXXX .2020 bis XXXX .2020 aufgrund einer gewalttätigen Auseinandersetzung mit einem Mitbewohner aus der Betreuungsstelle weggewiesen worden. Aufgrund der aus diesem Verhalten resultierenden Gefährdung sei gegen ihn ein fünfjähriges Einreisverbot zu erlassen gewesen.

Gegen diesen Bescheid erhob der BF durch seine nunmehrige Rechtsvertretung am 03.04.2024 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Behörde – hätte sie den Sachverhalt im Rahmen einer ordnungsgemäßen Beweiswürdigung genau erhoben – festgestellt hätte, dass der Tatbestand der entschiedenen Sache nicht erfüllt sei. Bei der Verhängung bzw. Bemessung der Dauer des Einreiseverbotes habe die Behörde das bisherige Verhalten des Drittstaatsangehörigen einzubeziehen und zu berücksichtigen, ob der Aufenthalt die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährde. Die Verhängung des Einreiseverbotes sei angesichts des bisherigen Verhaltens des BF völlig unverhältnismäßig und greife in sein Privatleben massiv ein. Aufgrund der dem BF im Fall einer Abschiebung drohenden Gefährdung werde die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung angeregt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der BF ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Iran sowie Angehöriger der Volksgruppe der Perser und führt den im Spruch genannten Namen. Die Muttersprache des BF ist Farsi.

Der BF lebte bis zu seinem 10. Lebensjahr in XXXX . Nach der Scheidung seiner Eltern übersiedelte er gemeinsam mit seiner Mutter und seinen drei Geschwistern nach XXXX , wo er bis zu seiner Ausreise nach Europa lebte. Er besuchte im Herkunftsstaat die Volks- und Mittelschule sowie ein Gymnasium. Seine Schweißerausbildung hat er nicht abgeschlossen. Ab seinem 15. Lebensjahr war der BF in einem Restaurant erwerbstätig.

Der BF befindet sich seit seiner ersten Asylantragstellung am 01.02.2016 in Österreich. Obwohl dieser Asylantrag rechtskräftig abgewiesen und eine Rückkehrentscheidung erlassen wurde, reiste er nicht aus dem Bundesgebiet aus und stellte am 11.09.2023 den gegenständlichen Folgeantrag auf internationalen Schutz.

Der BF nimmt in Österreich nicht auf maßgebliche Weise am gesellschaftlichen, wirtschaftlichen oder kulturellen Leben teil. Er hat weder im Bundesgebiet aufhältige Familienangehörige noch enge soziale Bindungen. Weiters verfügt er über keine nachgewiesenen Deutschkenntnisse, ist nicht Mitglied eines Vereins oder einer Organisation und geht keiner legalen Erwerbstätigkeit nach.

Der BF wurde mit Urteil eines Bezirksgerichts vom XXXX wegen § 83 Abs. 1 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von zwei Monaten verurteilt.

Am XXXX .2023 wurde er aus disziplinären Gründen nach mehreren schriftlichen Verwarnungen aufgrund wiederholten aggressiven Verhaltens gegenüber Betreuern und Mitbewohnern aus der Grundversorgung entlassen.

Der BF ist nicht lebensbedrohlich erkrankt und arbeitsfähig. Er ist volljährig, gesund und im erwerbsfähigen Alter. Er ist ledig und kinderlos. Der BF verbrachte den Großteil seines Lebens im Iran und ist mit den kulturellen Traditionen und Gepflogenheiten seines Heimatlandes vertraut.

Der erste Antrag des BF auf internationalen Schutz wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 30.06.2022, Zl. XXXX , rechtskräftig abgewiesen, zumal das von ihm erstattete Fluchtvorbringen als unglaubhaft beurteilt wurde. Bei seinem zweiten – gegenständlichen – Antrag auf internationalen Schutz brachte der BF keine neuen Fluchtgründe vor. Er gab nunmehr an, dass er tatsächlich keiner persönlichen Bedrohung im Iran ausgesetzt gewesen sei, sondern ausschließlich zur Verbesserung seiner wirtschaftlichen Situation ausgereist sei.

In der Zwischenzeit sind auch keine Umstände eingetreten, wonach dem BF im Iran aktuell mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit seiner Person drohen würde oder ihm im Falle einer Rückkehr in den Iran die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen wäre.

Durch eine Abschiebung in den Iran würde der BF nicht in seinem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht sein. Ebensowenig würde für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts bestehen.

Zur Lage im Herkunftsstaat

Zur maßgeblichen Lage im Iran, die sich seit rechtskräftigem Abschluss seines Erstverfahrens nicht (entscheidungsrelevant) geändert hat, werden nachfolgende Feststellungen getroffen:

Politische Lage […]

Proteste 2022/2023

Nach dem Tod der 22-Jährigen Mahsa Jîna (ihr kurdischer Vorname) Amini am 16.9.2022 (USDOS 20.3.2023) in Gewahrsam der sogenannten Sittenpolizei (gasht-e ershâd) in Teheran (BPB 16.2.2023) aufgrund eines angeblich unkorrekt getragenen Hijabs kam es in Iran zu den größten Protesten seit Jahren (EN 1.2.2023). Während in den letzten Jahren in Iran häufig Demonstrationen stattfanden, waren die Proteste hinsichtlich ihrer geographischen Verbreitung und Dauer beispiellos (ACLED 12.4.2023).

Als Frau sunnitischer Konfession und als Kurdin verkörperte Mahsa Jina Amini alle drei Dimensionen der systematischen Diskriminierung durch die Islamische Republik: Geschlecht, Konfession und ethnische Zugehörigkeit (Posch/Chatham 5.5.2023). Die Proteste in Iran richteten sich gegen Diskriminierung und fokussierten auf Menschenrechte. Die Wut der Tausenden von Demonstranten, die auf die Straße gingen, konzentrierte sich auf die Tatsache, dass weder das Geschlecht noch die ethnische Zugehörigkeit die Ursache für den Tod eines iranischen Bürgers in Gewahrsam sein sollte, was eine eindeutige Menschenrechtsfrage darstellt (Posch 2023). Der von den Demonstranten verwendete Spruch "Frau, Leben, Freiheit" (auf Farsi: "zan, zendegi, âzâdi") stammt dabei ursprünglich von der kurdischen Arbeiterpartei (PKK) (auf Kurdisch "jin, jîyan, azadî"). Er war zunächst unter iranischen Demonstranten im Westen zu hören. Dann begannen auch in Iran die säkularen und linken Teile der Gesellschaft, ihn zu verwenden, bevor er sich landesweit über Klassen- und ethnische Grenzen hinweg verbreitete (Posch/Chatham 5.5.2023). Die Proteste wurden insbesondere von den folgenden Gruppen getragen: Frauen, Jugendliche, Studentinnen und Studenten sowie von marginalisierten Ethnien - insbesondere Kurden und Belutschen (BPB 16.2.2023). Die auf Menschen- und Bürgerrechten basierende Agenda der Proteste konnte jedoch sowohl säkulare Teheraner aus der Mittelschicht als auch sunnitische Fundamentalisten aus den marginalisierten Grenzprovinzen Irans mobilisieren. Unter anderem kritisierten auch prominente Stimmen wie Kak Hasan Amini, einer der profiliertesten sunnitischen Geistlichen Irans, oder Moulana Abdulhamid aus Belutschistan, Führer der sunnitischen Gemeinschaft im Osten des Irans, das Regime (Posch 2023).

Dieses reagierte mit massiver Repression auf die Proteste. Zeitweise wurden rund 20.000 Personen inhaftiert (BPB 16.2.2023). Bis Mitte Februar 2023 zählte die NGO Human Rights Activists News Agency (HRANA) 530 Todesopfer unter den Protestteilnehmern (DIS 3.2023; vgl. BPB 16.2.2023). Auch wurden im Rahmen der Proteste zwischen September 2022 und April 2023 rund 50 Angehörige der Basij, Revolutionsgarden und Polizei getötet (ACLED 12.4.2023), laut HRANA waren es beinahe 70 Regimekräfte (BPB 16.2.2023). Eine unbekannte Zahl von Personen, wie z.B. Journalisten, Menschenrechtsaktivisten, Studenten, Künstler, Akademiker, Rechtsanwälte, medizinisches Personal, das sich um Protestteilnehmer gekümmert hat, Minderjährige und Personen, die sich online an anti-Regierungsaktivitäten beteiligt haben, wurde wegen "Verbreitung von Propaganda", "Absprachen zur Begehung von Straftaten und Handlungen gegen die nationale Sicherheit" oder "Kriegsführung gegen Gott" sowie "Korruption auf Erden" verurteilt, wobei diese Tatbestände vor den iranischen Revolutionsgerichten mit hohen Strafen geahndet werden (DIS 3.2023).

Die Proteste zeichneten sich durch ihre Dezentralität, die Bedeutung von zivilem Ungehorsam und Flashmobs als Protestform - insbesondere durch Frauen, die ihr Kopftuch ablegen - und, wie vor allem in europäischen Debatten oft bemängelt wird, durch fehlende Organisations- und Führungsstrukturen aus (BPB 16.2.2023). Die fehlenden Führungsstrukturen waren sowohl Stärke als auch Schwäche der Proteste, bei denen das Internet und soziale Medien eine große Rolle zur Mobilisierung und Verbreitung der Protestbotschaften spielten: Einerseits machen die fehlenden Führungsstrukturen staatliche Repression schwieriger, andererseits erschweren sie auch die Herausbildung einer Bewegung, welche eine politische Alternative zum derzeitigen System darstellen könnte (FR24 16.12.2022).

Bis zum Sommer 2023 sind die Straßenproteste schließlich abgeflaut und die Regierung hat beispielsweise versucht, die Strafen für Verstöße gegen die Hijab-Regeln zu verschärfen (USIP 6.9.2023). Die Islamische Republik blieb weiterhin funktionsfähig und im Zuge der Proteste konnte nicht beobachtet werden, dass eine Einheit des hochkompetitiven iranischen Sicherheitsapparats geschwächelt hätte oder sich illoyal verhalten habe (Posch/Chatham 5.5.2023). Die Regierung ist darauf bedacht, ihre Anhängerschaft zu halten, versucht aber auch, Menschen am Rande der Gesellschaft zu Anhängern der Islamischen Republik zu machen. So haben die staatlichen Medien jüngst beispielsweise neue Fernsehsendungen produziert und eine größere Anzahl von Gästen eingeladen, um heikle politische Themen zu diskutieren. Die Regierung möchte aufgeschlossen und sympathisch erscheinen, um ein gewisses Maß an Legitimität aufrechtzuerhalten und gleichzeitig Sicherheitsaspekte zu berücksichtigen. Die Regierungsvertreter sind sich allerdings darüber im Klaren, dass die Legitimität des Regimes erodiert ist, insbesondere seit der gewaltsamen Niederschlagung der landesweiten Demonstrationen, die durch den Tod von Mahsa Amini in Polizeigewahrsam im Jahr 2022 ausgelöst worden sind (USIP 17.11.2023). Die Proteste scheinen im Jahr 2023 abgeklungen zu sein, aber die dort artikulierten Missstände bleiben weiterhin bestehen (CRS 29.9.2023).

Quellen […]

Sicherheitslage

Verglichen mit Nachbarstaaten wie dem Irak, Libanon, Syrien und Afghanistan hat Iran eine sehr starke Zentralregierung mit mächtigen Geheimdienst- und Sicherheitsbehörden. Mit Ausnahme von einigen peripheren Grenzregionen ist die Regierung im Besitz der Kontrolle über das gesamte Staatsterritorium. In den Provinzen West-Aserbaidschan und Kermanshah, an der westlichen Staatsgrenze zu Irakisch-Kurdistan, kommt es regelmäßig zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen den Islamischen Revolutionsgarden (IRGC, Pasdaran) und separatistischen Gruppierungen, wie der Kurdistan Democratic Party of Iran (KDPI) und der Partiya Jiyana Azad a Kurdistanê (PJAK) (BS 23.2.2022).

Die schwierige Wirtschaftslage und die latenten Spannungen führen periodisch zu Kundgebungen, zum Beispiel im Zusammenhang mit Preiserhöhungen oder an (religiösen) Lokalfeiertagen und Gedenktagen. Es muss mit schweren Ausschreitungen und gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Demonstrierenden sowie mit Straßenblockaden gerechnet werden. Ab Mitte September 2022 kam es in zahlreichen Städten des Landes immer wieder zu Protesten gegen die Regierung. Bei Ausschreitungen und gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Demonstrierenden sind zahlreiche Personen getötet oder verletzt worden. Teilweise wird scharfe Munition eingesetzt (EDA 4.1.2024). Die Sicherheitskräfte gingen insbesondere in Randgebieten wie den Provinzen Kurdistan sowie Sistan und Belutschistan hart gegen Protestierende vor (Newsweek 1.12.2022; vgl. UNHRC 7.2.2023). Während Mitglieder der Basij-Miliz in Teheran Demonstranten verprügelten, haben die Sicherheitsbehörden in Kurdistan, Belutschistan und Ahwaz beispielsweise schwere Maschinengewehre, gepanzerte Fahrzeuge, schwere Artillerie und sogar Kampfhubschrauber zur Bekämpfung der Proteste in Stellung gebracht (TWI 14.10.2022).

Das Risiko von Anschlägen besteht im ganzen Land. Am 3.1.2024 forderte ein Anschlag anlässlich einer Gedenkfeier in der Stadt Kerman [Provinz Kerman] rund 100 Todesopfer und zahlreiche Verletzte. Im August 2023 sowie Oktober 2022 wurden mehrere Personen bei Attentaten auf den Shah Cheragh-Schrein in Shiraz [Provinz Fars] getötet oder verletzt. In den Grenzprovinzen im Osten und Westen werden die Sicherheitskräfte immer wieder Ziel von bewaffneten Überfällen und Anschlägen (EDA 4.1.2024). Vor allem in Grenzregionen kommt es unregelmäßig zu Zwischenfällen mit terroristischem Hintergrund. Besonders betroffen sind die Provinzen Kurdistan und Sistan und Belutschistan, der Osten der Provinz Kerman sowie die Grenzgebiete zu Irak, Pakistan und Afghanistan. Die iranischen Behörden haben seit einiger Zeit die allgemeinen Sicherheitsmaßnahmen im Grenzbereich zu Irak und zu Pakistan, aber auch in der Hauptstadt Teheran, erhöht (AA 18.12.2023).

Der o.g. Anschlag in der Stadt Kerman am 3.1.2024 mit fast 100 Todesopfern und über 200 Verletzten ereignete sich während einer Gedenkfeier anlässlich des Todestags von Qassem Soleimani (IRINTL 3.1.2024; vgl. Soufan 4.1.2024). Als Befehlshaber der Auslandsoperationen der Revolutionsgarden, der Quds-Kräfte (BBC 4.1.2024; vgl. AP 4.1.2024), war Soleimani einer der Architekten der iranischen Politik in der Region. Er war für die geheimen Missionen der Quds-Kräfte und die Bereitstellung von Führung, Finanzierung, Waffen, Geheimdienstinformationen und logistischer Unterstützung für verbündete Regierungen und bewaffnete Gruppen, einschließlich der Hisbollah und der Hamas, verantwortlich (BBC 4.1.2024; vgl. Soufan 4.1.2024). Er war auch im Irak und in Syrien aktiv, wo er das Assad-Regime gegen den Islamischen Staat (IS) und andere Gruppierungen unterstützt hat. Der in Iran populäre Soleimani wurde im Jahr 2020 bei einem Drohnenangriff der USA nahe Bagdad getötet (AP 4.1.2024). Zum Anschlag in Kerman bekannte sich der IS, wobei von einem US-amerikanischen Nachrichtendienst abgefangene Gespräche gemäß der Nachrichtenagentur Reuters bestätigen, dass der Ableger des IS in Afghanistan, der Islamische Staat Khorasan Provinz (ISKP), für den Anschlag verantwortlich war (REU 5.1.2024; vgl. FAZ 12.1.2024). Seit 2015 kommt es nach iranischen Angaben in der Provinz Khuzestan und in anderen Landesteilen, auch in Teheran, wiederholt zu Verhaftungen von Personen, die mit dem IS in Verbindung stehen und Terroranschläge in Iran geplant haben sollen (AA 18.12.2023; vgl. TWI 31.10.2022). Die Anschläge im Oktober 2022 und August 2023 auf den schiitischen Shah Cheragh-Schrein in Shiraz haben iranische staatliche Medien ebenfalls dem IS zugeschrieben (AJ 26.10.2022) bzw. bekannte sich die Organisation selbst zu ihnen (AJ 13.8.2023). Dieser Anschlag war der erste des IS auf iranischem Boden seit 2018. Zuvor hatte der ISKP mehrere Drohungen gegen den iranischen Staat ausgesprochen (TWI 31.10.2022). Der ISKP hat seine Strategie nach der Machtübernahme der Taliban 2021 teils geändert und seine Operationsgebiete sowie Rekrutierungsbestrebungen "internationalisiert" (Conversation 11.1.2024; vgl. FAZ 12.1.2024).

Die Grenzzone zu Afghanistan, das östliche Kerman und Sistan und Belutschistan stehen teilweise unter dem Einfluss von Drogenhändler- sowie von extremistischen Organisationen. Sie verüben immer wieder Anschläge und setzen teilweise Landminen auf Überlandstraßen ein (EDA 4.1.2024). Die Bewegungsfreiheit ist eingeschränkt und es gibt vermehrte Sicherheits- und Personenkontrollen (AA 18.12.2023). Es kann jederzeit zu bewaffneten Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften kommen (EDA 4.1.2024). In Sistan und Belutschistan (Südosten, Grenze zu Pakistan/Afghanistan) wurden zahlreiche Zusammenstöße zwischen Mitgliedern von Drogenbanden, Kämpfern, Zivilisten und Sicherheitskräften verzeichnet, bei denen Menschen getötet und verletzt wurden (MBZ 9.2023; vgl. AA 18.12.2023, Arabiya 17.1.2024).

Im Dezember 2023 wurde ein Angriff auf eine Polizeistation in der Stadt Rask in Sistan und Belutschistan verübt, der mindestens elf Tote forderte. Laut dem staatlichen iranischen Fernsehen war die dschihadistische Gruppierung Jaysh al-Adl (JAA, auch JUA) für den Anschlag verantwortlich (Spiegel 15.12.2023; vgl. NZZ 16.12.2023). Im Juli 2023 hatte sich die Gruppierung zu einem Angriff auf eine Polizeistation in Zahedan [Anm.: Hauptstadt von Sistan und Belutschistan] bekannt (IRJ 10.7.2023; vgl. BAMF 10.7.2023). Mitte Jänner 2024 führten die Revolutionsgarden einen Raketenangriff auf eine angebliche Stellung der JAA auf pakistanischem Staatsgebiet durch (IRINTL 17.1.2024; vgl. BBC 18.1.2024), woraufhin die pakistanischen Streitkräfte mehrere Ziele in der Ortschaft Saravan in der iranischen Provinz Sistan und Belutschistan angriffen, bei denen es sich nach pakistanischen Angaben um "terroristische Verstecke" handelte (IRINTL 18.1.2024; vgl. BBC 18.1.2024). Zeitgleich tötete die JAA nach eigenen Angaben einen Kommandanten der Revolutionsgarden, als sie sein Fahrzeug nahe der pakistanischen Grenze unter Beschuss nahmen (IRINTL 17.1.2024; vgl. AnA 18.1.2024). Die JAA bestätigte, dass bei dem Raketenbeschuss der Revolutionsgarden auf pakistanisches Territorium die Häuser zweier Mitglieder getroffen worden waren, wobei unter anderem zwei Kinder getötet wurden (IRINTL 17.1.2024). Bei den pakistanischen Angriffen auf Ziele in Saravan starben nach staatlichen iranischen Angaben drei Frauen und vier Kinder, die keine iranischen Staatsbürger waren (IRINTL 18.1.2024; vgl. BBC 18.1.2024). Die JAA operiert vor allem von Pakistan aus (IRINTL 17.1.2024; vgl. AnA 18.1.2024) und Iran war auch schon früher in bewaffnete Auseinandersetzungen mit der Gruppe entlang der Grenze verwickelt (IRINTL 17.1.2024).

Die Grenze [zu Afghanistan und Pakistan] ist durchlässig, größtenteils gebirgig und eine wichtige Schmuggelroute für Drogen und andere Waren, die das organisierte Verbrechen anzieht (DFAT 24.7.2023; vgl. BAMF 10.7.2023). Die Beziehungen zwischen der iranischen Regierung und der Taliban-Regierung in Afghanistan sind teils angespannt (DFAT 24.7.2023). Seit die Taliban im August 2021 die Kontrolle übernommen haben, liefern sich iranische Soldaten und Taliban-Sicherheitskräfte entlang der gemeinsamen Grenze immer wieder bewaffnete Auseinandersetzungen (DFAT 24.7.2023; vgl. IRINTL 3.9.2022). Iranische Nachrichtenagenturen mit Verbindungen zur Regierung behaupteten, dass die Kämpfe jeweils entweder mit den Taliban oder mit Drogenschmugglern stattfanden (DFAT 24.7.2023).

In der Provinz Kurdistan und der ebenfalls von Kurden bewohnten Provinz West-Aserbaidschan gibt es wiederholt Anschläge gegen Sicherheitskräfte, Personal der Justiz und Angehörige des Klerus. In diesem Zusammenhang haben Sicherheitskräfte ihr Vorgehen gegen kurdische Separatistengruppen sowie Kontrollen mit Checkpoints noch einmal verstärkt (AA 18.12.2023). Die Sicherheitskräfte sind in den Provinzen Kurdistan, Kermanshah und West-Aserbaidschan in großer Zahl präsent (MBZ 9.2023). In dieser von Kurden bewohnten Region an der Grenze zum Irak und der Türkei (Izady/Gulf 2000 o.D.) kam es zu einigen bewaffneten Zusammenstößen zwischen iranischen Sicherheitskräften und Mitgliedern kurdischer Parteien, die Stützpunkte im Nordirak haben, manchmal auch mit Toten und Verletzten auf beiden Seiten. Die iranischen Behörden behaupteten, dass die Proteste ab Mitte September 2022 auch aus dem Nordirak unterstützt wurden. Scheinbar als Reaktion darauf führten die Revolutionsgarden mehrfach Raketenangriffe und Drohnenangriffe gegen Stützpunkte und Mitglieder kurdischer Parteien im Nordirak durch (MBZ 9.2023). Im Herbst 2022 feuerten iranische Sicherheitskräfte zur Bekämpfung iranisch-kurdischer Gruppen mehr als 70 Raketen über die Grenze auf Gebiete des benachbarten Irak - der größte grenzüberschreitende Angriff des Landes seit den 1990er-Jahren (DW 13.11.2022; vgl.K24 28.11.2022, Rudaw 28.9.2022). Im Juni 2023 kam es an verschiedenen Orten in der Provinz Kurdistan zu Gefechten zwischen Mitgliedern der PJAK und Angehörigen der Revolutionsgarden, wobei auch Todesopfer gemeldet wurden (BAMF 19.6.2023; vgl. RFE/RL 14.6.2023). Eine kurdische NGO warf den Revolutionsgarden vor, bei einem der Vorfälle unterschiedslos Häuser von Zivilisten beschossen zu haben (RFE/RL 14.6.2023).

Im iranisch-irakischen Grenzgebiet sind zahlreiche Minenfelder vorhanden (in der Regel Sperrzonen) (EDA 4.1.2024).

Gelegentlich wirken sich die Spannungen aus dem Grenzkonflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan auf die Sicherheitslage im iranischen Grenzgebiet aus (EDA 4.1.2024).

Mitunter kommt es im Grenzgebiet zur Türkei zu Schusswechseln zwischen militanten Gruppierungen und den iranischen Sicherheitskräften. Auch für unbeteiligte Personen besteht das Risiko, unversehens in einen Schusswechsel zu geraten (EDA 4.1.2024).

Iran und regionale Konflikte

Der neue de facto-Anführer von al-Qaida - sein Amtsantritt wurde bislang nicht offiziell bekannt gegeben - Sayf al-Adl befindet sich nach Einschätzungen von Mitgliedstaaten des UN-Sicherheitsrats in Iran (UNSC 13.2.2023).

Den komplexen Verhältnissen in der Region muss stets Rechnung getragen werden. Bestimmte Ereignisse und Konflikte in Nachbarländern können sich auf die Sicherheitslage in Iran auswirken (EDA 4.1.2024).

Iran hat eine lange Geschichte der Unterstützung von terroristischen Organisationen wie der Hisbollah, der Hamas und des Palästinensischen Islamischen Jihad (JPOST 27.2.2023). Das Regime unterstützt auch verschiedene "Widerstands"-Milizen im Irak (TWI 20.12.2023), in Syrien, im Jemen und auch Bahrain (CFR 11.12.2023). Die Hilfen umfassen umfangreiche finanzielle und logistische Unterstützung (TWI 20.12.2023). Im Zentrum des iranischen Netzwerks steht die libanesische Hisbollah, die Iran dabei unterstützt hat, die schiitisch-arabisch-persische Kluft zu überbrücken. Die Hisbollah half dem Iran auch bei der Unterstützung des Regimes von Bashar al-Assad im Bürgerkrieg in Syrien, wo sie andere Milizen zur Verteidigung des Regimes heranzog (CFR 11.12.2023). Die geografische Ausdehnung von Irans Allianznetz ist derzeit so groß wie nie zuvor seit der Islamischen Revolution 1979. Die mit Iran verbündeten Milizen agieren laut dem Experten Walter Posch selbstständig. Doch bei allen Aktionen gibt es Spuren, die zurück nach Iran führen (NZZ 2.1.2024).

Nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7.10.2023 haben die Spannungen in der Region zugenommen (IRINTL 11.1.2024; vgl. BBC 16.1.2024a). Seitdem [Stand Mitte Jänner 2024] kommt es in einem Gebiet an der libanesisch-israelischen Grenze zu vermehrtem Raketenbeschuss zwischen der Hisbollah und Israel (DlF 4.1.2024; vgl. ORF 14.1.2024). In Syrien und dem Irak haben iranische Stellvertreter seit dem 7.10.2023 mehr als 100 Mal US-Streitkräfte beschossen (Soufan 8.1.2024; vgl. IRINTL 11.1.2024). Mitte Jänner 2024 haben die Revolutionsgarden auch direkt Ziele in der Kurdistan Region Irak (KRI) und in Nordwestsyrien angegriffen. Nach iranischen Angaben handelte es sich dabei um Vergeltungsschläge gegen den IS und israelische Spione anlässlich des Anschlags in Kerman am 3.1.2024 sowie gezielter Tötungen von ranghohen Verbündeten Irans in Syrien und dem Libanon, für die Israel verantwortlich gemacht wird. Iran hat auch schon zu früheren Zeitpunkten Stützpunkte separatistischer iranischer Oppositionsgruppen [s. Unterkap. " Kurdische separatistische Gruppierungen"] und "israelische Agenten" in der KRI angegriffen (IRINTL 16.1.2024; vgl. BBC 16.1.2024a). Die von Iran unterstützte jemenitische Houthi-Bewegung hat nach dem 7.10.2022 Geschosse auf Israel abgefeuert, von denen fast alle abgefangen wurden (Soufan 8.11.2023). Mitte November sind die Houthis dazu übergegangen, Handelsschiffe im Roten Meer und vor der jemenitischen Küste ins Visier zu nehmen und bedrohen damit eine bedeutsame Welthandelsroute (Soufan 9.1.2024; vgl. BBC 16.1.2024b). Die USA haben daraufhin gemeinsam mit dem Vereinigten Königreich eine Sicherheitsoperation im Roten Meer aufgestellt (Soufan 9.1.2024; vgl. BBC 16.1.2024b) und Stellungen der Houthis im Jemen bombardiert (BBC 16.1.2024b). Mitte Jänner 2024 haben die Houthis auch ein US-Kriegsschiff beschossen. Die Houthis sind der Militärmacht der USA und des Vereinigten Königreichs nicht gewachsen, aber sie scheinen über genügend Entschlossenheit und Waffen zu verfügen - die von Iran bereitgestellt werden -, um das Rote Meer für die Schifffahrt unsicher zu machen und den Konflikt im Nahen Osten zu verschärfen (IRINTL 15.1.2024).

Seit 2010 hat Israel angeblich mindestens zwei Dutzend Operationen - darunter Attentate, Drohnenangriffe und Cyberangriffe - gegen Iran durchgeführt (USIP 30.1.2023). Die meisten Ziele standen im Zusammenhang mit dem umstrittenen Atomprogramm Teherans, das Israel als existenzielle Bedrohung betrachtet (USIP 30.1.2023; vgl. TIS 29.12.2023). Im Jahr 2022 wurden zwei Einrichtungen, die Teil des zunehmend fortschrittlichen iranischen Drohnenprogramms waren, von Drohnen getroffen (USIP 30.1.2023). Israel hat Berichten zufolge auch Militärkommandeure ins Visier genommen, die für Operationen im Ausland verantwortlich sind (USIP 30.1.2023; vgl. TIS 29.12.2023). 2023 wurde im Jänner (RFE/RL 31.1.2023) und April von israelischen Drohnenangriffen auf militärische Ziele in Iran berichtet (IRINTL 5.4.2023), im Dezember vermeldete der iranische Ölminister einen Cyberangriff, den er Israel und den USA zuschrieb (FR24 18.12.2023; vgl. NZZ 2.1.2024).

Doppelbestrafung (ne bis in idem), im Ausland begangene Vergehen, Verurteilung in Abwesenheit

Einer vertraulichen Quelle des niederländischen Außenministeriums zufolge hält sich der Iran an den Grundsatz ne bis in idem, wenn es um ta'zir-Strafen geht. Im Falle von hadd- und qisas-Strafen ist eine doppelte Strafverfolgung dagegen möglich. Auch ist es möglich, dass ein Gericht eine ta'zir-Strafe gegen eine Person verhängt, der Staatsanwalt jedoch im Nachhinein angibt, dass dies ein Fehler war und das Vergehen unter einen hadd-Tatbestand fällt. In diesem Fall kann eine Person zweimal für dieselbe Straftat verurteilt werden, in der Praxis kommt dies jedoch selten vor (MBZ 9.2023).

Iranische Staatsbürger unterliegen auch im Ausland der iranischen Gesetzgebung und können nach Artikel 7 des IStGB 2013 für Vergehen, die im Ausland begangen wurden, in Iran belangt werden (Landinfo 9.11.2022). Das Verbot der Doppelbestrafung gilt in diesem Fall nur stark eingeschränkt. Nach dem IStGB werden Iraner oder Ausländer, die bestimmte Straftaten im Ausland begangen haben und in Iran festgenommen werden, nach den jeweils geltenden iranischen Gesetzen bestraft. Auf die Verhängung von islamischen Strafen [Anm.: hadd- und qisas-Strafen] haben bereits ergangene ausländische Gerichtsurteile keinen Einfluss; die Gerichte erlassen eigene Urteile. Insbesondere bei Betäubungsmittelvergehen drohen drastische Strafen (AA 30.11.2022). Ein von Landinfo im Jahr 2021 befragter Rechtsanwalt zeichnete jedoch ein differenzierteres Bild und gab an, dass insbesondere im Ausland begangene Vergehen, welche die innere und äußere Sicherheit betreffen, in Iran strafrechtlich verfolgt werden. Laut dem Rechtsanwalt werden beispielsweise Alkoholkonsum oder "unzüchtiges" Verhalten iranischer Staatsbürger im Ausland in Iran nicht strafrechtlich verfolgt (Landinfo 9.11.2022). In jüngster Vergangenheit sind keine Fälle einer Doppelbestrafung bekannt geworden (AA 30.11.2022).

Es kommt in der Praxis vor, dass Personen in Iran in Abwesenheit aufgrund von im Ausland durchgeführten Tätigkeiten verurteilt werden, beispielsweise aufgrund von Veröffentlichungen von kritischen Beiträgen in den sozialen Medien. Mehrere Quellen berichteten von derartigen Fällen von bekannten Aktivisten im Ausland (MBZ 9.2023). Der ehemalige, in Dubai wohnhafte Profifußballer Ali Karimi wurde zum Beispiel von den iranischen Behörden in absentia verurteilt, nachdem er nach Mahsa Aminis Tod kritische Texte auf Instagram gepostet hatte (MBZ 9.2023; vgl. ArTR 16.12.2022).

Behandlung der Zivilbevölkerung

In Bezug auf die Überwachung der Bevölkerung ist nicht bekannt, wie groß die Kapazität der iranischen Behörden ist. Die Behörden können nicht jeden zu jeder Zeit überwachen, haben aber eine Atmosphäre geschaffen, in der die Bürger von einer ständigen Beobachtung ausgehen (DIS 23.2.2018). Die kurdische Region ist das am stärksten militarisierte Gebiet Irans. Die Regierung überwacht die Bevölkerung dort durch ein Netzwerk von Kontrollpunkten (DIS 7.2.2020).

Angehörige der Sicherheitskräfte können Misshandlungen begehen, ohne befürchten zu müssen, bestraft zu werden. Straffreiheit innerhalb des Sicherheitsapparates ist weiterhin ein Problem. Menschenrechtsgruppen beschuldigen reguläre und paramilitärische Sicherheitskräfte (wie zum Beispiel die Basij), zahlreiche Menschenrechtsverletzungen zu begehen, darunter Folter, Verschwindenlassen und Gewaltakte gegen Demonstranten und Umstehende bei öffentlichen Demonstrationen. Die Regierung unternimmt nur wenige Schritte, um Beamte, die Menschenrechtsverletzungen begehen, zu identifizieren, zu untersuchen, strafrechtlich zu verfolgen und zu bestrafen. Die Straflosigkeit bleibt auf allen Ebenen der Regierung und der Sicherheitskräfte allgegenwärtig (USDOS 20.3.2023).

Mit willkürlichen Verhaftungen kann und muss jederzeit gerechnet werden, da die Geheimdienste (der Regierung und der Revolutionsgarden) sowie Basij de facto willkürlich handeln können. Bereits auffälliges Hören von (insbesondere westlicher) Musik, ungewöhnliche Bekleidung, Partys oder gemeinsame Autofahrten junger nicht miteinander verheirateter Männer und Frauen können den Unwillen zufällig anwesender Basij bzw. mit diesen sympathisierenden Personen hervorrufen. Willkürliche Verhaftungen oder Misshandlung durch Basij können in diesem Zusammenhang nicht ausgeschlossen werden (ÖB Teheran 11.2021). Bei der brutalen Durchsetzung von Regeln wie der Kopftuchpflicht für Frauen, die im September 2022 Auslöser der Proteste war, stehen nicht unbedingt die regulären Polizeieinheiten im Fokus, sondern "überambitionierte Freiwillige", die sich normalerweise aus den Basij-Milizen rekrutieren. Sie nennen sich die "Hezbollahis", also "Parteigänger Gottes" und vertreten dabei das islamische Prinzip des "Gebieten des Guten, Verbieten des Schlechten" (al-amr bi-l-maʿrūf wa-n-nahy ʿani-l-munkar) [Anm.: nicht gleichzusetzen mit der libanesischen Hisbollah]. Die Polizei hat wenig Anreiz, Frauen vor Willkür zu schützen und sich mit den übereifrigen, politisch bestens vernetzten Hezbollahis anzulegen, die sich als Schutzherren der öffentlichen Moral aufspielen. Sie lassen die Miliz gewähren und vertrauen darauf, dass sich die Gewalt im Rahmen hält (Zenith 21.9.2022).

Es wird sowohl von "großer" Korruption durch hochrangige Vertreter der Sicherheits- und Strafvollzugsbehörden berichtet (FP 28.2.2023; vgl. IrWire 4.6.2021) als auch von der Zahlung von Bestechungsgeldern ("Teegeld") an Polizeibeamte, beispielsweise zur Vermeidung von Strafen wegen Geschwindigkeitsübertretungen oder Drogenbesitzes. Manchmal werden auch Mitglieder der Revolutionsgarden und Basij oder Richter bestochen, um Strafen wegen schwerwiegenderer Taten zu verhindern, oder um Gerichtsprozesse zu beeinflussen. Umgekehrt zahlen auch Einbruchsopfer manchmal Bestechungsgelder an Polizisten, um die "Chancen auf die Fassung des Diebes zu erhöhen" (IrWire 28.4.2021). Die Bestechung von Militärangehörigen, Polizeibeamten und anderen Mitgliedern der Strafvollzugsbehörden in Iran wurde als "systemisch" bezeichnet. Begünstigende Faktoren sind unter anderem die Anwerbung von Personen mit Vorstrafen als Polizeibeamte. Auch Ungleichheiten und Lohndiskriminierung spielen eine Rolle, ebenso wie das Fehlen einer angemessenen Aufsicht durch verantwortliche Beamte. Die Polizei leidet zudem an "ineffizienter Organisation" (IrWire 6.9.2021).

Allgemeine Menschenrechtslage

Die iranische Verfassung (IRV) vom 15.11.1979 enthält einen umfassenden Grundrechtskatalog. Der Generalvorbehalt des Einklangs mit islamischen Prinzipien des Art. 4 IRV lässt jedoch erhebliche Einschränkungen zu. Der im Jahr 2001 geschaffene "Hohe Rat für Menschenrechte" untersteht unmittelbar der Justiz. Das Gremium erfüllt allerdings nicht die Voraussetzungen der 1993 von der UN-Generalversammlung verabschiedeten "Pariser Prinzipien" (AA 30.11.2022).

Iran zählt zu den Ländern mit einer anhaltend beunruhigenden Menschenrechtslage, insbesondere der politischen und bürgerlichen Rechte, wobei sich der Spielraum für zivilgesellschaftliches Engagement im Menschenrechtsbereich in den letzten Jahren erheblich verengt hat (ÖB Teheran 11.2021). Der iranische Staat verstößt regelmäßig gegen die Menschenrechte nach westlicher Definition, jedoch auch immer wieder gegen die islamisch definierten (GIZ 2020). Zu den wichtigsten Menschenrechtsproblemen gehören: rechtswidrige oder willkürliche Tötungen durch die Regierung und ihre Vertreter, vor allem Hinrichtungen für Verbrechen, die nicht dem internationalen Rechtsstandard für "schwerste Verbrechen" entsprechen, oder für Verbrechen, die von jugendlichen Straftätern begangen wurden, sowie Hinrichtungen nach Gerichtsverfahren ohne ordnungsgemäßen Prozess; Verschwindenlassen und Folter durch Regierungsbeamte; harte und lebensbedrohliche Haftbedingungen; systematische Inhaftierungen, einschließlich politischer Gefangener. Weiters gibt es unrechtmäßige Eingriffe in die Privatsphäre; erhebliche Probleme mit der Unabhängigkeit der Justiz, insbesondere der Revolutionsgerichte; Bestrafung von Familienmitgliedern, Beschränkungen der freien Meinungsäußerung, der Presse und des Internets - einschließlich Gewalt, Androhung von Gewalt sowie ungerechtfertigte Festnahmen und Strafverfolgung gegen Journalisten, Zensur, Blockieren von Webseiten und strafrechtliche Verfolgung sogar von Verleumdung und übler Nachrede; erhebliche Eingriffe in das Recht auf friedliche Versammlung und Vereinigungsfreiheit; Einschränkungen der Religionsfreiheit; Beschränkungen der politischen Beteiligung durch willkürliche Kandidatenprüfung; weitverbreitete Korruption auf allen Regierungsebenen; rechtswidrige Rekrutierung von Kindersoldaten durch Regierungsakteure zur Unterstützung des Assad-Regimes in Syrien; Menschenhandel; Gewalt gegen ethnische Minderheiten; strenge staatliche Beschränkungen der Rechte von Frauen und Minderheiten; Kriminalisierung von sexuellen Minderheiten sowie Verbrechen, die Gewalt oder Gewaltdrohungen gegen Angehörige sexueller Minderheiten beinhalten; und schließlich das Verbot unabhängiger Gewerkschaften. Die Regierung unternimmt kaum Schritte, um verantwortliche Beamte zur Rechenschaft zu ziehen. Straffreiheit ist auf allen Ebenen der Regierung und der Sicherheitskräfte weit verbreitet (USDOS 20.3.2023).

Besonders schwerwiegend und verbreitet sind staatliche Repressionen gegen jegliche Aktivität, die als Angriff auf das politische System empfunden wird oder die islamische Grundsätze infrage stellt. Dies ist besonders ausgeprägt bei Gruppierungen, welche die Interessen religiöser oder ethnischer Minderheiten vertreten. Als rechtliche Grundlage dienen dazu weit gefasste Straftatbestände (vgl. Art. 279 bis 288 iStGB) sowie Staatsschutzdelikte (insbesondere Art. 1 bis 18 des 5. Buches des iStGB). Personen, deren öffentliche Kritik sich gegen das System der Islamischen Republik Iran als solches richtet und die zugleich intensive Auslandskontakte unterhalten, laufen Gefahr, der Spionage beschuldigt zu werden. Strafverfolgung erfolgt selbst bei niedrigschwelliger Kritik oftmals willkürlich und selektiv (AA 30.11.2022).

Die Behörden haben im Jahr 2022 weitverbreitete Proteste, bei denen Grundrechte gefordert wurden, brutal unterdrückt, wobei die Sicherheitskräfte unrechtmäßig mit übermäßiger und tödlicher Gewalt gegen die Demonstranten vorgingen. Sie verhafteten und verurteilten im Jahr 2022 zahlreiche friedliche Menschenrechtsaktivisten aufgrund vager Anschuldigungen im Zusammenhang mit der nationalen Sicherheit und unterließen es, Berichten über Misshandlungen oder Folter durch Polizei und Sicherheitskräfte nachzugehen. Die Sicherheitskräfte nehmen ethnische und religiöse Minderheiten ins Visier und setzen diskriminierende Kleidervorschriften für Frauen gewaltsam durch (HRW 12.1.2023). Auch Umweltaktivisten sind von Geldbußen, Haftstrafen und Folter betroffen (BS 23.2.2022).

Meinungs- und Pressefreiheit, Internet

Die Verfassung sieht das Recht auf freie Meinungsäußerung vor, auch für Mitglieder der Presse und anderer Medien, es sei denn, etwas wird als "schädlich für die Grundprinzipien des Islam oder die Rechte der Öffentlichkeit" angesehen (USDOS 20.3.2023; vgl. ÖB Teheran 11.2021). In der Praxis sehen sich Meinungs- und Pressefreiheit mit starken Einschränkungen konfrontiert (AA 30.11.2022; vgl. HRW 12.1.2023), sowohl online als auch offline (FH 10.3.2023). Die Gesetzgebung sieht die strafrechtliche Verfolgung von Personen vor, die der Anstiftung zu Straftaten gegen den Staat oder die nationale Sicherheit oder der "Beleidigung" des Islam beschuldigt werden. Die Regierung nutzt Gesetze, um Personen, welche die Regierung direkt kritisieren oder Menschenrechtsprobleme ansprechen, einzuschüchtern oder strafrechtlich zu verfolgen, sowie um normale Bürger zur Einhaltung des Moralkodex der Regierung zu zwingen (USDOS 20.3.2023).

Für Funk- und Fernsehanstalten besteht ein staatliches Monopol (AA 30.11.2022; vgl. Landinfo 9.11.2022). Der Empfang ausländischer Satellitenprogramme ist ohne spezielle Genehmigung untersagt, wenngleich weit verbreitet (AA 30.11.2022). Satellitenschüsseln sind verboten, und Übertragungen in persischer Sprache aus dem Ausland werden regelmäßig gestört (sogenanntes Jamming). Die Polizei führt regelmäßig Razzien in Privathäusern durch und beschlagnahmt Satellitenschüsseln (FH 10.3.2023).

Mit Stand Jänner 2023 nutzten beinahe 80 % der Bevölkerung das Internet (FH 4.10.2023), wobei mehr als 60 % des Internetverkehrs über mobiles Internet läuft (RSF 5.10.2022). Seit 2009 haben die Behörden erhebliche Mittel in den Ausbau der Infrastruktur, aber auch in die Kontrolle ihrer Nutzung investiert (Landinfo 9.11.2022). Die Investitionen der Regierung in die IKT-Infrastruktur im Rahmen des National Information Network (NIN - auf Farsi SHOMA (Medium 3.10.2019) haben die Internetanbindung ländlicher Gebiete verbessert und die Kluft zwischen Stadt und Land etwas verringert, auch wenn die Preise weiterhin hoch sind (FH 4.10.2023). Die Telekommunikationsfirma, die den Internetverkehr nach und aus Iran kontrolliert, befindet sich in Besitz der Revolutionsgarden (Landinfo 9.11.2022). Mit dem NIN haben die iranischen Behörden eine lokalisierte Internetarchitektur aufgebaut. Damit sind die Behörden in der Lage, die Verbindungen zum globalen Internet zu kappen und gleichzeitig die inländischen Dienste online zu halten. Über das NIN soll eine "mehrschichtige" oder "abgestufte" Internetstruktur eingeführt werden, bei der bestimmte Personengruppen Zugang zum globalen Internet haben, während der Rest auf das inländische Netz angewiesen ist. Die Umsetzung würde die Zensur- und Überwachungsmöglichkeiten der Regierung erweitern, da ein Großteil der Bevölkerung gezwungen wäre, inländische Apps und Plattformen zu nutzen, die nur schwache Datenschutz- und Sicherheitsfunktionen bieten. Behördenangaben zum Entwicklungsstand des NIN waren in der Vergangenheit umstritten. Nach Ankündigungen des zuständigen Ministers vom April 2023 soll das Netzwerk bis Jahresende fertiggestellt werden [Anm.: Diesbezüglich konnten in einer Kurzrecherche Ende des Jahres keine weiteren Informationen gefunden werden] (FH 4.10.2023). Die Regierung versucht auch, Internetnutzer mittels Preisanreizen zur Nutzung nationaler Plattformen zu bewegen (FH 4.10.2023; vgl. Filterwatch 27.1.2023). Beispielsweise sind die Tarife zum Abrufen der Videoplattform Aparat, die Youtube ähnelt (FH 4.10.2023), oder bei Nutzung iranischer Apps günstiger. Nutzer sind auch gezwungen, iranische Messaging-Apps wie Rubika, Bale, Gap, Eita und Soroush herunterzuladen, um Zugang zu bestimmten Diensten wie E-Government und Bankfunktionen zu erhalten (Filterwatch 27.1.2023). Diese Apps und Dienste sind anfälliger für staatliche Kontrolle, sie können den Zugriff auf Daten und die Überwachung von Nutzern und Inhalten ermöglichen (Filterwatch 27.1.2023; vgl. FH 4.10.2023).

Auch wenn die iranische Presselandschaft bislang eine gewisse Bandbreite unterschiedlicher Positionen innerhalb des politischen Spektrums widergespiegelt hat, ist mit der Amtsübernahme der ultrakonservativen Regierung eine deutlich strengere Berichterstattung auf Regimelinie feststellbar. Geprägt wird die Presse ohnehin von einer Vielzahl höchst wandelbarer, da nicht schriftlich fixierter "roter Linien" des Revolutionsführers, die in erheblichem Maß zu Selbstzensur führen. Bei Verstößen drohen Sanktionen bis hin zum Verbot von Zeitungen (AA 30.11.2022). Der staatliche Rundfunk wird von Hardlinern streng kontrolliert und vom Sicherheitsapparat beeinflusst. Nachrichten und Analysen werden stark zensiert, wobei das staatliche Fernsehen für die iranische Bevölkerung eine wichtige Informationsquelle ist (FH 10.3.2023). Zensur und Überwachung sind umfassend. Es wurde eine Cyberpolizei eingerichtet, und auch mehrere andere Regierungsbehörden haben Aufgaben im Zusammenhang mit der Überwachung des Internets und der sozialen Medien (Landinfo 9.11.2022).

Nach dem Gesetz wird jeder, der in irgendeiner Form "Propaganda" gegen die Islamische Republik Iran oder zur Unterstützung oppositioneller Gruppen und Vereinigungen betreibt, mit drei Monaten bis zu einem Jahr Gefängnis bestraft [Anm.: bei Verurteilungen z. B. wegen "Gefährdung der nationalen Sicherheit" oder "Korruption auf Erden" fallen höhere Strafen an] (USDOS 20.3.2023), wobei "Propaganda" nicht definiert ist. Zeitungen und Medien sind daher stets der Gefahr ausgesetzt, bei unliebsamer Berichterstattung geschlossen zu werden. Dies gilt auch für Regimemedien. Oft werden in diesem Zusammenhang die Zeitungsherausgeber verhaftet (ÖB Teheran 11.2021). Mitarbeiter von ausländischen Presseagenturen (insbesondere kritische farsisprachige Medien wie BBC, DW oder Voice of America) sowie unabhängige Journalisten sind Berichten zufolge oft mit Verzögerungen bei der Gewährung der Presselizenz durch die iranischen Behörden, Verhaftungen, körperlicher Züchtigung (ÖB Teheran 11.2021) sowie Einschüchterung ihrer Angehörigen konfrontiert (ÖB Teheran 11.2021; vgl. AA 30.11.2022). Infolge der Mitte September 2022 ausgebrochenen landesweiten Proteste hat der Druck auf Journalistinnen und Journalisten weiter zugenommen (AA 30.11.2022). Es kam zu einer Welle an Festnahmen und Verhaftungen iranischer Medienschaffender, die über den Tod der 22-jährigen Kurdin Mahsa Amini und die darauffolgenden Proteste berichtet hatten (AA 30.11.2022; vgl. FH 10.3.2023).

Inhaftierte Journalisten sind – wie alle politischen Gefangenen – besorgniserregenden Haftbedingungen ausgesetzt, die sich aufgrund der COVID-19-Pandemie noch verschärft haben. Unter politischen Gefangenen kommt es regelmäßig zu Hungerstreiks gegen Haftbedingungen, auch gegen die hygienischen Bedingungen und die mangelhafte medizinische Versorgung (AA 30.11.2022). Reporter ohne Grenzen bezeichnet Iran als eines der repressivsten Länder weltweit für Journalistinnen und Journalisten (RSF o.D.b). 2022 belegte das Land Rang 178 von 180 in der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen [Anm.: je höher der Rang, desto geringer die Pressefreiheit] (RSF 2022).

Ebenso unter Druck stehen Künstler, vor allem dann, wenn ihre Kunst als "unislamisch" oder regimekritisch angesehen wird, oder sie ihre Filme an ausländische Filmproduktionsfirmen verkaufen oder auch nur im Ausland aufführen (dies unterliegt einer Genehmigungspflicht). Über zahlreiche Künstler wurden Strafen wegen zumeist "regimefeindlicher Propaganda" und anderen Anschuldigungen verhängt. Viele sind regelmäßig in Haft bzw. zu langjährigen Tätigkeits- und Interviewverboten verurteilt (ÖB Teheran 11.2021).

Die regimekritische Debatte findet weitgehend in den sozialen Medien statt. Für illegale Oppositionsparteien ist das Internet der bevorzugte Kanal für den Informationsaustausch (Landinfo 9.11.2022). Die sozialen Medien sind ein wichtiger Bestandteil der Protestbewegung seit Mitte September 2022 und werden zur Mobilisierung wie auch zur Verbreitung der Protestbotschaften verwendet (DW 15.11.2022). Irans vage definierte Redebeschränkungen, harte strafrechtliche Sanktionen und die staatliche Überwachung der Online-Kommunikation gehören zu den Faktoren, welche die Bürgerinnen und Bürger davon abhalten, sich an offenen und freien privaten Diskussionen zu beteiligen. Trotz der Risiken und Einschränkungen äußern viele ihre abweichende Meinung in den sozialen Medien und umgehen in einigen Fällen die offiziellen Sperren auf bestimmten Plattformen (FH 10.3.2023).

Millionen Internetseiten sind gesperrt bzw. nur via Virtual Private Network (VPN) erreichbar (ÖB Teheran 11.2021). Soziale Medienplattformen und Messaging-Tools wie Telegram, Twitter, Facebook, YouTube und Signal werden blockiert, aber verschiedene "Umgehungswerkzeuge" wie VPNs sind weit verbreitet (Landinfo 9.11.2022), wenn auch illegal (USDOS 20.3.2023). Im Zuge der Repressionen gegen die Proteste seit September 2022 nahm die Regierung auch VPNs ins Visier (RSF 5.10.2022).

Im November 2019 verhängten die Behörden zum ersten und bislang einzigen Mal eine landesweite, fast vollständige Abschaltung des Internets für mindestens sieben Tage. Die Entscheidung, das Land vom weltweiten Internet zu trennen, wurde vom Nationalen Sicherheitsrat nach einer Protestwelle getroffen, die durch die plötzliche Ankündigung einer erheblichen Erhöhung der Treibstoffpreise ausgelöst worden war. Örtlich begrenzte Internetabschaltungen werden häufig eingesetzt, um Proteste zu unterbinden und eine genaue Berichterstattung über Demonstrationen zu verhindern, so auch mehrfach bei den Protesten nach dem Tod von Mahsa Amini im September 2022 in den Provinzen Kurdistan, Khuzestan sowie Sistan und Belutschistan (FH 4.10.2023). Auch kommt es zu Drosselungen der Internetgeschwindigkeit (NatGeo 17.10.2022; vgl. Intercept 28.10.2022). Die Behörden haben im Rahmen der Niederschlagung der Proteste auch den Zugang zu WhatsApp und Instagram blockiert und VPNs wie auch Proxy-Server gefiltert (FH 4.10.2023).

Der Internetverlauf kann "gefiltert" bzw. mitgelesen werden. Jede Person, die sich regimekritisch im Internet äußert, läuft Gefahr, mit dem Vorwurf konfrontiert zu werden, einen "Cyberkrieg" gegen das Land führen zu wollen und Proteste anzustacheln (AA 30.11.2022). Der Staat überwacht soziale Medien auf Aktivitäten, die er für illegal hält. Die Cyberpolizei FATA hat unter anderem die Aufgabe, soziale Medien im Rahmen der Bekämpfung der Cyberkriminalität zu überwachen und zu verfolgen. Im Mai 2020 kündigte die FATA an, dass das Nichttragen des Hijabs im Internet als Straftat gilt und Zuwiderhandlungen strafrechtlich verfolgt werden. Mehrere Frauen wurden verhaftet, weil sie Fotos oder Videos von sich unverschleiert ins Internet gestellt hatten. Das Regime ergriff drakonische Maßnahmen zur Bestrafung von Online-Nutzern, und mehrere Personen wurden wegen ihrer Online-Inhalte vom Regime zum Tode verurteilt oder hingerichtet. Im Mai 2023 wurden beispielsweise zwei Männer wegen atheistischer Inhalte auf Telegram-Kanälen exekutiert. Mehrere Blogger und Social-Media-Nutzer wurden wegen ihrer Online-Inhalte, die häufig die Proteste nach dem Tod von Mahsa Jina Amini unterstützten, zu harten Haftstrafen verurteilt (FH 4.10.2023). Nach Beginn der Massenproteste Ende September 2022 verhafteten die Behörden Tausende von Menschen, darunter Prominente, Menschenrechtsaktivisten und andere, die ihre Unterstützung für die Bewegung durch Beiträge in den sozialen Medien oder durch die öffentliche Missachtung der Hijab-Vorschriften, die zu Mahsa Aminis Verhaftung und Tod geführt hatten, zum Ausdruck gebracht haben. Die Revolutionsgarden (IRGC) forderten die Justiz auf, jeden strafrechtlich zu verfolgen, der "falsche Nachrichten und Gerüchte" verbreitet (FH 10.3.2023).

Abseits von Maßnahmen, wie der Überwachung von Inhalten im Internet (AA 30.11.2022) und der Drosselung der allgemeinen Internetgeschwindigkeit (NatGeo 17.10.2022), ist wenig über die konkrete Vorgehensweise der Behörden bei der Unterdrückung der Proteste bekannt. Es wird vermutet, dass die Behörden ein Computersystem verwenden, das hinter den Kulissen der iranischen Mobilfunknetze arbeitet und den Betreibern eine breite Palette von Fernbefehlen zur Verfügung stellt, mit denen sie die Nutzung der Telefone ihrer Kunden verändern, stören und überwachen können, wie zum Beispiel die Datenverbindungen verlangsamen, die Verschlüsselung von Telefongesprächen knacken, die Bewegungen von Einzelpersonen oder großen Gruppen verfolgen und detaillierte Zusammenfassungen von Metadaten darüber erstellen, wer mit wem, wann und wo gesprochen hat (Intercept 28.10.2022). Beobachterinnen der Proteste ab September 2022 berichteten, dass viele Demonstranten nicht auf den Straßen verhaftet wurden, sondern ein oder zwei Tage später zu Hause (Wired 10.1.2023). Iranische Mobiltelefonnutzer berichteten von SMS, die sie von lokalen Polizeistationen mit dem Hinweis erhalten haben, dass sie sich in einem "Unruhegebiet" aufgehalten hätten und dieses Gebiet nicht noch einmal aufsuchen oder nicht noch einmal mit "anti-revolutionären" Regierungsgegnern online in Verbindung treten sollten (Intercept 28.10.2022).

Das iranische Regime setzt auch eine "Cyber-Armee" ein (IrWire 5.6.2023), um Narrative in den sozialen Medien zu beeinflussen (NLM 5.9.2023 vgl. IrWire 5.6.2023) und Desinformation zu verbreiten. Ziel der Desinformationskampagnen ist es dabei weniger, Personen vom eigenen Narrativ zu überzeugen, als Zweifel zu säen, sodass Internetnutzer schließlich gar keinen Quellen in den sozialen Medien - auch per se glaubwürdigen Personen - mehr vertrauen. Neben dem Stiften von Verwirrung ist die Diskreditierung und Unterminierung der Opposition ein wesentlicher Bestandteil der iranischen Cyberaktivitäten. Zum Teil geschieht das auch durch Hacking-Angriffe auf Oppositionsmitglieder (Wired 21.3.2023), wobei die Menschenrechtsorganisation Miaan Group im Jahr 2023 beispielsweise über 100 Phishing-Angriffe auf Journalisten, Aktivisten und Menschenrechtsverteidiger inner- und außerhalb Irans dokumentierte. Vor allem Angehörige ethnischer Minderheiten wie der Kurden und Aserbaidschaner sowie Unterstützer der Proteste wurden dabei anvisiert (Filterwatch 27.11.2023). Die Diskreditierung von Oppositionellen geschieht auch durch falsche Konten in den sozialen Medien. Unterschiedliche Fraktionen der Opposition sollen so gegeneinander ausgespielt werden. Diese Bemühungen sind ebenfalls Teil einer umfassenderen Anstrengung, den Eindruck zu erwecken, dass niemand vertrauenswürdig und niemand glaubwürdig ist (Wired 21.3.2023). Im Jänner 2024 deckten "Cyber-Agenten" des Regimes laut der oppositionellen Nachrichtenseite Iran International zudem die Identitäten von Personen auf, die bislang anonym oppositionelle Social Media-Auftritte betrieben haben. Im Rahmen der Online-Kampagne wurden mehrere Personen verhaftet, was als eine breit angelegte Einschüchterungsaktion gegen Regimekritiker interpretiert wird (IRINTL 6.1.2024).

Jüngste Proteste

Nach dem Tod der 22-jährigen Mahsa Jina (ihr kurdischer Vorname) Amini am 16.9.2022 (USDOS 20.3.2023) kam es in Iran zu den größten Protesten seit Jahren (EN 1.2.2023; vgl. GD 17.2.2023). Sie dauerten im Februar 2023 noch an (GD 17.2.2023) und flauten bis zum Sommer schließlich ab (USIP 6.9.2023).

Amini war kurz vor ihrem Tod von der Sittenpolizei des Landes wegen angeblicher Verstöße gegen die Bekleidungsvorschriften für Frauen verhaftet und laut Augenzeugenberichten geschlagen worden (BBC 16.9.2022). Angehörige von Amini wie auch Protestteilnehmer und -teilnehmerinnen wiesen die Behauptung der Behörden zurück, Amini sei aufgrund einer unentdeckten Vorerkrankung gestorben (EN 1.2.2023). Den Protesten unter der Parole „Frau, Leben, Freiheit“ (in kurdischer Sprache: „Jin, Jîyan, Azadî“) (NatGeo 17.10.2022), die im Wesentlichen von Frauen gestartet wurden (EN 1.2.2023), schlossen sich Iraner und Iranerinnen aller Altersgruppen und Ethnien an, wobei sie vor allem von den jüngeren Generationen auf die Straße getragen wurden (NatGeo 17.10.2022). Die Proteste fanden in allen größeren sowie vielen kleineren Städten Irans statt. Die iranischen Behörden reagierten gewaltsam darauf, mitunter kam es auch zu gewalttätigen Zusammenstößen zwischen Demonstrantinnen und Demonstranten mit den Sicherheitsbehörden (EN 1.2.2023).

Laut Menschenrechtsaktivisten wurden im Zeitraum September 2022 bis Februar 2023 über 500 Demonstrantinnen und Demonstranten getötet, darunter 71 Minderjährige (REU 17.2.2023). Human Rights Watch (HRW) dokumentierte, dass Sicherheitskräfte Schrotflinten, Sturmgewehre und Handfeuerwaffen gegen Demonstranten eingesetzt haben, und zwar in weitgehend friedlichem Umfeld und oft in überlaufenen Gegenden (HRW 12.1.2023). Ethnische Minderheiten waren überproportional stark von den Repressionen gegen die Proteste betroffen (UNHRC 7.2.2023; VOA 16.11.2022). Am 30.9.2022 eröffneten beispielsweise Sicherheitskräfte das Feuer auf Demonstrantinnen und Demonstranten in der Stadt Zahedan (Provinz Sistan und Belutschistan), wobei Dutzende von Menschen getötet und verletzt worden sind [Anm.: siehe zu diesem Vorfall auch das Kapitel "Ethnische Minderheiten / Belutschen"] (HRW 12.1.2023). In den kurdischen Gebieten wurden Truppen, schwere Waffen und Militärfahrzeuge in Stellung gebracht, um die Demonstranten niederzuschlagen (EN 1.2.2023).

Rund 20.000 Protestteilnehmerinnen und -teilnehmer wurden zeitweise inhaftiert (REU 17.2.2023; vgl. DW 13.3.2023). Laut staatsnahen iranischen Medien ist ein bedeutender Anteil der Festgenommenen minderjährig (AI 16.3.2023; vgl. UNHRC 7.2.2023). Festgenommene berichteten von Folter während der Inhaftierung (NDR 1.2.2023; AI 16.3.2023), darunter auch von Minderjährigen (AI 16.3.2023), sowie von sexuellen Übergriffen und Vergewaltigung (FH 10.3.2023; vgl. AI 16.3.2023). Nach Angaben der Justizbehörden wurden mit Stand Februar 2023 vier Personen im Zusammenhang mit den Protesten gehängt (REU 17.2.2023). Bis Mitte Jänner wurden 18 weitere Personen im Zusammenhang mit den Protesten zum Tod verurteilt (BBC 18.1.2023), und laut der NGO Iran Human Rights (IHRNGO) laufen rund 100 weitere Protestteilnehmer und -teilnehmerinnen Gefahr, zum Tod verurteilt zu werden (IHRNGO 27.12.2022). Vor den Nowruz-Feierlichkeiten im März 2023 kündigten die iranischen Justizbehörden an, dass rund 22.000 Menschen, die im Zusammenhang mit den Protesten festgenommen worden waren, begnadigt würden. Menschenrechtsgruppen hatten die Zahl der inhaftierten Protestteilnehmer zuvor auf rund 19.700 geschätzt (DW 13.3.2023). Die meisten Minderjährigen sind nach Einschätzung von Amnesty International (AI) mit Stand März 2023 wieder freigelassen worden, manche auf Kaution und mit laufenden Verfahren. Viele wurden erst freigelassen, nachdem sie gezwungen wurden, "Reue"-Schreiben zu unterzeichnen und sich zu verpflichten, von "politischen Aktivitäten" abzusehen und an regierungsfreundlichen Kundgebungen teilzunehmen (AI 16.3.2023). Laut dem Sonderberichterstatter des UN-Menschenrechtsrats zu Iran hat das iranische Regime im Zusammenhang mit der Protestniederschlagung Verstöße begangen, die auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit hinauslaufen könnten (BBC 20.3.2023).

Viele Gegnerinnen und Gegner der Regierung drücken ihren Protest derzeit durch zivilen Ungehorsam aus, etwa indem sie den Kopftuchzwang ignorieren (Spiegel 19.1.2023; vgl. IRINTL 3.12.2023a, DW 23.11.2023). Im November 2022 ging ein Video eines tanzenden Paares vor dem Teheraner Wahrzeichen Azadi-Turm [Azadi: Freiheit in Farsi] viral, wobei die weibliche Tanzpartnerin keinen Hijab trug, und Tanzen in der Öffentlichkeit für Frauen verboten ist. Das Paar wurde nach Veröffentlichung des Videos von einem Teheraner Revolutionsgericht aufgrund der "Förderung von Korruption und öffentlicher Prostitution" sowie "Versammlungen mit der Absicht, die nationale Sicherheit zu stören" zu jeweils über zehn Jahren Gefängnis verurteilt und mit Ausreiseverboten sowie Zugangsbeschränkungen zum Internet belegt (GD 31.1.2023).

Nach dem Ausbruch der landesweiten Proteste im September 2022 verschwand die Sittenpolizei weitgehend von den Straßen. Der Regierung schien klar zu sein, dass die Ordnungshüter in ihren allgegenwärtigen weißen Transportern den Unmut der Öffentlichkeit noch stärker auf sich ziehen würden. Als die Patrouillen nachließen, zeigten sich immer mehr Frauen ohne Hijab in der Öffentlichkeit. Die Sittenpolizei wurde jedoch nie aufgelöst. Die iranische Regierung hielt an ihrer Position fest, indem sie die Durchsetzung der Vorschriften später wieder verstärkte. Im Juli 2023 setzte sie die Sittenpolizei wieder ein (USIP 6.9.2023; vgl. RFE/RL 20.7.2023). Es wird von punktuellen Protesten in diesem Zusammenhang berichtet, beispielsweise im Juli 2023 in der Stadt Rasht, nachdem die Sittenpolizei drei Frauen angeblich wegen Verstößen gegen die Hijab-Pflicht festnehmen wollte (RFE/RL 20.7.2023), und im Dezember wurde eine Basis der Sittenpolizei in Shiraz laut der exiliranischen Nachrichtenseite Iran International angezündet, was die Seite mit anti-Hijab-Protesten in Verbindung brachte [Anm.: Entsprechende Beiträge wurden auch in den sozialen Medien geteilt (s. z.B. emilyshar1 3.12.2023, SabziPoloBaMahee 3.12.2023), darüber hinaus konnten hierzu jedoch keine weiteren Informationen gefunden werden] (IRINTL 3.12.2023a).

Gewerkschaftliche Aktivitäten, politische Parteien und Opposition

Vereinigungen auf Arbeitnehmerseite werden misstrauisch beobachtet. Es gibt keine Betätigungsmöglichkeit für unabhängige Gewerkschaften (ÖB Teheran 11.2021; vgl. FH 10.3.2023). Unabhängige gewerkschaftliche Betätigung wird als "Propaganda gegen das System" und "Handlungen gegen die nationale Sicherheit" verfolgt. Das Streikrecht hingegen ist prinzipiell gewährleistet (AA 30.11.2022), jedoch können streikende Arbeiter von Entlassung und Verhaftung bedroht sein. Im Juni 2022 berichtete der Koordinierungsrat der iranischen Lehrergewerkschaft beispielsweise, dass mehr als 100 Lehrer verhaftet worden waren, weil sie an einer landesweiten Protestaktion teilgenommen hatten, bei der bessere Arbeitsbedingungen und die Freilassung zuvor inhaftierter Lehrer gefordert wurden. Trotz solcher Repressalien haben die Arbeiterproteste in den letzten Jahren aufgrund der wachsenden wirtschaftlichen Not zugenommen (FH 10.3.2023). Im Februar 2023 fanden beispielsweise Streiks von Pensionistengruppen und Beschäftigten der Bäckergewerkschaft, der Stahlindustrie und der Zuckerfabriken statt, nachdem der iranische Rial weiter an Wert verloren hatte, und die Lebenserhaltungskosten gestiegen waren (IRINTL 26.2.2023). Im Dezember 2022 streikten Ölarbeiter im Süden Irans wegen mangelnder Arbeitsplatzsicherheit in diesem Sektor (RFE/RL 17.12.2022).

Die Verfassung lässt die Gründung politischer Parteien, von Berufsverbänden oder religiösen Organisationen so lange zu, als sie nicht gegen islamische Prinzipien, die nationale Einheit oder die Souveränität des Staates verstoßen und nicht den Islam als Grundlage des Regierungssystems infrage stellen. Hinzu kommen immer wieder verhängte, drakonische Strafen aufgrund diffuser Straftatbestände ("regimefeindliche Propaganda", "Beleidigung des Obersten Führers" etc.) (ÖB Teheran 11.2021). Zwar gab es in der Vergangenheit einen gewissen Spielraum für Machtverschiebungen zwischen anerkannten Fraktionen innerhalb des Establishments, doch stellen Elemente der Realverfassung ein dauerhaftes Hindernis für Wahlsiege der Opposition und echte Machtwechsel dar (FH 10.3.2023). In Iran gibt es keine politischen Parteien mit vergleichbaren Strukturen westlich-demokratischer Prägung. Auch im Parlament existiert keine, mit europäischen Demokratien vergleichbare, in festen Fraktionen organisierte parlamentarische Opposition. Sowohl bei Präsidentschafts- als auch bei Parlamentswahlen nimmt der Wächterrat die Auswahl der Kandidaten vor. Kandidaten werden unter fadenscheinigen Gründen aussortiert – dabei wurden auch schon ehemalige Präsidenten als "nicht geeignet" ausgeschlossen. Nach langen Debatten bewertete der Wächterrat – dem nur Männer angehören – die Kandidatur von Frauen im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen 2021 als prinzipiell zulässig, dennoch wurde auch diesmal keine einzige der Kandidatinnen zugelassen (ÖB Teheran 11.2021). Reformistische Gruppen sind insbesondere seit 2009 verstärkt staatlichen Repressionen ausgesetzt, und Politiker, die ihnen angehören, werden willkürlich festgenommen und aufgrund vager strafrechtlicher Anschuldigungen inhaftiert (FH 10.3.2023).

Der Spielraum für die außerparlamentarische Opposition wird vor allem durch einen Überwachungsstaat eingeschränkt, was die Vernetzung oppositioneller Gruppen extrem riskant macht (Einschränkung des Versammlungsrechts, Telefon- und Internetüberwachung, Spitzelwesen, Omnipräsenz von Basij-Vertretern u. a. in Schulen, Universitäten sowie Basij-Sympathisanten im öffentlichen Raum, etc.). Angehörige der außerparlamentarischen Opposition immer wieder unter anderen Vorwürfen festgenommen (ÖB Teheran 11.2021). Viele Anhänger der Oppositionsbewegungen wurden verhaftet, haben Iran verlassen oder sind nicht mehr politisch aktiv (AA 30.11.2022). Führende Oppositionspolitiker werden in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Mir Hossein Mousavi, Zahra Rahnavard und Mehdi Karroubi, die Führer der reformorientierten Grünen Bewegung, deren Proteste nach den umstrittenen Präsidentschaftswahlen 2009 gewaltsam niedergeschlagen worden war, stehen seit 2011 ohne offizielle Anklage unter Hausarrest. Die Beschränkungen für Mousavi und Karroubi wurden in den letzten Jahren gelegentlich gelockert. Der reformorientierte ehemalige Präsident Mohammad Khatami unterliegt einem Medienverbot, das es der Presse untersagt, ihn zu erwähnen und seine Fotos zu veröffentlichen. Der ehemalige Präsident Mahmud Ahmadinedschad, der in Ungnade gefallen ist, weil er Chamenei herausgefordert hat, durfte bei den Präsidentschaftswahlen 2017 und 2021 nicht mehr antreten (FH 10.3.2023).

An sich gäbe es ein breites Spektrum an Ideologien, welche die Islamische Republik ablehnen, angefangen von den Nationalisten bis hin zu Monarchisten und Kommunisten (ÖB Teheran 11.2021). Das Fehlen oppositioneller Führung zeigte sich bei den Unruhen zum Jahreswechsel 2017/2018 sowie bei den Protesten im November 2019. Auch bei den im September 2022 begonnen Protesten nach dem Tod von Mahsa Amini ist mit Stand 18.11.2022 keine Führungsfigur erkennbar, der Sicherheitsapparat verhaftet umgehend alle Personen, die einen erkennbaren Grad an Sichtbarkeit oder Vernetzung mitbringen. Der Protest zeichnet sich durch einen hohen Grad an dezentralen Aktivitäten aus, die weniger Sichtbarkeit als Großdemonstrationen mit sich bringen, aber dadurch auch weniger leicht kontrollierbar sind (AA 30.11.2022).

Bewegungsfreiheit

Das Gesetz sieht die Bewegungsfreiheit im Land, Auslandsreisen, Emigration und Repatriierung vor. Im Prinzip respektiert die Regierung diese Rechte, es gibt jedoch einige Einschränkungen, besonders für Frauen und Flüchtlinge. Die Regierung verlangt von allen Bürgern für Auslandsreisen eine Ausreisebewilligung (USDOS 20.3.2023). Bestimmte Gruppen, wie Angestellte in sensiblen Bereichen, iranische Studenten im Ausland und alle Männer im Alter von 18 bis 30 Jahren, die ihren Militärdienst noch nicht abgeleistet haben, benötigen eine besondere Ausreisebewilligung (Landinfo 21.1.2021 vgl. CGRS-CEDOCA 10.5.2023). Bürger, die auf Staatskosten ausgebildet wurden oder Stipendien erhalten haben, müssen diese entweder zurückzahlen, oder erhalten befristete Ausreisebewilligungen. Die Regierung schränkt auch die Reisefreiheit von einigen religiösen Führern, Mitgliedern von religiösen Minderheiten und Wissenschaftlern in sensiblen Bereichen ein. Journalisten, Akademiker, oppositionelle Politiker, Künstler sowie Menschen- und Frauenrechtsaktivisten sind von Reiseverboten und Konfiszierung der Reisepässe betroffen (USDOS 20.3.2023).

Zur rechtmäßigen Ausreise aus der Islamischen Republik Iran benötigen iranische Staatsangehörige einen gültigen Reisepass und einen Nachweis über die Bezahlung der Ausreisegebühr (gestaffelte Gebühr: derzeit 4 bis 8 Millionen Rial [Stand 31.3.2023: 8,7 bis 17 Euro - Wechselkurse schwanken stark]). Die illegale Ausreise erfolgt zumeist auf dem Landweg unter Umgehung der Grenzkontrollen in die Türkei (AA 30.11.2022). Verheiratete Frauen dürfen nicht ohne die Zustimmung ihrer Männer ins Ausland reisen (USDOS 20.3.2023; vgl. FH 10.3.2023). Unverheiratete Frauen über 18 Jahren brauchen nicht die Zustimmung ihres Vaters oder Vormunds, um einen Pass zu bekommen oder ins Ausland zu reisen (CGRS-CEDOCA 10.5.2023).

Ein vom Staatsanwalt bei Gericht eingebrachter Antrag auf ein Ausreiseverbot kann von der Person, gegen die ein Ausreiseverbot verhängt worden ist, nicht im SANA-System eingesehen werden (MBZ 9.2023).

Zu den Gerichtsurteilen gehört manchmal die interne Verbannung nach der Haftentlassung. So werden Personen daran gehindert, in bestimmte Provinzen zu reisen. Frauen benötigten oft die Aufsicht eines männlichen Vormunds oder einer Aufsichtsperson, um reisen zu können. Sie werden mitunter behördlichen und gesellschaftlichen Schikanen ausgesetzt, wenn sie alleine reisen (USDOS 20.3.2023).

Grundversorgung und Wirtschaft

Die Grundversorgung ist gesichert, wozu neben staatlichen Hilfen auch ein enger Familienzusammenhalt sowie das islamische Spendensystem beitragen (AA 30.11.2022). Die iranische Regierung hat angekündigt, den monatlichen Mindestlohn ab März 2023 auf ca. 56 Millionen Rial festzulegen [mit Stand 12.4.2023 umgerechnet 100 Euro - aufgrund von Inflation und Wechselkursveränderung stark schwankend] (IRINTL 1.2.2023). Das durchschnittliche Jahreseinkommen eines städtischen Haushalts lag 2019 (letzte offiziell verfügbare Zahlen) bei rund 747 Millionen Rial (AA 30.11.2022). Nach Angaben des iranischen Ministeriums für Kooperativen, Arbeit und Wohlfahrt benötigt eine Familie mit vier Personen in Teheran schätzungsweise mindestens 147 Millionen Rial [am 12.4.2023 ca. 260 Euro] monatlich, um nicht unter die Armutsgrenze zu rutschen, im Landesdurchschnitt sind es ca. 77 Millionen Rial [am 12.4.2023 ca. 140 Euro] (IRINTL 1.2.2023).

Angesichts der immer schärferen US-Sanktionen und des dramatischen Währungsverfalls hat sich die wirtschaftliche Lage weiter verschlechtert (ÖB Teheran 11.2021; vgl. BS 23.2.2022). Iran befindet sich weiterhin in einer ökonomisch hochproblematischen Lage. Die Trends der vergangenen Jahre setzen sich weiter fort (BAMF 13.2.2023). Im Februar 2023 erreichte der Rial mit ca. 1:580.000 zum US-Dollar seinen bisherigen Tiefststand, wobei die Währung in den vergangenen zehn Jahren 94 % ihres Werts verloren hat (IRINTL 30.3.2023). Dies verteuert vor allem Importe auf breiter Front (BAMF 13.2.2023) und brachte im Februar 2023 viele Unternehmen fast zum Stillstand (IRINTL 26.2.2023). Gründe sind die US-Sanktionen und deren extraterritoriale Anwendung und damit Zurückhaltung europäischer Unternehmen vor Geschäften mit Iran, aber auch die Folgen der COVID-19-Pandemie. Viele Privatunternehmen mussten aufgrund fehlender Devisen und Importmöglichkeiten von Rohstoffen, Bestandteilen oder Ausrüstung die Produktion drosseln oder schließen (ÖB Teheran 11.2021).

Neben der Abwertung des Rial sieht sich das Land auch mit einer ungezähmten Inflation konfrontiert, die laut einem Bericht des Statistischen Zentrums Irans am 19.2.2023 bei mehr als 53 % lag (AJ 2.3.2023) und in den vergangenen vier Jahren durchgehend über 40 % betrug, was sich negativ auf die Kaufkraft der Haushalte auswirkt (WB 20.10.2022). Lebensmittel waren davon zuletzt besonders stark betroffen (AJ 2.3.2023; vgl. BAMF 13.2.2023).

Gleichzeitig reichte die Schaffung von Arbeitsplätzen nicht aus, um die große Zahl junger und gebildeter Berufsanfänger zu absorbieren (WB 20.10.2022). Neben Arbeitslosigkeit spielt auch Unterbeschäftigung eine Rolle. Ausgebildete Arbeitskräfte (Facharbeiter, Uni-Absolventen) finden oft keine ihrer Ausbildung entsprechenden Jobs. Daraus folgen soziale Spannungen, aber auch ein beträchtlicher "Braindrain", der die Gesellschaft und Wirtschaft beeinträchtigt. Angesichts der Kaufkrafteinbußen können viele Menschen ihre Lebenshaltungskosten nur sehr knapp abdecken, jede Verschlechterung führt zu Verzweiflung. So kam es zu lokal begrenzten kurzzeitigen Protesten und Streiks, etwa wegen Gehaltsrückständen und schlechter Arbeitsbedingungen oder aufgrund des Preisdrucks in der Produktion (ÖB Teheran 11.2021) oder aufgrund der gestiegenen Lebenshaltungskosten (IRINTL 26.2.2023).

Inoffizielle Schätzungen zur Armutsrate gehen von mindestens 15-20 Millionen Iranerinnen und Iranern aus (bei einer Gesamtbevölkerung von ca. 83 Millionen), die in absoluter Armut leben, wobei die COVID-19-Pandemie und ihre Folgen das Armutsrisiko weiter erhöht haben (BS 23.2.2022). Laut einem Bericht des iranischen Ministeriums für Kooperativen, Arbeit und Wohlfahrt lebt rund ein Drittel der iranischen Bevölkerung in extremer Armut. Ihre Anzahl hat sich von 2020 auf 2021 verdoppelt. Rund zwei Drittel der Bevölkerung leben laut offiziellen Zahlen des Innenministeriums in relativer Armut (IRINTL 1.2.2023). Laut dem Human Development Index (HDI) des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP) befindet sich Iran mit einem Indexwert von 0,774 für das Jahr 2021 (letztverfügbare Daten) unter den Ländern mit einem hohen Entwicklungsstand. Der HDI misst den Entwicklungsstand von Staaten anhand der Faktoren "langes und gesundes Leben", "Zugang zu Bildung" und "menschenwürdige Lebensstandards für die Bevölkerung". Während die errechneten Indexwerte für Iran im Zeitraum 1990-2017 gestiegen sind, nehmen sie seit 2018 wieder ab (UNDP 8.9.2022).

Die Wirtschaft zeichnet sich durch ihren Kohlenwasserstoff-, Landwirtschafts- und Dienstleistungssektor sowie eine bemerkenswerte staatliche Präsenz in der verarbeitenden Industrie und den Finanzdienstleistungen aus. Iran steht weltweit an zweiter Stelle, was die Größe der Erdgasreserven betrifft, und bei den nachgewiesenen Rohölreserven an vierter Stelle (WB 20.10.2022). Obwohl die iranische Wirtschaft für ein erdölexportierendes Land relativ diversifiziert ist (WB 20.10.2022; vgl. BPB 15.5.2020) und über ein Reservoir gut ausgebildeter Arbeitskräfte verfügt (BPB 15.5.2020), hängen die Wirtschaftstätigkeit und die Staatseinnahmen von den Öleinnahmen ab und sind daher volatil (WB 20.10.2022; vgl. BPB 15.5.2020). Die unter US-Präsident Trump verhängten Sanktionen schränken die Fähigkeit Irans, Absatzmärkte für Öl zu finden, empfindlich ein. Außerdem bekam Iran nur unzureichend Zugang zu Hochtechnologien, was dazu beiträgt, dass die Erdölanlagen nur mangelhaft instandgehalten und das Potenzial der enormen Vorkommen an Naturgas nicht annähernd ausgeschöpft wird. Dies verschärft die Depression, in die das Land bereits 2018 geschlittert ist, noch weiter (BPB 31.1.2020b).

Der staatliche Sektor (staatliche und halbstaatliche Unternehmen) macht etwa 80 % der iranischen Wirtschaftstätigkeit aus, während der private und kooperative Sektor nur einen Anteil von rund 20 % hat. Viele Staatsbetriebe gehören nicht der Regierung, sondern wirtschaftlich starken religiösen, revolutionären und militärischen Stiftungen ("Bonyads"). Diese werden direkt oder indirekt vom Obersten Führer kontrolliert und genießen viele Privilegien, wie Steuerbefreiungen und exklusiven Zugang zu lukrativen Regierungsaufträgen (BS 23.2.2022). Das exakte Ausmaß der Vermögenswerte und Aktivitäten der Bonyads ist nicht bekannt, sie spielen in der iranischen Wirtschaft jedoch eine bedeutsame Rolle (MEI 7.6.2022). Die Bonyads beanspruchen für sich, eine Vielzahl von Aktivitäten im Zusammenhang mit Sozialarbeit, Beratungs-, Sozial- und Rehabilitationsdiensten durchzuführen (MEI 29.1.2009). Sie sind eine wichtige Säule im Machtapparat des Regimes (LMD 2020b). Die größten Organisationen sind die Imam-Reza-Stiftung (LMD 2020b) oder Astân Quds Razavi, eine Stiftung, die den Schrein von Imam Reza in Mashhad verwaltet und mit sechs großen Holdinggesellschaften und insgesamt 351 Firmen als größter Landbesitzer im Nahen Osten gilt; die Märtyrer-Stiftung (Bonyâd Shahid), die mehr als 250 Unternehmen kontrolliert (MEI 7.6.2022); die Stiftung für die Unterdrückten (Bonyâd Mostazâfan) (MEI 7.6.2022; vgl. LMD 2020b), die mehr als 400 Unternehmen und Tochtergesellschaften in fast allen Sektoren der Industrie beaufsichtigt; die Imam Khomeini Relief Foundation (Comité Emdâd Emâm Khomeini), ein weiterer führender Akteur mit ihren vier Beteiligungen (MEI 7.6.2022); und das Stabszentrum zur Ausführung des Imam-Dekrets (Setâd Ejrâ-ye Farmân Emâm) (LMD 2020b; vgl. MEI 7.6.2022), das in den meisten Industrie- und Unternehmenssektoren tätig ist (MEI 7.6.2022). Die Revolutionsgarden sind mit einigen der Bonyads eng verbunden (MEI 3.5.2022). Sie sind wirtschaftlich ebenso aktiv und haben ihre eigenen finanziellen, wirtschaftlichen, industriellen und landwirtschaftlichen Zweige. Das Wirtschaftskonglomerat Khatam al-Anbiyam, das sich im Besitz der Revolutionsgarden befindet, hat es geschafft, ein Monopol auf große Infrastrukturprojekte in Iran aufzubauen (MEI 7.6.2022). Die Vermengung der politischen mit der wirtschaftlichen Sphäre hat eine staatliche Verteilungs- und Klientelpolitik gefördert, die mit hoher Korruption einhergeht (BPB 31.1.2020b; vgl. MEI 7.6.2022).

Die iranische Wirtschaft ist in vielen Bereichen zentralisiert und steht zu großen Teilen unter staatlicher Kontrolle. So haben viele iranische Unternehmen neben wirtschaftlichen auch politische Ziele zu erfüllen. Durch regelmäßige staatliche Eingriffe über Preisregulierungen und Subventionen, die in aller Regel politische Ursachen haben, konnte sich bisher eine eigenständige Wirtschaft nur bedingt entwickeln. Eine etablierte Privatwirtschaft gibt es vor allem auf dem Basar, in der Landwirtschaft und im Dienstleistungsgewerbe (GIZ 12.2020b). Der Staat hat einen erheblichen Einfluss auf die Preisgestaltung, die Festsetzung des [offiziellen] Wechselkurses und des Zollsatzes, die Kontrolle von Handel und Investitionen und die Verwaltung der Kernindustrien, insbesondere des Öl- und Petrochemiesektors. Das Ministerium für Arbeit und Soziales regelt die Lohnhöhe, berechnet die Inflation und analysiert die Wirtschaftslage (BS 23.2.2022).

Als die Behörden im November 2019 den Treibstoffpreis um 300 % erhöhten, kam es zu den bis zu diesem Zeitpunkt größten Protesten der Islamischen Republik (IrFocus 6.2.2023). Im Februar 2023 kündigte die Regierung einen Privatisierungsplan an, der in den nächsten zwei Jahren umgesetzt werden und das staatliche Budget aufbessern soll (IRINTL 4.2.2023). Ökonomen befürchten allerdings, dass von den Privatisierungen vor allem einflussreiche, gut vernetzte Unternehmer profitieren werden (Fanack 6.3.2023; vgl. IRINTL 4.2.2023). Von 2001 bis 2013 fanden mehrere Privatisierungsrunden statt, bei denen größtenteils staatsnahe Akteure, wie die Basij, die Revolutionsgarden, Stiftungen, Geistliche und andere mit dem Regime verbundene Geschäftsleute Staatsbesitz erwarben. Als die Behörden in Reaktion auf die wirtschaftlichen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie 2020 weitreichende Privatisierungen durchführten, von denen auch wieder v. a. Angehörige und Verbündete von hohen Regierungsvertretern profitierten, hat dies Proteste ausgelöst. Darüber hinaus führten die Privatisierungen in den meisten iranischen Städten zu groß angelegten Streiks, da neue Investoren die Kosten senkten, indem sie einen großen Anteil an Bergleuten während der Pandemie entlassen haben (Fanack 6.3.2023).

Iranische Banken sind seit der Wiedereinführung der Sanktionen im Jahr 2018 vom SWIFT-System ausgeschlossen (MEE 30.1.2023).

Medizinische Versorgung

Grundsätzlich entspricht die medizinische Versorgung, insbesondere in ländlichen Gebieten, nicht (west-)europäischen Standards. Das Land hat in den Jahrzehnten seit der Revolution 1979 allerdings viel in das nationale Gesundheitssystem investiert (AA 30.11.2022). Seit damals hat sich das Gesundheitssystem konstant stark verbessert. Die iranische Verfassung sichert allen Bürgern das Recht zu, den jeweiligen höchst erreichbaren Gesundheitszustand zu genießen. Die Verwirklichung dieses Zieles obliegt dem Ministerium für Gesundheit und medizinische Ausbildung (ÖB Teheran 11.2021).

Jede Provinz beheimatet mindestens eine medizinische Universität, deren Rektor die Verantwortung für das Gesundheitswesen in der betroffenen Provinz trägt (ÖB Teheran 11.2021; vgl. IOM 2021). Neben dem zuständigen Ministerium und den Universitäten gibt es auch Gesundheitsdienstleister des privaten Sektors und NGOs (ÖB Teheran 11.2021; vgl. Landinfo 12.8.2020). Diese bedienen jedoch eher die sekundäre und tertiäre Versorgung, während die Primär-/Grundversorgung (z. B. Impfungen, Schwangerschaftsvorsorge) staatlich getragen wird (ÖB Teheran 11.2021). Neben den medizinischen Universitäten wird ein Teil der Dienstleistungen von Versicherungsunternehmen und den Provinz- und Bezirkseinheiten erbracht. Die dezentralen Einrichtungen (Gesundheitshäuser, ländliche Gesundheitszentren) bieten in den Räumlichkeiten der medizinischen Universitäten kostenlose Dienstleistungen an. An anderer Stelle bezahlt die erkrankte Person einen kleinen Betrag, um eine medizinische Behandlung zu erhalten (IOM 2021). Weitere staatliche Institutionen wie die Iranian National Oil Corporation, die Justiz und Revolutionsgarden betreiben ihre eigenen Krankenhäuser (Landinfo 12.8.2020).

Es gibt im ganzen Land viele NGOs und Wohltätigkeitsorganisationen, die Gesundheitseinrichtungen betreiben, deren Zugang auf einer Bedarfsanalyse basiert, ohne dass auf einen vorherigen Versicherungsschutz Bezug genommen wird. Die Mahak-Gesellschaft zur Unterstützung krebskranker Kinder ist beispielsweise ein bekanntes gemeinnütziges Forschungs-, Krankenhaus- und Rehabilitationszentrum für Kinder mit Krebs. Die Patienten werden von Ärzten im ganzen Land an Mahak überwiesen. Laut einem Vertreter von Mahak wird jedes Kind, bei dem Krebs diagnostiziert wird, entweder im Mahak-Krankenhaus oder in anderen Krankenhäusern behandelt. Mahak deckt auch die Behandlung von Patienten in anderen Krankenhäusern in Iran ab. Die Behandlung ist kostenlos und die Patienten müssen nicht versichert sein, um eine Behandlung zu erhalten. Verwandte können bei der Begleitung ihrer kranken Kinder eine Finanzierung für die Unterkunft erhalten. Mahak empfängt Krebspatienten auch aus mehreren Nachbarländern (Landinfo 12.8.2020).

Notfallhilfe bei Natur- oder menschlich verursachten Katastrophen wird durch den gut ausgestatteten und flächendeckend organisierten iranischen Roten Halbmond besorgt (ÖB Teheran 11.2021). In jedem Bezirk gibt es Ärzte, die dazu verpflichtet sind, Notfälle zu jeder Zeit aufzunehmen. In weniger dringenden Fällen sollte der Patient zunächst sein Gesundheitszentrum kontaktieren und einen Termin vereinbaren (IOM 2021). Ein zuverlässig funktionierendes Rettungswesen besteht auch in den Städten nicht überall (AA 8.2.2023).

Im Gesundheitswesen zeigt sich ein Stadt-Land-Gefälle. Es ist zwar fast flächendeckend - laut WHO haben 98 % aller Iraner Zugang zu ärztlicher Versorgung - die Qualität schwankt jedoch (GIZ 12.2020a). Selbst in ländlichen Gebieten haben 85 % der Bevölkerung Zugang zur primären Gesundheitsversorgung, 90 % werden mit sauberem Trinkwasser versorgt, 80 % sind an entsprechende Sanitäranlagen angeschlossen. Dennoch haben bei weitem nicht alle Zugang zu komplexen, spezialisierten und damit auch teureren Diensten (AA 30.11.2022). Die spezialisierte, medizinische Versorgung, gerade bei Notfällen oder Unfällen, ist in weiten Landesteilen medizinisch, hygienisch, technisch und organisatorisch nicht auf der Höhe der Hauptstadt und nicht vergleichbar mit europäischem Standard. In Teheran ist die medizinische Versorgung in allen Fachdisziplinen meist auf einem recht hohen Niveau möglich (AA 8.2.2023). Auch wenn der Zugang zu gesundheitlicher Erstversorgung größtenteils gewährleistet ist, gibt es dennoch gravierende Qualitätsunterschiede zwischen den Regionen. Folgende Provinzen weisen eine niedrigere Qualität als Teheran auf: Gilan, Hamadan, Kermanschah, Khuzestan, Tschahar Mahal und Bachtiyari, Süd-Khorasan sowie Sistan und Belutschistan. Es ist davon auszugehen, dass sich eine Vielzahl an Haushalten keine ausreichende Gesundheitsversorgung leisten kann. Gesundheitsdienste sind geografisch nicht nach Häufigkeit von Bedürfnissen, sondern eher nach Wohlstand verteilt (ÖB Teheran 11.2021).

Die medizinische Grundversorgung basiert auf ca. 19.000 ländlichen Gesundheitshäusern, die von jeweils einem männlichen und einer weiblichen "Behvarz" (Gesundheitspersonal, das nach der regulären elfjährigen Schulbildung zwei Jahre praktisch und theoretisch ausgebildet wird) geleitet werden. Jedes dieser Gesundheitshäuser ist für Gesundheitsvorsorge (u. a. Impfungen, Betreuung von Schwangerschaften) zuständig, wobei die Qualität der Versorgung als zufriedenstellend beurteilt wird. In Städten übernehmen sogenannte "Gesundheitsposten" in den Bezirken die Aufgabe der ländlichen Gesundheitshäuser. Auf der nächsten Ebene sind die ländlichen Gesundheitszentren zu finden, die jeweils von einem Allgemeinmediziner geleitet werden. Sie überwachen und beraten die Gesundheitshäuser, übernehmen ambulante Behandlungen und übergeben schwierigere Fälle an städtische, öffentliche Krankenhäuser, die in jeder größeren Stadt zu finden sind (ÖB Teheran 11.2021). Die medizinische Belegschaft in Iran umfasst insgesamt mehr als 51.000 Allgemeinärzte, 32.000 Fachärzte, 115.000 Krankenschwestern, 33.000 Hebammen und 35.000 örtliche Gesundheitshelfer (Behvarz) (Landinfo 12.8.2020). Das Überweisungssystem bei Hausärzten dazu beigetragen, dass Servicepakete für Prävention, Pflege und Behandlung auch in ländlichen Gebieten angeboten werden (IOM 2021).

Obwohl primäre Gesundheitsdienstleistungen kostenlos sind, und die Staatsausgaben für das Gesundheitswesen erheblich zugenommen haben, müssen noch immer Selbstbehalte von den versicherten Personen geleistet werden (ÖB Teheran 11.2021). Allerdings ist der Anteil derartiger Zahlungen durch die Patienten in den letzten Jahren erheblich zurückgegangen. Vor dem Health Transformation Plan im Jahr 2014 waren Selbstbehalte die Hauptfinanzierungsquelle und betrugen über 50 % der Kosten. Bis 2016 gingen sie auf 35,5 % zurück. Dies ist jedoch noch von dem erklärten Ziel entfernt, die Selbstbehalte auf unter 30 % zu senken. Dies bedeutet, dass das Zahlungssystem nach wie vor weitgehend auf Servicegebühren sowohl im öffentlichen als auch im privaten Gesundheitswesen basiert (Landinfo 12.8.2020). Die Kosten für Krankenhäuser werden unter anderem dadurch gesenkt, dass die Versorgung des Kranken mit Gütern des täglichen Bedarfs, etwa Essen, immer noch weitestgehend seiner Familie zufällt (GIZ 12.2020a). Iran verwendet interne Referenzpreise für Arzneimittel, was bedeutet, dass Arzneimittel zum Preis des Referenz-Arzneimittels erstattet werden und die Patienten die Möglichkeit haben, teurere Arzneimittel zu kaufen und die zusätzlichen Kosten zu bezahlen. Der Erstattungspreis wird von der Regierung festgelegt, während Hersteller, Händler oder Einzelhändler ihren eigenen Arzneimittelpreis festlegen können (Landinfo 12.8.2020).

Alle iranischen Staatsbürger, inklusive Rückkehrende haben Anspruch auf grundlegende Gesundheitsleistungen (PHC) sowie weitere Angebote. Es gibt zwei verschiedene Arten von Krankenversicherungen, jene über den Arbeitsplatz oder eine private Versicherung. Beide gehören zur staatlichen iranischen Krankenversicherung TAMIN EJTEMAEI www.tamin.ir/. Kinder sind zumeist durch die Krankenversicherung der Eltern abgedeckt. Um eine Versicherung zu erhalten, sind eine Kopie der iranischen Geburtsurkunde, ein Passfoto und eine komplette medizinische Untersuchung notwendig. Zusätzliche Dokumente können später gegebenenfalls angefordert werden (IOM 2021).

Allen iranischen Bürgern stehen mehrere Arten eines primären Krankenversicherungsschutzes zur Verfügung, darunter Tamin-Ejtemaei, Salamat, Khadamat-Darmani und Nirouhaye - Mosalah. Der Krankenversicherungsschutz umfasst medizinische Behandlungen und die Versorgung mit Medikamenten und Impfstoffen. Im Allgemeinen ist der primäre Krankenversicherungsschutz begrenzt. Für weitere medizinische Dienstleistungen kann zusätzlich eine private Krankenversicherung abgeschlossen werden (IOM 2021). Die "Organisation für die Versicherung medizinischer Dienste" (MSIO) wurde 1994 gegründet, um Beamte und alle Personen, die nicht von anderen Versicherungsorganisationen berücksichtigt wurden, zu versichern. Daneben kümmern sich Wohltätigkeitsorganisationen, u. a. die "Imam Khomeini Stiftung", um nicht versicherte Personen - etwa mittellose Personen oder nicht anerkannte Flüchtlinge. Registrierte afghanische Flüchtlinge können sich in der staatlichen Krankenversicherung registrieren (ÖB Teheran 11.2021).

Da es keine allgemein akzeptierte Definition für schutzbedürftige Personen gibt, ist es schwierig, diese Gruppe zu spezifizieren. Dennoch gibt es einige NGOs, die sich auf einen bestimmten Kreis Betroffener spezialisieren. Allgemein gibt es zwei Arten von Zentren, die Unterstützung für schutzbedürftige Gruppen in Iran leisten, nämlich öffentliche und private. Die öffentlichen Einrichtungen sind in der Regel überlaufen und es gibt lange Wartezeiten, weshalb Personen, die über die nötigen Mittel verfügen, sich oft an kleinere, spezialisierte private Zentren wenden. Die populärste Organisation ist BEHZISTI, die Projekte zu Gender, alten Menschen, Menschen mit Behinderung (inklusive psychischer Probleme), ethnische und religiöse Minderheiten, etc. anbietet. Außerdem werden Drogensüchtige, alleinerziehende Mütter, Personen mit Einschränkungen etc. unterstützt. Zu den Dienstleistungen zählen unter anderem sozio-psychologische Betreuung, Beratungsgespräche, Unterkünfte, Rehabilitationsleistungen, Suchtbehandlung etc. Die Imam Khomeini Relief Foundation bietet Dienstleistungen für Frauenhaushalte, Waisen, Familien von Häftlingen usw. an, um ihre Lebensumstände zu verbessern. Der Zugang zu öffentlichen Angeboten ist für alle Bürger gleich. Dennoch gibt es zusätzliche Unterstützung für schutzbedürftige Gruppen, die von den Gemeinden/Organisationen abgedeckt werden (IOM 2021).

Im Zuge der aktuellen Sanktionen gegen Iran ist es zu gelegentlichen Engpässen beim Import von speziellen Medikamentengruppen gekommen (IOM 2021; vgl. OHCHR 14.2.2023) und auch die Verfügbarkeit von medizinischen Geräten ist von den Sanktionen negativ betroffen (Akbarialiabad/et al. 2021). Obwohl auf dem Papier Medikamente und Lebensmittel von den Sanktionen nicht betroffen sind, ist es seit 2020 u. a. wegen fehlender Zahlungskanäle zu mehr Engpässen bei bestimmten Medikamenten wie z. B. Insulin gekommen. Das Gesundheitsministerium ist sehr bemüht, den Bedarf an Medikamenten zu decken. Aufgrund der mangelnden Devisen steigen aber die Preise der Medikamente, die aus dem Ausland eingeführt werden, sodass schwache Gesellschaftsschichten sich diese nicht mehr leisten können. Viele Medikamente werden in Iran selbst produziert, jedoch oftmals nicht in entsprechender Qualität (ÖB Teheran 11.2021). In den sozialen Netzwerken klagen Nutzer immer wieder über fehlende Spezialmedikamente, hohe Preise und eine "geringere Wirkung" iranischer Arzneimittel im Vergleich zu ausländischen Produkten (IRJ 15.6.2022). Der Rote Halbmond ist die zentrale Stelle für den Import von speziellen Medikamenten, die für Patienten in speziellen Apotheken erhältlich sind. Im Generellen gibt es keine ernsten Mängel an Medizin, Fachärzten oder Equipment im öffentlichen Gesundheitssystem. Pharmazeutika werden zumeist unter Führung des Gesundheitsministeriums aus dem Ausland importiert. Zusätzlich gibt es für Bürger Privatkrankenhäuser mit Spezialleistungen in größeren Ballungsräumen. Die öffentlichen Einrichtungen bieten zwar grundsätzlich fast alle Leistungen zu sehr niedrigen Preisen an, aber aufgrund langer Wartezeiten und überfüllter Zentren, entscheiden sich einige für die kostenintensivere Behandlung bei privaten Gesundheitsträgern (IOM 2021).

Der Iran wurde von sechs COVID-19-Infektionswellen heimgesucht, seit der Ausbruch von COVID-19 im März 2020 von den Behörden bekannt gegeben worden ist. Die beispiellose und unbekannte Art der Krankheit führte allmählich zu einer starken Belastung des Gesundheitspersonals, insbesondere bei denjenigen, die direkt an der Behandlung von Patienten mit COVID-19 beteiligt waren. Der Iran erlebte einen bemerkenswerten Anstieg der Auswanderungsrate von Krankenpflegern und Ärztinnen in Länder mit hohem Einkommen wie Deutschland, Italien und Kanada (Doshmangir/et al. 7.9.2022).

Rückkehr

Die iranische Regierung verfolgt seit langem die Politik, keine zwangsweisen Rückführungen zuzulassen. Freiwillige Rückführungen sind möglich und werden manchmal von den rückführenden Regierungen oder der Internationalen Organisation für Migration (IOM) unterstützt. In Fällen, in denen eine iranische diplomatische Vertretung vorübergehende Reisedokumente ausgestellt hat, werden die Behörden über die bevorstehende Rückkehr der Person informiert (DFAT 24.7.2023).

Das Ansuchen um Asyl im Ausland ist an sich nicht strafbar und auch kein Grund, die iranische Staatsbürgerschaft zu verlieren (MBZ 31.5.2022). Allein der Umstand, dass eine Person einen Asylantrag gestellt hat, löst bei einer Rückkehr keine staatlichen Repressionen aus (AA 30.11.2022). Eine von der belgischen Herkunfstländerrechercheeinheit CEDOCA im Jänner 2023 durchgeführte Recherche zu diesbezüglichen Fällen blieb ergebnislos (CGRS-CEDOCA 10.5.2023). Im Allgemeinen schenken die Behörden abgelehnten Asylwerbern bei ihrer Rückkehr nach Iran wenig Beachtung. Das australische Außenministerium geht davon aus, dass ihre Aktivitäten (einschließlich Beiträgen in sozialen Medien über Aktivitäten vor Ort) von den Behörden nicht routinemäßig untersucht werden. Die Behörden können allerdings in den sozialen Medien einsehbare Aktivitäten von in Australien (oder anderswo) bekannten Iranern überprüfen (DFAT 24.7.2023) und laut einem von CEDOCA befragten Experten wird es immer üblicher, dass die Behörden Rückkehrer anweisen, ihre Konten in sozialen Netzwerken offenzulegen (CGRS-CEDOCA 10.5.2023). Einer vom niederländischen Außenministerium befragten Quelle zufolge befragen die Behörden fast jede Person, von der sie wissen, dass sie einen Asylantrag gestellt hat, um herauszufinden, was der Grund für den Asylantrag war und ob sich die Person nicht politisch oder religiös betätigt hat. Ob Rückkehrer im Ausland einen Asylantrag gestellt haben, können die Behörden beispielsweise durch Angehörige oder Freunde der Betroffenen erfahren, durch abgehörte Kommunikation oder aufgrund einer Durchsicht von Inhalten in den sozialen Medien (MBZ 9.2023). An Personen, die seitens iranischer Sicherheitsbehörden als ernsthafte Regimegegner identifiziert wurden, besteht ein Verfolgungsinteresse (AA 30.11.2022).

Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass Rückkehrer aufgrund der Protestbewegung ab September 2022 verstärkt von den Sicherheitsdiensten überprüft werden. Bereits vor den aktuellen Protesten ist es in Einzelfällen zu einer Befragung durch die Sicherheitsbehörden über den Auslandsaufenthalt gekommen, deren Ausgang sich zum Beispiel der Kenntnis des Auswärtigen Amts der Bundesrepublik Deutschland entzieht. Bisher ist dem Auswärtigen Amt kein Fall bekannt, in dem Zurückgeführte im Rahmen dieser Befragungen psychisch oder physisch gefoltert worden sind (AA 30.11.2022). Eine andere Quelle betont, dass aus Europa zurückkehrende Asylwerber gefährdet sind, von den iranischen Behörden befragt, verhaftet und in manchen Fällen auch gefoltert und getötet zu werden, wenn die Behörden sie mit politischem Aktivismus in Verbindung bringen (DIS 7.2.2020).

​ Es gibt leicht unterschiedliche Ansichten darüber, was das Interesse der Behörden an einem abgelehnten Asylwerber wecken könnte. Allgemein herrscht der Eindruck vor, dass diejenigen, die vor ihrer Ausreise aus Iran Gegenstand negativer behördlicher Aufmerksamkeit waren, bei ihrer Rückkehr mit Reaktionen rechnen müssen. Als weiterer Faktor wird die Art der Informationen genannt, welche Behörden über die Aktivitäten einer Person im Ausland erhalten haben, und ob diese Aktivitäten dem Regime schaden - oder ihm möglicherweise nützen - könnten (Landinfo 21.1.2021). Einer Quelle zufolge spielt der ethnische oder religiöse Hintergrund oder die sexuelle Orientierung eines Rückkehrers für sich genommen keine Rolle. Einer anderen Quelle zufolge können diese Faktoren eine kumulierende Wirkung haben (MBZ 31.5.2022; vgl. MBZ 9.2023).

Insbesondere in Fällen, in denen Iran illegal verlassen worden ist, muss mit einer Befragung gerechnet werden. Im Rahmen der Befragung wird der Reisepass regelmäßig einbehalten und eine Ausreisesperre ausgesprochen (AA 30.11.2022). Wenn Personen mit einem Laissez-Passer anstelle eines regulären Reisedokuments ins Land zurückkehren, kann dies zu Befragungen führen, da dies bedeuten könnte, dass die betroffenen Personen illegal ausgereist sind und/oder um internationalen Schutz im Ausland angesucht haben (CGRS-CEDOCA 10.5.2023; vgl. MBZ 9.2023). Eine juristische Quelle in Iran vom Dezember 2020 erklärte, dass im Falle einer illegalen Ausreise die häufigste Strafe eine Geldstrafe oder eine Gefängnisstrafe auf Bewährung ist, es sei denn, die Person wird zusätzlich anderer Straftaten verdächtigt. Wenn die Person Iran illegal verlassen hat, um einer strafrechtlichen Verfolgung zu entgehen, oder in kriminelle Aktivitäten wie Schmuggel, Menschenhandel oder Aktivitäten militanter Gruppen an der Grenze verwickelt ist, ist die Reaktion wesentlich schärfer (CGRS-CEDOCA 10.5.2023).

Einige Mitglieder der iranischen Diaspora kehren regelmäßig nach Iran zurück, zum Beispiel für einen Urlaub oder um Verwandte zu besuchen (MBZ 9.2023). Es hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, ob jemand nach der Rückkehr befragt wird. Oft wird erst im Laufe der Zeit klar, ob eine echte Bedrohung vorliegt (MBZ 31.5.2022). Iranreisende - sowohl iranische als auch z. B. deutsche Staatsangehörige - müssen seit einiger Zeit verstärkt damit rechnen, dort willkürlich verhaftet und möglicherweise auch angeklagt zu werden (BMIH/BfV 20.6.2023). Politische Aktivisten und andere, die als Bedrohung angesehen werden, werden beobachtet und haben das Gefühl, sich nicht frei bewegen zu können (MBZ 31.5.2022). Ferner häufen sich seit 2022 gezielte nachrichtendienstliche Ansprachen zum Zweck einer Verpflichtung zur Zusammenarbeit mit iranischen Nachrichtendiensten. Dies gilt insbesondere für Personen, die durch iranische Stellen mit einer oppositionellen Gruppierung in Verbindung gebracht werden oder bei denen Kontakte zu Personen aus der oppositionellen Szene vermutet werden. Zudem besteht die Gefahr, dass Mobilfunkgeräte und Informations- und Kommunikationshardware ausgelesen oder manipuliert werden (BMIH/BfV 20.6.2023). Es gibt auch Berichte, dass Einzelpersonen unter Druck gesetzt werden, die Passwörter ihrer Social-Media-Konten herauszugeben. Dadurch erhalten die Behörden Zugang zu sozialen Netzwerken innerhalb und außerhalb Irans (MBZ 9.2023). Eine Befragung von aus dem Ausland zurückkehrenden Iranerinnen und Iranern kann bei der Ankunft am Flughafen durch Geheimdienstmitarbeiter erfolgen (IRINTL 7.1.2022; vgl.MBZ 31.5.2022), oder zu einem späteren Zeitpunkt, in der Wohnung des Befragten und durch die lokalen Behörden (MBZ 31.5.2022). Ebenso kommt es vor, dass es Rückkehrern nach ihrer Ankunft am Flughafen erlaubt wird, nach Iran einzureisen, und sie dann zu einem späteren Zeitpunkt von den iranischen Behörden strafrechtlich verfolgt werden. Einer Quelle zufolge nehmen die Behörden Rückkehrer in der Regel nicht gleich bei der Ankunft am Flughafen fest, weil sie dort sichtbar sind und von den vielen anwesenden Personen mit ihren Handys gefilmt werden könnten. Den Rückkehrern wird dann am Flughafen zum Beispiel gesagt, dass etwas mit ihrem Pass nicht stimmt oder dass ein Bußgeld aussteht, und dass sie sich später an einem bestimmten Ort und zu einer bestimmten Zeit melden sollen (MBZ 9.2023).

Es gibt nur wenige Informationen über die Situation von Iranern, die nach Iran zurückkehren, im Allgemeinen und von zurückgekehrten Antragstellern auf internationalen Schutz im Besonderen (CGRS-CEDOCA 10.5.2023). Zum Thema Rückkehrer gibt es nach wie vor kein systematisches Monitoring, das allgemeine Rückschlüsse auf die Behandlung von Rückkehrern zulassen würde (ÖB Teheran 11.2021; vgl. CGRS-CEDOCA 10.5.2023). In Einzelfällen konnte im Falle von Rückkehrern aus Deutschland festgestellt werden, dass diese bei niederschwelligem Verhalten und beim Abstandnehmen von politischen Aktivitäten, mit Ausnahme von Einvernahmen durch die iranischen Behörden unmittelbar nach der Einreise, keine Repressalien zu gewärtigen hatten. Allerdings ist davon auszugehen, dass Rückkehrer keinen aktiven Botschaftskontakt pflegen, der ein seriöses Monitoring ihrer Situation zulassen würde. Auch IOM Iran, die in Iran Unterstützungsleistungen für freiwillige Rückkehrer im Rahmen des ERIN-Programms anbietet, unternimmt ein Monitoring nur hinsichtlich der wirtschaftlichen Wiedereingliederung der Rückkehrer, nicht jedoch im Hinblick auf die ursprünglich vorgebrachten Fluchtgründe und die Erfahrungen mit Behörden nach ihrer Rückkehr (ÖB Teheran 11.2021).

Das iranische Außenministerium hat im Dezember 2021 ein Webportal eingerichtet, auf dem Iraner, die sich im Ausland aufhalten und eine Rückkehr nach Iran erwägen, ihre Daten hochladen können, woraufhin ihnen mitgeteilt wird, ob sie sicher und ungehindert ein- und ausreisen können oder ob es offene Fälle gegen sie gibt. Allerdings ist nicht jeder in der iranischen Diaspora davon überzeugt, dass dieses System funktioniert und dass er oder sie ohne Bedenken nach Iran reisen kann. Ein Grund dafür ist, dass nicht alle iranischen Nachrichtendienste koordiniert zusammenarbeiten und daher immer die Möglichkeit besteht, dass Rückkehrer dennoch aufgegriffen werden (IRINTL 7.1.2022; vgl. MBZ 9.2023).

Nach derzeitigem Kenntnisstand können Asylantragsteller bzw. anerkannte Flüchtlinge Kontakt mit iranischen Auslandsvertretungen aufnehmen, um beispielsweise einen neuen iranischen Pass zu beantragen. Fälle von daraus folgenden Repressalien gegen die Antragsteller oder ggf. gegen deren Familien in Iran sind bislang nicht bekannt (AA 30.11.2022). Im April 2022 kündigte das Amt für Personenstandswesen an, hinkünftig "smarte" Identitätsnachweise an im Ausland lebende Iraner auszustellen. Antragsteller können sich unter anderem im iranischen Konsulat in Wien registrieren lassen, um den Identitätsnachweis zu erhalten (TEHT 10.4.2022).

Das Verbot der Doppelbestrafung gilt nur stark eingeschränkt. Iraner oder Ausländer, die bestimmte Straftaten im Ausland begangen haben und in Iran festgenommen werden, werden nach dem iranischen Strafgesetzbuch (IStGB) bestraft. Auf die Verhängung von islamischen Strafen haben bereits ergangene ausländische Gerichtsurteile keinen Einfluss; die Gerichte erlassen eigene Urteile. Insbesondere bei Betäubungsmittelvergehen drohen drastische Strafen. In jüngster Vergangenheit sind jedoch keine Fälle einer Doppelbestrafung bekannt geworden (AA 30.11.2022).

Iran erkennt Doppelstaatsbürgerschaften nicht an (RFE/RL 2.3.2023; vgl. BBC 7.6.2022) und ist dafür bekannt, Doppelstaatsbürger als Geiseln zu nehmen, und sie in seinen Verhandlungen mit anderen Ländern als Verhandlungsmasse einzusetzen (IRINTL 7.1.2022). Eine Reihe von Doppelstaatsbürgern, die nach Iran zurückkehrten, werden so im Land festgehalten (CHRI 22.1.2022; vgl. BBC 7.6.2022).

Exiliraner, Behandlung von Aktivisten bei Rückkehr, Auswirkungen der Protestwelle von 2022

Der Logik folgend, dass das Überleben des iranischen Regimes dessen wichtigstes Ziel ist, bekämpfen die iranischen Behörden interne und externe Bedrohungen, wo auch immer diese identifiziert werden (UKHO 1.3.2022), wobei die weit gefasste Definition des iranischen Regimes, wer eine Bedrohung für die Islamische Republik darstellt, zum Umfang und Intensität der transnationalen Repressionsbemühungen beiträgt (FH 2021). Die Bekämpfung oppositioneller Gruppierungen und Einzelpersonen stellt im Inland wie auch [europäischen] Ausland den Schwerpunkt iranischer nachrichtendienstlicher Aktivitäten dar (BMIH/BfV 20.6.2023; vgl. Säkerhetspolisen 22.2.2023). Iran ist aufgrund der Unruhen und Proteste im eigenen Land verstärkt bemüht, die im Ausland lebenden Dissidentinnen und Dissidenten sowie Regimekritikerinnen und Regimekritiker aufzuklären (BMI/DSN 12.5.2023). Die Aktivitäten iranischer Nachrichtendienste umfassten in Europa, dem Nahen Osten und Nordamerika unter anderem Ermordungen, Entführungen, Einschüchterung im digitalen Raum, den Einsatz von Spionagesoftware (FH 2021; vgl. Landinfo 28.11.2022), Bewegungseinschränkungen und Interpol-Missbrauch [Anm.: durch das Erstellen von "Red Notices", sodass Personen in Drittstaaten festgehalten werden] sowie Nötigung durch Dritte (FH 2021).

Bei den bekannten Opfern von Mord, versuchtem Mord und Entführung durch iranische Regimekräfte handelt es sich um Führungskräfte großer Oppositionsgruppen oder separatistischer Organisationen wie der Volksmudschahedin (MEK) und dem Arab Struggle Movement for the Liberation of Ahwaz (ASMLA), sowie um Anführer und Aktivisten der iranisch-kurdischen Exilparteien und Aktivisten im Ausland, die in Iran durch ihre Online-Kampagnen viel Aufmerksamkeit erregt haben (Landinfo 28.11.2022; vgl. IRINTL 7.1.2024). Es sind Fälle bekannt, in denen iranische Staatsangehörige, insbesondere, wenn diese als Journalisten oder Blogger eine große Reichweite haben und sich kritisch zu politischen Themen in Iran (Menschrechtsverletzungen, Korruption und Bereicherung von Amtsträgern, Frauenrechte, interne Machtkämpfe) geäußert haben, in Drittländern entführt wurden, um sie nach Iran zu verbringen, wo sie in (Schau-)Prozessen verurteilt worden sind (AA 30.11.2022).

Die iranischen Nachrichtendienste bemühen sich aktiv um die Anwerbung von Informanten innerhalb der Oppositionsgruppen (Landinfo 28.11.2022). Ein Experte merkte im Juni 2019 gegenüber ACCORD an, dass es den iranischen Behörden gelungen sei, die meisten oppositionellen Organisationen [im Exil] zu unterwandern (ACCORD 5.7.2019). Im Fokus der Behörden stehen dabei unter anderem die MEK, ethnische Gruppen (ACCORD 5.7.2019; vgl. Landinfo 28.11.2022) und sunnitische Dschihadisten (ACCORD 5.7.2019). Fälle von aufgedeckten Informanten sind zum Beispiel aus Schweden (betreffend der ASMLA) und den USA (betreffend der MEK) bekannt (Landinfo 28.11.2022). Der Experte hält weiters fest, dass es den iranischen Behörden bewusst ist, dass sich beispielsweise iranische Auslandsstudenten und -studentinnen - auch in der Hoffnung, Asyl oder Bleiberecht zu erhalten - Oppositionsgruppen anschließen oder zum Christentum konvertieren. Dadurch werden diese Personen demnach verwundbar und, sofern sie sich politisch auffällig verhalten, von den iranischen Behörden unter Druck gesetzt. Gerade bei Studenten hat der iranische Staat demnach mehrere Druckmittel, wie etwa beim Verlängern von Reisepässen oder bei Auslands-Aufenthaltsgenehmigungen. Dem Experten sind Fälle bekannt, in denen solche Verlängerungen nicht gewährt worden sind und den Studenten bedeutet worden ist, sich zwecks Unterredung mit den Behörden nach Iran zurückzubegeben (ACCORD 5.7.2019).

Nach Auskunft eines außerhalb Irans lebenden Experten besteht für politisch aktive Personen bei einer Rückkehr ein "größeres" Risiko. Personen, die politisch sehr aktiv oder bekannt sind, können nicht nach Iran zurückkehren. "Einfache" Bürger und Bürgerinnen würden bei der Rückkehr möglicherweise keine Probleme haben, dies ist allerdings sehr einzelfallabhängig. Personen, die in Iran an Protesten teilgenommen haben, dann ins Ausland gegangen sind und dort nicht politisch aktiv waren, müssen nach einer Rückkehr nicht mit Konsequenzen rechnen, es sei denn, es sind Verfahren, Vorwürfe oder Strafen gegen sie anhängig. In diesem Fall würden die betroffenen Personen verhaftet werden. Personen, die im Ausland zwar politisch aktiv waren, es dabei aber geschafft haben, anonym zu bleiben, können laut dem Experten zurückkehren, während es ausgeschlossen ist, dass sie, wenn sie unter ihrem Klarnamen aufgetreten sind, zurückkehren können (IRB 22.2.2021; vgl. DFAT 24.7.2023).

Ein von CEDOCA befragter Experte geht davon aus, dass die iranischen Behörden Bildmaterial von Teilnehmern an Demonstrationen im Ausland sammeln, betont aber, dass er bislang [Stand 18.11.2022] keine Beweise gesehen hat, wonach sie dann die abgebildeten Personen tatsächlich verfolgen. Laut dieser Quelle ist es unwahrscheinlich, dass die iranischen Behörden Personen, die lediglich an Demonstrationen im Ausland teilnehmen, als hochrangige Ziele betrachten. Derselbe Experte gibt jedoch an, dass er sich hinsichtlich Personen, die an den Protesten teilgenommen haben und nach Iran zurückkehren, Sorgen machen würde, wobei dies nicht bedeutet, dass diese Personen bei der Rückkehr sofort verhaftet werden. Dies hängt vom Profil der Personen ab. Die Organisatoren der Proteste würden bei einer Rückkehr auf Probleme stoßen. Eine andere von CEDOCA befragte Expertin gibt an, dass Agenten des Regimes die iranische Diaspora seit dem Ausbruch der Proteste Mitte September 2022 deutlicher und offener überwachen. Sie führte an, dass iranische Demonstranten im Ausland Personen identifizieren, die Demonstranten filmen, und ihre Gesichter in den sozialen Medien veröffentlichen. Mehrere Personen, die 2009 im Rahmen der Grünen Bewegung vor der iranischen Botschaft in London demonstrierten, berichteten beispielsweise, dass das iranische Konsulat sie als Demonstranten identifizierte und sich weigerte, ihre Konsularangelegenheiten zu bearbeiten. Im Zusammenhang mit den Mitte September 2022 ausgebrochenen Protesten sind bislang keine derartigen Fälle bekannt. Die Bildqualität der Kameras vor Botschaften hat sich inzwischen allerdings verbessert und der iranische Staat verwendet nach Eigenangaben Gesichtserkennungstechnologie (CGRS-CEDOCA 10.5.2023).

Iranische Aktivisten berichteten unter anderem von Einschüchterungsversuchen in Österreich und Deutschland, beispielsweise durch auffälliges Filmen und Fotografieren von Protestierenden, durch Drohanrufe oder -nachrichten (Standard 29.3.2023; vgl. BMP 11.3.2023, CGRS-CEDOCA 10.5.2023), und auch durch einen mutmaßlichen Einbruch (BMP 11.3.2023). Sie gehen davon aus, dass die iranischen Sicherheitsbehörden hinter den Vorfällen stecken (Standard 29.3.2023; vgl. BMP 11.3.2023). Im Herbst 2022 wurde von zwei Angriffen auf Kundgebungen von Exiliranerinnen und -iranern in Berlin berichtet, wobei das Motiv der Angriffe vorerst nicht bekannt war (Zeit online 13.11.2023; vgl. taz 14.11.2022).

Mizan, das Nachrichtenportal der iranischen Justiz, verkündete im September 2023, dass das Informationsministerium [auch Geheimdienstministerium, VAJA/MOIS] mehrere mutmaßliche Protestanführer im Ausland verhaftet habe. Hierzu ist ein Video veröffentlicht worden, das Geständnisse mehrerer Männer zeigen soll, die in den USA, Deutschland und Großbritannien als Anführer von Demonstrationen in Erscheinung getreten sein sollen (BAMF 18.9.2023; vgl. Mizan 12.9.2023). Das von Mizan veröffentlichte Video beinhaltet auch mehrere Videomitschnitte aus sozialen wie traditionellen Medien, welche Demonstrationen von Exiliranerinnen und Exiliranern in den genannten Ländern zeigen, wobei unter anderem die Fahnen Kurdistans, der MEK und der Monarchisten sowie Bilder von Shah Reza Pahlewi zu sehen sind (Mizan 12.9.2023). Wann und wo die Männer festgenommen wurden, ging aus dem Bericht nicht hervor. Die Authentizität und der Wahrheitsgehalt der Angaben lassen sich nicht unabhängig verifizieren (BAMF 18.9.2023).

Ein maßgeblicher Teil der Überwachung durch die Sicherheitsbehörden findet online statt (CGRS-CEDOCA 10.5.2023), wobei die Behörden diesbezügliche Bemühungen nach Protestbeginn Mitte September 2022 verstärkt haben (LOT 15.12.2022). Die Behörden überwachen Aktivisten im Exil, haben aber nicht die Kapazitäten, alle von ihnen zu überwachen. Das Regime setzt auf Grundlage seiner Interessen Prioritäten, und diese Prioritäten können sich auch ändern. Gemäß einer von CEDOCA befragten Quelle lag der Fokus mit Stand 13.9.2022 [Anm.: d. h. kurz vor Beginn der umfangreichen Protestwelle] auf Journalisten und Aktivisten ethnischer Minderheiten. Der Quelle zufolge ist die Menge an Kritik, die eine Person am Regime übt, kein wesentlicher Faktor, der das Risiko erhöht, als online-Dissident im Exil überwacht zu werden. Vielmehr bestimmt der Einfluss, den eine Person hat, ob diese für das Regime Priorität hat (CGRS-CEDOCA 10.5.2023), wobei hierbei insbesondere zwei Faktoren ausschlaggebend sind: Zugang zu öffentlicher Aufmerksamkeit und Verbindungen zum Heimatland (Michaelsen 2020). Als einflussreich gilt beispielsweise, wer in Fernsehsendern wie Iran International oder Voice of America (VOA) zu sehen ist. In den sozialen Medien kann die Anzahl der Follower einerseits als gewisser Richtwert gesehen werden, andererseits gibt es dazu keine einfache Formel. Im Zentrum steht vielmehr die Frage, ob es einer Person gelingt, mit ihren Beiträgen den Diskurs mitzuprägen. Eine von CEDOCA befragte Quelle hält es jedenfalls für sehr unwahrscheinlich, dass ein Facebook-Profil von jemandem außerhalb Irans mit rund 500 "Freunden", das die iranische Regierung kritisiert, von den Behörden überwacht wird, wobei die Plattformen twitter.com, Instagram und Telegram bedeutsamer sind, um ein iranisches Publikum zu erreichen, als Facebook oder Blogs (CGRS-CEDOCA 10.5.2023).

Die Art und Weise, wie iranische Behörden Iraner im Ausland überwachen, hängt vom Ziel ab. Die iranischen Behörden zielen mit Malware auf einige bekannte ("high profile") Dissidenten in der Diaspora ab. Auch Social-Media-Profile von Personen, die nicht zu den profilierten Dissidenten gehören, können überwacht werden. So können die iranischen Behörden beispielsweise lesen, worüber jemand twittert, oder sehen, wer im Netzwerk einer Person ist. Hierfür verwenden die iranischen Behörden öffentlich zugängliche Informationen und überwachen keine privaten [d. h. nicht öffentlich einsehbaren] Konten. Dieser Quelle zufolge haben es die iranischen Behörden bei der Überwachung der iranischen Diaspora v. a. auf Führungspersönlichkeiten und Organisatoren abgesehen, d. h. auf Personen, die eine Gruppe oder Partei anführen oder auf Personen, die von einer Gruppe von Menschen gehört werden. Das Regime könnte hochrangige politische Aktivisten als Bedrohung ansehen und dann ausgeklügelte Cybersecurity-Angriffe gegen sie starten (CGRS-CEDOCA 10.5.2023). Während sich das Regime bei der Überwachung üblicherweise auf bedeutsame Persönlichkeiten fokussiert, sind laut einer anderen Quelle auch Aktivisten aus der "mittleren Ebene" von Hacking-Angriffen betroffen und auch "einfache" Iraner werden mitunter überwacht, da jede Art von Information für die Behörden nützlich ist (IRB 22.2.2021). Eine befragte iranische Rechtsanwältin merkte [im Gespräch über die Verbreitung von christlichen Inhalten in den sozialen Medien] zudem an, dass es Fälle von Personen gibt, die aufgrund von Beiträgen in den sozialen Medien mit geringer Reichweite oder mit privaten Konten Probleme mit den Behörden bekommen haben, weil sie von Personen aus ihrem Umfeld gemeldet wurden. Der Staat ist rechtlich dazu in der Lage, derartige Personen zu verfolgen (MRAI 19.6.2023).

Zwar gibt es keine klaren Kriterien dafür, gegen wen ermittelt wird und wer bestraft wird (DIS 7.2.2020), doch laufen enge Familienmitglieder von politischen Aktivistinnen und Aktivisten (DIS 7.2.2020; vgl. FH 2021) wie auch von Mitgliedern kurdischer Oppositionsparteien mit Stützpunkt im Nordirak Gefahr, von den Behörden ins Visier genommen zu werden (Landinfo 28.11.2022), nicht jedoch die Großfamilie. Eine andere Quelle widerspricht dem und geht - allerdings ohne Beispiele zu nennen - davon aus, dass die Behörden die Familienangehörigen politischer Aktivisten gut behandeln, um der Welt zu zeigen, dass es in Iran Freiheit gibt, und dass den Rückkehrern kein Leid zugefügt werden wird (DIS 7.2.2020). Im Jänner 2023 wurde von einem Fall berichtet, bei dem eine in Frankreich lebende Iranerin, die an den Protesten nach dem Tod von Mahsa Jina Amini teilgenommen hat, von jemandem, der sich am Telefon als Mitarbeiter des MOIS vorstellte, gedroht wurde, dass ihre in Iran lebenden Eltern und andere Familienmitglieder inhaftiert werden würden, sollte sie von weiteren Aktivitäten gegen das Regime nicht Abstand nehmen (IRINTL 7.1.2023; vgl. CNN 21.4.2023). Unter anderem wies der MOIS-Mitarbeiter die Iranerin an, auf Instagram keine Inhalte zu den Protesten mehr zu teilen, wobei sie angegeben hat, dass ihr Profil dort auf "privat" gestellt ist und von ihr geteilte Beiträge somit nur von ihren Followern gesehen werden können [Anm.: im Rahmen einer zeitlich begrenzten Recherche konnten keine weiterführenden Informationen dazu gefunden werden, was das Interesse der Behörden an der Person konkret geweckt hat] (IRINTL 7.1.2023). In Iran lebende Familienmitglieder von Journalisten der Farsi-sprachigen Sparte der BBC, BBC Persian (BBC 12.1.2023), und der Farsi-Redaktion der Deutschen Welle berichteten ebenfalls von Drohungen der iranischen Behörden (FAZ 28.11.2023).

2. Beweiswürdigung:

Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zur Identität und zur Person des BF getroffen wurden, beruhen diese auf seinen Angaben im Verfahren vor der belangten Behörde sowie die gleichlautenden Feststellungen in seinem mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 30.06.2022 rechtskräftig abgeschlossenen vorangegangenen Verfahren.

Wie die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid nachvollziehbar aufzeigte und sich aus einer Gesamtschau der Angaben des BF im gegenständlichen Verfahren ergibt, sind von ihm keine entscheidungsrelevanten neuen Tatsachen, die einen glaubhaften Kern einer Verfolgung oder eine sonstige Gefährdung des BF im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat Iran aus einem der in der GFK genannten Fluchtgründe beinhalten, vorgebracht worden.

Im ersten Asylverfahren brachte der BF unterschiedliche Verfolgungsbefürchtungen vor, die vom Bundesverwaltungsgericht im verfahrensabschließenden Erkenntnis vom 30.06.2022 aufgrund widersprüchlicher Schilderungen als unglaubwürdig qualifiziert wurden (siehe dazu die oben wiedergegebenen Erwägungen des BVwG).

Dass der BF im gegenständlichen Verfahren keine neuen Fluchtgründe vorbrachte, war festzustellen, weil er in der Erstbefragung am 11.09.2023 zunächst nur auf die allgemeine Lage im Iran und auf die ihm in Österreich nicht mehr zuteil gewordenen sozialen Unterstützungsleistungen Bezug nahm. In der Einvernahme vor dem BFA am 03.10.2023 hielt er eingangs fest, dass seine ursprünglichen Fluchtgründe aus dem vorangegangenen Verfahren nach wie vor aufrecht seien; im Verlauf der Befragung revidierte er dies jedoch und brachte klar zum Ausdruck, dass er im Iran tatsächlich keinen Verfolgungshandlungen ausgesetzt gewesen sei, sondern seinen Herkunftsstaat ausschließlich zur Verbesserung seiner wirtschaftlichen Lage verlassen habe. Er hielt ausdrücklich fest, dass er den neuen Antrag deshalb gestellt habe, weil er sich in Österreich ein neues Leben aufbauen und arbeiten wolle. Zuletzt habe er nicht mehr in einer Unterkunft der Caritas wohnen können und habe auf der Straße gelebt. Auf nochmalige Nachfrage, was sich seit der Rechtskraft der vorangegangenen Entscheidung vom 30.06.2022 geändert habe, nahm der BF erneut wiederum nur auf seine Lebensumstände in Österreich Bezug, indem er angab, dass ihm infolge des Erhalts der negativen Entscheidung des BVwG mitgeteilt worden sei, dass er nicht mehr in der Unterkunft der Caritas leben dürfe (AS 177 ff).

Der BF hielt in der Einvernahme vor dem BFA schließlich ausdrücklich fest, dass er tatsächlich deshalb aus dem Iran geflohen sei, weil er weder Geld noch Arbeit gehabt habe; er habe den Iran aufgrund von Armut und in der Hoffnung auf ein besseres Leben in einem anderen Land verlassen. Von Mitarbeitern in seiner Unterkunft und seinem Anwalt sei ihm dazu geraten worden, dass er politische Probleme oder Homosexualität als Fluchtgrund nennen solle. Tatsächlich habe er aber weder politische noch religiöse Probleme im Iran gehabt (AS 181 ff).

Den Angaben des BF im Verfahren ist somit eindeutig zu entnehmen, dass keine neuen Verfolgungsgründe vorliegen.

Im Übrigen hat der BF auch kein konkretes Vorbringen dahingehend erstattet, dass betreffend seine individuellen Umstände im Fall einer Rückkehr in den Iran eine entscheidungswesentliche Änderung eingetreten wäre, handelt es sich bei diesem doch, unverändert zum Vorverfahren, um einen im Wesentlichen gesunden, arbeitsfähigen Mann, der über Schulbildung verfügt und nach wie vor familiäre Anknüpfungspunkte im Iran hat. Es ist davon auszugehen, dass er durch die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit in der Lage sein wird, seine Existenz eigenständig zu sichern, zumal er bereits vor seiner Ausreise aus dem Herkunftsstaat seinen Lebensunterhalt durch die Tätigkeit in einem Restaurant finanzieren konnte.

Der BF hat im vorliegenden Verfahren auch keine wesentliche Änderung bzw. Verschlechterung seines Gesundheitszustandes behauptet. Soweit er auf nicht näher konkretisierte und nicht durch die Vorlage ärztlicher Unterlagen belegte psychische Probleme Bezug nahm, ist festzuhalten, dass er gleichzeitig auch anmerkte, dass sich sein psychischer Zustand seit dem Abschluss seines vorangegangenen Verfahrens unverändert darstelle (AS 171). Da er weder in ärztlicher Behandlung steht, noch konkrete gesundheitliche Probleme nannte, war festzustellen, dass der BF an keiner schwerwiegenden Erkrankung leidet.

Den Länderberichten ist überdies zu entnehmen, dass im Iran eine ausreichende medizinische Grundversorgung etabliert ist, sodass dem BF auch dort eine allenfalls benötigte ärztliche Behandlung zur Verfügung stünde. Aufgrund des verwandtschaftlichen Netzes im Iran in Zusammenschau mit der Möglichkeit zur Teilnahme am Erwerbsleben, der staatlich finanzierten medizinischen Grundversorgung, sowie der Möglichkeit, finanzielle Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen, kann keine exzeptionelle Situation erkannt werden, welche den BF im Fall einer Rückkehr einer realen Gefahr einer existenzgefährdenden Notlage aussetzen würde.

Insgesamt kann daher, wie bereits von der belangten Behörde ausgeführt, nicht erkannt werden, dass gegenständlich Umstände eingetreten sind, wonach der BF mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit seiner Person zu gewärtigen hätte oder ihm im Iran die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen wäre. Es war daher festzustellen, dass der BF keine Furcht vor Verfolgung im gesamten Herkunftsstaat glaubhaft machte und keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention vorliegt. Eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes ist vor dem Hintergrund der Länderfeststellungen und der notorischen Lage im Iran nicht angezeigt, dies wurde auch gar nicht substantiiert behauptet.

Die Feststellungen zu seiner Einreise und seinem Aufenthalt in Österreich ergeben sich unstrittig aus dem Zeitpunkt seiner Asylantragstellung. Dass der BF trotz der Abweisung seines ersten Asylantrags und der Erlassung einer Rückkehrentscheidung mit Erkenntnis vom 30.06.2022 nicht aus dem Bundesgebiet ausreiste, sondern erneut einen Antrag auf internationalen Schutz stellte, ergibt sich unstrittig aus dem vorliegenden Verwaltungsakt.

Der BF behauptete im Verfahren nicht, dass er einer legalen Erwerbstätigkeit nachgeht. Er brachte weiters vor, über Deutschkenntnisse auf dem Niveau A2 zu verfügen, im Bundesgebiet nicht Mitglied eines Vereins oder einer sonstigen Organisation zu sein sowie keine in Österreich aufhältigen Verwandte oder Familienangehörige zu haben. Dass er über enge soziale Bindungen verfügt, behauptete er nicht. Demnach war festzustellen, dass er in Österreich nicht auf maßgebliche Weise am gesellschaftlichen, wirtschaftlichen oder kulturellen Leben teilnimmt.

Die Feststellung zur strafgerichtlichen Verurteilung ergibt sich aus der im Verwaltungsakt einliegenden Urteilsausfertigung und einem eingeholten Auszug aus dem Strafregister. Die Feststellung über die im Jahr 2017 ausgesprochene Drohung ergibt sich aus dem Bericht der zuständigen LPD sowie dem Abschluss-Bericht vom 29.09.2017.

Die fallbezogenen Feststellungen zur Lage im Iran stützen sich auf das vom BFA ins Verfahren eingeführte Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 26.01.2024, Version 7. Die Länderfeststellungen gründen sich auf Berichte verschiedener anerkannter und teilweise vor Ort agierender staatlicher und nichtstaatlicher Institutionen und Personen, die in ihren Aussagen ein übereinstimmendes und schlüssiges Gesamtbild der Situation im Iran ergeben. Angesichts der Seriosität der angeführten Erkenntnisquellen und der Plausibilität der überwiegend übereinstimmenden Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Ausführungen zu zweifeln. Der BF ist den Berichten in der Beschwerde nicht substantiiert entgegengetreten und hat eine fallrelevante wesentliche Änderung nicht behauptet.

Anhand eines Vergleichs der aktuellen Länderinformationen mit dem im Erkenntnis vom 30.06.2022 herangezogenen Länderberichten war festzustellen, dass sich die den BF betreffende entscheidungsrelevante Lage seit Abschluss des ersten Verfahrens nicht wesentlich geändert hat. Insbesondere die Protestwelle ab Herbst 2022 führt für den BF, der nie politisch aktiv war und im Verfahren keine entsprechenden Befürchtungen äußerte, zu keiner maßgeblichen Lageänderung.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A)

Zur Abweisung der Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheids wegen entschiedener Rechtssache gemäß § 68 Abs. 1 AVG

Gemäß § 68 Abs. 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 AVG die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen, wenn die Behörde nicht Anlass zu einer Verfügung gemäß § 68 Abs. 2 bis 4 AVG findet. Diesem ausdrücklichen Begehren auf Abänderung steht ein Ansuchen gleich, das bezweckt, eine Sache erneut inhaltlich zu behandeln, die bereits rechtskräftig entschieden ist (VwGH 30.09.1994, 94/08/0183; 30.05.1995, 93/08/0207; 09.09.1999, 97/21/0913; 07.06.2000, 99/01/0321).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Prüfung des Vorliegens der entschiedenen Sache von der rechtskräftigen Vorentscheidung auszugehen, ohne die sachliche Richtigkeit derselben nochmals zu überprüfen. Identität der Sache liegt dann vor, wenn sich gegenüber der früheren Entscheidung weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert hat und sich das neue Parteibegehren im Wesentlichen mit dem früheren deckt (vgl. VwGH 26.09.2022, Ra 2021/18/0339).

In Hinblick auf wiederholte Anträge auf internationalen Schutz entspricht es der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, dass nur eine solche behauptete Änderung des Sachverhalts die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung – nach etwa notwendigen amtswegigen Ermittlungen – berechtigen und verpflichten kann, der rechtlich für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen Relevanz zukäme; eine andere rechtliche Beurteilung des Antrags darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein. Die behauptete Sachverhaltsänderung muss zumindest einen „glaubhaften Kern“ aufweisen, dem Relevanz zukommt.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in diesem Erkenntnis vom 19.10.2021, Ro 2019/14/0006, nach Einholung einer Vorabentscheidung durch den Gerichtshof der Europäischen Union (vgl. das Urteil EuGH 09.09.2021, C-18/20), ausgesprochen hat, darf ein Folgeantrag auf internationalen Schutz nicht allein deshalb wegen entschiedener Sache zurückgewiesen werden, weil der nunmehr vorgebrachte Sachverhalt von der Rechtskraft einer früheren Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz erfasst sei, ohne dass eine Prüfung im Sinn des Art. 40 Abs. 2 und Abs. 3 Verfahrensrichtlinie vorgenommen worden wäre, ob „neue Elemente oder Erkenntnisse zutage getreten oder vom Antragsteller vorgebracht worden sind, die erheblich zu der Wahrscheinlichkeit beitragen, dass der Antragsteller nach Maßgabe der Richtlinie 2011/95/EU als Person mit Anspruch auf internationalen Schutz anzuerkennen ist“ (vgl. VwGH 19.10.2021, Ro 2019/14/0006, Rn. 75).

Kommt bei dieser Prüfung hervor, dass – allenfalls entgegen den Behauptungen eines Antragstellers – solche neuen Elemente oder Erkenntnisse nicht vorliegen oder vom Antragsteller gar nicht vorgebracht worden sind, so ist eine Zurückweisung wegen entschiedener Sache weiterhin – in einem Verfahren, in dem auch die Vorgaben des Kapitels II der Verfahrensrichtlinie zu beachten sind – statthaft. Das gilt auch dann, wenn zwar neue Elemente oder Erkenntnisse vorliegen, die Änderungen aber lediglich Umstände betreffen, die von vornherein zu keiner anderen Entscheidung in Bezug auf die Frage der Zuerkennung eines Schutzstatus führen können. Der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt hat nämlich in diesen Konstellationen keine Änderung erfahren (VwGH 19.10.2021, Ro 2019/14/0006, Rn. 76).

Ergibt aber die Prüfung des im Folgeantrag erstatteten Vorbringens, dass neue Elemente oder Erkenntnisse zutage getreten oder vom Antragsteller vorgebracht worden sind, die erheblich zu der Wahrscheinlichkeit beitragen, dass der Antragsteller nach Maßgabe der Richtlinie 2011/95/EU als Person mit Anspruch auf internationalen Schutz anzuerkennen ist, ist die Zurückweisung eines Antrags auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache nicht statthaft. Dies gilt im Besonderen auch dann, wenn das Vorbringen schon in einem früheren Verfahren hätte erstattet werden können und den Antragsteller ein Verschulden daran trifft, den fraglichen Sachverhalt nicht schon im früheren Verfahren geltend gemacht zu haben (VwGH 19.10.2021, Ro 2019/14/0006, Rn. 78).

Wie im Ermittlungsergebnis und in der Beweiswürdigung dargelegt, brachte der BF im gegenständlichen Asylverfahren keine neuen Fluchtgründe mit glaubhaftem Kern, dem Asylrelevanz zukommen könnte, vor und ist keine Sachverhaltsänderung eingetreten.

Die Prüfung der Fluchtgründe war Gegenstand des vorangegangenen abgeschlossenen Rechtsganges. Im Rahmen des rechtskräftigen Erkenntnisses vom 30.06.2022 gelangte das Bundesverwaltungsgericht zum Ergebnis, dass die vom BF vorgebrachten Fluchtgründe nicht den Tatsachen entsprechen.

Im nunmehrigen Verfahren erstattete der BF kein neues Fluchtvorbringen, sondern er berief sich zunächst darauf, seine ursprünglichen Fluchtgründe aufrecht zu erhalten. Dies widerrief er jedoch im Verlauf der Einvernahme vor dem BFA und räumte ein, dass ihm tatsächlich keine Verfolgung aus politischen oder religiösen Gründen im Iran drohe, sondern er dies (im Rahmen des ersten Verfahrens) nur vorgebracht habe, weil ihm von dritten Personen dazu geraten worden sei. Er hielt fest, dass er den Iran tatsächlich aus wirtschaftlichen Überlegungen verlassen und im Erstverfahren somit tatsachenwidrige Verfolgungsbehauptungen vorgebracht habe. Insofern wurde im nunmehrigen Verfahren kein Vorbringen erstattet, dass potentiell zu einer Zuerkennung des Status des Asylberechtigten führen könnte.

Insoweit der neuerliche Antrag des BF unter dem Blickwinkel des Refoulementschutzes (§ 8 AsylG) zu betrachten ist, ist auszuführen, dass das Bundesverwaltungsgericht im Erkenntnis vom 30.06.2022 unter anderem davon ausging, dass es für den BF zumutbar sei, sich seinen notwendigen Unterhalt im Herkunftsstaat selbst zu sichern und keine Gründe für die Annahme bestünden, dass er im Iran iSd § 8 AsylG bedroht wäre.

Vor dem Hintergrund der getroffenen Feststellungen zu den Verhältnissen im Herkunftsstaat kann nicht angenommen werden, dass in der Zwischenzeit Umstände eingetreten wären, wonach der BF im Fall der Rückkehr in seinen Herkunftsstaat in Ansehung existentieller Grundbedürfnisse einer lebensbedrohenden Situation ausgesetzt wäre.

Für den vorliegenden Fall liegen Hinweise auf das Vorliegen einer allgemeinen existenzbedrohenden Notlage (allgemeine Hungersnot, Seuchen, Naturkatastrophen oder sonstige diesen Sachverhalten gleichwertige existenzbedrohende Elementarereignisse) weiterhin nicht vor, weshalb hieraus aus diesem Blickwinkel bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen kein Hinweis auf das Vorliegen eines Sachverhaltes gemäß Art. 2 bzw. 3 EMRK abgeleitet werden kann.

Das Bundesverwaltungsgericht verkennt nicht, dass es im Iran Spannungen gibt, aber die Sicherheitslage ist – wie sich aus den Länderberichten ergibt – nicht derart, dass der BF alleine aufgrund seiner Anwesenheit im Iran einem realen Risiko für seine körperliche Unversehrtheit oder sein Leben ausgesetzt wäre.

Darüber hinaus liegen auch keine Hinweise auf eine allgemein existenzbedrohende Notlage im Iran vor und ist die Grundversorgung der Bevölkerung gesichert, wozu neben staatlichen Hilfen auch das islamische Spendensystem beiträgt, auch wenn sich die wirtschaftliche Lage im Iran verschlechtert hat. Der BF hat ein familiäres Netz im Iran, das ihn bei einer Wiedereingliederung unterstützen kann.

Auch in Bezug auf seine individuellen Umstände ist, wie in der Beweiswürdigung dargestellt, keine entscheidungswesentliche Änderung eingetreten. Insbesondere hat sein Gesundheitszustand keine konkrete Verschlechterung erfahren, zumal er sich nur allgemein auf das Bestehen psychischer Probleme berief, diese jedoch nicht konkretisierte und sich nie in ärztliche Behandlung begab.

Es gibt auch keinen Anlass für die Annahme, dass der BF im Iran keinen Zugang zu einer allenfalls benötigten Behandlung haben sollte. Nochmals festzuhalten bleibt, dass im Verfahren nicht vorgebracht wurde, dass die BF zuletzt eine akut lebensnotwendige Behandlung durchlaufen hätte, welche ihm im Herkunftsstaat nicht zugänglich wäre.

Da sohin keine Anhaltspunkte für eine entscheidungswesentliche Änderung des Sachverhalts im Hinblick auf das individuelle Vorbringen bzw. Umstände des BF oder allgemein bekannte Tatsachen, die vom Bundesamt von Amts wegen zu berücksichtigen wären, vorliegen, und sich auch die Rechtslage in der Zwischenzeit nicht entscheidungswesentlich geändert hat, steht der Behandlung des gegenständlichen Antrages auf internationalen Schutz das Prozesshindernis der rechtskräftig entschiedenen Sache entgegen und war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zur Rückkehrentscheidung, Zulässigkeit der Abschiebung und Nichtfestlegung einer Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkte III. bis VI. des angefochtenen Bescheides)

Vorerst wird festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 nicht vorliegen, weil der Aufenthalt des BF weder seit mindestens einem Jahr gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG geduldet ist, noch zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig ist noch der BF Opfer von Gewalt iSd § 57 Abs. 1 Z 3 FPG wurde. Die belangte Behörde ist somit zu Recht davon ausgegangen, dass dem BF, dessen Aufenthalt im Bundesgebiet nicht geduldet ist und der kein Zeuge oder Opfer von Gewalt wurde, ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG von Amts wegen nicht zu erteilen ist.

Der mit „Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme“ betitelte § 10 AsylG lautet:

„§ 10. (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn

1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,

2. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 zurückgewiesen wird,

3. der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

4. einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder

5. einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird

und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird.

(2) Wird einem Fremden, der sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt, von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt, ist diese Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden.

(3) Wird der Antrag eines Drittstaatsangehörigen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 abgewiesen, so ist diese Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden. Wird ein solcher Antrag zurückgewiesen, gilt dies nur insoweit, als dass kein Fall des § 58 Abs. 9 Z 1 bis 3 vorliegt.“

Der mit „Schutz des Privat- und Familienlebens“ betitelte § 9 BFA-VG lautet:

„§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

(Anm.: Abs. 4 aufgehoben durch Art. 4 Z 5, BGBl. I Nr. 56/2018)

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.

(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt.“

Gemäß § 55 Abs. 1a FPG besteht eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht für die Fälle einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 AVG, sowie wenn die Entscheidung auf Grund eines Verfahrens gemäß § 18 BFA-VG durchführbar wird.

Zwar sehen weder § 10 AsylG noch der mit "Rückkehrentscheidung" betitelte § 52 FPG eine zwingende Verbindung einer Entscheidung, mit der ein Antrag auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache zurückgewiesen wird, mit einer Rückkehrentscheidung vor. Doch ergibt sich aus der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes in der Auslegung der Materialien zum Fremdenbehördenneustrukturierungsgesetz (BGBl. I Nr. 87/2012), dass eine Entscheidung nach § 68 AVG als eine solche zu betrachten ist, die (auch) in Anwendung der §§ 3 und 8 AsylG ergangen ist. Daher stellt § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 52 Abs. 2 Z 2 FPG auch für den Fall der Zurückweisung eines Antrages auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache nach § 68 AVG in einer Konstellation wie der vorliegenden die Rechtsgrundlage für die Verbindung dieser Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung dar (vgl. VwGH 19.11.2015, Ra 2015/20/0082).

Es ist daher - mangels anderer gesetzlicher Anordnung - die bisherige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Erforderlichkeit der Verbindung einer ab- oder zurückweisenden Entscheidung der Asylbehörden mit einer Ausweisung, unabhängig davon, ob zum Entscheidungszeitpunkt bereits eine rechtskräftige Ausweisung vorliegt (vgl. VwGH vom 07.05.2008, Zl. 2007/19/0466, und vom 19.02.2009, Zl. 2008/01/0344) auf die ab 01.01.2014 geltende Rechtslage übertragbar (VwGH 19.11.2015, Ra 2015/20/0082).

Im Hinblick auf § 59 Abs. 5 FPG, wonach im Falle einer gegen einen Drittstaatsangehörigen bereits bestehenden rechtskräftigen Rückkehrentscheidung es bei allen nachfolgenden Verfahrenshandlungen nach dem 7., 8. und 11. Hauptstück oder dem AsylG 2005 keiner neuerlichen Rückkehrentscheidung bedarf, es sei denn, es sind neue Tatsachen gemäß § 53 Abs. 2 und 3 hervorgekommen, hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner Entscheidung vom 16.12.2015, Ro 2015/21/0037, festgehalten:

"Der Wortlaut des § 59 Abs. 5 FrPolG 2005 idF des FNG 2014 ist missglückt. Vor allem die Bezugnahme auf alle "nachfolgenden Verfahrenshandlungen nach dem 7., 8. und 11. Hauptstück oder dem AsylG 2005", bei denen es bei Existenz einer aufrechten rechtskräftigen Rückkehrentscheidung keiner neuerlichen Rückkehrentscheidung "bedarf", ist sprachlich offenkundig verfehlt. So versteht es sich etwa - um nur die primäre "Verfahrenshandlung" nach dem 7. Hauptstück des FrPolG 2005 herauszugreifen - von selbst, dass es im Zuge einer Abschiebung (oder allenfalls auch für eine solche) bei Bestehen einer aufrechten rechtskräftigen Rückkehrentscheidung keiner wiederholten Rückkehrentscheidung bedarf. Insoweit kann der Bestimmung daher, nimmt man sie wörtlich, keine sinnvolle Handlungsanweisung entnommen werden. Dessen ungeachtet scheint aber auch vor dem Hintergrund der ErläutRV zu § 59 Abs. 5 FrPolG 2005 idF FNG 2014 (1803 BlgNR 24. GP 67) erkennbar, worum es geht:

Existiert bereits eine rechtskräftige und noch aufrechte Rückkehrentscheidung (vgl. E 19. November 2015, Ra 2015/20/0082 bis 0087 - es muss eine solche sein, die mit einem Einreiseverbot verbunden ist), die als Titel für eine Außerlandesbringung des Drittstaatsangehörigen herangezogen werden kann, so "bedarf" es ausnahmsweise - sofern nicht aufgrund "neu hervorgekommener" Tatsachen eine Neubemessung des bestehenden Einreiseverbotes erforderlich ist - entgegen den diesbezüglichen gesetzlichen Anordnungen (in § 10 AsylG 2005 bzw. in § 52 FrPolG 2005) nicht der Erlassung einer wiederholten - unter dem Blickwinkel der beabsichtigten Außerlandesbringung entbehrlichen - Rückkehrentscheidung (samt Einreiseverbot). Für die Rückkehrentscheidungs-Tatbestände nach § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 bzw. nach § 52 Abs. 2 Z 1 FrPolG 2005 (weil ein Antrag auf internationalen Schutz wegen Drittstaatssicherheit zurückgewiesen wurde) ergibt sich das im Grunde auch aus § 16 Abs. 2 Z 1 iVm Z 2 BFA-VG 2014. Neben dem Fall, dass ein Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen und damit eine aufenthaltsbeendende Maßnahme verbunden ist, wird dort nämlich auch der Konstellationen gedacht, dass ein Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen wird und eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung bereits besteht, also keine neue Rückkehrentscheidung mit der Zurückweisung verbunden wird (vgl. § 16 Abs. 4 BFA-VG 2014 und ErläutRV zum FNG-AnpassungsG 2014 (2144 BlgNR 24. GP 11))."

Im gegenständlichen Fall wurde im ersten Verfahrensgang kein Einreiseverbot ausgesprochen, weshalb die Anwendung des § 59 Abs. 5 FPG ausschied und eine neue Rückkehrentscheidung auszusprechen war.

In diesem Sinne hat die belangte Behörde im Rahmen ihrer Entscheidungsgründe auch inhaltliche Ausführungen zur Erlassung einer (neuerlichen) Rückkehrentscheidung gegen den Beschwerdeführer getroffen.

Das VwG hat (sofern sich aus dem Gesetz nicht anderes ergibt) seine Entscheidung an der zum Zeitpunkt seiner Entscheidung maßgeblichen Sach- und Rechtslage auszurichten (vgl. etwa VwGH 02.07.2020, Ra 2020/19/0192, mwN). Das hat im Besonderen auch bei Beurteilung der Zulässigkeit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung, die mit der Zurückweisung eines Antrages auf internationalen Schutz nach § 68 Abs. 1 AVG einhergeht, zu gelten. Nur dann, wenn sich diese Entscheidung über die Aufenthaltsbeendigung auf die aktuelle Sach- und Rechtslage bezieht, ist nämlich gewährleistet, dass der Zweck zur Vermeidung weiterer nachfolgender Verfahren (samt der diesbezüglich in Betracht kommenden Rechtsmittelverfahren) – hier: ein allfälliges weiteres Verfahren zur Prüfung der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 – erreicht werden kann (VwGH 17.11.2020, Ra 2019/19/0308 mwN).

Der ledige und kinderlose BF führt in Österreich kein Familienleben, sodass die Rückkehrentscheidung keinen Eingriff in ein durch Art. 8 EMRK geschütztes Familienleben bewirkt und lediglich geeignet ist, einen Eingriff in das Recht auf Privatleben des BF zu begründen. Ein solcher Eingriff erweist sich jedoch als im öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen gerechtfertigt.

Der BF hält sich seit Februar 2016 infolge illegaler Einreise und Stellung seines ersten Antrags auf internationalen Schutz in Österreich auf und verblieb infolge rechtskräftiger Abweisung desselben und Erlassung einer Rückkehrentscheidung mit Erkenntnis vom 30.06.2022 unter Missachtung der Ausreiseverpflichtung im Bundesgebiet. Infolge Entlassung aus der Grundversorgung aus disziplinären Gründen im Juli 2023 stellte der BF am 11.09.2023 einen Folgeantrag, welcher sich ebenfalls als unbegründet erwies.

Der BF ging im Bundesgebiet keiner Erwerbstätigkeit nach und bestritt seinen Aufenthalt durch den Bezug von Grundversorgung. Er hat keine Bemühungen hinsichtlich einer (künftigen) Eingliederung auf dem österreichischen Arbeitsmarkt gesetzt, ging keiner ehrenamtlichen Tätigkeit nach, war in keinen Vereinen Mitglied und knüpfte keine maßgeblichen sozialen Kontakte in Österreich. Eine maßgebliche Integration in beruflicher, sprachlicher und gesellschaftlicher Hinsicht in Österreich hat der BF gesamtbetrachtend nicht erlangt. Der BF hat an Deutschkursen teilgenommen, jedoch keinen Nachweis über die Absolvierung einer Deutschsprachprüfung vorgelegt. Eine Integration des BF in sprachlicher, beruflicher und sozialer Hinsicht ist demnach nicht erkennbar.

Im gegenständlichen Verfahren wurden insgesamt keine maßgeblichen Veränderungen des Privat- und Familienlebens des BF verglichen mit dem Zeitpunkt der vorangegangenen rechtskräftigen Rückkehrentscheidung vorgebracht.

Die – ohnedies nur vergleichsweise schwach ausgeprägten – privaten Interessen des BF an einem Verbleib in Österreich sind überdies dadurch relativiert, dass sich der BF bei Begründung der vorgebrachten privaten Beziehungen und der im Bundesgebiet gesetzten Integrationsschritte der Unsicherheit seines Aufenthalts stets bewusst sein musste. Das gilt umso mehr für die Zeit nach der rechtskräftigen Erlassung der (ersten) Rückkehrentscheidung mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 30.06.2022, wobei der Aufenthalt dann nur durch Verbleib im Bundesgebiet unter Missachtung der rechtskräftigen Ausreiseverpflichtung sowie durch einen weiteren unberechtigten Antrag verlängert wurde. Letztlich läuft das darauf hinaus, dass mit diesem Verhalten versucht wird, in Bezug auf den Aufenthalt des BF in Österreich vollendete Tatsachen zu schaffen (vgl. zu diesem Gesichtspunkt VwGH 13.11.2018, Ra 2018/21/0205 bis 0210, Rn. 11 und Rn. 14 bis 16, mwN; siehe dazu auch VwGH 07.03.2019, Ra 2019/21/0044 bis 0046, Rn. 16 iVm Rn. 18). Das widerspricht laut ständiger Rechtsprechung des VwGH dem öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen, dem ein hoher Stellenwert zukommt (vgl. etwa VwGH 28.05.2020, Ra 2020/21/0139, Rn 16; 26.06.2019, Ra 2019/21/0020, Rn. 7, und VwGH 16.05.2019, Ra 2019/21/0124, Rn. 9, mwN).

Auch die strafrechtliche Verurteilung des BF wegen des Delikts der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB vom XXXX ist in der Interessenabwägung zu Lasten des BF zu werten, zumal ein hohes öffentliches Interesse an der Verhinderung von Straftaten besteht (vgl. zB VwGH 12.12.2023, Ra 2023/18/0321).

Demgegenüber hat der BF den weit überwiegenden Teil seines bisherigen Lebens im Iran verbracht, wo er aufgewachsen ist und eine berufliche Tätigkeit im Gastgewerbe ausgeübt hat. Da der BF muttersprachlich Farsi spricht, seine Familie nach wie vor im Iran lebt und er mit den Gegebenheiten in seinem Herkunftsstaat vertraut ist, wird er nach einer rund achtjährigen Abwesenheit keine maßgeblichen Schwierigkeiten bei einer Wiedereingliederung im Herkunftsstaat vorfinden.

Nach Maßgabe einer Interessensabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG ist das BFA zu Recht davon ausgegangen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthalts des BF das persönliche Interesse des BF an einem Verbleib im Bundesgebiet überwiegt und daher durch die angeordnete Rückkehrentscheidung eine Verletzung des Art. 8 EMRK nicht vorliegt. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen und auch in der Beschwerde nicht vorgebracht worden, dass im gegenständlichen Fall eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig wäre.

Insgesamt wurden vor der Behörde und in der Beschwerde keine wesentlichen Umstände vorgebracht, die diesbezüglich ein anderes Bild zeichnen würden und konnte daher auch das Bundesverwaltungsgericht zu keinem anderen Ergebnis gelangen als die Behörde. Der BF hat keine familiären Beziehungen im Bundesgebiet, ging bislang keiner Erwerbstätigkeit nach, er konnte keine Sprachkenntnisse oder ein Zertifikat nachweisen und gründete sich sein Aufenthalt seit der rechtskräftigen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 30.06.2022 über den ersten Asylantrag des BF auf das Stellen eines weiteren (nicht zielführenden und im Ergebnis unberechtigten) Antrages auf internationalen Schutz.

Zur Zulässigkeit der Abschiebung

Im angefochtenen Bescheid wurde gemäß § 52 Abs. 9 Fremdenpolizeigesetz (FPG) festgestellt, dass die Abschiebung des BF in seinen Herkunftsstaat zulässig ist.

Diesbezüglich ist darauf zu verweisen, dass ein inhaltliches Auseinanderfallen der Entscheidungen nach § 8 Abs. 1 AsylG (zur Frage der Gewährung von subsidiärem Schutz) und nach § 52 Abs. 9 FPG (zur Frage der Zulässigkeit der Abschiebung) ausgeschlossen ist, was es verunmöglicht, die Frage der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat im Rahmen der von Amts wegen zu treffenden Feststellung nach § 52 Abs. 9 FPG neu aufzurollen und entgegen der getroffenen Entscheidung über die Versagung von Asyl und subsidiärem Schutz anders zu beurteilen (vgl. dazu etwa VwGH, 16.12.2015, Ra 2015/21/0119 und auch die Beschlüsse vom 19.02.2015, Ra 2015/21/0005 und vom 30.06.2015, Ra 2015/21/0059 – 0062).

Zur Frist für die freiwillige Ausreise

Gemäß § 55 Abs. 1a FPG besteht keine Frist für eine freiwillige Ausreise in Fällen einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 AVG.

Die Beschwerde war somit auch hinsichtlich des Spruchpunktes VI. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG abzuweisen.

Zum Einreiseverbot

Gemäß § 53 Abs. 1 FPG kann vom Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung mit Bescheid ein Einreiseverbot erlassen werden. Das Einreiseverbot ist die Anweisung an den Drittstaatsangehörigen, für einen festgelegten Zeitraum nicht in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einzureisen und sich dort nicht aufzuhalten. Gemäß Abs. 2 leg.cit. ist ein Einreiseverbot gemäß Abs. 1, vorbehaltlich des Abs. 3, für die Dauer von höchstens fünf Jahren zu erlassen. Bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbots hat das Bundesamt das bisherige Verhalten des Drittstaatsangehörigen mit einzubeziehen und zu berücksichtigen, inwieweit der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft.

Die belangte Behörde hat das gegenständliche Einreiseverbot auf § 53 Abs. 1 iVm. Abs. 2 FPG gestützt und insbesondere mit dem Wortlaut von Art. 11 Abs. 1 der RückführungsRL 2008/115/EG begründet, demzufolge Rückkehrentscheidungen dann mit einem Einreiseverbot einhergehen, a) falls keine Frist für eine freiwillige Ausreise eingeräumt wurde oder b) falls der Rückkehrverpflichtung nicht nachgekommen wurde.

Bei der Bemessung eines Einreiseverbotes nach § 53 FPG ist eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, bei der die Behörde das bisherige Verhalten des Drittstaatsangehörigen zu beurteilen und zu berücksichtigen hat, ob (bzw. inwieweit über die im unrechtmäßigen Aufenthalt als solchem zu erblickende Störung der öffentlichen Ordnung hinaus) der (weitere) Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft. Eine derartige Gefährdung ist nach der Gesetzessystematik insbesondere in den Fällen der Z 1 bis 9 des § 53 Abs. 2 FPG anzunehmen. Die Erfüllung eines Tatbestandes nach § 53 Abs. 2 FPG indiziert, dass der (weitere) Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit nicht nur geringfügig gefährdet (vgl. etwa VwGH 24.05.2018, Ra 2017/19/0311, Rn. 12 und 19, mwN).

Ein unrechtmäßiger Aufenthalt rechtfertigt per se nicht immer auch die Verhängung eines Einreiseverbotes zusätzlich zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung. Liegt aber nicht bloß ein unrechtmäßiger Aufenthalt, sondern eine qualifizierte Verletzung der Ausreiseverpflichtung vor, so kann daraus eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit im Sinn des § 53 Abs. 2 FPG abzuleiten sein, die die Verhängung eines Einreiseverbotes erforderlich macht. Dies entspricht auch Art. 11 Abs. 1 lit. b der Rückführungsrichtlinie, wonach Rückkehrentscheidungen mit einem Einreiseverbot einhergehen, falls der Rückkehrverpflichtung nicht nachgekommen wurde (vgl. VwGH 08.03.2021, Ra 2020/01/0178, mwN). Ob Art. 11 Abs. 1 lit. b der Rückführungsrichtlinie - anders als die innerstaatliche Rechtslage - auch ohne eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit im Sinn des § 53 Abs. 2 FPG in jedem Fall einer Verletzung der Ausreiseverpflichtung zwingend die Erlassung eines Einreiseverbots verlangt, kann dahingestellt bleiben, weil eine unmittelbare Anwendung der Richtlinie zu Lasten eines Einzelnen von vornherein nicht in Betracht kommt (vgl. VwGH 19.06.2020, Ra 2019/19/0436, mwN).

Im Fall des BF liegt eine solche qualifizierte Ausreiseverpflichtung den Feststellungen zufolge vor, zumal er infolge Erlassung des sein erstes Verfahren auf internationalen Schutz abschließenden Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichts vom 30.06.2022 seiner Verpflichtung zur Rückkehr in den Iran nicht nachgekommen ist, sondern stattdessen – nachdem er aus disziplinären Gründen im Juli 2023 aus der Grundversorgung entlassen worden war – am 11.09.2023 einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz stellte. Die Antragstellung erfolgte im Bewusstsein, dass (weiterhin) keine Gründe für die Zuerkennung von Asyl oder subsidiärem Schutz vorliegen und wurde vom BF im Wesentlichen damit begründet, dass er keine soziale Unterstützung und Wohnung mehr zur Verfügung gestellt bekommen habe.

Überdies wurde der BF mit Urteil eines Bezirksgerichts vom XXXX wegen des Vergehens der Körperverletzung (zu einer bedingten Freiheitsstrafe von zwei Monaten) verurteilt. Der Verurteilung lag zugrunde, dass der BF einem Mitbewohner mehrfach mit der Faust ins Gesicht geschlagen und ihn dabei verletzt hat, weil dieser am Gang laut herumgeschrien habe. Zuletzt wurde er im Juli 2023 infolge mehrfacher schriftlicher Verwarnungen aufgrund wiederholt aggressiven Verhaltens gegenüber Betreuern und Mitbewohnern aus der Grundversorgung entlassen sowie im gleichen Monat wegen des Verdachts nach § 28 Abs. 1 SMG zur Anzeige gebracht. Zuvor war der BF bereits im September 2020 aufgrund einer gewalttätigen Auseinandersetzung mit einem Mitbewohner aus der Betreuungsstelle weggewiesen worden und ihm eine Rückkehr im Zeitraum XXXX .2020 bis XXXX 2020 untersagt worden. Im Jahr 2017 äußerte er gegenüber einem Betreuer seinen Unmut über das nach seinem Empfinden zu lange andauernde Asylverfahren, indem er gedroht hat, Beamte des Asylamtes sowie der iranischen Botschaft in Berlin und Mitarbeiter der Caritas zu töten, was zu seiner Festnahme und zwangsweisen Einweisung in ein Universitätsklinikum führte.

Der Behörde kann fallgegenständlich somit nicht entgegengetreten werden, wenn sie basierend auf dem Gesamtverhalten des BF (Missachtung der Verpflichtung zur Ausreise, wiederholtes aggressives bzw. gewalttätiges Verhalten) eine mit einem weiteren Aufenthalt verbundene Gefährdung der öffentlichen Interessen im Sinne des § 53 Abs. 2 FPG annimmt und vor diesem Hintergrund die Erlassung eines Einreiseverbotes als gerechtfertigt erachtet.

Bei einer Gesamtbetrachtung aller aufgezeigten Umstände, des sich daraus ergebenden Persönlichkeitsbildes und in Ansehung der auf Grund des persönlichen Fehlverhaltens getroffenen Gefährdungsprognose muss eine grundsätzliche Gefährdung von öffentlichen Interessen, insbesondere an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit und der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt regelnden Vorschriften zum Schutz eines geordneten Fremdenwesens, als gegeben angenommen werden (vgl. VwGH 19.05.2004, 2001/18/0074).

Was die privaten und familiären Interessen des BF betrifft, bleibt auf die bereits getroffenen Ausführungen zu verweisen. Der BF war lediglich infolge einer illegalen Einreise und Stellung zweier unbegründeter Anträge auf internationalen Schutz zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt. Konkrete familiäre oder private Interessen an einem Verbleib in Österreich oder anderen Mitgliedstaaten hat der BF zu keinem Zeitpunkt behauptet. Der BF hat im Zuge seines Aufenthaltes keine maßgeblichen Integrationsschritte gesetzt und keine konkreten Bindungen im Bundesgebiet begründet. Insofern stehen auch die privaten und familiären Interessen des BF an einem Verbleib bzw. neuerlichen Aufenthalt im Bundesgebiet der Erlassung eines Einreiseverbotes vor dem Hintergrund des Art. 8 EMRK nicht entgegen. Letztlich sind auch Schwierigkeiten bei der Gestaltung der Lebensverhältnisse, die infolge der Rückkehr des BF in den Herkunftsstaat auftreten können, im öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen und an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit hinzunehmen (vgl. VwGH 15.03.2016, Ra 2015/21/0180). Der Ansicht der belangten Behörde, dass die Erlassung des Einreiseverbotes zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten sei, steht nichts entgegen.

Im gegenständlichen Fall erweist sich allerdings die vom BFA verhängte fünfjährige Dauer des Einreiseverbotes unter Berücksichtigung des Fehlverhaltens und der sonstigen persönlichen Umstände des BF, insbesondere in Anbetracht dessen, dass er nur zu einer geringfügigen Freiheitsstrafe verurteilt worden ist, als nicht angemessen.

Es konnte daher mit einer Befristung von zwei Jahren das Auslangen gefunden werden.

Der Beschwerde gegen Spruchpunkt VII. des angefochtenen Bescheides war daher mit der Maßgabe insofern stattgegeben, als die Dauer des Einreiseverbotes gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 FPG auf zwei Jahre herabgesetzt wird.

Zum Entfall der mündlichen Verhandlung

Gemäß § 24 Abs. 1 des VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Gemäß § 21 Abs. 7 erster Fall BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint. Unbeschadet des Abs. 7 kann das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 21 Abs. 6a BFA-VG über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde, der diese von Gesetz wegen nicht zukommt (§ 17) oder der diese vom Bundesamt aberkannt wurde (§ 18), und über Beschwerden gegen zurückweisende Entscheidungen im Zulassungsverfahren ohne Abhaltung einer mündlichen Verhandlung entscheiden.

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich ausführlich in seinem Erkenntnis vom 28.05.2014, Ra 2014/20/0017 und 0018, mit dem Verständnis dieser Bestimmung auseinandergesetzt und geht seitdem in seiner ständigen Rechtsprechung davon aus, dass für die Auslegung der in § 21 Abs. 7 BFA-VG enthaltenen Wendung "wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint" folgende Kriterien beachtlich sind:

Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen.

Im gegenständlichen Fall hat das Bundesverwaltungsgericht keinerlei neue Beweismittel beigeschafft und sich für seine Feststellungen über die Person des BF in ihren entscheidungsmaßgeblichen Aspekten auf jene des angefochtenen Bescheids gestützt. Die Beschwerde ist der Richtigkeit dieser Feststellungen und der zutreffenden Beweiswürdigung der Behörde nicht ansatzweise substanziiert entgegengetreten (VwGH vom 20.12.2016, Ra 2016/01/0102) und hat keine neuen Tatsachen vorgebracht. Wie dargelegt, wurde auch in der Beschwerde dem Vorliegen entschiedener Sache nicht entgegengetreten. Ebensowenig wurde den zur Begründung der Rückkehrentscheidung und des Einreiseverbotes getroffenen Erwägungen inhaltlich entgegengetreten. Die Beschwerde nannte keine privaten oder familiären Interessen an einem Verbleib im Bundesgebiet. Demnach könnte auch bei zusätzlicher Verschaffung eines persönlichen Eindrucks zu keinem anderen Ergebnis gelangt werden (vgl. VwGH 06.04.2020, Ra 2019/01/0430 mwN). Insofern wurden keine Sachverhaltselemente aufgezeigt, welche einer mündlichen Erörterung bedürften.

Das Bundesverwaltungsgericht konnte daher im vorliegenden Fall von einem geklärten Sachverhalt im Sinne des § 21 Abs. 7 BFA-VG ausgehen; es war nach den oben dargestellten Kriterien nicht verpflichtet, eine mündliche Verhandlung durchzuführen.

Zu Spruchteil B) Unzulässigkeit der Revision:

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab (vgl. dazu die zu Spruchpunkt A) zitierte Rechtsprechung), noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Die Entscheidungsfindung im gegenständlichen Fall war nicht von der Lösung einer Rechtsfrage von über den konkreten Einzelfall hinausgehender Bedeutung abhängig, sie erging in Anlehnung an die in der Begründung zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur „entschiedenen Sache“ nach § 68 AVG. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich auf eine klare Rechtslage stützen. Auch bei Gefahrenprognosen im Sinne des § 8 Abs. 1 AsylG und bei Interessenabwägungen nach Art. 8 EMRK handelt es sich letztlich um einzelfallbezogene Beurteilungen, die im Allgemeinen nicht revisibel sind (z.B. VwGH 18.03.2016, Ra 2015/01/0255; 12.10.2016, Ra 2016/18/0039).

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