JudikaturBvwgL506 2200513-2

L506 2200513-2 – Bundesverwaltungsgericht Entscheidung

Entscheidung
18. April 2024

Spruch

L506 2200513-2/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. GABRIEL als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Libanon, vertreten durch die BBU GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX , zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 Z. 1 VwGVG, § 68 Abs. 1 AVG und § 57 AsylG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gem. Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt

I.1. Vorverfahren:

1. Der Beschwerdeführer (nachfolgend: BF), ein libanesischer Staatsangehöriger, stellte nach seiner Einreise auf dem Luftweg am XXXX seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz im österreichischen Bundesgebiet.

2. Anlässlich seiner Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am XXXX sowie der folgenden niederschriftlichen Einvernahmen vor dem Bundesasylamt (BAA; nunmehr: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl – BFA) am XXXX und am XXXX brachte der BF befragt zu seinen Fluchtgründen zusammengefasst vor, vor der Hisbollah geflohen zu sein. Im Falle der Rückkehr befürchte der BF, von Mitgliedern der Hisbollah umgebracht zu werden.

3. Am XXXX fand eine weitere behördliche Einvernahme statt. Im Rahmen dieser führte der BF aus, seinen Herkunftsstaat aufgrund des Krieges sowie aufgrund des Fehlens von Arbeitsmöglichkeiten und der Rekrutierung durch die Hisbollah verlassen zu haben.

4. Mit Bescheid des BAA vom XXXX , GZ: XXXX , wies die Behörde den Antrag des BF auf internationalen Schutz gem. § 3 Abs. 1 AsylG ab und erkannte ihm den Status des Asylberechtigten nicht zu (Spruchpunkt I.), gem. § 8 Abs. 1 Z. 1 AslyG wurde ihm der Status des subsidiären Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Libanon nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.) und wurde er gemäß § 10 Abs. 1 Z. 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet in den Libanon ausgewiesen (Spruchpunkt III.).

5. Gegen oa. Bescheid erhob der BF mit Schriftsatz vom XXXX Beschwerde an den vormals zuständigen Asylgerichtshof.

6. Mit Schreiben vom XXXX informierte die BPD XXXX darüber, dass der BF wegen des Verdachtes der Begehung des Verbrechens des schweren Raubes festgenommen wurde.

7. Nach der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Beschwerdeverhandlung am XXXX wies der Asylgerichtshof die Beschwerde des BF mit Erkenntnis vom XXXX , GZ: XXXX , als unbegründet ab.

Beweiswürdigend wurde im Erkenntnis ausgeführt, dass aufgrund der widersprüchlichen Angaben hinsichtlich wesentlicher Umstände des Fluchtvorbringens die diesbezüglichen Ausführungen des BF als unglaubwürdig anzusehen sind.

8. Mit Bescheid der LPD XXXX vom XXXX wurde gegen den BF aufgrund seiner strafgerichtlichen Verurteilung vom XXXX zu einer fünfeinhalbjährigen Freiheitsstrafe wegen schweren Raubes unter Verwendung einer Waffe ein unbefristetes Rückkehrverbot erlassen.

9. Während seines Haftaufenthaltes in der JA XXXX stellte der BF am XXXX seinen zweiten Antrag auf internationalen Schutz.

10. Im Rahmen seiner Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am XXXX sowie der behördlichen Einvernahmen am XXXX sowie am XXXX führte er BF erneut aus, aufgrund von der Verfolgung seitens der Hisbollah nicht in den Libanon zurückkehren zu können.

11. Mit Bescheid des BFA vom XXXX wurde der Folgeantrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkt I). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde ihm nicht erteilt (Spruchpunkt II.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG erlassen (Spruchpunkt III.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung in den Libanon gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z. 1 FPG wurde gegen ihn ein auf die Dauer von acht Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1a FPG wurde festgestellt, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise besteht (Spruchpunkt VI.).

12. Die gegen den abweisenden Bescheid des BFA erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des BVwG vom XXXX , GZ: XXXX , mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass Spruchpunkt V. des oa. Bescheides „Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z. 5 FPG idgF wird gegen XXXX ein auf die Dauer von acht Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen“ zu lauten hat. Zudem wurde der Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde als unzulässig zurückgewiesen.

Beweiswürdigend wurde im Erkenntnis des BVwG ausgeführt, dass sich der BF im Wesentlichen nur auf jene Antragsgründe berufen habe, über die bereits rechtskräftig negativ entschieden worden ist. Hinsichtlich der Frage der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten sowie jener des Status des subsidiär Schutzberechtigten liege im gegenständlichen verfahren das Prozesshindernis der res iudicata vor.

Ferner habe sich weder im erstinstanzlichen Akt noch in der Beschwerde ein substantielles Vorbringen des BF im Hinblick auf eine allfällige Erteilung eines Aufenthaltstitels gem. § 57 AsylG gefunden.

Hinsichtlich des verhängten Einreiseverbotes wurde ausgeführt, dass aufgrund der strafgerichtlichen Verurteilung des BF der Tatbestand des § 53 Abs. 3 Z. 5 FPG heranzuziehen sei. Die Dauer des gegen den BF verhängten Einreiseverbotes wurde mit acht Jahren bestätigt.

I.2. Gegenständliches Verfahren:

1. Am XXXX stellte der BF, der über keinen Aufenthaltstitel verfügte, anlässlich einer polizeilichen Anhaltung den gegenständlichen dritten Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

2. Anlässlich der am selben Tag durchgeführten Erstbefragung gab der BF befragt zu seinen Gründen für die neuerliche Asylantragstellung an, er werde von der Hisbollah und anderen Gruppierungen verfolgt. Im Rückkehrfall habe er Angst vor dem Krieg, der Hisbollah und Israel.

3. Am XXXX erfolgte die behördliche Einvernahme des BF. Im Rahmen dieser gab der BF befragt zum Grund der aktuellen Asylantragsstellung an, er müsse unbedingt in Österreich arbeiten und wolle er nicht vom Staat oder der Caritas leben, wofür er einen Aufenthaltstitel benötige, sodass er einen neuen Asylantrag stelle. Auf die Frage, ob sich seit dem Letztverfahren etwas an seinen Ausreisegründen geändert habe, erklärte der BF, er habe alle seine Gründe bereits im ersten Verfahren angegeben. Im Rückkehrfall werde er von der Hisbollah umgebracht und habe er eine Schussverletzung am rechten Bein, sein Leben sei in Gefahr. Die dezidierte Frage, ob sich seit dem Letztverfahren etwas an den Fluchtgründen geändert habe, verneinte der BF dezidiert.

4. Mit dem nunmehr angefochten Bescheid des BFA vom XXXX wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 68 Abs. 1 AVG wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltsrecht besonderer Schutz gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.).

Beweiswürdigend führte das BFA aus, der BF habe in der Erstbefragung klargestellt, dass er keine neuen Fluchtgründe vorbringen könne. In der darauffolgenden Einvernahme habe er mehrmals bestätigt, dass er keine neuen Fluchtgründe habe. Den neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz habe er lediglich mit seiner Aufenthaltsdauer und seinem Willen, einer Arbeit nachzugehen, begründet. Da keine neuen Fluchtgründe existent seien, würde entschiedene Sache vorliegen. Hinsichtlich § 8 AsylG habe sich im Verfahren ebensowenig ein Hinweis auf einen seit Rechtskraft des Vorverfahrens hinsichtlich der persönlichen Situation oder im Hinblick auf die allgemeine Lage entscheidungsrelevant geänderten Sachverhalt ergeben.

Zudem würden die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG nicht vorliegen.

5. Gegen den oa. Bescheid des BFA erhob der BF durch seine Vertretung fristgerecht mit Schriftsatz vom XXXX Beschwerde wegen Mangelhaftigkeit des Ermittlungsverfahrens, mangelhafter Feststellungen und Beweiswürdigung sowie inhaltlicher Rechtswidrigkeit. Zum Inhalt der Beschwerde im Detail wird auf den Akteninhalt verwiesen (zur Zulässigkeit dieser Vorgangsweise: VwGH 16.12.1999, 99/20/0524).

Es wurde beantragt, das BVwG möge:

-) eine mündliche Beschwerdeverhandlung zur erneuten Einvernahme des BF anberaumen; -) den Antrag für zulässig zu erklären und an die erste Instanz zu verweisen, um ein inhaltliches Verfahren nach §3, 8 AsylG durchzuführen -) in eventu den angefochtenen Bescheid beheben und zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das BFA zurückverweisen.

Ferner wurde angeregt, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

6. Mit Beschluss des BVwG vom XXXX , GZ: XXXX , wurde der Beschwerde gem. § 17 Abs. 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

7. Für den XXXX lud das BVwG den BF und das BFA zu einer öffentlichen mündlichen Verhandlung.

8. Hinsichtlich des Verfahrensgangs und des Parteivorbringens im Detail wird auf den Akteninhalt verwiesen.

9. Beweis wurde erhoben durch die Einsichtnahme in die Akten der vorherigen Verfahren, in den gegenständlichen Verwaltungsakt unter zentraler Zugrundelegung der niederschriftlichen Angaben des BF, des Bescheidinhaltes sowie des Inhaltes der gegen den Bescheid des BFA erhobenen Beschwerde und der Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX .

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Verfahrensbestimmungen

1.1. Zuständigkeit der entscheidenden Einzelrichterin

1.1.1. Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF, entscheidet über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des BFA das Bundesverwaltungsgericht.

1.1.2. Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.

Aufgrund der geltenden Geschäftsverteilung wurde der gegenständliche Verfahrensakt der erkennenden Einzelrichterin zugewiesen, woraus sich deren Zuständigkeit ergibt.

2. Feststellungen (Sachverhalt):

2.1. Zur Person des Beschwerdeführers wird festgestellt:

Die Identität des BF steht fest. Der BF ist libanesischer Staatsangehöriger und gehört der Volksgruppe der Araber sowie der sunnitischen Glaubensgemeinschaft an.

Der BF stammt aus der Stadt XXXX im Zentrallibanon.

Nicht feststellbar ist, welche Familienangehörigen des BF sich nach wie vor im Libanon aufhalten.

Die Muttersprache des BF ist Arabisch.

Der BF reiste im XXXX auf dem Luftweg auf legale Weise aus dem Libanon aus und nach Österreich ein und stellte infolge dessen am XXXX seinen einen ersten Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid des Bundesasylamtes wurde der Antrag hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) abgewiesen und der BF wurde aus dem österreichischen Bundesgebiet in den Libanon ausgewiesen (Spruchpunkt III.). Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom XXXX GZ: XXXX , als unbegründet abgewiesen.

Am XXXX stellte der BF seinen ersten Folgeantrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid des BFA vom XXXX wies das BFA den Antrag des BF wegen entschiedener Sache zurück (Spruchpunkt I.), erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nach § 57 AsylG (Spruchpunkt II.), erließ eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt III.) und stellte fest, dass die Abschiebung in den Libanon zulässig sei (Spruchpunkt IV.). Ferner wurde ein Einreiseverbot für die Dauer von 8 Jahren erlassen (Spruchpunkt V.) und festgestellt, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise besteht (Spruchpunkt VI.).

Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des BVwG vom XXXX , GZ: XXXX , mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass Spruchpunkt V. des Bescheides zu lauten hat: „Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z. 5 idgF wird gegen XXXX ein auf die Dauer von acht Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen.“ (Spruchpunkt I). Ferner wurde der Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde als unzulässig zurückgewiesen (Spruchpunkt II.). Das betreffende Einreiseverbot wurde mit der rechtskräftigen Verurteilung des BF zu einer Freiheitsstrafe von 5 Jahren und 6 Monaten wegen schweren Raubes unter Verwendung einer Waffe begründet.

Aus Sicht des Gerichtes stellte das beharrliche Verbleiben des BF in Österreich nach rechtskräftiger Abweisung seines Schutzbegehrens und Erlassung einer Ausweisung gegen ihn seit XXXX in Verbindung damit, dass er seinen weiteren Verbleib im Bundesgebiet durch die Stellung eines letztlich unbegründeten Folgeantrags im Jahr XXXX zu bewerkstelligen versuchte, schon per se ein für die Verhängung eines Einreiseverbots gegen den BF

relevantes Kriterium dar.

Darüber hinaus war insbesondere die strafgerichtliche Verurteilung des BF ein maßgebliches Indiz für die von ihm ausgehende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit.

Dem vorliegenden strafgerichtlichen Urteil war zu entnehmen, dass er mit einem Messer bewaffnet einen schweren Raub begangen hat und damit einer Privatperson einen Vermögensschaden zufügte.

Beim gegenständlichen Verfahren handelt es sich um den dritten Antrag auf internationalen Schutz.

Ein Bruder des BF hält sich in Österreich auf. Der BF führt eine Lebensgemeinschaft mit einer ägyptischen Staatsangehörigen.

Der BF ist gesund und arbeitsfähig.

Der BF hat in der Vergangenheit seit seiner ersten Asylantragsstellung bis zum XXXX verschiedene Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung bezogen.

2.2. Zum Folgeantrag des BF:

An den Fluchtgründen des BF hat sich seit seiner ersten Asylantragstellung in Österreich nichts geändert. Der BF stützt seinen nunmehr dritten Antrag auf internationalen Schutz, den er nicht von sich aus, sondern anlässlich einer Polizeikontrolle stellte, auf dieselben Ausreisegründe, die er bereits zuvor in seinen beiden vorangegangenen Asylverfahren geltend gemacht hatte und über welche bereits rechtskräftig abgesprochen wurde.

Es kann nicht festgestellt werden, dass sich eine maßgebliche Änderung des Sachverhaltes seit der rechtskräftigen Entscheidung des Asylgerichtshofes vom XXXX , GZ: XXXX , ergeben hat. Im betreffenden Erkenntnis wurde im Hinblick auf die Nichtgewährung von subsidiärem Schutz auch vor dem Hintergrund der allgemein bekannten Ereignisse in Syrien zu den punktuellen Veränderungen der Lage im Libanon festgestellt, dass sich diese als Einzelereignisse und regional begrenzt darstellen. Aus diesen Feststellungen resultiere folgerichtig auch, dass das reale Risiko einer gravierenden Verletzung der Rechtssphäre des BF aufgrund der aktuellen Ereignisse in der Region als nicht wahrscheinlich anzusehen ist.

In Bezug auf die individuelle Lage des BF im Falle einer Rückkehr in den Libanon kann keine, sich in Bezug auf jenen Zeitpunkt, in dem letztmalig über den Antrag inhaltlich entschieden wurde, maßgeblich andere Situation festgestellt werden.

Im gegenständlichen Verfahren ergab sich weder eine maßgebliche Änderung in Bezug auf die den Beschwerdeführer betreffende asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Libanon noch in sonstigen in der Person des Beschwerdeführers gelegenen Umständen.

2.3. Zur Lage im Herkunftsstaat wird festgestellt:

1. Neueste Ereignisse – Integrierte Kurzinformationen

Keine aktuellen Kurzinformationen vorhanden.

2. COVID-19

Laut einem Bericht des libanesischen Gesundheitsministerium (MoPH) zur Beobachtung von COVID-19-Infektionen im Libanon betrug die COVID-19 bedingte Belegung der Intensivstationen in der Woche vom 13.2.2023 bis zum 20.2.2023 13 %. Die lokale PCR-Positivitätsrate lag bei 8,4 %. 71,2 % der Bevölkerung haben laut offiziellen Daten mindestens eine COVID-19 Impfdosis erhalten (MoPH 20.2.2023). Das Gesundheitsministerium hat eine Hotline für Aufklärung und Fragen zu COVID-19 eingerichtet (MoPH 2023). Der Libanon hat im Januar 2021 eine elektronische Plattform für Bürger und Einwohner eingerichtet, die sich gegen COVID-19 impfen lassen wollen (AN 29.1.2021; vgl. MoPH 28.1.2021). Ähnlich wie in vielen anderen Ländern wurde eine App zur Ermittlung von Kontaktpersonen, „Ma3an“, entwickelt, um Menschen zu benachrichtigen, die möglicherweise mit COVID-19 in Kontakt gekommen sind. Auf kommunaler Ebene haben die lokalen Gemeinden die Aufgabe der Nachverfolgung von Fällen und der Verhängung von Quarantänen übernommen (RAND 6.5.2022).

Im Libanon traf die Pandemie mit der Wirtschaftskrise zusammen. Die Krankenhäuser befanden sich bereits in einer schwierigen Situation, was sich auf alle gesundheitsbezogenen Aspekte, auch auf COVID-19 Patienten, auswirkte. Unmittelbar nach Ausbruch der Pandemie wurde deutlich, dass private Krankenhäuser keine Abteilung für COVID-19 Patienten öffnen wollten, und der libanesische Staat war nicht in der Lage, sie dazu zu verpflichten, zumal die für die Gesundheitsversorgung bereitgestellten öffentlichen Gelder aufgebraucht waren und in der Vergangenheit nicht vollständig an diese Krankenhäuser gezahlt wurden. Es dauerte Wochen, bis einige private Krankenhäuser beschlossen, einige Abteilungen für COVID-19-Patienten zu öffnen (HBS 2.12.2022). Die COVID-19-Krise verschärfte auch die bereits bestehenden Ungleichheiten in den Bereichen Beschäftigung und Bildung und verringerte die Chancen für viele der am stärksten gefährdeten Bevölkerungsgruppen (UNICEF 6.2022). Besonders schwerwiegende Auswirkungen hatte COVID-19 auf Flüchtlingsgemeinschaften, insbesondere auf Frauen und Mädchen, was durch die grundlegenden Hindernisse, mit denen sie konfrontiert sind, noch verstärkt wurde: Bewegungsfreiheit, Schutz, Zugang zu Gesundheitsdiensten und Beschäftigung. Auch über die Pandemie hinaus deuten Schätzungen von Hilfsstudien darauf hin, dass COVID-19 noch lange Zeit unverhältnismäßig starke Auswirkungen auf Flüchtlingsfrauen im Libanon haben wird, insbesondere auf diejenigen, die Gewalt ausgesetzt waren (HBS 2.12.2022).

Quellen:

- AN - Arab News (29.1.2021): Lebanon launches online platform for vaccine registration, https://www.arabnews.com/node/1800166/middle-east, Zugriff 21.2.2023

- HBS - Heinrich Böll Stiftung – Beirut Office (2.12.2022): https://lb.boell.org/sites/default/files/2022-12/fqml-en-e.pdf, Zugriff 30.1.2023

- MoPH - Ministry of Public Health [Libanon] (20.2.2023): Monitoring of COVID-19 Infection In Lebanon – 20/2/2023, https://www.moph.gov.lb/en/Pages/127/43750/monitoring-of-covid-19-, Zugriff 21.2.2023

- MoPH - Ministry of Public Health [Libanon] (2023): Novel Coronavirus 2019, https://www.moph.gov.lb/en/Pages/2/24870/novel-coronavirus-2019-, Zugriff 21.2.2023

- MoPH - Ministry of Public Health [Libanon] (28.1.2021): COVID-19 Vaccine Platform (Presentation), https://www.moph.gov.lb/userfiles/files/Prevention/nCoV-%202019/Covid19_Vaccine_Process(2020)-1-1.pdf, Zugriff 21.2.2023

- RAND (6.5.2022): Lebanon: Challenges and Successes in COVID-19 Pandemic Response, https://www.rand.org/blog/2022/05/lebanon-challenges-and-successes-in-covid-19-pandemic.html, Zugriff 21.2.2023

- UNICEF - United Nations International Children's Emergency Fund (6.2022): Synthesis of the crisis impact on the Lebanese labour market and potential business, employment and training opportunities, https://www.unicef.org/lebanon/media/8726/file/ILO%20UNICEF%20Synthesis%20report%20EN%20.pdf, Zugriff 21.2.2023

3. Politische Lage

Der Libanon ist eine parlamentarische Demokratie nach konfessionellem Proporzsystem. Das politische System basiert auf der Verfassung von 1926, dem ungeschriebenen Nationalpakt von 1943 und dem im Gefolge der Ta’if-Verhandlungen am 30. September 1989 verabschiedeten „Dokument der Nationalen Versöhnung“ (AA 5.12.2022). Der Nationalpakt verteilt die Regierungsgewalt auf einen maronitischen christlichen Präsidenten, einen schiitischen Sprecher der Abgeordnetenkammer (Parlament) und einen sunnitischen Premierminister (USDOS 12.4.2022; vgl. FH 28.2.2022, AA 5.12.2023). Bei der im Abkommen von Ta’if vorgesehenen allmählichen Entkonfessionalisierung des politischen Systems gibt es keine Fortschritte (AA 5.12.2022). Die libanesische Elite ist nicht bereit, ein System abzuschaffen, das ihre Macht garantiert, oder sich der Kontrolle durch ein neues, demokratischeres und rechenschaftspflichtiges Parlament zu stellen (CH 11.8.2021).

Die 128 Abgeordnetensitze im Parlament werden nach einem detaillierten Schlüssel für die 18 anerkannten Religionsgemeinschaften je zur Hälfte von Christen (zwölf anerkannte christliche Konfessionen) bzw. Muslimen (Sunniten, Schiiten, Drusen, Alawiten und Ismailiten) besetzt. Das libanesische System wird von der Zusammenarbeit der verschiedenen religiösen Gruppen getragen; daneben spielen Familien- und regionale Interessen eine große Rolle (AA 5.12.2023). Das komplizierte konfessionelle Proporzsystem, das Christen, Schiiten und Sunniten gleichermaßen Zugang zu Macht und Ämtern sichern soll, hat in den vergangenen Jahren zu einer vollständigen Blockade des politischen Prozesses geführt (WZ 15.1.2023). In der libanesischen Politik bestehen formelle und informelle Allianzen, allerdings häufig auch über die religiöse Kluft hinweg. Die „Allianz des 8. März“ ist eine Koalition, deren zwei führende Parteien schiitische Muslime (Hizbollah) und Christen (Freie Patriotische Bewegung) sind, die durch eine pro-syrische Agenda vereint sind. Ihnen gegenüber steht die „Allianz des 14. März“, eine anti-syrische Gruppe, die von sunnitischen Muslimen und christlichen Maroniten dominiert wird. Die ungewöhnliche und mangelhafte politische Struktur des Libanon ermöglicht es der Hizbollah, über die Allianz des 8. März enorme Macht und parlamentarische Kontrolle auszuüben, ohne selbst über eine hohe Anzahl von Sitzen im Parlament zu verfügen (CH 11.8.2021). Außerdem hat die Hizbollah im Laufe der Jahre eine mehrdimensionale Strategie verfolgt, die neben ihrem Militärapparat auch mehrere politische Mittel umfasst. Neben der Bildung eines politischen Gürtels aus nicht-schiitischen Verbündeten (Christen, Alawiten, Drusen und Sunniten) gehörte auch die massive Unterwanderung der öffentlichen Verwaltung und anderer Einrichtungen wie der allgemeinen Gewerkschaft und der Verkehrsgewerkschaft dazu (USIP 8.6.2022). Zumindest in ihren Hochburgen (Teile der Bekaa-Ebene, südliche Beiruter Vororte, Teilgebiete des Südens) stellt die Hizbollah auch weiterhin eine Art Staat im Staat dar und übernimmt dort die sozialen und politischen Aufgaben (AA 5.12.2022). In der Europäischen Union wird bislang lediglich der „militärische Arm“ der Hizbollah als Terrororganisation gelistet. Diese künstliche Unterscheidung zwischen einem militärischen und dem politischen Arm, die von der Hizbollah selbst negiert wird, ist international umstritten (ELNET 5.5.2021; vgl. ST 12.5.2021). Neben Deutschland, den USA, Kanada und den Niederlanden hat auch Großbritannien die Hizbollah als Ganzes verboten. In Österreich gilt für die Hizbollah – also auch für den politischen Arm – ein Symbole-Verwendungsverbot (ST 12.5.2021).

Die jüngsten Parlamentswahlen im Libanon fanden am 15.5.2022 statt (AA 5.12.2023). Die Wahlen waren die ersten seit einem landesweiten Aufstand im Jahr 2019 gegen eine politische Elite, die weithin als korrupt und ineffektiv gilt. Die Hizbollah und ihre verbündete Allianz gewannen 62 der 128 Sitze, und haben damit ihre Mehrheit im libanesischen Parlament verloren. Die Hizbollah behielt zwar ihre eigenen Sitze, aber die christliche Freie Patriotische Bewegung von Präsident Michel Aoun verlor an Unterstützung. Die „Lebanese Forces“, eine rivalisierende christliche Partei mit engen Beziehungen zu Saudi-Arabien, gewann 19 Sitze und damit 15 Sitze mehr als bei den letzten Wahlen im Jahr 2018 (BBC 17.5.2022). Kandidaten, die als Opposition zum Establishment gelten, haben 13 Sitze im Parlament gewonnen (OT 17.5.2022). Das zersplitterte Parlament war allerdings nicht in der Lage, einen neuen Präsidenten zu wählen, sodass nach dem Ende der Amtszeit von Michel Aoun im Oktober 2022 ein Vakuum entsteht. Michel Moawad, ein Anti-Hizbollah-Kandidat, hat in mehreren Wahlgängen die meisten Stimmen erhalten, aber keine Mehrheit. Die Abstimmung wird so lange fortgesetzt, bis jemand die Pattsituation durchbrechen kann. Da es keinen Präsidenten gibt, ist die Regierung von Premierminister Najib Mikati nur geschäftsführend tätig, was die anhaltende Wirtschaftskrise im Libanon noch verschärft, da die Währung einen neuen Rekordtiefstand erreicht hat (21Vote 21.2.2023).

Die Hizbollah und ihr wichtigster Verbündeter, die Amal-Bewegung von Nabih Berri, setzen sich für eine ausschließliche Vertretung der schiitischen Gemeinschaft ein, indem sie alle ihrer Gemeinschaft zugewiesenen Parlamentssitze und den gesamten Quotenanteil der Schiiten in jeder Regierung kontrollieren. Im System der Machtteilung im Libanon bedeutet dies, dass sie gegen jede Entscheidung ein Veto einlegen oder jede Sitzung des Parlaments oder der Regierung für ungültig erklären können, indem sie alle schiitischen Mitglieder auffordern, nicht teilzunehmen oder dagegen zu stimmen. Letztlich kann die Partei außerdem immer noch auf Einschüchterung und direkte Aktionen zurückgreifen und ihre bewaffneten Mitglieder mobilisieren, wenn die politischen Mittel nicht ausreichen (USIP 8.6.2022). Die wachsende wirtschaftliche Not und die Frustration über das politische System lösen im ganzen Land häufig weit verbreitete Proteste und zivile Unruhen aus, bei denen konkrete finanzielle und wirtschaftliche Maßnahmen zur Eindämmung der Krise gefordert werden (REACH 6.4.2022). Mehr als 200 Menschen protestierten Ende Januar 2023 vor dem libanesischen Justizpalast gegen die Versuche, die Ermittlungen im Zusammenhang mit der tödlichen Explosion im Beiruter Hafen im Jahr 2020 zu stoppen. Richter Tarek Bitar kündigte an, dass er die Ermittlungen zu der Explosion, bei der mehr als 220 Menschen ums Leben kamen, wieder aufnehmen werde, nachdem sie aufgrund von juristischen Auseinandersetzungen und politischem Druck auf höchster Ebene 13 Monate lang ausgesetzt worden waren (Reuters 26.1.2023). Im Oktober 2021 wurden bei einer Demonstration, zu der die Schiitische Amal und Hizbollah aufgerufen hatten, um die Absetzung des Richters Bitar zu fordern, sieben Menschen getötet und Dutzende verwundet (ToI 16.10.2021).

Quellen:

- 21Vote (21.2.2023): Ongoing Middle East Elections - Lebanon Indirect Presidential Election (by parliament): Continuing, https://21votes.com/middle-east-110/, Zugriff 1.3.2023

- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon (Stand 7.10.2022),

https://www.ecoi.net/en/file/local/2083550/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_%28Stand_07.10.2022%29%2C_05.12.2022.pdf, Zugriff 1.2.2023

- BBC - British Broadcasting Corporation (17.5.2022): Lebanon election: Hezbollah and allies lose parliamentary majority, https://www.bbc.com/news/world-middle-east-61463884, Zugriff 1.3.2023

- CH - Chatham House (11.8.2021): Lebanon’s politics and politicians, https://www.chathamhouse.org/2021/08/lebanons-politics, Zugriff 28.2.2023

- ELNET (5.5.2021): Gemeinsam gegen Hisbollah – eine Bestandsaufnahme für Deutschland, Österreich und die Schweiz, https://elnet-deutschland.de/themen/politik/gemeinsam-gegen-hisbollah-eine-bestandsaufnahme-fuer-deutschland-oesterreich-und-die-schweiz/, Zugriff 1.3.2023

- FH - Freedom House (3.6.2022): Freedom on the Net 2022 – Lebanon, https://freedomhouse.org/country/lebanon/freedom-net/2022, Zugriff 8.2.2023

- OT - L’Orient Today (17.5.2022): Lebanon elects a new Parliament: A breakdown of divisions, winners and losers, https://today.lorientlejour.com/article/1299886/lebanon-elects-a-new-parliament.html, Zugriff 1.3.2023

- REACH - REACH Initiative (6.4.2022): Lebanon: 2021 Multi-Sector Needs Assessment - April 2022, https://reliefweb.int/report/lebanon/lebanon-2021-multi-sector-needs-assessment-april-2022, Zugriff 23.1.2023

- Reuters (26.1.2023): Lebanese protest as fate of blast probe hangs in balance, https://www.reuters.com/world/middle-east/lebanese-protest-anger-over-efforts-hamstring-blast-probe-2023-01-26/, Zugriff 1.3.2023

- ST - Der Standard (12.5.2021): Österreich verbietet sämtliche Hisbollah-Symbole, https://www.derstandard.at/story/2000126602629/oesterreich-verbietet-saemtliche-hisbollah-symbole, Zugriff 1.3.2023

- ToI - The Times of Israel (16.10.2021): A who’s who of the groups involved in Beirut violence that left 7 dead, https://www.timesofisrael.com/the-groups-involved-in-deadly-beirut-violence-that-left-7-dead/, Zugriff 1.3.2023

- USIP - United States Institute of Peace (8.6.2022): Lebanon’s Election Offers Lessons for Now and the Future, https://www.usip.org/publications/2022/06/lebanons-election-offers-lessons-now-and-future, Zugriff 1.3.2023

- WZ - Wiener Zeitung (15.1.2023): Krisenstaat ohne Exit-Strategie, https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/politik/welt/2134289-Krisenstaat-ohne-Exit-Strategie.html, Zugriff 23.1.2023

4. Sicherheitslage

[Anm.: Für Informationen bzgl. der Sicherheitslage in den palästinensischen Flüchtlingslagern siehe Kapitel 20.2 „Palästinensische Flüchtlinge“]

Die allgemeine Sicherheitslage ist durch die Proteste und den wirtschaftlichen Abschwung unübersichtlicher geworden (AA 12.5.2022). Es kommt zu Demonstrationen, Straßenblockaden, Streiks und gewaltsamen Zusammenstößen zwischen verschiedenen Gruppierungen sowie zwischen Demonstrierenden und Sicherheitskräften. Dabei werden vereinzelt auch Schusswaffen eingesetzt (EDA 14.2.2023). Diebstähle, Schießereien und Zusammenstöße nehmen zu, da immer mehr Menschen verzweifelt versuchen, über die Runden zu kommen, was manchmal zu tödlichen Auseinandersetzungen führt. Die von den Banken eingeführten informellen Kapitalverkehrskontrollen für Einlagen haben dazu geführt, dass einige Menschen in verschiedenen Bankfilialen im ganzen Land Geiseln genommen haben, um an ihr Geld zu kommen. Die sich verschlechternde Sicherheitslage stellt eine besondere Herausforderung für die libanesischen Sicherheitskräfte dar, die ohnehin schon mit der Wirtschaftskrise zu kämpfen haben, durch die ihre Ressourcen schrumpfen und die Gehälter ihrer Mitarbeiter gekürzt werden (NL 27.9.2022).

Die libanesische schiitische Miliz Hizbollah kontrolliert den Zugang zu Teilen des Libanon und operiert innerhalb des Landes relativ ungestraft (CRS 11.1.2023). Ihr „militärischer Arm“ ist von der EU seit 2013 als terroristische Vereinigung gelistet. Die Hizbollah übernimmt zumindest in ihren Hochburgen (Teile der Bekaa-Ebene, südliche Beiruter Vororte, Teilgebiete des Südens) faktisch auch die Funktion einer Sicherheitsbehörde (AA 5.12.2023). Im Libanon präsent sind neben der Hizbollah auch andere Terrorgruppen wie die Abdallah Azzam Brigades, al-Aqsa Martyrs Brigade, Asbat al-Ansar, Hamas, an-Nusrah Front (Hay'at Tahrir ash-Sham), Palestine Liberation Front, Islamic Revolutionary Guard Corps/Qods Force, Islamic State of Iraq and ash-Sham (ISIS); PFLP-General Command; Popular Front for the Liberation of Palestine (CIA 14.2.2023).

Südlibanon

Viele Gebiete (Zonen) im gesamten Südlibanon gelten als Militärgelände der Hizbollah. Der Zugang zu diesen Gebieten ist untersagt. Die örtliche Zivilbevölkerung, die United Nations Interim Force in Lebanon (UNIFIL)-Truppen und sogar die libanesische Armee haben keinen Zugang zu diesen Gebieten. Einige der Gebiete befinden sich in unmittelbarer Nähe von Dörfern (Alma 16.6.2022). Entlang der Blauen Linie im Südlibanon kommt es immer wieder zu Spannungen zwischen dem Libanon und Israel. Bei den grenzüberschreitenden Streitigkeiten zwischen beiden Seiten werfen die Libanesen Israel wiederholt vor, den libanesischen Luftraum und die Hoheitsgewässer zu verletzen. Im Oktober 2022 legten Libanon und Israel unter Vermittlung der USA nach zwei Jahren indirekter Verhandlungen ihre Seegrenze fest. Die beiden Länder befinden sich technisch gesehen immer noch im Kriegszustand und unterhalten keine diplomatischen Beziehungen, was jede Art von Kontakt zwischen libanesischen und israelischen Bürgern verbietet (AlM 23.1.2023).

Am 29.8.2022 nahmen Beamte des libanesischen Generaldirektorats für Sicherheit in Bint Jbeil mehrere Männer fest, die verdächtigt wurden, ISIS-Terroristen zu sein. Ihnen wurde vorgeworfen, in den Reihen von ISIS in Syrien zu kämpfen, illegal in den Libanon einzudringen und mit Drogen und Falschgeld zu handeln (ITIC 6.9.2022).

Nordlibanon

Es bestehen große Spannungen in der Region, die sich durch den Konflikt in Syrien und die Anwesenheit zahlreicher Flüchtlinge verschärft haben. Es sind bewaffnete Gruppierungen aktiv, und Grenzüberschreitungen durch Kämpfer sind häufig. Es kommt immer wieder zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen der Armee und militanten Gruppierungen oder zwischen verschiedenen politisch-religiösen Gruppierungen, vor allem in und um Ersal, Ra’s Baalbek und Qaa. Die Gefahr von weiteren Anschlägen und einer Eskalation ist groß (EDA 14.2.2023). Die Schwächung der Streitkräfte hat ihre Fähigkeit eingeschränkt, schnell auf Notsituationen zu reagieren, einschließlich Zusammenstößen zwischen bewaffneten Gruppen im Nordlibanon. Einige Gemeinden und politische Parteien in Gebieten wie Keserwane und Matn (Gouvernement Berg-Libanon), die nördlich der Hauptstadt Beirut (Gouvernement Beirut) liegen, führen lokale Maßnahmen durch, um die steigende Kriminalität zu bekämpfen, wobei die Einwohner als Wächter fungieren und abwechselnde Schichten übernehmen. Ähnliche Maßnahmen gibt es bereits in den von der schiitischen Bewegung Hizbollah kontrollierten Gebieten in den Vororten der Hauptstadt (CR 18.10.2022).

Grenzgebiet zu Syrien

Der Konflikt in Syrien wirkt sich auf die Sicherheitslage entlang der Grenze aus. In der Nähe der syrischen Grenze ereigneten sich in der Vergangenheit wiederholt Kämpfe zwischen extremistischen Gruppierungen und den libanesischen Streitkräften (EDA 14.2.2023).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (24.1.2023): Libanon: Reise- und Sicherheitshinweise (Teilreisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/libanon-node/libanonsicherheit/204048, Zugriff 16.2.2023

- AlM - Al-Monitor (23.1.2023): Lebanon's army 'on alert' following border tension with Israel, https://www.al-monitor.com/originals/2023/01/lebanons-army-alert-following-border-tension-israel, Zugriff 16.2.2023

- Alma (16.6.2022): The Mapping of Hezbollah’s Military Areas in South Lebanon, https://israel-alma.org/2022/06/16/the-mapping-of-hezbollahs-military-areas-in-south-lebanon/, Zugriff 16.2.2023

- CIA - Central Intelligence Agency [USA] (14.2.2023): The World Factbook, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/lebanon/#people-and-society, Zugriff 16.2.2023

- CR - Control Risks (18.10.2022): Economic crisis to continue to negatively affect Lebanon's security environment, https://www.controlrisks.com/our-thinking/insights/big-picture-series-economic-crisis-to-continue-to-negatively-affect-security-environment, Zugriff 16.2.2023

- CRS - Congressional Research Service (11.1.2023): Lebanese Hezbollah, https://crsreports.congress.gov/product/pdf/IF/IF10703, Zugriff 16.2.2023

- EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten [Schweiz] (14.2.2023): Reisehinweise für Libanon, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/laender-reise-information/libanon/reisehinweise-libanon.html#edafd977b, Zugriff 16.2.2023

- ITIC - Meir Amit Intelligence and Terrorism Information Center (6.9.2022): Spotlight on Terrorism: Hezbollah, Lebanon and Spotlight on Terrorism: Hezbollah, Lebanon and Syria (August 21 – September 5, 2022), https://www.terrorism-info.org.il/en/spotlight-on-terrorism-hezbollah-lebanon-and-spotlight-on-terrorism-hezbollah-lebanon-and-syria-august-21-september-5-2022/, Zugriff 16.2.2023

- NL - Now Lebanon (27.9.2022): Security situation in Lebanon worsens as economic crisis continues, https://nowlebanon.com/security-situation-in-lebanon-worsens-as-economic-crisis-continues/, Zugriff 16.2.2023

5. Rechtsschutz / Justizwesen

Die Verfassungsinstitutionen, insbesondere Parlament, Regierung und Justizwesen, funktionieren im Prinzip nach rechtsstaatlichen Grundsätzen, sind aber in ihrer tatsächlichen Arbeit nicht- verfassungsgemäßen politischen Einflussnahmen ausgesetzt. Neben den in mehrere Instanzen gegliederten und strukturell dem französischen Justizwesen angeglichenen Zivilgerichten existieren in Libanon konfessionelle Gerichtsbarkeiten, in deren Zuständigkeit die familienrechtlichen, bei den islamischen Religionsgemeinschaften auch die erbrechtlichen Verfahren, fallen (AA 5.12.2022). Nach der libanesischen Verfassung werden die Personenstandsgesetze von jeder einzelnen Glaubensgemeinschaft erlassen, wobei das Gewohnheitsrecht mit religiösen Grundsätzen kombiniert wird (AN 26.8.2022). Frauen werden nach wie vor durch 15 verschiedene glaubensbasierte Personenstandsgesetze diskriminiert. Zu den Diskriminierungen gehört die Ungleichbehandlung beim Zugang zu Scheidung, Sorgerecht, Erbschaft und Eigentumsrechten (HRW 12.1.2023). Im Libanon gibt es außerdem keine zivile Ehe (HRW 7.2.2023). Jede der großen Glaubensgemeinschaften hat ein anderes gesetzliches Heiratsalter (AN 26.8.2022). Eine Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis, die nach Merkmalen wie ethnischer Zugehörigkeit, Religion oder Nationalität diskriminiert, ist in Libanon nicht zu erkennen. Allgemeine kriminelle Delikte werden im Rahmen feststehender straf- bzw. strafprozessrechtlicher Vorschriften nach insgesamt weitgehend rechtsstaatlichen Prinzipien verfolgt und geahndet (AA 5.12.2022).

Die Rechtsprechung ist gemäß Verfassung unabhängig. Es kommt jedoch zu politischer Einflussnahme. Die Einhaltung der in der Verfassung garantierten richterlichen Unabhängigkeit ist in der praktischen Durchführung durch verbreitete Korruption, chronischen Richtermangel und politische Einflussnahme eingeschränkt. Auch die Gewaltenteilung wird in der Praxis nur eingeschränkt respektiert; insbesondere in politisch brisanten Ermittlungsverfahren kommt es zur Einflussnahme auf die Justiz (AA 5.12.2022). Diverse Angriffe auf die Unabhängigkeit der Justiz haben die laufenden Ermittlungen in einigen hochkarätigen Strafsachen der letzten Zeit beeinträchtigt, wie z.B. die Untersuchung der Explosion im Hafen von Beirut und die Untersuchung der Rolle des Gouverneurs der libanesischen Zentralbank beim finanziellen Zusammenbruch des Landes. Diese Einmischung hat einmal mehr gezeigt, wie anfällig die libanesische Justiz für willkürliche, unzulässige oder ungerechtfertigte politische Einmischungen ist, was ihre anhaltenden Mängel und die insgesamt fehlende Unabhängigkeit des libanesischen Justizsystems widerspiegelt (ICJ 12.2022).

Das Rechtssystem unterscheidet im Strafrechtsbereich zwischen ordentlichen und Militärgerichten. Delikte gegen die Staatssicherheit, gegen das Militär oder deren Angehörige unterliegen dem Militärstrafrecht (AA 5.12.2022). Das Militärgericht ist außerdem zuständig für Fälle, in denen Zivilpersonen des Waffenbesitzes und der Wehrdienstverweigerung beschuldigt werden (USDOS 12.4.2022). Dabei werden die Zuständigkeiten der Militärgerichtsbarkeit oft extensiv ausgelegt, vor allem beim Vorwurf des Terrorismus. Militärgerichte verurteilen auch zivile Angeklagte wegen terroristischer Delikte mit islamistischem Hintergrund in Schnellverfahren ohne ausreichenden Rechtsbeistand. Seit Jahren (allerdings ohne greifbare Fortschritte) wird erwogen, alle Militärverfahren, wenngleich unter Beibehaltung der prozeduralen Besonderheiten, ordentlichen Gerichten zu übertragen. Gegen Urteile des sogenannten Justizrates („Conseil de Justice“) kann kein Rechtsmittel eingelegt werden. Dieses mit fünf Richtern des Kassationsgerichtshofs besetzte Gericht urteilt auf Beschluss des Ministerrates in Strafverfahren, die die nationale Sicherheit betreffen (AA 5.12.2022). Andersrum können zwar auch zivile Gerichte gegen Militärangehörige vorgehen, doch werden diese Fälle häufig vom Militärgericht verhandelt, auch wenn es sich um Anklagen handelt, die nichts mit dem offiziellen Militärdienst zu tun haben. Menschenrechtsaktivisten äußern die Befürchtung, dass solche Verfahren zu Straffreiheit führen könnten (USDOS 12.4.2022).

Verwaltung und Justiz in den palästinensischen Flüchtlingslagern sind sehr unterschiedlich, wobei die meisten Lager unter der Kontrolle gemeinsamer palästinensischer Sicherheitskräfte stehen, die mehrere Fraktionen repräsentieren. Die palästinensischen Gruppen in den Flüchtlingslagern verfügen über ein autonomes Justizsystem, das für Außenstehende meist nicht transparent ist und sich der Kontrolle des Staates entzieht. So versuchen beispielsweise lokale Volkskomitees in den Lagern, Streitigkeiten durch informelle Vermittlungsmethoden zu lösen, übergeben aber gelegentlich Personen, die schwerwiegenderer Vergehen (z. B. Mord und Terrorismus) beschuldigt werden, den staatlichen Behörden zur Verhandlung (USDOS 12.4.2022).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon (Stand 7.10.2022),

https://www.ecoi.net/en/file/local/2083550/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_%28Stand_07.10.2022%29%2C_05.12.2022.pdf, Zugriff 3.2.2023

- AN - Arab News (26.8.2022): Early marriage blights lives of young girls in Lebanon’s marginalized communities, https://www.arabnews.com/node/2030696/middle-east, Zugriff 7.2.2023

- HRW - Human Rights Watch (7.2.2023): Lebanon Rejects Civil Marriages, Puts Children at Risk, https://www.hrw.org/news/2023/02/07/lebanon-rejects-civil-marriages-puts-children-risk, Zugriff 7.2.2023

- HRW - Human Rights Watch (12.1.2023): World Report 2023 – Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2085471.html, Zugriff 3.2.2023

- ICJ - International Commission of Jurists (12.2022): Lebanon: Upholding Judicial Independence Discussion and Recommendations on the Draft Law on the Independence of the Judiciary - An Advocacy Paper, https://icj2.wpenginepowered.com/wp-content/uploads/2022/12/LEBANON-Judicial-Independens-ENG-full.pdf, Zugriff 7.2.2023

- USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071165.html, Zugriff 3.2.2023

6. Sicherheitsbehörden

Im Libanon gibt es drei große Sicherheitsbehörden: die Internal Security Forces (ISF), die General Security (GS) und die Generaldirektion für Staatssicherheit (GDSS). Diese Behörden haben unterschiedliche, sich jedoch manchmal überschneidende Aufgaben. Die ISF stellen die größte Sicherheitskraft (ISPI 2.8.2022). Sie sind die allgemein zuständige Polizei des Staates und gleichzeitig Hilfsorgan der Justiz (z.B. zum Führen des Kriminalregisters), sie werden durch einen sunnitischen General geleitet (AA 5.12.2022) und unterstehen dem (ebenfalls sunnitischen) Innenminister (USDOS 12.4.2022; vgl. AA 5.12.2022). Sie sind für die Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit und Stabilität zuständig, einschließlich des Schutzes von Eigentum und Personen sowie der Durchsetzung von Gesetzen und Vorschriften (ISPI 2.8.2022). Die demgegenüber schiitisch geprägte GS hat neben Fragen der Ein- und Ausreisekontrollen auch eine nachrichtendienstliche Funktion inne (AA 5.12.2022; vgl. ISPI 2.8.2022). Die GS untersteht ebenfalls dem Innenministerium (USDOS 12.4.2022). Die GDSS ist die kleinste Sicherheitsbehörde (ISPI 2.8.2022). Sie ist über den Obersten Verteidigungsrat dem Premierminister unterstellt und ist für die Untersuchung von Spionage und anderen Angelegenheiten der nationalen Sicherheit zuständig. Die parlamentarische Polizeitruppe (PPF) ist dem Parlamentspräsidenten unterstellt und hat die Aufgabe, die Räumlichkeiten des Parlaments und die Residenz des Parlamentspräsidenten zu schützen. Sowohl die ISF als auch die libanesischen Streitkräfte (LAF) stellen Einheiten für die PPF bereit (USDOS 12.4.2022). Die LAF, die dem Verteidigungsministerium unterstehen, sind für die äußere Sicherheit zuständig, dürfen aber aus Gründen der nationalen Sicherheit Verdächtige festnehmen und inhaftieren (USDOS 12.4.2022). Anders als die anderen Sicherheitsinstitutionen gilt die Armee als parteipolitisch und konfessionell weitgehend neutral (trotz eines stets christlichen Oberbefehlshabers und zahlreicher christlicher Generäle) und genießt grundsätzlich hohes Ansehen in allen Bevölkerungsteilen (AA 5.12.2022).

Ein Polizeigesetz im engeren Sinne gibt es nicht. Dass die Institutionen einer bestimmten Konfession und ihrem politischen Lager zuzuordnen sind, beeinflusst teilweise spürbar die Zusammenarbeit untereinander (AA 5.12.2022). Berichten zufolge zwingt die anhaltende wirtschaftliche, politische und soziale Krise im Libanon die Bewohner dazu, ihre Sicherheit selbst in die Hand zu nehmen, und es bilden sich Nachbarschaftswachen, die dort einspringen, wo die staatliche Sicherheit versagt hat (AlM 17.12.2022; vgl. Haaretz 29.11.2022). Die Auswirkungen der wirtschaftlichen Probleme des Landes auf die Sicherheitskräfte sind besonders besorgniserregend, da die grassierende Inflation die operativen Budgets der libanesischen Sicherheitsbehörden und die Gehälter ihrer Mitarbeiter entwertet hat. Die Moral hat sich verschlechtert, viele Mitarbeiter gehen einer Schwarzarbeit nach und eine wachsende Zahl desertiert. Die Fähigkeit des Staates, die Straßen zu kontrollieren, wird immer schwächer, vor allem in den Randgebieten, während die Kriminalitätsrate drastisch ansteigt. Immer mehr Bürger kaufen Schusswaffen auf dem Schwarzmarkt, um ihre Familien und ihr Eigentum zu schützen. Es bildet sich ein Mosaik lokaler Sicherheitsvorkehrungen, bei dem sich Gemeindepolizisten und Aktivisten politischer Parteien mit kommerziellen Anbietern und Freiwilligen aus der Bevölkerung zusammentun, um die Sicherheit in den Vierteln und Dörfern zu gewährleisten (ICG 27.1.2022). Dennoch erhalten die zivilen Behörden die Kontrolle über die Streitkräfte der Regierung und andere Sicherheitskräfte, obwohl palästinensische Sicherheits- und Milizkräfte, die Hizbollah und andere extremistische Elemente außerhalb der Leitung oder Kontrolle der Regierungsbeamten operieren. Die Sicherheitskräfte der Regierung sowie bewaffnete nichtstaatliche Akteure wie die Hizbollah setzen die Praxis der außergerichtlichen Verhaftung und Inhaftierung fort, einschließlich der Inhaftierung in Isolationshaft. NGOs berichten, dass Straflosigkeit ein erhebliches Problem bei den Sicherheitskräften, einschließlich der ISF, der LAF und der PPF, darstellt. Straflosigkeit ist auch ein Problem in Bezug auf die Handlungen bewaffneter nichtstaatlicher Akteure wie der Hizbollah. Auf Fotos und Videos wurden Personen, die der PPF angehören sollen, dabei gefilmt, wie sie während der Proteste im August 2020 mit scharfer Munition auf Demonstranten schossen (USDOS 12.4.2022).

Die staatlichen Institutionen haben in Teilen des Landes keinen uneingeschränkten Zugriff, bspw. in den palästinensischen Flüchtlingslagern (AA 5.12.2022). Die Flüchtlingslager waren für die libanesischen Behörden bekanntermaßen tabu (T961 19.1.2023). Auch in anderen Landesteilen schränkt die Existenz nicht-staatlicher Akteure die Zugriffsmöglichkeiten der Staatsorgane ein. Dies gilt insbesondere für die südlichen Vororte Beiruts und die schiitischen Siedlungsgebiete in der Bekaa-Ebene und im Süden des Landes, in denen die Hizbollah präsent ist und Druck auf staatliche Institutionen ausübt. So sind z.B. in diesen Gebieten polizeiliche Ermittlungen oder auch die Präsenz der libanesischen Armee nur eingeschränkt möglich (AA 5.12.2022).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon (Stand 7.10.2022),

https://www.ecoi.net/en/file/local/2083550/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_%28Stand_07.10.2022%29%2C_05.12.2022.pdf, Zugriff 7.2.2023

- AlM - Al Monitor (17.12.2022): As Lebanon unravels, Beirut neighborhood takes security into its own hands, https://www.al-monitor.com/originals/2022/12/lebanon-unravels-beirut-neighborhood-takes-security-its-own-hands, Zugriff 7.2.2023

- Haaretz (29.11.2022): Beirut ‘Neighborhood Watch’ Echoes Lebanon’s Troubled Past, https://www.haaretz.com/middle-east-news/2022-11-27/ty-article/beirut-neighborhood-watch-echoes-lebanons-troubled-past/00000184-b86c-db6f-a9ac-feed96bf0000, Zugriff 7.2.2023

- ICG - International Crisis Group (27.1.2022): Lebanon: Fending Off Threats from Within and Without, https://www.crisisgroup.org/middle-east-north-africa/east-mediterranean-mena/lebanon/lebanon-fending-threats-within-and-without, Zugriff 7.2.2023

- ISPI - Italian Institute for International Political Policy (2.8.2022): Lebanon: New Challenges to the Delivery of Security Assistance, http://www.ispionline.it/en/publication/lebanon-new-challenges-delivery-security-assistance-35928, Zugriff 7.2.2023

- T961 - The 961 (19.1.2023): Murderer Who Escaped From Sweden Was Just Caught In Palestinian Refugee Camp In Lebanon, https://www.the961.com/murderer-escaped-sweden-caught-palestinian-refugee-camp-lebanon/, Zugriff 9.2.2023

- USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071165.html, Zugriff 7.2.2023

7. Folter und unmenschliche Behandlung

Das Gesetz verbietet die Anwendung von Gewalt, um ein Geständnis oder Informationen über eine Straftat zu erlangen, aber die Justiz hat Foltervorwürfe nur selten untersucht oder verfolgt (USDOS 12.4.2022). Die Anwendung von Folter durch Angehörige der Strafverfolgungsbehörden, des Militärs und der staatlichen Sicherheitskräfte hält trotz der Verabschiedung von Antifoltergesetzen und der Schaffung von institutionellen Mechanismen zur Unterbindung dieser Praxis an (FH 24.2.2022). Obwohl zivilgesellschaftliche Organisationen seit langem dokumentieren, dass es immer wieder zu Folterungen und einer verfestigten Praxis von Gewalt, Demütigung und Misshandlung in der Haft kommt, haben die Behörden keine nennenswerten Schritte unternommen, um gegen diese Verstöße vorzugehen (Alkamara 15.1.2023). Die Regierung bestreitet die systematische Anwendung von Folter (USDOS 12.4.2022; vgl. AA 5.12.2022), obwohl die Behörden einräumten, dass es während der Untersuchungshaft auf Polizeistationen oder in Militäreinrichtungen, wo Beamte Verdächtige ohne die Anwesenheit eines Anwalts verhörten, manchmal zu gewaltsamen Misshandlungen kam (USDOS 12.4.2022). Ermittlungs- oder Strafverfahren wegen Foltervorwürfen sind bisher nur in Einzelfällen bekannt geworden. Das Auswärtige Amt der Bundesrepublik Deutschland berichtet, dass es sich laut libanesischer Regierung um „Exzesse Einzelner“ handelt, gegen die man noch stärker auf strafrechtlicher Grundlage vorgehen werde (AA 5.12.2022). Beschwerden über Folter, die von Demonstranten im Jahr 2020 eingereicht wurden, wurden von den Gerichten nicht weiterverfolgt (HRW 12.1.2023). Zwischen dem 25. und 31.1.2021 wurden 35 Personen im Zusammenhang mit Protesten in Isolationshaft genommen. Nach seiner Freilassung wies ein Festgenommener Anzeichen schwerer Schläge am ganzen Körper auf, mit erheblichen Verletzungen an Kopf, Schultern und Hals, und berichtete, dass er gefoltert oder anderweitig misshandelt worden sei (AI 29.3.2022).

Obwohl das Parlament 2017 ein Anti-Folter-Gesetz verabschiedet hat, wird die Folter durch Sicherheitskräfte fortgesetzt, die Justizbehörden ignorieren weiterhin die Bestimmungen des Gesetzes, und die Rechenschaftspflicht für Foltervorwürfe bleibt schwer zu erreichen (HRW 12.1.2023). Die Untersuchungsabteilung der libanesischen Streitkräfte (LAF) leitete im Mai 2020 eine interne Untersuchung über die angebliche Folterung von Gefangenen in LAF-Gefängnissen in Sidon und Tripolis ein, nachdem es in diesen Städten zu Protesten gekommen war. Die Untersuchung wurde ausgesetzt, da keine formellen Anschuldigungen von den Opfern vorlagen und der ursprüngliche Untersuchungsrichter von seinem Posten zurücktrat (USDOS 12.4.2022). Im Jahr 2019 hat der libanesische Ministerrat die fünf Mitglieder des nationalen Präventionsmechanismus gegen Folter ernannt, aber noch keine Mittel für den Mechanismus bereitgestellt (HRW 12.1.2023). Menschenrechtsorganisationen haben, anders als das Internationale Komitee des Roten Kreuzes, seit 2007 keinen Zutritt zu den Militärgefängnissen und zum Verhörzentrum im Verteidigungsministerium (AA 5.12.2022). NGOs und ehemalige Gefangene berichten weiterhin, dass Drogenkonsumenten, Prostituierte und LGBTI-Personen durch Beamte der Internal Security Force (ISF) - unter anderem durch Androhung längerer Haft und Preisgabe ihrer Identität gegenüber Familie oder Freunden - misshandelt wurden, insbesondere in Haftanstalten außerhalb Beiruts. Erzwungene Analuntersuchungen von Männern, die der gleichgeschlechtlichen sexuellen Aktivität verdächtigt werden, sind in den Polizeidienststellen Beiruts zwar verboten, werden aber in Tripoli und anderen Städten außerhalb der Hauptstadt weiterhin durchgeführt (USDOS 12.4.2022). Im September 2022 starb ein syrischer Flüchtling im Gewahrsam der Staatssicherheit an den Folgen von Folter. Mehrere Beamte wurden verhaftet und stehen vor Militärgerichten, denen es an Unabhängigkeit mangelt (HRW 12.1.2023). Das Access Center for Human Rights (ACHR) berichtete über Fälle von Folter, ungerechten Gerichtsverfahren und „unmenschlichen“ Bedingungen während der Inhaftierung von syrischen Flüchtlingen durch die libanesischen Behörden (OT 14.3.2022; vgl. AI 23.3.2021).

Die LAF, die ISF und die Direktion für allgemeine Sicherheit (DGS) verfügen über neue Verhaltenskodizes, die sie mit Unterstützung des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte entwickelt und 2020 umgesetzt haben, um die Achtung und den Schutz der Menschenrechte zu fördern und Elemente der Rechenschaftspflicht einzuführen. Die Gendarmerieeinheit der ISF hat mit Unterstützung der Geberländer ein Schulungsprogramm eingeführt, das auch Menschenrechtsschulungen umfasst (USDOS 12.4.2022).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon (Stand 7.10.2022),

https://www.ecoi.net/en/file/local/2083550/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_%28Stand_07.10.2022%29%2C_05.12.2022.pdf, Zugriff 3.2.2023

- AI - Amnesty International (29.3.2022): Lebanon 2021, https://www.amnesty.org/en/location/middle-east-and-north-africa/lebanon/report-lebanon/, Zugriff 3.2.2023

- AI - Amnesty International (23.3.2022): Lebanon: ‘I Wished I Would Die’ - Syrian refugees arbitrarily detained on terrorism-related charges and tortured in Lebanon, https://www.amnesty.org/en/documents/mde18/3671/2021/en/?utm_source=annual_report utm_medium=epub utm_campaign=2021 utm_term=english, Zugriff 3.2.2023

- Alkamara (15.1.2023): Lebanon : Alkarama joins lebanese civil society in a common call to adress the situation in Roumieh and other detention centers, https://www.alkarama.org/en/articles/lebanon-lack-means-no-excuse-lack-will, Zugriff 2.3.2023

- FH - Freedom House (24.2.2022): Freedom in the World 2022 – Lebanon, https://www.ecoi.net/en/document/2071882.html, Zugriff 3.2.2023

- HRW - Human Rights Watch (12.1.2023): World Report 2023 – Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2085471.html, Zugriff 3.2.2023

- OT - L’Orient Today (14.3.2022): Rights group alleges refugees arbitrarily detained, held in 'inhumane' conditions in Lebanon, https://today.lorientlejour.com/article/1293607/rights-group-alleges-refugees-arbitrarily-detained-held-in-inhumane-conditions-in-lebanon.html, Zugriff 3.2.2023

- USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071165.html, Zugriff 3.2.2023

8. Korruption

Libanon leidet unter endemischer Korruption (USDOS 12.4.2022). Die politische und wirtschaftliche Elite betrachtet den Staat mehr oder weniger als Selbstbedienungsladen für sich und ihre Klientel (WZ 15.1.2023). Die Korruption durchdringt alle Ebenen und Zweige der Regierung, da die Auswahl für öffentliche Ämter auf ethnischen und parteilichen Loyalitäten und Klientelismus beruht, was zu einem aufgeblähten, ineffizienten und korrupten öffentlichen Dienst führt (U4 8.9.2022). Der Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen hängt oft von Schmiergeldzahlungen oder persönlichen Beziehungen (wasta) ab (TI 19.9.2022; vgl. U4 8.9.2022). Gemäß Transparency International’s Corruption Perceptions Index liegt der Libanon im Jahr 2022 in Bezug auf Korruption auf Platz 150 von insgesamt 180 Staaten (TI o.D.). Die Korruption hat im Libanon einen historischen Höchststand erreicht und verschärft dadurch die Wirtschaftskrise weiter, die zu einer noch nie dagewesenen Armut und Ungleichheit geführt hat (TI 19.9.2022).

Zu den häufigsten Korruptionsarten gehören im Allgemeinen politische Klientelwirtschaft, Versäumnisse der Justiz, insbesondere bei der Untersuchung von Amtsmissbrauch und Bestechung auf mehreren Ebenen innerhalb der nationalen und kommunalen Regierung. Am 7.4.2021 erhob ein Staatsanwalt Anklage gegen den Gouverneur der Zentralbank, Riad Salameh, den Vorsitzenden der Societe General Banque du Liban, Antoun Sehnaoui, Michel Mecattaf von der Firma Mecattaf und die Vorsitzende der Bankenkontrollkommission der Zentralbank, Maya Dabbagh wegen des Verdachts, dass die Bank große Summen überwiesen hat, was zu einer Abwertung des Pfunds führte. Der Fall wurde an einen Ermittlungsrichter verwiesen (USDOS 12.4.2022). Darüber hinaus ermitteln derzeit fünf europäische Länder gegen Riad Salameh wegen des Vorwurfs, öffentliche Gelder in Europa gewaschen zu haben (AP 11.1.2023).

Seit der Explosion im Beiruter Hafen im August 2020 fordern die Angehörigen eine transparente Untersuchung der Ursachen dieser verheerenden Tragödie (OT 9.12.2022). Die Richter, die für die Untersuchung der Explosion verantwortlich waren, haben die Ermittlungen mehrfach unter politischem Druck unterbrochen, nachdem Anklage gegen mehrere derzeitige und frühere hochrangige Beamte erhoben wurde (USDOS 12.4.2022). Libanons oberster Staatsanwalt hat im Januar 2023 Anklage gegen Richter Tarek Bitar erhoben, der die tödliche Explosion im Hafen von Beirut untersuchte, und die Freilassung aller im Zusammenhang mit dem Fall inhaftierten Verdächtigen angeordnet, wie aus Justizkreisen verlautete. Diese Entscheidung spiegelt den zunehmenden Widerstand der libanesischen Regierungsklasse gegen die Bemühungen von Richter Bitar wider, seine Ermittlungen zu der verheerenden Explosion wieder aufzunehmen (AJ 25.1.2023). Die jüngsten Korruptionsskandale, in die hochrangige Beamte verwickelt waren, haben das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Institutionen des Landes erschüttert und zu zivilen Unruhen geführt (TI 19.9.2022; vgl. U4 8.9.2022).

Die libanesische Regierung hat Maßnahmen zur Korruptionsbekämpfung eingeleitet. Der Libanon hat das UN-Übereinkommen gegen Korruption ratifiziert, und die Regierung hat den Prioritäten des Rahmens für Reform, Erholung und Wiederaufbau (3RF) zugestimmt. Darüber hinaus wird in der 2020 verabschiedeten Nationalen Korruptionsbekämpfungsstrategie des Libanon der Fahrplan der Regierung zur Korruptionsbekämpfung beschrieben. Die Nationale Antikorruptionskommission, die mit der Umsetzung dieser Strategie betraut ist, verfügt jedoch nach wie vor nicht über die für die Erfüllung ihres Mandats erforderlichen Statuten und Ressourcen (OT 6.12.2022). Die Zentrale Aufsichtsbehörde (Central Inspection Board - CIB), ein Aufsichtsgremium innerhalb des Amtes des Premierministers, ist für die Überwachung von Verwaltungsabteilungen, einschließlich Beschaffungs- und Finanzmaßnahmen zuständig und ist weitgehend unabhängig von politischer Einflussnahme. Die CIB kann Bedienstete der nationalen und kommunalen Verwaltung inspizieren und ist befugt, ihre Entlassung zu beantragen oder Fälle zur Strafverfolgung weiterzuleiten. Die Befugnisse der CIB erstrecken sich nicht auf Kabinettsminister oder Kommunalbeamte. Auch der Sozialversicherungsfond, der Rat für Entwicklung und Wiederaufbau, und öffentliche Einrichtungen, die umfangreiche Finanzströme verwalten, fallen nicht in die Zuständigkeit der CIB. Berichten zufolge haben Beamte im Jahr 2021 in großem Umfang ungestraft korrupte Praktiken angewandt. Regierungs- und Sicherheitsbeamte, Zollbeamte und Mitglieder der Justiz unterliegen den Gesetzen gegen Bestechung und Erpressung, aber das Fehlen einer strengen Durchsetzung schränkt die Wirksamkeit der Gesetze ein (USDOS 12.4.2022). In den letzten fünf Jahren wurden mehrere Gesetze zur Korruptionsbekämpfung verabschiedet, doch ihre Umsetzung bleibt problematisch (TI 19.9.2022), was zum Teil auf einen Mangel an politischem Willen zurückzuführen ist (U4 8.9.2022). Unter anderem verabschiedete das Parlament ein Gesetz über das Recht auf Zugang zu Informationen und ein Gesetz über das öffentliche Beschaffungswesen, das darauf abzielt, Schlupflöcher zu schließen, die Veruntreuungen im öffentlichen Sektor ermöglichen. Im Oktober 2022 verabschiedete das Parlament außerdem ein Gesetz über das Bankgeheimnis, das Teil der zwischen Libanon und dem IWF vereinbarten Maßnahmen ist. Ebenso wird an der Fertigstellung eines Gesetzentwurfs über die Unabhängigkeit der Justiz gearbeitet (OT 6.12.2022).

Quellen:

- AJ - Al Jazeera (25.1.2023): Lebanon’s top prosecutor charges Beirut blast Judge Tarek Bitar, https://www.aljazeera.com/news/2023/1/25/lebanon-top-prosecutor-files-charges-against-judge-tarek-bitar, Zugriff 3.2.2023

- AP - Associated Press, The (11.1.2023): European legal team arriving in Lebanon in corruption probe, https://apnews.com/article/lebanon-france-germany-riad-salameh-business-35980e85bb487c3aaf681a10ee3fb7cd, Zugriff 3.2.2023

- OT - L’Orient Today (6.12.2022): Anti-corruption: Lebanon stands at a crossroads, https://today.lorientlejour.com/article/1321009/anti-corruption-lebanon-stands-at-a-crossroads.html, Zugriff 3.2.2023

- TI - Transparency International (19.9.2022): Lebanon: Overview of corruption and anti-corruption, https://knowledgehub.transparency.org/helpdesk/lebanon-overview-of-corruption-and-anti-corruption, Zugriff 19.9.2022

- TI - Transparency International (o.D.): Our Work in Lebanon – Country Data, https://www.transparency.org/en/countries/lebanon, Zugriff 3.2.2023

- U4 - U4 Anti-Corruption Resource Centre (8.9.2022): Lebanon: Overview of corruption and anti-corruption, https://www.u4.no/publications/lebanon-overview-of-corruption-and-anti-corruption.pdf, Zugriff 3.2.2023

- USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071165.html, Zugriff 3.2.2023

- WZ - Wiener Zeitung (15.1.2023): Krisenstaat ohne Exit-Strategie, https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/politik/welt/2134289-Krisenstaat-ohne-Exit-Strategie.html, Zugriff 23.1.2023

9. NGOs und Menschenrechtsaktivisten

Im Libanon sind zahlreiche lokale und internationale, im öffentlichen Leben deutlich wahrnehmbare Menschenrechtsorganisationen tätig. Die große Mehrheit von ihnen kann grundsätzlich frei arbeiten. Allerdings beklagen auch sie, wie viele zivilgesellschaftliche Organisationen, einen abnehmenden Handlungsspielraum und mitunter ein Klima der Bedrohung seitens nicht-staatlicher Akteure (z.B. durch die Hizbollah) (AA 5.12.2022). NGOs müssen das in Grundzügen seit 1909 bestehende Vereinsgesetz und andere anwendbare Gesetze in Bezug auf Arbeit, Finanzen und Einwanderung einhalten. Auch ist eine Registrierung beim Innenministerium erforderlich, womit unter Umständen ein Genehmigungsverfahren verbunden ist. NGOs sehen sich manchmal bürokratischen Behinderungen oder Einschüchterungen durch die Sicherheitsdienste ausgesetzt, je nachdem, in welchem Bereich sie tätig sind oder welche Initiativen sie ergreifen (FH 24.2.2022). Rechtlich erschwert bleibt die Gründung von Organisationen für Ausländer; dies macht es palästinensischen und syrischen Flüchtlingen de facto unmöglich, unabhängig von libanesischen Partnern NGOs zur Verfolgung ihrer Interessen zu gründen. In der Praxis treten libanesische Staatsangehörige für palästinensische und syrische Flüchtlinge als Gründer und Organe auf (AA 12.5.2022).

Organisationen der Zivilgesellschaft und NGOs spielten unter anderem bei der Katastrophenbewältigung im Zusammenhang mit der Explosion im Hafen von Beirut im Jahr 2020 eine entscheidende Rolle, da sie kurzfristige Soforthilfe und humanitäre Hilfe leisten konnten. Sie leisten auch langfristige Hilfe, um die Menschen bei der Bewältigung der multidimensionalen Krise im Libanon zu unterstützen (ICNL 14.11.2022). Die libanesische Zivilgesellschaft hat demnach eine führende Rolle dabei gespielt, auf die Bedürfnisse der Gesellschaft zu reagieren und Lücken im öffentlichen Sektor zu schließen (RDPP 12.12.2022).

Versuche der Einschüchterung und Beeinflussung durch politische Institutionen oder nichtstaatliche Akteure haben während des Jahres 2022 zugenommen. Dabei werden z.B. NGOs, die internationale Unterstützung erhalten, teilweise als ausländische Agenten diffamiert (AA 5.12.2022). In Gebieten, die von der Hizbollah beherrscht werden, sind unabhängige NGOs Schikanen und Einschüchterungen ausgesetzt, einschließlich sozialem, politischem und finanziellem Druck. Berichten zufolge bezahlte die Hizbollah Jugendliche, die in „inakzeptablen“ NGOs arbeiteten, damit sie die Gruppen verließen (USDOS 12.4.2022)

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon (Stand 7.10.2022),

https://www.ecoi.net/en/file/local/2083550/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_%28Stand_07.10.2022%29%2C_05.12.2022.pdf, Zugriff 8.2.2023

- FH - Freedom House (24.2.2022): Freedom in the World 2022 – Lebanon, https://www.ecoi.net/en/document/2071882.html, Zugriff 8.2.2023

- ICNL - International Center for Not-For-Profit Law (14.11.2022): Lebanon, https://www.icnl.org/resources/civic-freedom-monitor/lebanon, Zugriff 30.1.2023

- RDPP - Region Development Protection Programme [Lone Bildsøe Lassen, Ayla-Kristina Olesen Yurtaslan Maisa Shquier (authors)] (12.12.2022): Localization of Aid in Jordan and Lebanon. A longitudinal qualitative study, https://rdpp-me.org/assets/RDPP%20Localization%20Study.pdf, Zugriff 1.2.2023

- USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071165.html, Zugriff 8.2.2023

10. Wehrdienst und Rekrutierungen

Die allgemeine Wehrpflicht wurde 2006 abgeschafft und die Armee in eine Berufsarmee umgewandelt. Der Zugang zum Militärdienst ist nicht an ethnische oder religiöse Kriterien gebunden (AA 5.12.2022). Im Alter von 17 bis 25 Jahre können Männer und Frauen im Libanon den freiwilligen Militärdienst ableisten (CIA 11.1.2023). Laut dem US-Ministerium für Arbeit beträgt das Mindestalter für den Eintritt in den freiwilligen Wehrdienst 18 Jahre (UDOL 28.9.2022). Fahnenflüchtigen drohen nach Art. 107 ff. des Militärstrafgesetzbuches Haftstrafen. Für Offiziere bzw. in Spannungszeiten erhöht sich das Strafmaß empfindlich. Auf Fahnenflucht mit Überlaufen zum Feind steht die Todesstrafe (Art. 110 lib. MilitärStGB). Dem Auswärtigen Amt der Bundesrepublik Deutschland ist allerdings kein Fall bekannt, in der diese vollstreckt wurde (AA 5.12.2022). Die Vereinten Nationen (UN) bestätigen für das Jahr 2021 die Rekrutierung und den Einsatz von 32 Jungen im Alter von 11 bis 17 Jahren durch nicht identifizierte bewaffnete Gruppen (24), Fath .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 23 von 68 al-Islam (3), Hizbollah (2), Jund Ansar Allah (1), Saraya al-Muqawama7 (1) und Da'esh (1) (UNGA UNSC 23.6.2022).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon (Stand 7.10.2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2083550/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_ %C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_ %28Stand_07.10.2022%29%2C_05.12.2022.pdf, Zugriff 1.2.2023

- CIA - Central Intelligence Agency [USA] (11.1.2023): The World Factbook, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/lebanon/#people-and-society, Zugriff 1.2.2023

- UDOL - United States Department of Labor [USA] (28.9.2022): 2021 Findings on the Worst Forms of Child Labor: Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2082757.html, Zugriff 1.2.2023

- UNGA - United Nations General Assembly UNSC - United Nations Security Council (23.6.2022): Children and armed conflict - Report of the Secretary-General (A/76/871-S/2022/493),https://childrenandarmedconflict.un.org/wp-content/uploads/2022/07/ Secretary-General-Annual-Report-on-children-and-armed-conflict.pdf, Zugriff 1.2.2023

11. Allgemeine Menschenrechtslage

Libanon ist eines der 51 Gründungsmitglieder der Vereinten Nationen (UN), die am 26.6.1945 die UN-Charta unterzeichnet haben (UN o.D.). Die Präambel der libanesischen Verfassung hält ausdrücklich fest, dass der Libanon die Allgemeine Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen beachtet. Der Staat ist Vertragsstaat wichtiger internationaler Menschenrechtsabkommen, jedoch wurden die meisten der Fakultativprotokolle zu den Menschenrechtsabkommen nicht ratifiziert, so beispielsweise auch das Zweite Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte zur Abschaffung der Todesstrafe (OP2-ICCPR) von 1991. Der Libanon ist bislang keinem internationalen Übereinkommen zum Status von Flüchtlingen beigetreten (AA 5.12.2022).

Die Libanesen haben eine starke Vorstellung von sich selbst als Mitglieder eines repräsentativen und demokratischen Systems (IACL 18.10.2022). Der Libanon verfügt über eine starke und lebendige Zivilgesellschaft mit den vielfältigsten und aktivsten NGOs der Region (RDPP 12.12.2022). Allerdings bringt die tiefgreifende Wirtschaftskrise katastrophale Folgen für die Menschenrechte im Land mit sich (HRW 12.1.2023). Laut eines UN Sonderberichts über extreme Armut und Menschenrechte im Libanon, ist der libanesische Staat, einschließlich seiner Zentralbank, für grundlegende Menschenrechtsverletzungen, einschließlich der unnötigen Verarmung der Bevölkerung, verantwortlich, die sich aus der von Menschen verursachten Wirtschafts- und Finanzkrise ergeben haben (OHCHR 11.4.2022). Die Reaktion der Behörden auf die sich verschärfende Wirtschaftskrise im Libanon hat das Recht der Einwohner auf Gesundheit und sogar ihr Recht auf Leben in den akutesten Momenten der Treibstoff- und Medikamentenknappheit nicht gewährleistet (AI 29.3.2022). Zu den bedeutenden Menschenrechtsproblemen gehören zudem glaubwürdige Berichte über: schwerwiegende politische Eingriffe in die Justiz; schwerwiegende Einschränkungen der freien Meinungsäußerung und der Medienfreiheit, einschließlich Gewalt, Gewaltandrohung oder ungerechtfertigter Verhaftungen oder strafrechtlicher Verfolgung von Journalisten, sowie Zensur; schwerwiegende Einschränkungen der Internetfreiheit; Abschiebung von Flüchtlingen in ein Land, in dem ihr Leben oder ihre Freiheit bedroht sind; schwerwiegende und weit verbreitete Korruption auf hoher Ebene; das Bestehen oder die Anwendung von Gesetzen, die einvernehmliche gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen zwischen Erwachsenen kriminalisieren; Gewaltverbrechen oder Gewaltandrohungen gegen Homosexuelle, Bisexuelle, Transgender-Personen und Intersexuelle (LGBTI) und das Bestehen der schlimmsten Formen von Kinderarbeit (USDOS 12.4.2022).

Im Januar 2021 wurde die Menschenrechtslage in Libanon zum dritten Mal im Rahmen des allgemeinen Überprüfungsverfahrens des UN-Menschenrechtsrats („Universal Periodic Review“, UPR) überprüft. Die Antworten der Regierung in diesem Rahmen wurden von Menschenrechtsgruppen negativ aufgenommen; insbesondere seien die Zuständigkeit von Militärstrafgerichten über Zivilisten aufrechterhalten und UPR-Empfehlungen betreffend der Gleichbehandlung der Geschlechter nicht umgesetzt worden (AA 5.12.2022). Obwohl die Rechtsstruktur die strafrechtliche Verfolgung und Bestrafung von Beamten vorsieht, die Menschenrechtsverletzungen und Korruption begangen haben, bleibt die Durchsetzung ein Problem. Regierungsbeamte genießen ein gewisses Maß an Straffreiheit für Menschenrechtsverletzungen, einschließlich der Umgehung oder Beeinflussung von Gerichtsverfahren. Das Nationale Menschenrechtsinstitut (NHRI) soll die Menschenrechtslage im Libanon überwachen, Beschwerden über Verstöße entgegennehmen und regelmäßig Berichte und Empfehlungen abgeben. Mit Stand Dezember 2021 hatte das NHRI die ihm zugewiesenen Aufgaben noch nicht aufgenommen (USDOS 12.4.2022).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon (Stand 7.10.2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2083550/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_%28Stand_07.10.2022%29%2C_05.12.2022.pdf, Zugriff 1.2.2023

- AI - Amnesty International (29.3.2022): Lebanon 2021, https://www.amnesty.org/en/location/middle-east-and-north-africa/lebanon/report-lebanon/, Zugriff 1.2.2023

- HRW - Human Rights Watch (12.1.2023): World Report 2023 – Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2085471.html, Zugriff 1.2.2023

- IACL - The International Association of Constitutional Law (18.10.2022): Lebanon: A Century of a Constitutional Contradiction, https://blog-iacl-aidc.org/new-blog-3/2022/10/18/lebanon-a-century-of-a-constitutional-contradiction, Zugriff 1.2.2023

- OHCHR - United Nations High Commissioner for Human Rights (11.4.2022): Visit to Lebanon Report of the Special Rapporteur on extreme poverty and human rights, Olivier De Schutter, (A/HRC/50/38/Add.1), https://lebanon.un.org/sites/default/files/2022-05/FINAL%20SR%20Report%20on%20his%20Visit%20to%20Lebanon-ENG-Published%20May2022.pdf, Zugriff 1.2.2023

- RDPP - Region Development Protection Programme [Lone Bildsøe Lassen, Ayla-Kristina Olesen Yurtaslan Maisa Shquier (authors)] (12.12.2022): Localization of Aid in Jordan and Lebanon. A longitudinal qualitative study, https://rdpp-me.org/assets/RDPP%20Localization%20Study.pdf, Zugriff 1.2.2023

- UN - United Nations (o.D.): About the United Nations in Lebanon, https://lebanon.un.org/en/about/about-the-un, Zugriff 1.2.2023

- USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071165.html, Zugriff 1.2.2023

12. Meinungs- und Pressefreiheit

Die Verfassung sieht das Recht auf freie Meinungsäußerung vor, auch für Pressevertreter, und legt fest, dass Einschränkungen nur unter außergewöhnlichen Umständen vorgenommen werden dürfen. Die Regierung respektierte dieses Recht im Allgemeinen. Einzelpersonen steht es im Grunde frei, die Regierung zu kritisieren und Angelegenheiten von öffentlichem Interesse zu diskutieren (USDOS 12.4.2022). Allerdings wies eine Koalition von NGOs im Juli 2020 auf eine zunehmende Einschränkung des Rechts auf freie Meinungsäußerung hin, insbesondere in den sozialen Medien, vor allem bei politischen und sozialen Themen (USDOS 12.4.2022; vgl. SMEX 13.7.2020). Im Pressefreiheitsindex von Reporter ohne Grenzen (RSF) belegt der Libanon im Jahr 2022 Rang 130 von 180 Ländern (RSF 23.1.2023). Im Jahr 2021 lag der Libanon noch auf Platz 107 von 180 Ländern, was bedeutet, dass der Libanon im vergangenen Jahr um 23 Plätze abgerutscht ist, obwohl Vergleiche dadurch erschwert werden, dass die RSF ihre Methodik in diesem Jahr geändert hat, um neue Indikatoren zu berücksichtigen (OT 4.5.2022).

Die Rundfunk- und Fernsehszene des Libanon ist vielfältig und lebendig und spiegelt den Pluralismus des Landes und seine Spaltung wider. Es war das erste arabische Land, das private Radio- und Fernsehsender zuließ, und hat sich zu einem regionalen Medienzentrum entwickelt (BBC 17.5.2022). Obwohl die Medien des Landes zu den offensten und vielfältigsten in der Region gehören, sind fast alle Medien von der Schirmherrschaft politischer Parteien, wohlhabender Einzelpersonen oder ausländischer Mächte abhängig und üben folglich ein gewisses Maß an Selbstzensur aus (FH 24.2.2022). Laut RSF herrscht in den libanesischen Medien zwar echte Meinungsfreiheit, doch wird der Sektor in der Praxis von einer Handvoll Personen kontrolliert, die direkt mit politischen Parteien verbunden sind oder lokalen Dynastien angehören. Die einflussreichsten Fernsehsender sind: LBCI, Al Jadeed und MTV, die jeweils den Familien Daher-Saad, Khayat und Murr gehören. Al Manar ist der offizielle Fernsehsender der Hizbollah. Die Presse ist ein Ausdruck des politischen und kommunalen Separatismus im Land, einschließlich der religiösen Überwachung der Medien (RSF 23.1.2023). Hinzu kommt, dass die Finanzkrise und die Auswirkungen der Explosion im Beiruter Hafen im Jahr 2020 viele Medien gezwungen haben, ihr Personal und ihre Budgets zu kürzen (BBC 17.5.2022; vgl. RSF 23.1.2023).

Es ist eine Straftat, den Präsidenten oder die Sicherheitsdienste zu kritisieren oder zu verleumden. Die Behörden nutzen diese Gesetze mitunter, um Journalisten zu schikanieren und zu inhaftieren (FH 24.2.2022). Journalisten, Social Media-Aktivisten und Blogger können für ihre Tätigkeit nach dem Strafgesetzbuch (insb. wegen Verleumdung) bestraft werden; zunehmend werden sie zu Befragungen der Sicherheitsbehörden vorgeladen. Immer wieder werden Journalisten durch nicht-staatliche Gruppen, insbesondere durch die Hizbollah, bedroht oder eingeschüchtert (AA 5.12.2022).Trotz der rechtlichen und praktischen Hindernisse, mit denen sie konfrontiert sind, können viele Journalisten über heikle Themen wie staatliche Korruption, Fehlverhalten der Eliten und das Verhalten bewaffneter Gruppen wie der Hizbollah berichten und diese kommentieren (FH 24.2.2022).

Es herrscht Unklarheit darüber, welcher rechtliche Rahmen für Online-Nachrichtenseiten im Land gilt. Es gibt kein spezielles Gesetz, das die Online-Rede regelt (USDOS 12.4.2022). Politiker und Journalisten werden durch ausgeklügelte Spionagesoftware ins Visier genommen, und mehrere Online-Journalisten und Nutzer sozialer Medien wurden vom Büro für Cyberkriminalität vorgeladen (FH 3.6.2022). Online-Hass- und Desinformationskampagnen, die von Netzwerken von Hizbollah-Anhängern betrieben werden, zielen auf Kritiker und Gegner der Partei ab, um sie zu verleumden und zu diffamieren (NL 16.3.2022; vgl. FH 3.6.2022).

Quellen:

- BBC - British Broadcasting Corporation (17.5.2022): Lebanon profile – Media, https://www.bbc.com/news/world-middle-east-14648683, Zugriff 8.2.2023

- FH - Freedom House (3.6.2022): Freedom on the Net 2022 – Lebanon, https://freedomhouse.org/country/lebanon/freedom-net/2022, Zugriff 8.2.2023

- FH - Freedom House (24.2.2022): Freedom in the World 2022 – Lebanon, https://www.ecoi.net/en/document/2071882.html, Zugriff 8.2.2023

- NL - Now Lebanon (16.3.2022): Suppressors and freedom of expression, https://nowlebanon.com/suppressors-and-freedom-of-expression/, Zugriff 8.2.2023

- OT - L’Orient Today (4.5.2022): Lebanon falls 23 places in Reporters Without Borders' annual press freedom ranking, https://today.lorientlejour.com/article/1298372/lebanon-falls-23-places-in-reporters-without-borders-annual-press-freedom-ranking.html, Zugriff 8.2.2023

- RSF - Reporters Sans Frontières (23.1.2023): Lebanon, https://rsf.org/en/country/lebanon, Zugriff 8.2.2023

- SMEX - Social Media Exchange (13.7.2020): Lebanon: New Coalition to Defend Free Speech, https://smex.org/lebanon-new-coalition-to-defend-free-speech/, Zugriff 8.2.2022

- USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071165.html, Zugriff 8.2.2023

13. Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Opposition

Die Behörden respektieren im Allgemeinen das von der Verfassung geschützte Versammlungsrecht (FH 24.2.2022; vgl. AA 5.12.2022, USDOS 12.4.2022), und in der Praxis versammeln sich die Menschen regelmäßig ohne Genehmigung oder Abstimmung mit den Sicherheitsdiensten (FH 24.2.2022). Offiziell müssen die Organisatoren drei Tage vor einer Demonstration eine Genehmigung beim Innenministerium einholen (USDOS 12.4.2022). Gelegentlich werden Demonstrationen – insbesondere aus dem salafistischen Spektrum – aus Sicherheitsgründen untersagt (AA 5.12.2022). In den letzten Jahren konnten Demonstranten gegen die schlechte Funktionsweise der Regierung und den Mangel an Dienstleistungen protestieren, doch kam es bei diesen Veranstaltungen häufig zu Gewalt seitens der Behörden, politischer Parteien, Milizen und ziviler Teilnehmer (FH 24.2.2022). Die Sicherheitskräfte griffen gelegentlich ein, um Demonstrationen aufzulösen, in der Regel, wenn Demonstranten Sachschäden verursachten, oder es zu Zusammenstößen zwischen gegnerischen Demonstranten kam (USDOS 12.4.2022). Durch ein während des Pride Month 2022 vom Innenministerium erlassenes Verbot von LGBTI-Versammlungen wurde die Versammlungsfreiheit eingeschränkt (AA 5.12.2022; vgl. AlM 1.12.2022). Rechtsgruppen haben gegen die Entscheidung Berufung eingelegt (HRW 12.1.2023; vgl. AlM 1.12.2022). Seit der Libanon im Mai 2017 als erstes arabisches Land die Pride Week feierte, hatten libanesische NGOs die Möglichkeit, trotz des Drucks von religiösen Persönlichkeiten Versammlungen zu organisieren (AlM 1.12.2022).

Die Verfassung sieht die Vereinigungsfreiheit vor, wobei einige Bedingungen gesetzlich festgelegt sind, und die Regierung hat das Gesetz im Allgemeinen respektiert (USDOS 12.4.2022). Für die Gründung einer Vereinigung ist keine vorherige Genehmigung erforderlich, aber die Organisatoren müssen das Innenministerium benachrichtigen, um eine rechtliche Anerkennung zu erhalten, und das Ministerium muss überprüfen, ob die Organisation die „öffentliche Ordnung, die öffentliche Moral und die staatliche Sicherheit“ respektiert. In einigen Fällen hat das Ministerium die Anmeldeunterlagen einer NGO an die Sicherheitskräfte geschickt, um Nachforschungen über die Gründungsmitglieder einer Organisation anzustellen (USDOS 12.4.2022; vgl. OHCHR 11.2021). Das Innenministerium ist in die Kritik geraten, weil es Vereinigungen, insbesondere solchen, die sich mit sensiblen Themen wie den Rechten von LGBTI befassen, lange nach der Anmeldung keine Bescheinigungen ausstellt. Dazu gehört auch die libanesische LGBTI-Vereinigung Helem, die seit 2004, als sie dem libanesischen Innenministerium ihre Vereinigungsmeldung vorlegte, auf eine offizielle Bestätigung ihrer Gründung wartet. In der Praxis kann eine Vereinigung jedoch auch ohne die Eintragung durch das Innenministerium tätig werden - die fehlende Rechtspersönlichkeit hat jedoch praktische Auswirkungen, da sie beispielsweise kein Bankkonto eröffnen oder keine Räumlichkeiten mieten kann (OHCHR 11.2021). Organisationen müssen darüber hinaus Vertreter des Ministeriums zu jeder Generalversammlung einladen, bei der die Mitglieder über Satzungen, Änderungen oder Sitze im Vorstand abstimmen. Das Ministerium muss dann die Abstimmung oder Wahl validieren. Geschieht dies nicht, kann die Organisation durch einen Erlass des Ministerrats aufgelöst werden (USDOS 12.4.2022).

Das Kabinett muss alle politischen Parteien zulassen (USDOS 12.4.2022). In den letzten Jahren hat die Zahl der politischen Gruppen, die das Establishment im Libanon herausfordern wollen, zugenommen (TPI 4.2022).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon (Stand 7.10.2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2083550/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_%28Stand_07.10.2022%29%2C_05.12.2022.pdf, Zugriff 8.2.2023

- AlM - Al Monitor (1.12.2022): Lebanon's Shura Council suspends ban on LGBTQ event, https://www.al-monitor.com/originals/2022/11/lebanons-shura-council-suspends-ban-lgbtq-event, Zugriff 8.2.2023

- FH - Freedom House (24.2.2022): Freedom in the World 2022 – Lebanon, https://www.ecoi.net/en/document/2071882.html, Zugriff 8.2.2023

- OHCHR - Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights (11.2021): Freedom of Association in the Middle East and North Africa Region, https://romena.ohchr.org/sites/default/files/2022-04/Freedom-of-Association-EN.pdf, Zugriff 8.2.2023

- TPI - The Policy Initiative (4.2022): Lebanon’s Political Alternatives: Mapping the Opposition, https://api.thepolicyinitiative.org/content/uploads/files/Lebanon%E2%80%99s-Political-Alternatives-Report.pdf, Zugriff 8.2.2023

- USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071165.html, Zugriff 8.2.2023

14. Haftbedingungen

Die sozioökonomische Krise im Libanon hat auch die ohnehin schon schlechten Haftbedingungen in den libanesischen Gefängnissen weiter verschärft. Die schlechten Bedingungen und die mangelnde medizinische Versorgung führen regelmäßig zu Aufständen und Unruhen in den Gefängnissen (AlM 7.8.2022). Die Haftbedingungen in den 18 regulären libanesischen Haftanstalten entsprechen nicht den internationalen Mindestanforderungen. Es herrscht ein eklatanter Mangel an hygienischen Standards, medizinischer Versorgung, Bewegungsmöglichkeiten, Versorgung mit Nahrungsmitteln, Beschäftigungsmöglichkeiten in Haft (etwa: Berufsausbildung) und an geschultem Gefängnispersonal (AA 5.12.2022).

Aufgrund von Rückständen in der Justiz bleiben die Gefangenen in vielen Fällen monatelang, manchmal sogar jahrelang, ohne Gerichtsverfahren inhaftiert (OT 26.9.2022; vgl. PI 19.5.2022, USDOS 12.4.2022). Die Regierung selbst gab im September 2022 an, dass mit über 8.200 Gefangenen eine Belegung von 323 % (Strafgefangene) bzw. 222 % (Untersuchungshäftlinge) herrsche (AA 5.12.2022). Nach Angaben des geschäftsführenden Innenministers Bassam Mawlawi befinden sich 79,1 % der Häftlinge in Untersuchungshaft und warten auf ihren Prozess (OT 31.8.2022). Untersuchungshäftlinge werden von den Behörden oftmals zusammen mit verurteilten Häftlingen festgehalten. Laut Statistiken der Internal Security Forces (ISF) waren im Jahr 2021 110 Minderjährige und 207 Frauen inhaftiert. Die ISF halten Frauen in vier speziellen Frauengefängnissen (Baabda, Beirut, Zahle und Tripoli) gefangen. Das ISF berichtete außerdem, dass im Laufe des Jahres 2021 19 Personen in Haftanstalten gestorben sind. 18 Gefangene starben an medizinischen Problemen, darunter Herzinfarkt, Krebs und COVID-19, und ein Gefangener verübte Selbstmord. Einige NGOs kritisieren die Nachlässigkeit der Behörden und das Versäumnis, den Gefangenen eine angemessene medizinische Versorgung zukommen zu lassen, was zu einigen Todesfällen beigetragen haben könnte (USDOS 12.4.2022). Da der Zugang zu Nahrungsmitteln, sauberem Wasser und minimaler medizinischer Versorgung für die Gefängnisinsassen im ganzen Land immer schwieriger wird, hat dies erhebliche Auswirkungen auf diejenigen, die ohnehin schon am meisten gefährdet sind, darunter auch Migranten und Flüchtlinge (Alkarama 15.1.2023). Seit August 2016 verfügt die General Security über eine neue Haftanstalt, sodass sich die Haftbedingungen für Ausländer, die abgeschoben oder ausgeliefert werden sollen, relativ verbessert haben; die Möglichkeiten medizinischer Versorgung sind allerdings, wie im gesamten Land, eingeschränkt (AA 5.12.2022).

Es gibt in den Justizvollzugsanstalten eine elektronische Datenbank zur Nachverfolgung von Verbleib, Haftdauer und medizinischer Betreuung von Gefangenen (AA 5.12.2022). Im August 2022 wurden dem Parlament zwei Gesetzesentwürfe vorgelegt (OT 26.9.2022), mit denen die Überbelegung der libanesischen Gefängnisse verringert werden soll. Die Gesetzentwürfe waren eine Reaktion auf die Drohung von Catering-Unternehmen, ab dem 1.9.2022 kein Essen mehr an Häftlinge zu liefern, wenn der Staat sie nicht bezahlt (OT 31.8.2022). Die Regierung ließ eine unabhängige Überwachung der Haftbedingungen durch lokale und internationale Menschenrechtsgruppen und das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) zu, und diese Überwachung fand auch statt. Außerdem können Gefangene und Häftlinge Misshandlungen direkt bei der Menschenrechtsabteilung der ISF melden. Nach Angaben der ISF-Menschenrechtsabteilung ergriff die ISF Disziplinarmaßnahmen gegen Offiziere, die sie für Missbrauch oder Misshandlung verantwortlich machte, einschließlich Entlassungen, doch wurden diese Informationen nicht veröffentlicht. Die ISF berichtete, dass fünf ISF-Offiziere bestraft wurden, weil sie Verdächtige nicht über ihre Rechte bei der Festnahme gemäß Artikel 47 der Strafprozessordnung informiert hatten (USDOS 12.4.2022). Nichtregierungsorganisationen kritisieren allerdings, dass das libanesische Recht zwar vorsieht, dass die Aufsicht über die Gefängnisse von der Gefängnisabteilung des Justizministeriums wahrgenommen wird, die Haftanstalten jedoch weiterhin der Generaldirektion der Sicherheitskräfte unterstehen. Dies führt dazu, dass die Gefangenen ihre Beschwerden über Folterungen oder Misshandlungen bei denselben Behörden einreichen müssen, die diese Handlungen durchgeführt oder zugelassen haben (Alkarama 15.1.2023).

Auch nichtstaatliche Organisationen wie die Hizbollah und palästinensische Milizen betreiben Berichten zufolge inoffizielle Gefängnisse (USDOS 12.4.2022).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon (Stand 7.10.2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2083550/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_%28Stand_07.10.2022%29%2C_05.12.2022.pdf, Zugriff 1.2.2023

- Alkamara (15.1.2023): Lebanon : Alkarama joins lebanese civil society in a common call to adress the situation in Roumieh and other detention centers, https://www.alkarama.org/en/articles/lebanon-lack-means-no-excuse-lack-will, Zugriff 1.2.2023

- AlM - Al Monitor (7.8.2022): Thirty inmates saw out of Lebanon jail, escape: authorities, https://www.al-monitor.com/originals/2022/08/thirty-inmates-saw-out-lebanon-jail-escape-authorities, Zugriff 1.2.2023

- OT - L’Orient Today (26.9.2022): Is reducing the prison year to six months the solution to prison overcrowding? https://today.lorientlejour.com/article/1312733/is-reducing-the-prison-year-to-six-months-the-solution-to-prison-overcrowding.html, Zugriff 1.2.2023

- OT - L’Orient Today (31.8.2022): Mawlawi to introduce bill that would reduce prison sentences, https://today.lorientlejour.com/article/1310010/mawlawi-to-introduce-bill-that-would-reduce-prison-sentences.html, Zugriff 1.2.2023

- USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071165.html, Zugriff 1.2.2023

15. Todesstrafe

Die Justiz verhängt weiterhin Todesurteile. Der Libanon hat allerdings seit 2004 keinen verurteilten Straftäter mehr hingerichtet, da seit 18 Jahren de facto ein Vollstreckungsmoratorium besteht (OT 18.4.2022; vgl. AA 5.12.2022). 81 Verurteilte, libanesische und ausländische, warten derzeit in der Todeszelle, hauptsächlich im Zentralgefängnis Roumieh. Die Justiz wartet noch immer auf einen nationalen Konsens zur Abschaffung der Todesstrafe (OT 18.4.2022). Offiziell droht im Libanon laut Gesetz die Todesstrafe noch für eine Reihe Delikte des allgemeinen Strafrechts (lib. StGB), darunter u.a. Hochverrat, militärischer Umsturz und Spionage, Verbrechen gegen die Verkehrssicherheit mit Todesfolge und Terrorismus in besonders schweren Fällen (AA 5.12.2022).

Im Jahr 2021 wurde mindestens zwölf mal die Todesstrafe verhängt, während es im Jahr zuvor zwei Urteile gab. Am 5.10.2021 verurteilte das Ständige Militärgericht des Landes vier Männer zum Tode, weil sie an einem Angriff der in Syrien ansässigen bewaffneten Gruppe Jabhat an-Nusra auf libanesische und syrische Soldaten in Arsal, Libanon, im Jahr 2014 beteiligt waren, bei dem mehrere Soldaten beider Armeen ums Leben kamen (AI 24.5.2022). Im Libanon sind keine extralegalen Tötungen durch libanesische Staatsorgane bekannt geworden. Extralegale Hinrichtungen können aber für militärische Kampfhandlungen in Gebieten außerhalb staatlicher Kontrolle nicht ausgeschlossen werden. Bei einem Antiterroreinsatz der libanesischen Armee in der Gegend von Arsal am 30. Juni 2017 wurden 350 Personen vorübergehend festgenommen, mindestens vier starben im Gewahrsam der Armee, nach Armeeangaben infolge bereits bestehender gesundheitlicher Probleme. Menschenrechtsgruppen fordern seither erfolglos eine Veröffentlichung der Untersuchungsergebnisse (AA 5.12.2022).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon (Stand 7.10.2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2083550/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_%28Stand_07.10.2022%29%2C_05.12.2022.pdf, Zugriff 30.1.2023

- AI - Amnesty International (24.5.2022): Death sentences and executions 2021, https://www.amnesty.org/en/documents/act50/5418/2022/en/, Zugriff 30.1.2023

- OT - L’Orient Today (18.4.2022): Ansar’s quadruple femicide revives the debate on the death penalty in a Lebanon in crisis, https://today.lorientlejour.com/article/1297086/ansars-quadruple-femicide-revives-the-debate-on-the-death-penalty-in-a-lebanon-in-crisis.html, Zugriff 30.1.2023

16. Religionsfreiheit

Die Verfassung sieht „absolute Glaubensfreiheit“ vor und erklärt, dass der Staat alle religiösen Gruppen und Konfessionen sowie den Personenstand und die religiösen Interessen von Personen jeder religiösen Gruppe respektiert. Die Verfassung garantiert die freie Ausübung religiöser Riten, sofern sie die öffentliche Ordnung nicht stören, und erklärt die Gleichheit der Rechte und Pflichten für alle Bürger ohne Diskriminierung oder Bevorzugung (USDOS 2.6.2022). Es gibt 18 staatlich anerkannte Religionsgemeinschaften, davon sind zwölf christlich und fünf muslimisch (AA 5.12.2022; vgl. USDOS 2.6.2022, CIA 11.1.2023). Eine kleine jüdische Gemeinde kommt hinzu (FAZ 18.8.2020). Christen wie Muslime üben ihre Religion offen und ohne Einschränkung aus. Die kleine Anzahl an Juden und Jüdinnen geben sich meist nicht öffentlich zu erkennen (AA 5.12.2022). Zu den Gruppen, die die Regierung nicht anerkennt, gehören die Baha'is, Buddhisten, Hindus und mehrere protestantische Gruppen (USDOS 2.6.2022).

Nach Schätzungen von Statistics Lebanon sind 64,9 % der Bevölkerung Muslime (32 % Sunniten, 31,3 % Schiiten und 1,6 % Alawiten und Ismailiten zusammen). Statistics Lebanon schätzt außerdem, dass 32 % der Bevölkerung Christen sind. Die größte christliche Gruppe sind die maronitischen Katholiken (mit 52,5 % der christlichen Bevölkerung), gefolgt von den griechisch-orthodoxen Christen (25 % der christlichen Bevölkerung) (USDOS 2.6.2022). Der Anteil der Drusen beläuft sich auf lediglich 4,5 % der Bevölkerung (CIA 11.1.2023). In der Verfassung heißt es, dass bei der Verteilung von Kabinettsposten und hochrangigen Posten im öffentlichen Dienst ein „gerechtes und ausgewogenes Verhältnis“ zwischen den großen Religionsgemeinschaften herrschen soll (USDOS 2.6.2022). Von den 64 Sitzen für Muslime im libanesischen Parlament entfallen 27 auf die Schiiten und 27 auf die Sunniten, acht auf die Drusen und zwei auf die Alawiten. Von den 64 Sitzen für Christen entfallen 34 auf Maroniten, 14 auf Orthodoxe, 8 auf Mitglieder der griechischen Kirche, 5 auf Armenier und 3 auf andere christliche Minderheiten (AB 25.1.2022).

Laut Gesetz gestattet die Regierung anerkannten Religionsgemeinschaften die Anwendung ihrer eigenen Regeln für Familien- und Personenstandsangelegenheiten, einschließlich Heirat, Scheidung, Sorgerecht für Kinder und Erbschaft. Schiiten, Sunniten, anerkannte Christen und Drusen verfügen über staatlich ernannte subventionierte klerikale Gerichte, die das Familien- und Personenstandsrecht gemäß den Überzeugungen der jeweiligen Religionsgemeinschaft verwalten. Während die religiösen Gerichte und die religiösen Gesetze rechtlich an die Bestimmungen der Verfassung gebunden sind, hat der Kassationsgerichtshof, das höchste Zivilgericht im Justizsystem, nur eine sehr begrenzte Aufsicht über die Verfahren und Entscheidungen der religiösen Gerichte. Gemäß der Verfassung können anerkannte Religionsgemeinschaften ihre eigenen Schulen betreiben, sofern sie die allgemeinen Vorschriften für öffentliche Schulen einhalten, die besagen, dass die Schulen nicht zu konfessionellem Zwist anstiften oder die nationale Sicherheit gefährden dürfen. Die Regierung erlaubt den Religionsunterricht an öffentlichen Schulen, schreibt ihn aber nicht vor. Sowohl christliche als auch muslimische Vertreter lokaler Religionen veranstalten gelegentlich Aufklärungsveranstaltungen in öffentlichen Schulen (USDOS 2.6.2022).

Die Ehe kann nur durch anerkannte Religionsgemeinschaften und in religiöser Form geschlossen werden (AA 5.12.2022). Einige christliche und muslimische Religionsbehörden führen interreligiöse Eheschließungen durch (USDOS 2.6.2022). Diese waren allerdings nur in wenigen Fällen und unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt, die letztlich darauf abzielen, dass ein Ehepartner zum Glauben des anderen konvertiert. Die vor einer anerkannten religiösen Instanz geschlossenen Ehen müssen anschließend in das libanesische Personenstandsregister eingetragen werden, damit die Eheurkunde rechtliche Beweiskraft erlangen kann. Eine zivile Eheschließung in Libanon ist weiterhin nicht möglich (AA 5.12.2022).

Quellen:

- AB - Al Bawaba (25.1.2022): Religious and Ethnic Groups in Lebanon, https://www.albawaba.com/opinion/religious-and-ethnic-groups-lebanon-1463785, Zugriff 30.1.2023

- CIA - Central Intelligence Agency [USA] (11.1.2023): The World Factbook, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/lebanon/#people-and-society, Zugriff 30.1.2023

- FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung (18.8.2020): Religionsführer im Libanon : Moralische Autoritäten, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/welche-rolle-religionsfuehrer-im-libanon-spielen-16909146.html, Zugriff 6.3.2023

- FT - First Things (1.2023): From Mecca to Rome, https://www.firstthings.com/article/2023/01/from-mecca-to-rome, Zugriff 31.1.2023

- HRF - Human Rights First (26.11.2022): Compendium Blasphemy Laws – Lenbanon, https://humanrightsfirst.org/wp-content/uploads/2022/11/Compendium-Blasphemy-Laws.pdf, Zugriff 31.1.2023

- USDOS - United States Department of State [USA] (2.6.2022): 2021 Report on International Religious Freedom: Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2074032.html, Zugriff 30.1.2023

17. Minderheiten

Die Bevölkerung des Libanon von geschätzten 5.296.814 Menschen besteht zu 95 % aus Arabern, zu 4 % aus Armeniern und zu 1 % aus sonstigen Ethnizitäten (CIA 11.1.2023). Die demografischen Daten sind umstritten, und seit 1932 hat es keine Volkszählung mehr gegeben. Einige Minderheitengruppen werden in erster Linie durch ihre Religion definiert, andere durch ihre ethnische Zugehörigkeit (MR 5.2020). Es besteht im Grundsatz keine ethnisch diskriminierende Gesetzgebung für libanesische Staatsangehörige oder die 18 anerkannten konfessionellen Gruppen. Die armenisch-stämmige Bevölkerung, eine bedeutende ethnische Minderheit, ist in Staat und Gesellschaft integriert. Die ca. 100.000 Personen umfassende kurdisch-stämmige Bevölkerung türkischen, syrischen oder irakischen Ursprungs wird nicht als Minderheit anerkannt, unterliegt aber keiner Repression wegen ihrer Volkszugehörigkeit; nach wie vor ist ein kleiner Teil dieser Bevölkerungsgruppe (ca. 1.000 - 1.500 Personen) aber staatenlos und hat damit keinen Zugang zu staatlichen Sozialleistungen (AA 5.12.2022). [Anm.: Zur Lage von palästinensischen und syrischen Flüchtlingen siehe Kapitel 21.1 und 21.1.]

Einen Sonderfall stellen in Libanon lebende ausländische Hausangestellte dar. Es handelt sich überwiegend um Frauen aus Süd- und Südostasien sowie aus Afrika. Medien und Menschenrechtsorganisationen berichten glaubhaft von weit verbreiteten Fällen schwerer Misshandlung, sexuellen Missbrauchs, wirtschaftlicher Ausbeutung und Einschränkung der Bewegungsfreiheit durch Passentzug seitens der Arbeitgeber. In einer im Oktober 2022 veröffentlichten Studie der NGO Egna Legna Besidet in Zusammenarbeit mit der Lebanese American University, bei der 913 Interviews mit ausländischen Hausangestellten durchgeführt wurden, gaben 68 % der Befragten an, während ihres Aufenthalts im Libanon mindestens eine Erfahrung von sexueller Belästigung gemacht zu haben. Für ausländische Hausangestellte gelten die Schutzbestimmungen des libanesischen Arbeitsrechts nicht, sondern das sogenannte Kafala System. Die Erfordernis eines persönlichen „Sponsors“ für die Aufenthaltsgenehmigung unterwirft die Betroffenen faktischer und rechtlicher Abhängigkeit. Die Regierung hat 2020 einen neuen Mustervertrag mit Mindestanforderungen an Arbeitsbedingungen verordnet. Dieser Vertrag ist allerdings aufgrund von Klagen von Vermittlungsagenturen vor Gericht derzeit ausgesetzt. Im Übrigen blieben staatliche Bemühungen für eine signifikante Verbesserung der Lage von Hausangestellten unzureichend (AA 5.12.2022).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon (Stand 7.10.2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2083550/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_%28Stand_07.10.2022%29%2C_05.12.2022.pdf, Zugriff 30.1.2023

- CIA - Central Intelligence Agency [USA] (11.1.2023): The World Factbook, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/lebanon/#people-and-society, Zugriff 30.1.2023

- MR - Minority Rights (5.2020): Lebanon, https://minorityrights.org/country/lebanon/, Zugriff 30.1.2023

17.1 Beduinen – al-Ashaer, bzw. al-Arabiya

Die meisten Beduinen identifizieren sich aufgrund des sozialen Stigmas nicht als „Badu“ sondern als „Al-Ashaer“ („Stämme“) oder „Al-Arabiya“ (ÖB 28.10.2021). Beduinen sind nomadische Araber, die seit Hunderten von Jahren im Nahen Osten präsent sind (T961 28.1.2021). Sie sind stark in eigenen Traditionen verwurzelt, einschließlich eines traditionellen Rechtssystems und eines sie von anderen Libanesen differenzierenden Dialekts (ÖB 28.10.2021). Ein Teil der Angehörigen der Nomadenstämme/Beduinen in der Bekaa-Ebene und der Region Akkar wurde 1994 eingebürgert. Auch wenn diese rechtlich nicht diskriminiert werden, handelt es sich sozial und ökonomisch neben den palästinensischen und syrischen Flüchtlingen um die am stärksten benachteiligte Bevölkerungsgruppe. Die Lage der nicht-eingebürgerten Beduinen ist besonders prekär; sie haben keinen Zugang zu staatlichen Leistungen (AA 5.12.2022). Ursprünglich lebten Beduinen vor allem in der Bekaa-Ebene sowie in Wadi Khaled im Akkar. Mittlerweile gibt es solche Gruppen im gesamten Land. Viele Beduinen leben schon lange im Land, zusätzliche Gruppen kamen während des Syrien-Kriegs in den Libanon. Die meisten von ihnen sind nach wie vor staatenlos, die Einbürgerung einiger zehntausende unter Premierminister Rafik Hariri 1994 stieß vor allem bei der christlichen Bevölkerungsgruppe auf Kritik, da man eine Veränderung des Bevölkerungsgleichgewichts befürchtete (ÖB 28.10.2021). Vielen staatenlosen Beduinen im Libanon werden aufgrund ihrer fehlenden Staatsangehörigkeit Grundbedürfnisse und Dienstleistungen wie Arbeit und die Schulbildung ihrer Kinder verweigert. Die Tatsache, dass sie im Staat unterrepräsentiert sind, macht es schwieriger, ihre Stimme zu Gehör zu bringen, zumal viele von ihnen den Gedanken ablehnen, politischen Parteien beizutreten, weil sie sich stark ihrem Stamm zugehörig fühlen (T961 28.1.2021). Die Zahl der über das Schulsystem gut integrierten Beduinen dürfte 5 % nicht übersteigen, sodass die überwiegende Mehrzahl weiterhin als Tagelöhner in der Landwirtschaft arbeitet. Es fehlt in ihren Dörfern an grundlegender Infrastruktur (ÖB 28.10.2021). Bei den Sunniten in Khalde [nahe Beirut] handelt es sich meist um Beiruter Beduinen, die während des Bürgerkriegs von christlichen Milizen aus dem Stadtteil Quarantaine [Karantina] vertrieben wurden („Arab Al-Maslakh“ oder „Schlachthausaraber“) (ÖB 28.10.2021; vgl. OT 6.5.2922). Der Zusammenstoß in Khalde im August 2021 involvierte die Hizbollah und auf der anderen Seite Mitglieder eines Beduinenstammes (KT 3.8.2021; vgl. Reddit 1.8.2021). Ein Jahr zuvor war ein Mitglied des Stammes von einem Hizbollah-Mitglied getötet worden. Dieses wurde ein Jahr später aus Rache bei einer Hochzeit ermordet. Dann folgte ein Angriff auf dessen Beerdigungszug in Khalde, was in eine Auseinandersetzung mit mindestens fünf Toten mündete (KT 3.8.2021).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon (Stand 7.10.2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2083550/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_ %C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_ %28Stand_07.10.2022%29%2C_05.12.2022.pdf, Zugriff 30.1.2023

- KT - Khmer Times (3.8.2021): Armed groups clash in area south of Lebanese capital, https://www.khmertimeskh.com/50907321/armed-groups-clash-in-area-south-of-lebanese-capital/, Zugriff 30.1.2023

- ÖB Beirut (28.10.2021): Auskunft per E-Mail

- OT - L’Orient Today (6.5.2022): In Khaldeh, 'a gate to four places,' the Arab tribes stake out their turf, https://today.lorientlejour.com/article/1298555/in-khaldeh-a-gate-to-four-places-the-arabtribes-stake-out-their-turf.html, Zugriff 30.1.2023

- Reddit [Posting von Johnny GSG9] (1.8.2022): Video: Arabs of Khalde (Bedouin clans) clashing with Hezbollah supporters in Khalde, Lebanon. 1 august 2021, https://www.reddit.com/r/CombatFootage/comments/ovze48/arabs_of_khaldebedouin_clans_clas hing_with/, Zugriff 30.1.2023

- T961 - The961 (28.1.2021): How The Bedouins of Lebanon Came To Be, https://www.the961.com/story-bedouins-of-lebanon/, Zugriff 30.1.2023

18. Bewegungsfreiheit

Das Gesetz gewährt Bewegungsfreiheit in Bezug auf Auslandsreisen, Emigration und Wiedereinbürgerung, und die Regierung respektierte grundsätzlich diese Rechte. Einschränkungen gibt es nur für Flüchtlinge und Asylsuchende, von denen die meisten aus Palästina, Syrien und dem Irak stammen (USDOS 12.4.2022) [Anm.: Für detaillierte Informationen wird auf das entsprechenden Kapitel 20 „IDPs und Flüchtlinge“ verwiesen]. Berichten zufolge werden im Libanon diskriminierende Ausgangssperren verhängt, die sich gegen ausländische oder syrische Staatsangehörige richten (MRG 31.1.2022; vgl. USDOS 12.4.2022). Während die Gemeinden ursprünglich Sicherheitsbedenken als Rechtfertigung für die Verhängung von Ausgangssperren für syrische Bürger anführten, insbesondere im Zusammenhang mit dem syrischen Bürgerkrieg und seinen Folgen im Libanon, lieferte die Ausbreitung der Covid-19-Pandemie eine zusätzliche Rechtfertigung für die Einschränkung der Bewegungsfreiheit syrischer Bürger. Während der Pandemie wurde berichtet, dass mindestens 21 libanesische Gemeinden Beschränkungen für syrische Flüchtlinge eingeführt hatten, die nicht für libanesische Bürger gelten (MRG 31.1.2022).

Kontrollpunkte sind im Libanon weit verbreitet (AA 5.12.2022). Bewaffnete nichtstaatliche Akteure behindern oder verhindern die Bewegungsfreiheit in den von ihnen kontrollierten Gebieten. Bspw. kontrollieren Bewaffnete Hizbollah-Mitglieder den Zugang zu einigen von der Hizbollah kontrollierten Gebieten (USDOS 12.4.2022).

Libanon kann auf dem Landweg derzeit nur in Richtung Syrien verlassen werden. Aufgrund des besonderen Charakters der Beziehungen zwischen den beiden Staaten können libanesische Staatsangehörige mit Personalausweis über einen der sechs offiziellen Grenzübergänge problemlos nach Syrien ein- und ausreisen. Auch die „grüne Grenze“ zwischen Libanon und Syrien ist trotz einer gewissen Verbesserung der Grenzüberwachung nach wie vor durchlässig; die Grenze wurde allerdings seit Mitte 2011 in Teilbereichen auf syrischer Seite vermint. Die Demarkationslinie (Blaue Linie) zu Israel ist für den Grenzverkehr geschlossen und wird durch einen durchgehenden Grenzzaun/-mauer auf israelischer Seite befestigt (AA 5.12.2022).

Innerhalb der Familien übten die Männer mitunter eine beträchtliche Kontrolle über weibliche Verwandte aus, indem sie deren Aktivitäten außerhalb des Hauses oder deren Kontakt zu Freunden und Verwandten einschränkten (USDOS 12.4.2022). Verheiratete Frauen benötigen für die Ausstellung eines Reisepasses die Zustimmung des Ehemannes (AA 5.12.2022).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon (Stand 7.10.2022),https://www.ecoi.net/en/file/local/2083550/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_%28Stand_07.10.2022%29%2C_05.12.2022.pdf, Zugriff 27.1.2023

- MRG - MENA Rights Group (31.1.2022): Joint report on the erosion of the non-refoulement principle in Lebanon since 2018, https://menarights.org/en/documents/joint-report-erosion-non-refoulement-principle-lebanon-2018, Zugriff 27.1.2023

- USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071165.html, Zugriff 27.1.2023

19. Grundversorgung und Wirtschaft

Der Libanon befindet sich seit drei Jahren in einer Wirtschafts- und Finanzkrise, die zu den schlimmsten der Welt zählt (WB 14.4.2022; vgl. NPR 5.6.2022). Die wirtschaftliche Situation hat sich seit Oktober 2019 immer weiter verschlechtert (EUI 12.1.2022; vgl. AA 5.12.2022). Mitten in dieser Krise forderte die Explosion im August 2021 im Hafen von Beirut mehr als 200 Tote, mehr als 6.500 Verletzte und 300.000 Obdachlose. Dieses verheerende Ereignis verschlimmerte die ohnehin schon katastrophale sozioökonomische Lage im Land (EUI 12.1.2022).

Die Währung des krisengeschüttelten Libanon, die einst einen Wert von 1.500 pro USD hatte, ist seit Ende 2019 auf Talfahrt und hat seitdem über 90 % ihres Wertes verloren (ABCNEWS 19.1.2023; vgl. TNN 19.1.2023, KAKE 20.1.2023). Die Finanzkrise hat drei Viertel der Bevölkerung in die Armut gestürzt, und Millionen von Menschen haben mit einer der höchsten Inflationsraten der Welt zu kämpfen (ABCNews 19.1.2023). Der drastische Verfall der Währung treibt die Inflation weiter in die Höhe, die sich seit Juli 2020 im dreistelligen Bereich bewegt. Die Inflation lag im Jahr 2021 bei durchschnittlich 150 % und in der ersten Hälfte des Jahres 2022 bei durchschnittlich 218 % und erreichte im Januar 2022 einen Höchststand von 240 % (im Vergleich zum Vorjahr). Der Inflationsdruck wurde durch den Anstieg der weltweiten Lebensmittelpreise seit Beginn des Ukraine-Kriegs noch verschärft. Die Inflation wirkt wie eine höchst regressive Steuer, die die Armen und Schwachen der libanesischen Gesellschaft unverhältnismäßig stark trifft, zumal Grunderzeugnisse, darunter Lebensmittel, die Haupttreiber der Gesamtinflation sind (WB 23.11.2022). Im Juni 2022 lag die Inflation bei Lebensmitteln bei 332 % (WB 23.11.2022; vgl. HRW 12.1.2023). Der Libanon zählt zu den weltweit am stärksten verschuldeten Staaten (WZ 4.11.2022). Die wirtschaftliche Schrumpfung und die Währungsabwertung tragen zu einer ohnehin schon unhaltbaren Schuldendynamik bei. Die öffentliche Verschuldung im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt erreicht den Prognosen zufolge im Jahr 2021 172,5 % und im Jahr 2022 180,7 % (WB 23.11.2022). Im Jahr 2020 trugen Auslandsüberweisungen in der Höhe von 6,63 Mrd. USD zu ungefähr 25,6 % des BIP im Libanon bei. Für Familien, die Gelder aus dem Ausland erhalten, machen die Überweisungen im Durchschnitt 40 % des gesamten Haushaltseinkommens aus und ermöglichen dadurch den Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung, die sonst nur schwer leistbar wären (WKO 10.2022).

Am 4.4.2022 gab der stellvertretende Premierminister die Illiquidität des Libanon und der Libanesischen Zentralbank (Banque de Liban, BDL) bekannt, nachdem der Staat seine Schulden nicht begleichen konnte (WKO 10.2022). Der Zusammenbruch der Banken, der durch ausbleibende Investoren und nicht gedeckte Schulden ausgelöst wurde, hat für einen Großteil der Menschen gravierende Auswirkungen. Die Staatsanwaltschaft fror kurzerhand über Nacht sämtliche Guthaben von 20 Banken ein. Betroffen sind auch Fremdwährungen. Es werden im Höchstfall an Sparer nur wenige hundert Dollar pro Monat ausgezahlt. Die nie per Gesetz legalisierte Kapitalkontrolle betrifft alle Bürger, sofern diese noch nicht in die Armut abgerutscht sind (WZ 4.11.2022). Inmitten der sich verschärfenden und ausweitenden Bankenkrise im Libanon, hat die Frustration bei einigen Anlegern zu radikalen Maßnahmen geführt, als die Landeswährung auf dem Schwarzmarkt einen neuen Tiefstand gegenüber dem Dollar erreichte (WKO 10.2022). So kam es zu vermehrten Banküberfällen von verzweifelten Kunden, die ihre Geldeinlagen einforderten um ihre Ersparnisse gegen den Kursverfall zu retten (WKO 10.2022; vgl. WZ 4.11.2022; PC 27.12.2022). Infolgedessen erklärten die libanesischen Banken Mitte September 2022 einen Generalstreik und verlangten staatliche Maßnahmen, um ein sicheres Arbeitsumfeld zu gewährleisten. Nachdem für eine Woche sämtliche Banken geschlossen waren, hat der libanesische Bankenverband erklärt, dass die Banken in begrenzten Umfang für Unternehmen, Bildungseinrichtungen und Krankenhäusern wieder geöffnet sind (WKO 10.2022). Manche Banken haben Betonmauern und Stacheldraht um ihre Gebäude gezogen, damit aufgebrachte Bürger sie nicht mehr stürmen können (WZ 9.1.2023).

Laut einer von der Staatendokumentation des BFA in Auftrag gegebenen Umfrage des Instituts Statistics Lebanon sind lediglich 34,84 % der in der Studie befragten Libanesen durchgehend erwerbstätig, während 17,74 % einer Gelegenheitsarbeit nachgehen (SL 2022). Steigende Arbeitslosigkeit, eine abwertende Landeswährung, eine explodierende Inflation und die Streichung von Subventionen haben es vielen Menschen erschwert, ihre Grundbedürfnisse zu decken (HRW 12.12.2022). Inzwischen wurden fast alle Subventionen auf Treibstoff, Nahrungsmittel und medizinische Güter abgebaut (AA 5.12.2022). Die Preise für Strom, Wasser und Gas sind in die Höhe geschnallt und stiegen zwischen Juni 2021 und Juni 2022 um 595 % (HRW 12.1.2023). Immer mehr Erwachsene lassen Mahlzeiten ausfallen oder können sich keine Medikamente leisten, gleichzeitig müssen immer mehr Kinder arbeiten gehen, um ihre Familien zu unterstützen. Erschwerend kommt hinzu, dass der anhaltende Krieg in der Ukraine die Preise für Grundnahrungsmittel und Energie weiter in die Höhe treibt. Vor dem Krieg bezog der Libanon 80 % der gesamten Weizeneinfuhren aus der Ukraine und 15 % aus Russland, wie aus libanesischen Zollangaben hervorgeht. Niedrige Einkommen und dreistellige Inflationsraten führen dazu, dass sich viele Menschen lebenswichtige Güter und Dienstleistungen nicht mehr leisten können (HRW 12.12.2022). Dreiviertel der Bevölkerung, insb. im Nord-Libanon (Region Akkar), in der nördlichen Bekaa-Ebene (insb. Region Hermel) sowie in Süd-Libanon, leben an oder unter der Armutsgrenze von ca. 4 USD pro Tag (AA 5.12.2022; vgl. ACAP 31.5.2022). 82 % der Bevölkerung leben in mehrdimensionaler Armut in Bezug auf das Einkommen und verschiedene Aspekte der Lebensbedingungen (ACAP 31.5.2022; vgl. UNESCWA 3.9.2021). Gefährdete Bevölkerungsgruppen, darunter vertriebene Syrer, palästinensische Flüchtlinge aus Syrien (PRS) und palästinensische Flüchtlinge im Libanon (PRL), sind besonders von einem starken Anstieg der Armut, Lücken in wichtigen Versorgungsketten und Einschränkungen beim Zugang zu Nahrungsmitteln, Gesundheitsversorgung, Bildung und anderen grundlegenden Dienstleistungen betroffen (GoL UN 1.2022; vgl. HRW 12.1.2023).

Rund zwei Millionen Menschen im Libanon, darunter 1,29 Millionen Libanesen und 700.000 syrische Flüchtlinge, sind derzeit von Ernährungsunsicherheit betroffen (UN 19.1.2023; vgl. KAKE 20.1.2023). Die erste integrierte Analyse der akuten Ernährungsunsicherheit im Libanon (Integrated Food Security Phase Classification, IPC) prognostiziert, dass sich die Situation zwischen Januar und April 2023 weiter verschlechtern wird. Der Analyse zufolge ist die akute Ernährungsunsicherheit der libanesischen Bevölkerung im Bezirk Akkar am höchsten, gefolgt von Baabda, Baalbek und Tripoli (UN 19.1.2023). Laut Human Rights Watch hat die Ernährungsunsicherheit ein alarmierendes Ausmaß erreicht, was dazu führt, dass viele Familien, darunter auch Kinder, regelmäßig hungern müssen (HRW 12.12.2022). Laut der Umfrage von Statistics Lebanon schaffen es lediglich 13,55 % der Befragten, ihre Familien ausreichend mit Lebensmitteln zu versorgen. Eine Mehrheit von 71,94 % der Befragten kann ihren Haushalt gerade noch mit ausreichend Lebensmitteln versorgen (36,13 %) oder kann dies kaum noch tun (35,81 %) (SL 2022).

Auch die Elektrizitätsversorgung im Libanon ist weiterhin unzureichend. Fast 34 % des Stroms geht durch „technische Verluste“ wie Netzausfälle und „nichttechnische Verluste“, einschließlich Diebstahl, verloren. Seit der Explosion am Beiruter Hafen hat sich im ganzen Land die Stromversorgung, allem voran durch die immer schlimmer werdende finanzielle Situation, extrem verschlechtert. Zuletzt führte der Mangel an Treibstoff in den wichtigsten Kraftwerken des Landes zu einem flächendeckenden Zusammenbruch des Stromnetzes (WKO 10.2022). Des Weiteren kann sich die libanesische Regierung den Brennstoff für die lokalen Kraftwerke nicht leisten. Somit kommt es zu Stromausfällen, welche bis zu 22 Stunden pro Tag dauern (WKO 10.2022; vgl. HRW 12.1.2023). Die meisten Haushalte besitzen trotz der nahezu täglichen Stromausfälle noch immer keinen Generator, bzw. kann die Hausgemeinschaft sich den Treibstoff für den Betrieb der Aggregate nicht mehr leisten (WZ 15.1.2023). Während die weit verbreiteten Stromausfälle alle Libanesen betreffen, hat die Krise die Ungleichheit im Land noch verschärft (HRW 12.1.2023).

Die Gespräche zwischen der libanesischen Regierung und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) haben zu einer Einigung über ein Unterstützungsprogramm im Wert von rund 3 Mrd. USD für die nächsten 46 Monate geführt. Ein finanzieller Sanierungsplan zum Schutz der schwächsten Mitglieder der Gesellschaft wurde jedoch nicht aufgenommen (DW 19.1.2023). Der Libanon muss außerdem noch entscheidende Struktur- und Finanzreformen durchführen, die erforderlich sind, um 3 Mrd. USD an IWF-Hilfe freizusetzen (TNN 17.1.2023).

Versicherungsdienstleistungen

Das libanesische Sozialschutzsystem ist ein zweigeteiltes Modell, das eine Sozialversicherung für die Bessergestellten und Sozialhilfe für die extrem Armen vorsieht, während ein großer Teil der Menschen mit mittlerem oder niedrigem Einkommen ausgeschlossen ist. Die Sozialversicherung umfasst eine Reihe von beitragsabhängigen Programmen über den Nationalen Sozialversicherungsfonds (NSSF), die an eine formelle Beschäftigung in einem Arbeitsmarkt gebunden sind, der überwiegend informell ist, sodass viele keinen Anspruch auf das Programm haben (HRW 12.12.2022). Laut einer Studie der Internationale Arbeitsorganisation (ILO) können lediglich 22,2 % der Beschäftigungsverhältnisse in der Stichprobe als formell bezeichnet werden, während 67,4 % aller Beschäftigten im informellen Sektor tätig sind. Syrer und Palästinenser weisen mit 95 % bzw. 93,9 % einen extrem hohen Anteil an informeller Beschäftigung auf (ILO 12.8.2021). Für arme Libanesen besteht bislang nur ein rudimentäres System der sozialen Sicherung in Form des nationalen Armutsprogramms (NPTP) (AA 5.12.2022). Trotz des alarmierenden Ausmaßes der Ernährungsunsicherheit ist die Abdeckung gering: Nach eigenen Angaben des Programms profitieren 3,5 % der Bevölkerung von dem Programm (HRW 12.12.2022). Anderen Angaben zufolge erhalten derzeit lediglich 63.993 Familien Nahrungsmittelhilfe in Höhe von 20 USD pro Kopf/pro Monat im Rahmen des NPTP. Die Unterstützung macht ca. 2/3 Drittel des im August 2022 festgelegten Survival Minimum Expenditure Basket (SMEB) aus. Die Anzahl der Haushalte soll bis Januar 2023 auf 75.000 erhöht werden (AA 5.12.2022). Während der Covid-19-Pandemie initiierte die Regierung außerdem das Programm Emergency Social Safety Net (ESSN), das mit einem Weltbankdarlehen in Höhe von 246 Millionen USD für drei Jahre finanziert wurde, um den Schutz und die Bereitstellung von Sozialleistungen für extrem arme Haushalte auszuweiten. Die Einführung des Programms begann im März 2022 mit dem Ziel, bis 2025 786.000 Personen, etwa 11,6 % der Bevölkerung, mit Bargeld zu unterstützen (HRW 12.12.2022). Die Einführung eines weiteren sozialen Sicherungsprogramms „ratio card“-System der Regierung für etwa 500.000 Haushalte wurde 2021 angekündigt, aber bislang nicht umgesetzt. Es existiert zudem weder eine allgemeine Arbeitslosen- noch eine Rentenversicherung. Wesentliches Element sozialer Sicherung ist die Familie, daneben karitative und religiöse Einrichtungen (immer nur für die jeweilige Religionsgruppe) (AA 5.12.2022).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon (Stand 7.10.2022),

- https://www.ecoi.net/en/file/local/2083550/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_%28Stand_07.10.2022%29%2C_05.12.2022.pdf, Zugriff 23.1.2023

- ABCNews (19.1.2023): Lebanese pound hits new low as political deadlock persists, https://abcnews.go.com/International/wireStory/lebanese-pound-hits-time-low-deadlock-persists-96527522, Zugriff 20.1.2023

- ACAP - The Assessment Capacities Project (31.5.2022): https://www.acaps.org/sites/acaps/files/products/files/20220531_acaps_briefing_note_lebanon_impact_of_crisis_on_children.pdf, Zugriff 20.1.2023

- DW - Deutsche Welle (19.1.2023): Lebanon's middle class vanishes as economy collapses, https://www.dw.com/en/lebanons-middle-class-vanishes-as-economy-collapses/a-64442064, Zugriff 23.1.2023

- EUI - European Union Institute (12.1.2022): Lebanon: How the Post War’s Political Economy Led to the Current Economic and Social Crisis, https://cadmus.eui.eu/bitstream/handle/1814/73856/QM-01-22-031-EN-N.pdf, Zugriff 20.1.2023

- GoL UN - Government of Lebanon and the United Nations [Lebanon] (1.2022): Lebanon Crisis Response Plan 2022-2023, https://www.3rpsyriacrisis.org/wp-content/uploads/2022/06/LCRP-2022_FINAL.pdf, Zugriff 23.1.2023

- HRW - Human Rights Watch (12.12.2022): Lebanon: Rising Poverty, Hunger Amid Economic Crisis, https://www.hrw.org/news/2022/12/12/lebanon-rising-poverty-hunger-amid-economic-crisis, Zugriff 23.1.2023

- ILO - International Labour Organization (12.8.2021): Assessing Informality and Vulnerability among Disadvantaged Groups in Lebanon: A Survey of Lebanese, and Syrian and Palestinian Refugees, https://www.ilo.org/wcmsp5/groups/public/---arabstates/---ro-beirut/documents/publication/wcms_816649.pdf, Zugriff 23.1.2023

- KAKE (20.1.2023): Lebanon to restore UN payments 'immediately' after losing voting rights in General Assembly, https://www.kake.com/story/48197739/lebanon-to-restore-un-payments-immediately-after-losing-voting-rights-in-general-assembly, Zugriff 23.1.2023

- NPR - National Public Radio (5.6.2022): Lebanon's hospitals are running out of medicine and staff in ongoing economic crisis, https://www.npr.org/sections/goatsandsoda/2022/06/05/1102214169/lebanons-hospitals-are-running-out-of-medicine-and-staff-in-ongoing-economic-cri, Zugriff 20.1.2023

- PC - Purlitzer Center (27.12.2022): My Money or Your Life: The Bank Robbers of Beirut, https://pulitzercenter.org/stories/my-money-or-your-life-bank-robbers-beirut, Zugriff 23.1.2023

- SL - Statistics Lebanon Ltd, Hrsg.: Country of Origin Information Unit (Staatendokumentation), BFA (2022): Lebanon. Socio-economic survey 2022

- TNN - The National News (19.1.2023): Workers hopeless as Lebanese pound plummets to 50,000 to the dollar, https://www.thenationalnews.com/mena/lebanon/2023/01/19/workers-hopeless-as-lebanese-pound-plummets-to-50000-to-the-dollar/, Zugriff 23.1.2023

- TNN - The National News (17.1.2023): Lebanon’s tax revenue more than halved from 2019-2021, IMF says, https://www.thenationalnews.com/business/economy/2023/01/17/lebanons-tax-revenue-more-than-halved-from-2019-2021-imf-says/, Zugriff 23.1.2023

- UN - United Nations (19.1.2023): Around 2 million facing food insecurity across Lebanon, https://news.un.org/en/story/2023/01/1132642, Zugriff 23.1.2023

- UNESCWA - United Nations Economic and Social Commission for Western Asia (3.9.2021): Multidimensional poverty in Lebanon (2019-2021) - Painful reality and uncertain prospects, https://www.unescwa.org/sites/default/files/news/docs/21-00634-_multidimentional_poverty_in_lebanon_-policy_brief_-_en.pdf, Zugriff 23.1.2023

- WB - World Bank (23.11.2022): LEBANON ECONOMIC MONITOR: Time for an Equitable Banking Resolution, https://documents1.worldbank.org/curated/en/099927411232237649/pdf/IDU08288b3490ed820409e0886a08ea1efef93be.pdf, Zugriff 23.1.2023

- WB - World Bank (14.4.2022): Lebanon's Economic Update — April 2022, https://www.worldbank.org/en/country/lebanon/publication/economic-update-april-2022, Zugriff 20.1.2023

- WKO – Wirtschatskammer Österreich [Österreich] (10.2022): Außenwritschaft – Wirtschaftsbericht Libanon, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/libanon-wirtschaftsbericht.pdf, Zugriff 23.1.2023

- WZ - Wiener Zeitung (15.1.2023): Krisenstaat ohne Exit-Strategie, https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/politik/welt/2134289-Krisenstaat-ohne-Exit-Strategie.html, Zugriff 23.1.2023

- WZ - Wiener Zeitung (9.1.2023): "Wir haben hier nur noch Zombiebanken", https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/politik/welt/2173684-Wir-haben-hier-nur-noch-Zombiebanken.html, Zugriff 23.1.2023

20. Medizinische Versorgung

Staatliche Krankenhäuser gibt es in allen größeren Städten. Auch sehr spezielle Behandlungen (Operationen am offenen Herzen, Krebstherapien) können im Land grundsätzlich durchgeführt werden. Die Nachversorgung kriegsbedingter Behinderungen ist möglich (inkl. Transplantationen). Lediglich Patienten mit sehr seltenen oder schwersten Erkrankungen müssen zwingend ins Ausland überwiesen werden, etwa schwerste Brandverletzungen (AA 5.12.2023). Die Wirtschaftskrise im Libanon hat allerdings auch Folgen für den Betrieb von Krankenhäusern und Gesundheitseinrichtungen. Es mangelt an Intensivstationen, Dialyseeinheiten und Kühlketten, was Sterilisations- und Diagnoseverfahren beeinträchtigt (ACAPS 31.5.2022). Aufgrund von Personalmangel und Engpässen bei der Versorgung mit Medikamenten, Treibstoff, Strom und Wasser müssen libanesische Krankenhäuser die Bereitstellung von Gesundheitsleistungen rationieren und Prioritäten setzen (ACAPS 31.5.2022; vgl. NPR 5.6.2022). Dies beeinträchtigt vor allem die Qualität der Gesundheitsversorgung von Frauen und Kindern erheblich (UNICEF 21.4.2022; vgl. NPR 5.6.2022).

Die Abwanderung tausender Ärzte und Krankenpflegepersonal aus dem Libanon, der Mangel an Medikamenten und medizinischem Material sowie Stromausfälle haben das Gesundheitswesen in eine Krise gestürzt (HRW 12.1.2023). Seit 2019 haben fast 40 % der Ärzte und 30 % des registrierten Krankenpflegepersonal den Libanon aufgrund der Wirtschaftskrise dauerhaft oder vorübergehend verlassen. Der daraus resultierende Personalmangel hat dazu geführt, dass Krankenhäuser Stationen geschlossen haben, was ihre Fähigkeit, Gesundheitsdienstleistungen zu erbringen, beeinträchtigt (ACAPS 31.5.2022). Fast alle privaten Krankenhäuser schlossen einige ihrer Abteilungen. Seit Sommer 2021 haben viele Abteilungen wieder geöffnet und die Honorare für Ärzte und für das Krankenpflegepersonal wurden in libanesischen Pfund minimal angepasst. 18 der 163 privaten Krankenhäuser sind aufgrund der finanziellen Situation von der Schließung bedroht (MedCOI 17.6.2022).

Angesichts der explodierenden Inflation haben einige private Krankenhäuser die Behandlungspreise mindestens verdoppelt und zahlreiche Mitarbeiter entlassen (AA 5.12.2022). Die meisten Krankenhäuser haben etwa 40 % ihrer Kapazitäten abgebaut. Bspw. mussten einige der Abteilungen für offene Herzchirurgie im Libanon geschlossen werden, weil das Fachpersonal und die Chirurgen für offene Herzchirurgie das Land aufgrund der Wirtschaftskrise verlassen hatten (MedCOI 17.6.2022). Die Versorgung mit Medikamenten hat sich in der zweiten Hälfte des Jahres 2022 rapide verschlechtert; selbst einfache Schmerzmittel sind oft schwer zu bekommen; seit November 2021 sind die Subventionen für Medikamente praktisch abgeschafft, so dass viele Medikamente nicht mehr erschwinglich sind (AA 5.12.2022; vgl. MedCOI 17.6.2022).

Eine im September 2021 veröffentlichte UN-Studie stellte fest, dass der Prozentsatz der Haushalte, die keine medizinische Versorgung erhielten, von 9 % im Jahr 2019 auf 33 % im Jahr 2021 gestiegen war. Die Zahl der Menschen, die keine Medikamente mehr bekommen konnten, hatte sich innerhalb von zwei Jahren sogar verdoppelt (AI 29.3.2022). Neben dem Medikamentenmangel führt der Mangel an Treibstoff dazu, dass die libanesischen Krankenhäuser nur mit 50 % ihrer Kapazität arbeiten können. Als Folge der staatlichen Stromrationierung, die die Verfügbarkeit von Strom auf zwei bis drei Stunden pro Tag beschränkt, kommt es in den Krankenhäusern weiterhin zu Stromausfällen. Aufgrund des Treibstoffmangels sind die Krankenhäuser nicht in der Lage, Ersatzgeneratoren zu betreiben. Dieses anhaltende Problem bedroht die Bereitstellung von Gesundheitsdiensten im Land und wird dies wahrscheinlich auch weiterhin tun, da die Treibstofflieferanten Schwierigkeiten haben, die für die Aufrechterhaltung der Kette erforderlichen Devisen zu beschaffen (ACAPS 31.5.2022).

Der Libanon ist eines von 30 Ländern, die im Jahr 2022 Cholera Ausbrüche gemeldet haben (BMJ 19.1.2023). Der Ausbruch hat sich über die acht Gouvernorate des Libanon (20 der 26 Bezirke) ausgebreitet. Bis zum 17.1.2023 wurden insgesamt 6.158 mögliche und bestätigte Cholerafälle und 23 damit verbundene Todesfälle gemeldet, was einer Sterblichkeitsrate von 0,37 % entspricht. Die Zahl der Cholerafälle ist in den letzten Wochen deutlich zurückgegangen, wobei die meisten Fälle seit Anfang 2023 aus der Bekaa-Region und in geringerem Maße aus Akkar und dem Berg Libanon gemeldet wurden. Seit dem 9.12.2022 wurden keine neuen Todesfälle mehr registriert (OCHA et al. 18.1.2023).

Versicherungsdienstleistungen

Der Nationale Sozialversicherungsfonds (NSSF) [auch: Caisse Nationale de la Sécurité Sociale (CSSN)], der größte beschäftigungsbasierte Anbieter von Sozialleistungen, ist nahezu zahlungsunfähig und hat den Versicherten ihre Arztrechnungen nicht erstattet (HRW 12.1.2023; vgl. TPS 22.3.2022). Der NSSF bietet seit seiner Gründung im Jahr 1965 einen völlig unzureichenden Versicherungsschutz. Ausgeschlossen sind dabei bspw. informell Beschäftigte und Arbeitslose. Sobald ein NSSF-Versicherter seinen Arbeitsplatz verliert, hat er keinen Anspruch mehr auf Krankenversicherungsschutz. Sie bietet keine Versicherung gegen Arbeitsunfälle oder Berufsrisiken, obwohl dies im Gründungsgesetz vorgesehen war. Trotz seiner erheblichen Defizite bot der NSSF dennoch einem beträchtlichen Teil der Bevölkerung – c.a. 1.2 Millionen Menschen (Xinhua 21.12.2021) – ein Mindestmaß an sozialem Schutz (TPS 22.3.2022).

Neben privater wie staatlicher Krankenversicherung können Behandlung und Medikation für mittellose und/oder aus dem Ausland zurückkehrende Libanesen durch eine Überweisung des Gesundheitsministeriums an dessen Vertragskrankenhäuser (darunter auch renommierte Kliniken wie das American University Hospital oder das Hôtel Dieu in Beirut) und Vertragsärzte erfolgen. Die Vertragskrankenhäuser des Gesundheitsministeriums sind verpflichtet, vom Gesundheitsministerium zugewiesene Patienten im Rahmen einer monatlichen Quote aufzunehmen. Sie wehren sich gelegentlich – soweit diese Quote überschritten wird oder besonders „teure“ Fälle darunter sind – mit juristischen oder bürokratischen Maßnahmen gegen die Überweisung oder versuchen, Einzelpersonen an eine karitative Organisation „weiterzureichen“. Parallel existiert ein vom Gesundheits- und Sozialministerium gefördertes Netzwerk von „Erstversorgungseinrichtungen“, die häufig von Nichtregierungsorganisationen betrieben werden. Diese nehmen einfache Behandlungen (Impfungen/Gabe von Generika/Röntgen etc.) gegen eine Gebühr vor. Rückkehrende können grundsätzlich auch eine – allerdings kostspielige – private Krankenversicherung abschließen. Bei UNRWA registrierte palästinensische Flüchtlinge werden grundsätzlich vom Gesundheitsdienst der UNRWA versorgt, doch deckt diese Versorgung Leistungen der Nachsorge (qualifizierte Krankenhausversorgung) nur unzureichend ab. Andere Flüchtlinge und Ausländer haben keinen Zugang zur staatlichen Krankenversorgung und müssen ihre Behandlungskosten selbst tragen oder eine private Krankenversicherung abschließen. Für ältere Personen oder bei Vorerkrankungen kann es ausgeschlossen oder prohibitiv teuer sein, eine private Krankenversicherung abzuschließen (AA 5.12.2022). Die steigende Nachfrage nach öffentlichen Gesundheitsdiensten verschärft das Problem, da immer mehr Libanesen, die ihre Gesundheitsversorgung in erster Linie über den privaten Sektor in Anspruch nahmen, sich die Kosten aber nicht mehr leisten konnten, Zugang zu öffentlichen Gesundheitsdiensten suchen. Dem öffentlichen Gesundheitssektor fehlt es an Kapazitäten, um die gestiegene Nachfrage zu bewältigen (ACAPS 31.5.2022).

Der Libanon ist darüber hinaus das einzige Land in der MENA-Region ohne ein offizielles Rentensystem für Arbeitnehmer in der Privatwirtschaft (TPS 22.3.2022).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (19.1.2023): Libanon: Reise- und Sicherheitshinweise (Teilreisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/ReiseUndSicherheit/libanonsicherheit/204048, Zugriff 19.1.2023

- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon (Stand 7.10.2022),

- https://www.ecoi.net/en/file/local/2083550/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_%28Stand_07.10.2022%29%2C_05.12.2022.pdf, Zugriff 19.1.2023

- ACAPS - The Assessment Capacities Project (31.5.2022): https://www.acaps.org/sites/acaps/files/products/files/20220531_acaps_briefing_note_lebanon_impact_of_crisis_on_children.pdf, Zugriff 19.1.2022

- AI - Amnesty International (29.3.2022): Libanon 2021, https://www.amnesty.de/informieren/amnesty-report/libanon-2021, Zugriff 19.1.2023

- BMJ - British Medical Journal Health Care Informatics (19.1.2023): Cholera is back but the world is looking away, https://www.bmj.com/content/380/bmj.p141, Zugriff 20.1.2023

- HRW - Human Rights Watch (12.1.2023): World Report 2023 – Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2085471.html, Zugriff 19.1.2023

- Local Doctor via EUAA MedCOI (17.6.2022): AVA 15758, Zugriff 19.1.2023

- NPR - National Public Radio (5.6.2022): Lebanon's hospitals are running out of medicine and staff in ongoing economic crisis, https://www.npr.org/sections/goatsandsoda/2022/06/05/1102214169/lebanons-hospitals-are-running-out-of-medicine-and-staff-in-ongoing-economic-cri, Zugriff 19.1.2023

- OCHA - United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs / UNHCR - United Nations High Commissioner for Refugees / UNICEF - United Nations Children’s Fund WHO - Wolrd Health Organization (18.1.2023): Lebanon Cholera Outbreack Situation Report No 8, 18 January 2023, https://reliefweb.int/report/lebanon/lebanon-cholera-outbreak-situation-report-no-8-18-january-2023, Zugriff 20.1.2023

- TPS - The Public Source (22.3.2022): The Full Story Behind the Looming Collapse of the National Social Security Fund, https://thepublicsource.org/social-security-lebanon, Zugriff 20.1.2023

- UNICEF - United Nations Children’s Fund (21.4.2022): Die Krise im Libanon bedroht die Gesundheit der Kinder, https://unicef.at/news/einzelansicht/die-krise-im-libanon-bedroht-die-gesundheit-der-kinder/, Zugriff 19.1.2023

- Xinhua (21.12.2021): Lebanese losing end of service benefits to local currency devaluation, http://www.news.cn/english/2021-12/21/c_1310386538.htm, Zugriff 20.1.2023

21. Rückkehr

Die Einreisekontrollen an den Grenzübergängen und am internationalen Flughafen Beirut sind strikt. Reise- und Dokumentendaten werden seit 1995 an allen Einreisestellen erfasst und sind durch die General Security zentral abrufbar. Es ist möglich, sich gegen eine geringe Gebühr die Ein- und Ausreisebewegungen aus dem Libanon bescheinigen zu lassen. Personen ohne gültige Dokumente werden erfasst und an der Einreise gehindert. Der Libanon erkennt keine von EU-Staaten für libanesische Staatsangehörige oder Staatenlose ausgestellten Heimreisepapiere an (AA 5.12.2022; vgl. DIS 9.2022). Libanesische Staatsbürger können nicht ohne Vorlage eines Reisepasses bzw. eines von der zuständigen libanesischen Auslandsvertretung ausgestellten Heimreisedokuments (z. B. Laissez-Passer) einreisen (AA 5.12.2022).

Es sind keine Fälle bekannt, in denen libanesische Staatsbürger, die, beispielsweise aus Deutschland, abgeschoben wurden, aus diesem Grund eine diskriminierende Behandlung im Libanon erfahren haben. Sie werden wie alle Einreisenden von den Sicherheitsbehörden überprüft. Ein besonderes staatliches Interesse an dieser Personengruppe ist nicht erkennbar. In Abwesenheit verurteilte Personen werden bei der Einreise in Strafhaft genommen und verbüßen die verhängte Haftstrafe. Sie haben unmittelbar nach Haftantritt die Möglichkeit, die Wiederaufnahme des Verfahrens zu beantragen. Das Verfahren wird vollständig neu durchgeführt, und es gilt das Verbot der „reformatio in peius“ [Verschlechterungsverbot]. In solchen Fällen sind keine Vorwürfe von Folter oder Misshandlung bekannt (AA 5.12.2022).

Laut Bericht des Danish Immigration Service (DIS) sträuben sich die libanesischen Behörden seit Mai 2018 den staatenlosen palästinensischen Flüchtlingen aus dem Libanon (PRLs), die sich im Ausland aufhalten, die Rückkehr in den Libanon zu gestatten, wenn sie keine Aufenthaltsgenehmigung in dem Land haben, in dem sie sich derzeit aufhalten. Dies gilt unabhängig davon, ob die Rückkehr freiwillig oder zwangsweise erfolgen soll. Die Zahl der erfolgreichen Rückführungen innerhalb dieses Zeitraums ist sehr begrenzt. Anträge für neue oder zu verlängernde palästinensische Reisedokumente sowie die Ausstellung von Laissez-passer für PRLs werden vom libanesischen Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten und Emigranten auf Eis gelegt. Es begründet dies damit, dass der Libanon bereits genug Flüchtlinge beherbergt und von der internationalen Gemeinschaft angesichts der großen Anzahl von Flüchtlingen im Libanon keine ausreichende Unterstützung erhält (DIS 9.3.2020). Laut offiziellen Angaben der libanesischer Botschaft Berlin ist für die Ausstellung eines Reisedokuments [DDV – Document de Voyage] für Palästinensische Volkszugehörige aus dem Libanon ein Aufenthaltstitel für Deutschland bzw. eine Bescheinigung der zuständigen Ausländerbehörde, dass ein Aufenthaltstitel vorliegt bzw. erteilt werden kann, notwendig (BL 11.2021). Ausländische Staatsangehörige, vor allem Syrer und Palästinenser, bei denen der Verdacht einer irregulären Einreise nach Deutschland besteht, müssen damit rechnen, dass ihnen die Einreise in den Libanon verweigert wird. Dies kann auch trotz einer aktuell gültigen Aufenthaltserlaubnis für Deutschland der Fall sein (AA 19.1.2023). Besteht bei der Einreise in den Libanon der Verdacht, dass ein Drittausländer vormals illegal nach Europa gelangt ist, verweigern libanesische Grenzbehörden die Einreise. Luftfahrtunternehmen sind dann in der Pflicht, den Passagier zurück zu befördern und pro Passagier wird ein Bußgeld in Höhe von derzeit 2.000 USD erhoben (AA 5.12.2022).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (19.1.2023): Libanon: Reise- und Sicherheitshinweise (Teilreisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/ReiseUndSicherheit/libanonsicherheit/204048, Zugriff 19.1.2023

- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon (Stand 7.10.2022),

- https://www.ecoi.net/en/file/local/2083550/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_%28Stand_07.10.2022%29%2C_05.12.2022.pdf, Zugriff 19.1.2023

- BL - Botschaft des Libanon in der Bundesrepublik Deutschland [Libanon] (11.2021): Erforderliche Dokumente zur Beantragung eines elektronisch lesbaren Reisedokuments (DDV) für palästinensische Volkszugehörige aus dem Libanon (gültig ab November 2021), http://www.libanesische-botschaft.info/images/forms/info-ddv-de-Nov2021.pdf, Zugriff 19.1.2023

- DIS - Danish Immigration Service (9.3.2020): Lebanon, Report on stateless Palestinian refugees from Lebanon and their possibility to reenter Lebanon from a third country (Report based on a Fact Finding Mission to Beirut, Lebanon, from 7 to 10 January 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2026439/Landerapport+Lebanon+Marts+2020.pdf, Zugriff 19.1.2023

Aktuell

Libanon / Israel: Auswirkungen des Konfliktes zwischen Israel und Hamas Der laufende Konflikt rund um den Gaza-Streifen beeinflusst nach wie vor jeden Aspekt des politischen Lebens in Libanon. Der Tourismussektor, der etwa 20 % des BIP Libanons ausmacht, ist in besonderem Maße getroffen, zumal Flüge nach und aus Libanon von den meisten Fluggesellschaften eingestellt oder stark reduziert wurden. Diverse gesellschaftliche Gruppen von politischen Parteien bis zu Wirtschaftsverbänden fordern dementsprechend auf, eine Eskalation des Konfliktes zu verhindern, zumal das Land bereits erhebliche Versorgungsschwierigkeiten hat und nur über sehr beschränkte Reserven verfügt. Libanon ist für einen Großteil seiner Nahrungsversorgung auf Importe angewiesen. Viele Staaten fordern ihre Bürgerinnen und Bürger zur Ausreise auf. Inzwischen sprechen die UN von mindestens 29.000 Binnenvertriebenen aufgrund der Gefechte im Süden Libanons. Diese Umstände verschärfen die sowieso schon angespannte wirtschaftliche Lage erheblich. Weiterhin kommt es fast täglich zu Gefechten, bei denen Hisbollah-Trupps versuchen, vor allem Spähposten und vergleichbare Einrichtungen zu attackieren. Nachdem am 25.10.23 dabei insgesamt elf Hisbollah-Kämpfer getötet wurden, kam es am Folgetag nicht zu Gefechten. Die Hisbollah verkündete eine Änderung der Strategie, anstelle von kleineren Gruppen würden von nun an Zweierteams eingesetzt, um die eigenen Verluste zu minimieren. Bisher sind mindestens 50 Kämpfer der Hisbollah und vier israelische Soldaten während der Kampfhandlungen getötet worden. Zivile Opfer bewegen sich auf beiden Seiten derzeit im einstelligen Bereich. Auf die Angriffe reagierte Israel jeweils mit Vergeltungsangriffen auf Stellungen der Hisbollah. Weiterhin kommt es fast täglich zu Angriffen mittels Raketen auf israelisches Gebiet. Spätestens seit dem 28.10.23 werden diese auch durch den libanesischen Zweig der Qassam-Brigaden der Hamas sowie die libanesische sunnitische Gruppe Jamaa Islamiyya durchgeführt, die jeweils die Verantwortung für mehrere Angriffe übernahmen. Weiterhin werden Orte im Norden Israels evakuiert.

Quelle: BAMF Briefing Notes vom 30.10.2023

Libanon: Rede Hassan Nasrallahs Nachdem Hassan Nasrallah, das Oberhaupt der Hisbollah, sich erstmals seit Beginn des Krieges zwischen Israel und der Hamas am 03.11.23 in einer Ansprache an die Öffentlichkeit gewandt hat, erscheint es so, als dass es vorerst keine Eskalation über das bestehende Niveau hinaus geben wird. In der Rede betonte Nasrallah, dass weder die Hisbollah noch andere Gruppen vorab von der Hamas informiert worden seien und es sich vor allem um einen palästinensischen Konflikt handele. Hisbollah sei bereits unterstützend aktiv durch die Bindung israelischer Kräfte. Zwar schloss er eine weitere Eskalation nicht aus, Beobachterinnen und Beobachter werteten die Rede insgesamt jedoch als eher deeskalierend. In den Wochen zuvor hatten Wirtschaftsverbände, zivile Gruppen und Vertreter praktisch aller anderen politischen Parteien immer wieder darauf gedrängt, Libanon möglichst aus dem Krieg zwischen Hamas und Israel herauszuhalten. Die libanesische Währung stabilisierte sich bei etwa 90.000:1 gegenüber dem US-Dollar. 17 Bewaffnete Zusammenstöße an der Grenze mit Israel Täglich gibt es eine Vielzahl von einzelnen Meldungen entlang der Grenze. Dabei handelt es sich zumeist um kurze Schusswechsel. Die Zahl der dabei auf beiden Seiten gefallenen Kämpfer bleibt unklar, da die Hisbollah und die israelische Armee (IDF) regelmäßig Unterschiedliches berichten. Am Nachmittag des 03.11.23 und am 04.11.23 war nach der Rede Nasrallahs kurzfristig eine erhöhte Intensität festzustellen, die in Angriffen mit Panzerabwehrlenkwaffen auf, Angaben der Hisbollah zufolge, sechs israelische Militärposten und israelische Militärfahrzeuge zum Ziel hatten und in Reaktion darauf Luftschlägen der IDF gipfelten. Am 05.11.23 kam es bei einem Drohnenangriff Israels zu zivilen Opfern, als ein Auto mit einer Frau und drei Kindern getroffen wurde. Es handelt sich um die einzigen in dieser Woche berichteten zivilen Opfer. Weiterhin werden Orte im Norden Israels evakuiert.

Quelle: BAMF Briefing Notes vom 06.11.2023

Libanon: Auswirkungen des Krieges zwischen Israel und Hamas Weiterhin ist die militärische Auseinandersetzung zwischen Israel und der Hamas das alles überragende Thema der innenpolitischen Debatte Libanons. Nachdem Hassan Nasrallah, das Oberhaupt der Hisbollah, sich erneut in einer Ansprache an die Öffentlichkeit gewandt hat, scheint weiterhin keine Eskalation zu einem vollständigen Krieg an der Südgrenze von Seiten der Hisbollah geplant zu sein. Während weiterhin die meisten libanesischen politischen Parteien versuchen, auf Frieden hinzuarbeiten, fordern viele palästinensische Gruppen eine Eskalation. Neueren Schätzungen zufolge wird die libanesische Wirtschaft um bis zu 23 % BIP aufgrund der Auswirkungen des Gaza-Konfliktes verlieren. Dies umfasst vor allem den Tourismus-Sektor, de facto sind jedoch auch die Wirtschaftsaktivität großer Teile Südlibanons sowie die Sicherheit der Wertschöpfungsketten und potenzielle Investitionen betroffen.22 Lage im Süden Libanons und Norden Israels Aufgrund der Vielzahl an einzelnen bewaffneten Zusammenstößen und militärischen Entwicklungen an der Südgrenze Libanons/Nordgrenze Israels werden die Entwicklungen kurz zusammengefasst: Täglich gibt es eine Vielzahl von einzelnen Meldungen entlang der Grenze. Dabei handelt es sich zumeist um kurze Schusswechsel. Inzwischen werden vermehrt von libanesischer Seite Raketensysteme eingesetzt. Beide Seiten erhöhten die Reichweite ihrer Schläge, sodass inzwischen Angriffe bis zu ca. 45 km nördlich der libanesischen Grenze und ebenfalls laut Angaben der Hisbollah bis nach Akkon in Israel möglich sind. Neben einer erhöhten Schlagzahl der Angriffe der Hisbollah ist vor allem festzustellen, dass sich andere Gruppen verstärkt an Angriffen auf Israel beteiligen. Besonders herausgehoben werden muss der militärische Arm der Hamas in Libanon, der die Verantwortung für mehrere Raketenangriffe übernahm. Erstmals wurde durch einen israelischen Drohnenschlag ein Mitglied der Miliz der schiitischen AMAL-Bewegung, der zweiten großen schiitischen Partei neben der Hisbollah in Libanon, getötet. Die Zahl der dabei auf beiden Seiten gefallenen Kämpfer bleibt unklar, da sich die Angaben von Hisbollah und israelischer Armee regelmäßig nicht decken. Auf libanesischer Seite sind inzwischen etwa 100 Todesopfer zu beziffern, wobei 11 davon als Zivilpersonen identifiziert wurden und der Rest ganz überwiegend aus Kämpfern der Hisbollah besteht. Auf israelischer Seite soll es mehrere hundert Verletzte und eine einstellige oder niedrige zweistellige Anzahl von Todesopfern geben. Weiterhin werden Orte im Norden Israels evakuiert. Der israelische Verteidigungsminister sprach eine deutliche Warnung an die Hisbollah vor einer weiteren Eskalation aus

Quelle: BAMF Briefing Notes vom 13.11.2023

Libanon / Israel Lage im Süden Libanons und Norden Israels Weiterhin kommt es häufig zu gegenseitigem Beschuss zwischen der Hisbollah und der israelischen Armee. Aufgrund der Vielzahl der Vorfälle wird die Entwicklung zusammengefasst. Die diplomatische Rhetorik beider Seiten deutet unverändert auf die Möglichkeit einer Einigung über den Grenzverlauf nach einem Ende des Krieges zwischen Israel und der Hamas. Innerhalb Libanons gibt es viele Aufrufe an die Hisbollah, sich bei Angriffen auf Israel von ziviler Infrastruktur fern zu halten. Bisher scheint dies weitgehend zu erfolgen. Nachdem am 02.01.24 Saleh al-Arouri, einer der wichtigsten Anführer der Hamas, zusammen mit zwei weiteren Hamas-Kommandanten und vier Hamas-Mitgliedern bei einem Drohnenangriff in Beirut getötet wurde, wurde von israelischer Seite signalisiert, dass es sich dabei nicht um einen Angriff auf den libanesischen Staat gehandelt habe. In den Folgetagen kam es zu verstärkten Angriffen der Hisbollah auf Ziele in Israel, die damit einhergehenden Stellungnahmen der Hisbollah und vor allem die Äußerungen von Hisbollah-Generalsekretär Hassan Nasrallah ließen jedoch weiterhin keine Intention für eine Eskalation über das derzeitige Gewaltniveau hinaus erkennen. Es kommt nach wie vor täglich zu Angriffen beider Seiten. Inzwischen sind insgesamt auf libanesischer Seite mehr als 175 Personen ums Leben gekommen, darunter etwa 20 Zivilpersonen; auf israelischer Seite bisher 14 Menschen, darunter fünf Zivilpersonen. Seit Beginn der Auseinandersetzung gab es ca. 36 Treffer auf Stellungen der libanesischen Armee, in deren Folge bisher ein libanesischer Soldat starb. Dies führt zu verstärkter internationaler Kritik und nährt Befürchtungen über eine Ausweitung des Konfliktes. Nach Angaben von Hilfsorganisationen sind weiterhin etwa 76.000 Menschen innerhalb Libanons sowie eine vergleichbare Anzahl von Menschen in Israel durch die Eskalation an der Grenze intern vertrieben. Auf israelischer Seite werden die Binnenvertriebenen weitgehend in Hotels untergebracht. In Libanon sind etwa 80 % bei Verwandten in nördlicheren Landesteilen untergekommen, nur etwa 2 % können staatliche Unterkünfte in Anspruch nehmen.

Quelle: BAMF Briefing Notes vom 08.01.2024

Lage im Süden Libanons und Norden Israels Weiterhin kommt es zu regelmäßigem gegenseitigem Beschuss zwischen der Hisbollah und der israelischen Armee. Eine Studie, deren Ergebnisse am 08.02.24 vorgestellt wurden, bezifferte die ökonomischen Kosten des Konfliktes in der Grenzregion auf bisher etwa 1,2 Mrd. USD; zu großen Teilen durch Schäden an der Infrastruktur, doch ebenso substanziell durch die verringerte Geschäftstätigkeit. Am 10.02.24 kam es zu einem Luftschlag auf mehrere Hamas- und einem Hisbollah-Mitglied in Jadra, etwa 60 km nördlich der Grenze. Dabei starben ein syrischer und ein libanesischer Staatsangehöriger, das vermutete Ziel, ein palästinensischer Hamas-Kommandeur, wurde verwundet. Bei einem Drohnenangriff auf die Stadt Houla am 11.02.24 starb eine Zivilperson, neun wurden verwundet. Inzwischen starben seit Beginn der Kämpfe in Libanon 227 Menschen, 200 davon Kombattanten. 19 Gewaltsame Demonstration Proteste pensionierter Armeeangehöriger gegen weitere Kürzungen ihrer Pensionen nahmen am 08.02.24 gewaltsame Formen an, als etwa 2.000 Demonstrierende versuchten, ein Treffen des Kabinetts zu verhindern. Mehrere Minister konnten zunächst an der Teilnahme gehindert werden, während andere den Demonstrierenden entkamen, teilweise aufgrund ihres geringeren Bekanntheitsgrades. Die Polizei setzte Tränengas ein, das Kabinettstreffen konnte mit etwa einer Stunde Verspätung abgehalten werden.

Quelle: BAMF Briefing Notes, 12.02.2024

Libanon Situation im libanesisch-israelischen Grenzgebiet Weiterhin kommt es nahezu täglich zu Gefechten und Angriffen der Hisbollah sowie verbündeter islamistischer Milizen auf der einen und den israelischen Streitkräften auf der anderen Seite. Im Folgenden werden nur Ereignisse erwähnt, bei denen Berichte über zivile Todesopfer vorliegen. Am 21.02.24 kam es in der libanesischen Ortschaft Majdal Zoun zu einem israelischen Militärschlag, bei dem neben einem Hisbollah-Kämpfer eine Zivilistin sowie in einem weiteren Schlag ein sechsjähriges Mädchen getötet worden sein sollen. Am 23.02.24 wurden bei einem Luftangriff auf den Grenzort Blida neben einem Hisbollah-Kämpfer zwei Sanitäter getötet. Die Sanitäter gehörten zum „Islamischen Gesundheitskomitee“, das von der Hisbollah betrieben wird. Seit Beginn der Kampfhandlungen am 08.10.23 sind in Libanon bisher 276 Menschen getötet worden, 44 davon Zivilpersonen. In Israel gab es bisher 16 Todesopfer, sechs davon Zivilpersonen.

Quelle: BAMF Briefing Notes, 26.02.2024

Kurzinformation der Staatendokumentation des BFA vom 08.01.2024

Seit 2019 hat sich die Situation im Libanon aufgrund einer Wirtschafts- und Finanzkrise verschlechtert. Die Covid-19-Pandemie und die Explosion im Hafen von Beirut am 4. August 2020 haben die Lage zusätzlich verschärft. Die politischen Institutionen des Landes sind größtenteils handlungsunfähig und aufgrund parteipolitischer Differenzen nahezu komplett blockiert. Zudem ist seit Oktober 2022 ist das Amt des libanesischen Präsidenten vakant. Ein Nachfolger wurde bislang aufgrund interner Spaltungen und gegenseitiger Blockaden nicht gewählt (Global Conflict Tracker 10.10.2022).

Der Terroranschlag der Hamas vom 7. Oktober 2023 hatte auch Auswirkungen auf die Sicherheitslage im Libanon, insbesondere im Süden des Landes. Seitdem kommt es entlang der libanesisch-israelischen Grenze fast täglich zu wechselseitigen Gefechten und Bombardements unterschiedlicher Intensität. Beteiligt sind vor allem die israelische Armee und die Hisbollah (France24 3.1.2024).

Nach einem aktuellen Bericht des OCHA (Office for the Coordination of Humanitarian Affairs) mussten (Stand 27.12.2024) insgesamt 74.441 Libanesen das südliche Grenzgebiet wegen der prekären Sicherheitslage verlassen. Darüber hinaus wurden bis zu diesem Zeitpunkt insgesamt 118 Menschen getötet und 536 weitere verletzt. Unter den Getöteten befinden sich mindestens 20 zivile Opfer (OCHA 30.12.2023). Al-Jazeera erwähnt in diesem Zusammenhang, dass auf Seiten der Hisbollah (Stand 4.1.2024) etwa 140 Kämpfer getötet wurden (Al-Jazeera 4.1.2023). Darüber hinaus berichtet das Committee to Protect Journalists (CPJ) von insgesamt drei libanesischen Journalisten, die durch israelische Angriffe getötet wurden (CPJ 7.1.2024).

Aus einem Briefing des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) geht hingegen hervor, dass auf israelischer Seite insgesamt 11 Menschen getötet wurden, darunter vier Zivilisten (BAMF 18.12.2023). Zudem mussten bis zu 100.000 Israelis aufgrund der angespannten Lage ihre Häuser im Norden des Landes verlassen (ICG 29.12.2023).

Eine besonders brisante Entwicklung stellt die bereits erwähnte Tötung des hochrangigen Hamas-Mitglieds Saleh al-Arouri am 2. Januar 2024 im Hisbollah kontrollierten Süden Beiruts dar. Bei dem Drohnenangriff wurden auch sechs weitere Personen getötet (BBC 3.1.2024). Laut BBC handelt es sich bei Saleh al-Arouri um eine Schlüsselfigur der Qassam-Brigaden, dem bewaffneten Flügel der Hamas. Er hielt sich seit mehreren Jahren im Libanon auf, um als Bindeglied zwischen der verbündeten Hamas und der Hisbollah zu fungieren (BBC 3.1.2024).

Seitens der israelischen Armee wurde dazu keine Stellungnahme abgegeben. Der israelische Regierungsberater Mark Regev wies jedoch darauf hin, dass unabhängig davon, wer den Anschlag verübt habe, dieser nicht als Angriff auf den libanesischen Staat zu werten sei (BBC 3.1.2024). Nach wiederholten Drohungen, die Ermordung Arouris zu rächen, hat die Hisbollah am 6. Januar mehrere Raketenangriffe auf ausschließlich militärische Ziele innerhalb Israels durchgeführt (Haaretz 7.1.2024).

Aus Angst vor einer drohenden Eskalation forderten mehrere westliche Staaten ihre Staatsbürger auf, das Land schnellstmöglich zu verlassen (Al-Monitor 3.1.2024). Das österreichische Außenministerium bereits am 20.10.2023 eine Reisewarnung für den Libanon ausgesprochen und alle Österreicher aufgefordert, das Land zu verlassen (BMEIA 8.1.2024).

Seit dem Ausbruch des Konflikts gab es immer wieder internationale Bemühungen, die bewaffneten Kämpfe zwischen der Hisbollah und Israel einzudämmen und Teile der UN-Resolution 1701 wieder umzusetzen (Arab News 5.1.2024). Diese Resolution wurde 2006 nach dem Juli-Krieg zwischen der libanesischen Hisbollah und Israel vom Sicherheitsrat verabschiedet und sieht unter anderem die vollständige Einstellung der militärischen Aktivitäten und die Einrichtung einer entmilitarisierten Zone (mit Ausnahme der libanesischen Sicherheitskräfte und der UN-Friedenstruppen) zwischen dem unmittelbaren Grenzgebiet und dem Fluss Litani vor (UN-Sicherheitsrat 11.8.2006).

Angesichts der Entwicklungen nach dem 2. Jänner versuchen die USA und die Europäische Union eine völlige Eskalation des Krieges zwischen der Hisbollah und Israel zu verhindern. Zu diesem Zweck reiste der EU-Außenbeauftragte Joseph Borell vom 5. bis 7. Jänner nach Beirut, um mit führenden libanesischen Persönlichkeiten zusammenzutreffen und die diplomatischen Bemühungen zur Beendigung des Konflikts voranzutreiben. Fast zeitgleich reiste der US-Außenminister zum selben Zweck nach Israel (Jerusalem Post 6.1.2024).

Laut der israelischen Tageszeitung Haaretz schrecken beide Seiten trotz der jüngsten Eskalation noch vor einem offenen Krieg zurück. Der Generalsekretär der Hisbollah, Hassan Nasrallah, hat in seiner jüngsten Rede auch indirekt ein Fenster für diplomatische Gespräche offengelassen. Er bezog sich dabei auf die Beilegung offener Streitigkeiten über die Staatsgrenze zwischen Israel und dem Libanon. Die weiteren Entwicklungen sind derzeit jedoch ungewiss. Es ist nicht sicher, ob internationale Vermittlungsversuche die Lage im Südlibanon beruhigen können. Aufgrund des aufgeheizten Diskurses zwischen der Hisbollah und Israel bestet zudem das Risiko einer offenen Konfrontation oder sogar eines regionalen Flächenbrandes (Haaretz 7.1.2024).

Quellen:

Al-Jazeera (4.1.2024): Israeli military strikes south Lebanon stoking fears of widening conflict, Israeli military strikes south Lebanon stoking fears of widening conflict | Israel War on Gaza News | Al Jazeera, Zugriff 5.1.2024

Al-Monitor (3.1.2024): Germany, Canada urge citizens to leave Lebanon as Hezbollah vows retaliation, Germany, Canada urge citizens to leave Lebanon as Hezbollah vows retaliation - Al-Monitor: Independent, trusted coverage of the Middle East, Zugriff 5.1.2024

Arab News (18.12.2023): French foreign minister: UN Resolution 1701 on Lebanon must be implemented by both sides, French foreign minister: UN Resolution 1701 on Lebanon must be implemented by both sides (arabnews.com), Zugriff 8.1.2024

BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (18.12.2023): Briefing Notes, Gruppe 62 – Informationszentrum Asyl und Migration, Briefing Notes (bamf.de), Zugriff 5.1.2024

BBC – British Broadcasting Corporation (3.1.2024): Hamas deputy leader Saleh al-Arouri killed in Beirut blast, Hamas deputy leader Saleh al-Arouri killed in Beirut blast - BBC News, Zugriff 5.1.2024

BMEIA – Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten (8.1.2023): Reiseinformationen Libanon – Stand 8.1.2024 (unverändert gültig seit: 20.10.2023), Libanon – BMEIA - Außenministerium Österreich, Zugriff 8.1.2024

CPJ – Committee to Protect Journalists (7.1.2024): Journalist casualties in the Israel-Gaza war Journalist casualties in the Israel-Gaza war - Committee to Protect Journalists (cpj.org), Zugriff 8.1.2024

France24 (3.1.2024): Retaliate or not? Hezbollah faces conundrum after Israel kills Hamas deputy in Lebanon, Retaliate or not? Hezbollah faces conundrum after Israel kills Hamas deputy in Lebanon (france24.com), Zugriff 5.1.2024

GCT – Global Conflict Tracker (10.10.2023): Instability in Lebanon, Instability in Lebanon | Global Conflict Tracker (cfr.org), Zugriff 8.1.2024

Haaretz (7.1.2024): Analysis | Hezbollah Chief Eyes Chance for an Israeli Border Deal, but Warfare Has Its Own Rules, Analysis | Hezbollah Chief Eyes Chance for an Israeli Border Deal, but Warfare Has Its Own Rules - Israel News - Haaretz.com, Zugriff 8.1.2024

Jerusalem Post - The Jerusalem Post: Blinken, Borrell call for diplomatic solution to Israeli-Hezbollah conflict, Blinken, Borrell call for diplomatic solution to Hezbollah conflict - The Jerusalem Post (jpost.com), Zugriff 8.1.2024

ICG – International Crisis Group (29.12.2023): Diplomacy Must Prevail in Israel-Hizbollah Conflict, Diplomacy Must Prevail in Israel-Hizbollah Conflict | Crisis Group, Zugriff 8.1.2024

Liveuamap (5.1.2024): Lebanon, Lebanon news on live map - lebanon.liveuamap.com, Zugriff 5.1.2024

OCHA – Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (30.12.2023): Lebanon: Flash Update #7 - Escalation of hostilities in south Lebanon, 27 December 2023, Lebanon: Flash Update #7 - Escalation of hostilities in south Lebanon, 27 December 2023 | OCHA (unocha.org), Zugriff 5.1.2024

UNIFIL - United Nations Interim Force in Lebanon (Dezember 2022: UNIFIL Maps, UNIFIL Maps | UNIFIL (unmissions.org), Zugriff 5.1.2024

UN-Sicherheitsrat (11.8.2006): Resolution 1701 (2006), Etpu (un.org), Zugriff 5.1.2024

Anfragebeantwortung der Staatendokumentation des BFA zur Sicherhaitslage im Libanon angesichts des Gazakrieges vom 27.12.2023:

Wie stellt sich die aktuelle Sicherheitslage im Libanon angesichts des Israel-Gaza-Krieges nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7.10.2023 dar?

Den nachfolgend zitierten Quellen ist zu entnehmen, dass sich die libanesische Miliz Hisbollah und die israelischen Streitkräfte seit dem Angriff der Hamas auf Israel am 7.10.2023 verstärkt gegenseitig unter Beschuss nehmen. Abseits einer einwöchigen Waffenruhe im November geschah dies mit Stand 19.12.2023 mehrmals täglich. Die Feindseligkeiten beschränken sich bislang auf ein geographisch vergleichsweise begrenztes Gebiet entlang der Grenze zwischen Nordisrael und dem Südlibanon. Analysten zufolge möchten sowohl Israel als auch die Hisbollah und Iran einen totalen Krieg vermeiden. Ein Sprecher der UN-Friedensmission im Libanon (UNIFIL) gab in diesem Zusammenhang jedoch zu bedenken, dass es auch zu einer unbeabsichtigten Eskalation des Konflikts kommen kann. Bis zum 12.12.2023 wurden im Südlibanon rund 64.000 Personen vertrieben. Das libanesische Gesundheitsministerium meldete mit Stand 13.12.2023 insgesamt 99 Tote und 463 Verwundete im Libanon, darunter 16 bestätigte Todesfälle von Zivilisten. Bei den Angriffen wurden im Südlibanon auch Wohngebiete getroffen. Die israelische Armee hat auch Phosphorbomben eingesetzt, was unter anderem zur Zerstörung von Ernten und der Kontamination von Wasserquellen führen kann. Einem Bericht zufolge wurden im Südlibanon 40.000 Olivenbäume durch die Kampfhandlungen zerstört. Der verstärkte wechselseitige Beschuss seit Oktober beendete eine 17 Jahre andauernde Zeit des relativen Friedens in diesem Gebiet, wobei die Hisbollah seit dem Frühling vermehrt Stellungen auf der israelischen Seite der so genannten Blauen Linie bezogen hat, was aus israelischer Sicht den Bestimmungen der UN-Sicherheitsratsresolution 1701 widerspricht, die 2006 den Krieg zwischen dem Libanon und Israel beendet hat. Die libanesische Regierung bekräftigte kürzlich ihre Verpflichtung zur Einhaltung der Bestimmungen der Resolution, jedoch ist sie zu schwach, um die Hisbollah zu entwaffnen und ihre Aktivitäten einzuschränken. Führende libanesische Politiker sprachen sich eindeutig gegen eine libanesische Beteiligung am Krieg [zwischen der Hamas und Israel] aus.

Die Hisbollah sieht sich mit einer zunehmenden Ablehnung in der Bevölkerung, insbesondere den christlichen Gemeinden, konfrontiert. Im August 2023 kam es beispielsweise zu einer Auseinandersetzung zwischen Hisbollah-Mitgliedern und Anwohnern eines christlichen Dorfes, die in ein Feuergefecht mit zwei Todesopfern, darunter ein Hisbollah-Mitglied, mündete. Die Hisbollah-Mitglieder verließen schließlich das Dorf und überließen es den libanesischen Streitkräften, die Angelegenheit zu regeln. Christliche Zivilisten und Gemeindevorsteher forderten angesichts des Verhaltens der Hisbollah im Libanon laut einem Bericht vom August 2023 zuletzt vermehrt eine bewaffnete Reaktion und Maßnahmen zur Selbstverteidigung. In manchen christlichen Vierteln wurden unabhängige bewaffnete Gruppen gegründet.

Neben dem Beschuss Israels durch die Hisbollah feuerte 2023 auch die Hamas zweimal Raketen vom Libanon aus auf Israel ab, wobei sie dazu Hisbollah-Stellungen verwendete. Einer der Vorfälle fand vor dem 7.10.2023 statt. Diesen Angriff im April 2023 beantwortete Israel mit Schlägen auf angebliche „Infrastrukturziele“ der Hamas im Libanon. Die Identität der meisten Hamas-Kämpfer im Libanon ist der Öffentlichkeit nicht bekannt, aber es ist möglich, dass sie unter den mehr als 200.000 palästinensischen Flüchtlingen rekrutiert wurden, die im Land leben. Von Ende Juli bis Mitte September 2023 kam es im größten palästinensischen Flüchtlingslager des Libanon, Ain al-Hilweh, zu Zusammenstößen zwischen der Fatah und islamistischen Gruppierungen wie Jund al-Sham und al-Shabab al-Moslem. In Ain al-Hilweh nahe der Stadt Saida kommt es öfters zu Konflikten, zwischen Juli und September wurden jedoch ein Viertel der rund 80.000 Bewohner des Lagers vertrieben. Die Auseinandersetzungen beschränkten sich auf das Lager, abgesehen von Munition, die gelegentlich außerhalb des Lagers niederging. Im Rahmen einer langjährigen Vereinbarung mit den palästinensischen Sicherheitskräften betreten die libanesischen Streitkräfte Ain al-Hilweh normalerweise nicht. Die Hamas war nicht direkt in die Gewalttaten verwickelt, jedoch interpretierte ein Beobachter die Vorkommnisse als einen Stellvertreterkrieg zwischen der Hamas und Fatah, wobei erstere um größeren Einfluss im Libanon bemüht ist.

Einzelquellen:

Der US-amerikanische Nachrichtensender National Public Radio (NPR) berichtete am 19.12.2023, dass mit dem Kriegsbeginn in Gaza Anfang Oktober auch eine 17-jährige Zeitspanne relativen Friedens entlang der libanesisch-israelischen Grenze zu Ende ging, was die Angst vor einer zweiten Front erhöhte, welche die Region in einen größeren Konflikt ziehen könnte. Nach Beginn des Gaza-Krieges reagierte die Hisbollah mit Angriffen auf israelische Ziele in Nordisrael. Die Hisbollah besteht darauf, dass sie von dem Hamas-Angriff vom 7.10.2023 nichts wusste. Die Hisbollah hat mit Israel Angriffe in einer geographisch relativ begrenzten Zone an der Nordgrenze Israels ausgetauscht, um israelische Militärressourcen zu binden, die sonst im Gazastreifen eingesetzt würden. Analysten zufolge möchten sowohl Israel als auch die Hisbollah und der Iran einen totalen Krieg vermeiden. Außer während einer einwöchigen Waffenruhe im vergangenen Monat haben Israel und die Hisbollah seit dem 8.10.2023 täglich mehrere Angriffe über die israelisch-libanesische Grenze hinweg durchgeführt. Diese Angriffe beschränken sich weitgehend auf einen Streifen Land, der auf beiden Seiten der Grenze drei bis vier Meilen tief ist [~4,8-6,4 km], obwohl beide Seiten in der Lage sind, noch viel weiter vorzudringen. Die Hisbollah gibt an, dass 94 ihrer Kämpfer in der Nähe der libanesischen Grenze durch israelische Angriffe getötet worden sind, und das libanesische Militär erklärt, dass ein libanesischer Soldat getötet wurde. Libanesische Medien berichten, dass mindestens 17 Zivilisten getötet worden sind. Drei von ihnen waren Journalisten oder Medienmitarbeiter, darunter der Reuters-Journalist Issam Abdallah, der durch einen Panzerbeschuss getötet wurde, bei dem es sich laut einer Reuters-Untersuchung offenbar um einen gezielten Angriff handelte. Nach israelischen Angaben wurden mindestens 11 Soldaten und Zivilisten auf der israelischen Seite der Grenze getötet. Ein Sprecher der UN-Mission im Libanon (UNIFIL) bezeichnet die Zunahme der Angriffe Anfang Dezember als Teil eines Musters sporadischer Eskalation und nicht als Signal für eine Verschärfung des gesamten Grenzkonflikts. Er und mehrere Analysten sind jedoch der Meinung, dass nur ein einziger Vorfall – zum Beispiel die Tötung einer großen Zahl von Zivilisten – ausreichen würde, um den Konflikt unbeabsichtigt zu eskalieren. Die Hisbollah wird von Sicherheitsanalysten als eine der am stärksten bewaffneten paramilitärischen Organisationen der Welt angesehen.

Der Thinktank Soufan Center berichtete in einem Newsletter vom 12.12.2023, dass sich israelische Beamte weiterhin auf die kontrollierte Eskalation mit der libanesischen Hisbollah entlang der israelisch-libanesischen Grenze konzentrieren, die sich in naher Zukunft auszuweiten droht. Israelische Führer und Strategen gehen davon aus, dass die libanesische Hisbollah, die von Iran stark bewaffnet und finanziert wird und weitaus größer und leistungsfähiger als die Hamas ist, die Fähigkeit – und vielleicht auch die Absicht – hat, einen bedeutenden Angriff auf den Norden Israels durchzuführen. Schon Monate vor dem 7.10.2023 erklärten Hisbollah-Führer, ihre Bewegung beabsichtige, in Galiläa einzudringen und israelische Gemeinden zu übernehmen. Die israelische Führung und die Kommandeure wollen entlang ihrer Nordgrenze wieder eine bedeutende Pufferzone einrichten, sodass sich ein Angriff der Hisbollah-Einheiten rechtzeitig ankündigt.

Die libanesische Miliz hat sich dem Kampf der Hamas gegen Israel nicht in vollem Umfang angeschlossen, wie einige zunächst befürchtet hatten, und beschränkt sich weitgehend auf grenzüberschreitende Raketen- und Artillerieangriffe auf den Norden Israels. Obwohl dieser Schlagabtausch offenbar auf einer nicht festgelegten Einsatzordnung zwischen der Hisbollah und den israelischen Verteidigungskräften (IDF) beruhte, die Angriffe auf militärische Ziele zu beschränken, gab es in den letzten Wochen auf beiden Seiten zivile Opfer. Die israelische Führung sieht ihre Anschuldigungen durch das Völkerrecht gestützt, wonach die Grenzüberschreitung der Hisbollah gegen die international anerkannten Bedingungen des Waffenstillstands verstößt, der den Krieg zwischen Israel und der Hisbollah 2006 beendete. In der Resolution 1701 des UN-Sicherheitsrates, die das Ende dieses Krieges markierte, wurde gefordert, „zwischen der Blauen Linie und dem Litani-Fluss ein Gebiet zu schaffen, das frei von bewaffnetem Personal, Vermögenswerten und Waffen ist, mit Ausnahme derjenigen der libanesischen Regierung und der UNIFIL (der Interimstruppe der Vereinten Nationen im Libanon)“. Seit dem letzten Frühjahr ist die Hisbollah in diesem Gebiet verstärkt aktiv, nachdem die Gruppe Zelte auf der israelischen Seite der Blauen Linie errichtet und eine Panzerabwehrrakete über die Linie abgefeuert hat. Der libanesische Premierminister Najib Mikati erklärte vor kurzem, dass der Libanon sich verpflichtet habe, die Resolution 1701 vollständig umzusetzen. Die libanesische Regierung und die libanesischen Streitkräfte sind jedoch nicht stark genug, um die Hisbollah einzuschränken oder zu entwaffnen, so dass sich die Miliz der Gruppe allmählich in Stellungen verschanzen kann, die direkt über den israelischen Grenzgemeinden und weit südlich des Litani-Flusses liegen.

Einer Information von UNOCHA zufolge sind mit Stand 12.12.2023 64.053 Personen (52 % weiblich) im Südlibanon aufgrund der anhaltenden Feindseligkeiten entlang der Blauen Linie vertrieben worden. Mit Stand 13.12.2023 hat das libanesische Gesundheitsministerium 99 Tote und 463 Verwundete gemeldet. Mindestens 16 bestätigte Todesfälle von Zivilisten wurden dokumentiert. Seit dem 8.10.2023 hat der Schusswechsel zwischen bewaffneten Gruppen und Israel an der libanesischen Südgrenze weiter zugenommen. In der Woche vor Berichtslegung [KW 49, Anfang Dezember] sind die Feindseligkeiten entlang der libanesisch-israelischen Grenze erheblich eskaliert, wobei vermehrt moderne Waffen eingesetzt wurden und die Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung zunahmen. Angesichts der zunehmenden Spannungen haben die israelischen Luftangriffe im Südlibanon weitere Wohngebiete getroffen. Am 9.12.2023 wurde ein Posten der UN-Friedensmission im Südlibanon getroffen, und die Quelle des Feuers wird gerade überprüft. Auch Privateigentum und öffentliche Infrastrukturen wurden beschädigt. Landwirtschaftliche Flächen wurden durch ausgedehnte Brände beschädigt, die durch die Brandwirkung der eingesetzten Geschosse verursacht wurden. Mehr als 50 öffentliche Schulen in den Grenzregionen sind von betrieblichen und sicherheitstechnischen Problemen betroffen, die zu teilweisen oder vollständigen Schließungen führten. Aufgrund von Sicherheitsbedenken und der Nähe zur Zone mit den heftigsten Feindseligkeiten bleiben sechs Zentren für die medizinische Grundversorgung in den Bezirken Marjayoun und Bent Jbeil geschlossen. Der operative Zugang der humanitären Akteure ist innerhalb des 7 km breiten Streifens der am stärksten umkämpften Zone entlang der Blauen Linie eingeschränkt, was die Lieferung von Hilfsgütern beeinträchtigt. Gleichzeitig sind die Aktivitäten zur Sicherung des Lebensunterhalts stark beeinträchtigt, und die Menschen haben zunehmend Schwierigkeiten, ihre Grundbedürfnisse in der unmittelbaren Konfliktzone und in den Vertreibungsgebieten zu befriedigen. Ein Anstieg der Mietpreise ist insbesondere in den Gebieten mit der höchsten Konzentration von vertriebenen Familien zu beobachten. Kürzlich vertriebene Kinder in Notunterkünften weisen erhebliche psychische Probleme auf, einschließlich erhöhter Angst und Schlafstörungen.

Die Nachrichtenseite Fanack mit Sitz in Den Haag, die sich auf Berichterstattung im arabischsprachigen Raum fokussiert, berichtete am 20.12.2023, dass es nach dem israelischen Krieg gegen den Gazastreifen im Anschluss an die Überraschungsangriffe der Hamas am 7.10.2023 zu Zusammenstößen zwischen der Hisbollah und Israel an der südlibanesischen Grenze kam. Im Rahmen der schweren Bombardierung der südlichen Grenzdörfer hat Israel Artilleriegranaten mit weißem Phosphor abgefeuert, einer Brandwaffe, die bei wahllosem Einsatz gegen das humanitäre Völkerrecht verstößt. Weißer Phosphor hat auch verheerende Auswirkungen auf landwirtschaftliche Flächen, da er den Boden und die Wasserquellen vergiftet und die Ernten verbrennt. Die Angriffe auf Olivenbäume waren besonders schwerwiegend: Im Südlibanon wurden etwa 40.000 Olivenbäume durch weiße Phosphorbomben zerstört.

Gemäß einem Bericht des israelischen Thinktanks Institute for National Security Studies (INSS) vom 1.11.2023 sprechen sich führende libanesische Politiker eindeutig gegen eine libanesische Beteiligung am Krieg aus. Der Premierminister der Übergangsregierung, Najib Mikati (ein Sunnit), und Außenminister Abdallah Bou Habib (ein Christ) sowie Gebran Bassil, Vorsitzender der Freien Patriotischen Bewegung, des christlichen Partners der Hisbollah, und natürlich Mitglieder der Hisbollah-Opposition, bekunden ihre Solidarität mit den Palästinensern, betonen aber gleichzeitig, dass der Libanon kein Interesse daran hat, eine weitere Front gegen Israel zu eröffnen, da das Ergebnis für die Libanesen unerträglich wäre. Bei Treffen mit internationalen und regionalen Akteuren bekräftigten sowohl der Premierminister, der einen Notfallplan ankündigte und mit dem Kommandeur der libanesischen Armee sowie dem Kommandeur der UNIFIL sprach, als auch der Außenminister ihr Engagement für die Resolution 1701. Sie sind bestrebt, einen Krieg zu vermeiden, auch in Anbetracht der zu erwartenden schwerwiegenden Folgen für ein Land, das bereits in der schwersten Wirtschaftskrise seiner Geschichte steckt. Die Angst der Bevölkerung vor einem nahenden Krieg zeigt sich in der Zahl der Menschen, die die Dörfer entlang der israelischen Grenze evakuieren und nach Norden ziehen (nach Schätzungen der Internationalen Organisation für Migration der Vereinten Nationen etwa 30.000 Personen).

Der US-amerikanische Thinktank The Washington Institute for Near East Policy (TWI) berichtete am 11.8.2023, dass im Libanon und in Washington allgemeines Einvernehmen darüber herrscht, dass die libanesischen Streitkräfte (LAF) nicht gegen die Hisbollah vorgehen werden, trotzdem wird von der Armee erwartet, dass sie die Bevölkerung vor den von der Gruppe provozierten Gewaltausbrüchen schützt und andere bewaffnete Elemente (z.B. die palästinensischen islamistischen Gruppierungen, die in die jüngsten Zusammenstöße in Ain al-Hilweh verwickelt sind) direkt bekämpft. Die Ereignisse dieser Woche in der christlichen Gemeinde Kahaleh machen die Prioritäten der LAF deutlich. Am 9.8.2023 fuhr ein mit Waffen beladener Hisbollah-LKW auf dem Weg von Beqaa durch das Dorf in der Nähe von Beirut, als er vor einer Kirche umkippte. Hisbollah-Mitglieder eilten zum Ort des Geschehens, umzingelten den Lastwagen und versuchten, Einheimische an der Annäherung zu hindern. Doch anstatt sich zurückzuhalten, wie sie es in Situationen, in denen die Hisbollah involviert ist, normalerweise tun würden, bestanden die Einwohner darauf, den Vorfall zu untersuchen, was zu einem Feuergefecht führte, bei dem zwei Menschen ums Leben kamen, einer davon ein Hisbollah-Mitglied. In dem Bewusstsein, dass die Situation noch weiter eskalieren könnte, verließen die Hisbollah-Mitarbeiter den Schauplatz und überließen der LAF die Verantwortung. Doch die Konfrontation ging weiter: Als die Armeeangehörigen den LKW von der Straße entfernten, versuchten wütende Anwohner, sie aufzuhalten. Sie forderten die Soldaten auf, ihnen die Ladung zu zeigen und die Schuldigen, die den Anwohner Fadi Bejjani erschossen hatten, zu verhaften. Stattdessen drängten die Soldaten sie weg, hinderten die Reporter vor Ort am Filmen und fuhren fort, den LKW und seinen Inhalt zu entfernen. Kahaleh ist nicht der erste Fall von Zusammenstößen zwischen Christen und der Hisbollah. In einem ähnlichen Fall im August 2021 hielten Bewohner der drusischen Stadt Chouya einen Lastwagen der Hisbollah auf, der sich auf den Abschuss von Raketen gegen Israel vorbereitete, nachdem an diesem Tag bereits andere Raketen abgefeuert worden waren. Danach wurde die Abschussvorrichtung an die Hisbollah zurückgegeben. Zwei Monate später stürmte die Hisbollah das christliche Viertel Tayouneh in Beirut, um jene Behörde zu warnen, die die Hafenkatastrophe von Beirut im Jahr 2020 untersuchte, angesichts von Vorwürfen, die Miliz habe explosives Ammoniumnitrat abgezweigt, das dort gelagert war. Kürzlich wurde die Hisbollah verdächtigt, Anfang August Elias Hasrouni, ein Mitglied der so genannten „Libanesischen Kräfte“, einer christlichen politischen Partei, ermordet zu haben.

Die wachsende Frustration über dieses Verhalten hat zu einer zunehmenden Feindseligkeit gegenüber der Hisbollah auf der Straße und in den sozialen Medien geführt, und für viele Libanesen scheint der Vorfall von Kahaleh die Mauer der Angst vor der Hisbollah durchbrochen zu haben. Immer mehr christliche Zivilisten und Gemeindevorsteher fordern nun eine bewaffnete Reaktion und Maßnahmen zur Selbstverteidigung. Unabhängige bewaffnete Gruppen haben bereits begonnen, sich in christlichen Vierteln zu formieren und die Sicherheit in ihre eigenen Hände zu nehmen – eine potenziell gefährliche Entwicklung angesichts des Aufstiegs von Gruppierungen wie Junud al-Rab (Soldaten Gottes), die eine starke sektiererische Rhetorik und eine rechtsextreme soziale Agenda vertreten. Es ist noch zu früh, um vorherzusagen, ob solche Elemente schiitische Viertel angreifen oder andere Formen der Gewalt ausüben werden, aber ihre wachsende Popularität könnte diejenigen vor Probleme stellen, die hoffen, den Frieden zu wahren.

Die Tendenz der LAF, die Hisbollah-Täter vom Haken zu lassen oder ihre Aktivitäten zu unterstützen, ist zum Teil auf eine offizielle libanesische Doktrin zurückzuführen, die von den aufeinanderfolgenden Regierungen übernommen wurde. Die Formulierung „das Volk, die Armee und der Widerstand“ hat es dem „Widerstand“ der Hisbollah jahrelang ermöglicht, seine Waffen zu behalten (was gegen die Resolution 1701 des UN-Sicherheitsrats verstößt, in der die Entwaffnung aller nichtstaatlichen Einheiten gefordert wird), sich frei im Land zu bewegen und Anwohner von Wohnvierteln als menschliche Schutzschilde gegen israelische Militäraktionen zu nutzen, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden.

Jüngste Äußerungen spiegeln eine echte Verärgerung innerhalb der christlichen Gemeinschaft wider, obwohl diese Abneigung nicht neu ist. Die Abneigung gegen die Hisbollah ist gewachsen, seit sie im Mai 2008 die Bevölkerung angegriffen hat, indem sie in die Straßen von Beirut eindrang und die Residenz des Premierministers belagerte – etwas, was sie zuvor noch nie getan hatte. Den größten Imageschaden erlitt die Hisbollah im Jahr 2019, als sie beschloss, die korrupte politische Klasse vor öffentlichen Massenprotesten zu schützen. Die Explosion im Hafen 2020 war ein weiterer Schlag, insbesondere nachdem der Sicherheitschef der Hisbollah, Wafiq Safa, Tarek Bitar, den Richter, der die Ermittlungen leitete, öffentlich bedrohte. Heute scheinen die meisten Bürger – auch viele in der schiitischen Kernwählerschaft der Hisbollah – die Gruppe als iranische Besatzungsmacht zu betrachten und ihr „Widerstands“-Narrativ als irrelevant anzusehen. Nur wenige glauben, dass ihre Waffen notwendig sind, um den Libanon zu befreien oder gar zu schützen.

Einem von der Jamestown Foundation am 1.12.2023 veröffentlichten Artikel ist zu entnehmen, dass sich die Hamas in diesem Jahr zu zwei Raketenangriffen auf den Norden Israels vom Libanon aus bekannt hat, von denen einer nach dem Massaker der Gruppe an Israelis am 7.10.2023 erfolgte. Die Geschosse wurden von Stützpunkten im Südlibanon aus abgeschossen, die von der von Iran unterstützten militanten Gruppe Hisbollah kontrolliert werden. Am 6.11.2023 behauptete der libanesische Zweig des bewaffneten militanten Flügels der Hamas, die al-Qassam-Brigaden, 16 Raketen auf die nordisraelischen Städte Haifa und Nahariya abgefeuert zu haben. Die israelischen Verteidigungskräfte (IDF) behaupteten später, dass innerhalb von etwa einer Stunde circa 30 Raketen abgefeuert wurden. Die anderen etwa 14 Raketen kamen vermutlich entweder von einer anderen palästinensischen Gruppierung, der Hisbollah oder von beiden. Am 6.4.2023 wurden mindestens 36 Kleinkaliberraketen vom Typ Grad aus dem Südlibanon auf Nordisrael abgefeuert. Dies war zu diesem Zeitpunkt der größte Angriff aus dem Libanon seit dem Ende des Krieges 2006. Am folgenden Tag startete Israel einen Gegenangriff aus der Luft auf angebliche „Infrastrukturziele“ der Hamas im Libanon .

Die Identität der meisten Hamas-Kämpfer im Libanon ist der Öffentlichkeit nicht bekannt, aber es ist möglich, dass sie unter den mehr als 200.000 palästinensischen Flüchtlingen rekrutiert wurden, die derzeit im Land leben und von denen die meisten nicht aus dem Gazastreifen stammen. Von Ende Juli bis Mitte September kam es im größten palästinensischen Flüchtlingslager des Libanon, Ain al-Hilweh, zu Zusammenstößen zwischen der Partei von Mahmoud Abbas, der Fatah, und islamistischen Gruppierungen wie Jund al-Sham und al-Shabab al-Moslem. Dies bot einen Einblick in die wachsende Präsenz der Hamas im Land. Berichten zufolge war die Hamas nicht direkt in die Gewalttaten verwickelt, aber ein palästinensischer Vertreter im Lager behauptet, dass die Gruppe während der Kämpfe in Kontakt mit den islamistischen Kräften vor Ort stand. So ist es wahrscheinlich, dass es sich bei den Zusammenstößen in gewisser Weise um einen Stellvertreterkrieg zwischen Hamas und Fatah handelte, wobei erstere um größeren Einfluss im Libanon bemüht ist. Am 21.11.2023 wurde Khalil Kharez, stellvertretender Kommandant der al-Qassam-Brigaden, bei einem israelischen Luftangriff in der Nähe der palästinensischen Flüchtlingslager in Tyros getötet. Einem Tweet von Gaza Report zufolge bewegte sich Kharez zwischen Abschussplätzen in der Region, was auf die militärische Präsenz der Hamas hindeutet. Die wachsende Sichtbarkeit der Gruppe im Libanon ist daher wahrscheinlich ein Hinweis darauf, dass die Hamas in der Lage ist, Kämpfer unter der großen palästinensischen Flüchtlingsbevölkerung des Landes zu rekrutieren und auszubilden.

Laut einem Bericht der emiratischen Nachrichtenorganisation The National vom 7.8.2023 sagte der libanesische Innenminister Bassam Mawlawi, es gebe derzeit keine Anzeichen dafür, dass sich der Konflikt in Ain al-Hilweh außerhalb des Lagers ausbreiten werde. Die Situation im Lager habe sich beruhigt und die Bemühungen um die Festnahme der Gewalttäter würden fortgesetzt. Ain al-Hilweh, in dem etwa 80.000 Menschen leben, liegt in der Nähe der Stadt Saida im Süden des Landes. Seit dem Ausbruch der Kämpfe zwischen der Fatah und den Hardliner-Gruppen in dem Lager Ende Juli sind mindestens 13 Menschen getötet worden. Ein Waffenstillstand wurde wiederholt gebrochen. In Ain al-Hilweh kommt es häufig zu Konflikten, aber die jüngste Gewalt war besonders schwerwiegend, da etwa ein Viertel der Bewohner des Lagers vertrieben wurde. Gelegentlich sind Kugeln auch außerhalb des Lagers niedergegangen. Im Rahmen einer langjährigen Vereinbarung mit den palästinensischen Sicherheitskräften betreten die libanesischen Streitkräfte die Lager normalerweise nicht.

Quelle: Anfragebeantwortung der Staatendokumentation des BFA zur Sicherheitslage im Libanon angesichts des Gazakrieges vom 27.12.2023.

3. Beweiswürdigung:

3.1. Zum Verfahrensgang:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakte des BFA sowie des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

3.2. Zur den Vorverfahren:

Die Feststellungen hinsichtlich der Vorverfahren des BF ergeben sich durch eine Einsichtnahme in die Verwaltungsakte sowie Gerichtsakte des BVwG bezüglich der diesem Verfahren vorangegangenen Asylverfahren des BF.

3.3. Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Identität des BF sowie dessen Staatsangehörigkeit, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit konnte bereits in den beiden Vorverfahren, zuletzt mit Erkenntnis des BVwG vom XXXX , GZ: XXXX , festgestellt.

Die Feststellung hinsichtlich seiner Herkunft konnte aufgrund der Ausführungen des BF im gegenständlichen Verfahren in Zusammenschau mit den rechtskräftigen Feststellungen in den vorangegangen Asylverfahren getroffen werden.

Die Sprachkenntnisse des BF ergeben sich aus dem Umstand, dass der BF diese selbst im gegenständlichen Asylverfahren vorbrachte.

Hinsichtlich der Feststellung zur Familie im Libanon ist zunächst anzuführen, dass aufgrund der widersprüchlichen Ausführungen des BF bereits vom Asylgerichtshof mit Erkenntnis vom XXXX , GZ: XXXX , keine Feststellung hinsichtlich des Verbleibs des Vaters des BF getroffen werden konnte, sondern lediglich feststellbar war, dass die Mutter sowie eine Schwester und ein Bruder des BF im Libanon leben. Doch auch in seinem zweiten Asylverfahren machte der BF hinsichtlich seiner Familienangehörigen widersprüchliche Angaben, indem er in der Einvernahme im Jahr XXXX zunächst ausführte, dass nur mehr ein Bruder im Libanon leben würde und demgegenüber jedoch in der Einvernahme im Jahr XXXX angab, dass seine gesamte Familie im Jahr XXXX verstorben sei. Aufgrund dieser widersprüchlichen Ausführungen konnte mit Erkenntnis des BVwG vom XXXX , GZ: XXXX , lediglich die Feststellung getroffen werden, dass sich ein Bruder des BF im Libanon aufhält. Anzuführen ist, dass sich die Ausführungen des BF in seinem gegenständlichen dritten Verfahren in keiner Weise in Einklang mit seinen bisherigen Angaben bringen lassen. So gab der BF bei seiner Erstbefragung an, dass der Vater verstorben sei und sich seine Mutter sowie zwei Schwestern und zwei Brüder im Libanon aufhalten würden. Aufgrund der durchgehend unterschiedlichen Ausführungen konnte sohin keine eindeutige Feststellung hinsichtlich der noch im Libanon aufhältigen Familienangehörigen getroffen werden.

Die Feststellungen zur Einreise des BF in das österreichische Bundesgebiet sowie den Verfahren hinsichtlich des Erstantrages sowie des Zweitantrages auf internationalen Schutz ergeben sich aus dem diesbezüglichen unstrittigen Akteninhalt, insbesondere dem im Akt enthaltenen Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom XXXX , GZ: XXXX sowie jenem des BVwG vom XXXX , GZ: XXXX .

Die Feststellung, dass dem gegenständlichen Antrag des BF auf internationalen Schutz bereits zwei Anträge dieser Art vorangegangen sind, konnte aufgrund des unstrittigen Akteninhaltes getroffen werden.

Die Feststellung, dass die gegenständliche Asylantragstellung anlässlich einer polizeilichen Anhaltung erfolgte, ergibt sich aus dem im Akt einliegenden Anhalteprotokoll vom XXXX und den diesbezüglichen Angaben des BF in der hg. Verhandlung.

Die Feststellungen hinsichtlich des im österreichischen Bundesgebiet aufhältigen Bruders sowie der Lebensgemeinschaft des BF konnten aufgrund der gleichbleibenden Ausführungen im gegenständlichen Verfahren getroffen werden.

Dass der BF gesund ist, ergibt sich aus den unwiderlegten Angaben des BF. Der BF gab im Rahmen der behördlichen Einvernahme an, sich nicht in ärztlicher Behandlung zu befinden und nicht regelmäßig Medikamente einzunehmen. Darüber hinaus legte der BF auch bis dato keine gegenteiligen medizinischen Unterlagen vor und bekräftigte auch in der hg. Verhandlung, dass es ihm gut gehe.

Von einer Arbeitsfähigkeit des BF ist aufgrund seines Gesundheitszustandes sowie der diesbezüglichen Ausführungen des BF auszugehen.

Dass der BF in der Vergangenheit verschiedene Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung bezogen hat, ist dem Betreuungsinformationssystem zu entnehmen.

3.4. Zu den Gründen für den neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz:

3.4.1. Das Vorbringen des BF zu den Gründen für das Verlassen seines Herkunftsstaates im gegenständlichen Verfahren beruht auf seinen Angaben in der Erstbefragung und in der Einvernahme vor dem BFA sowie auf den Ausführungen in der Beschwerde sowie der hg. mündlichen Beschwerdeverhandlung.

Dass sich der BF im gegenständlichen Verfahren bezüglich seines Antrages auf internationalen Schutz zunächst grundsätzlich auf jene bereits in den zuvor geführten Asylverfahren geltend gemachten und als nicht glaubhaft qualifizierten Gründen gestützt hat, ergibt sich sowohl aus seinem Vorbringen bei der Erstbefragung als auch aus seinen Angaben vor dem BFA. Auch in der Beschwerde und im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung wurde kein neues Vorbringen erstattet.

Im Rahmen des ersten Asylverfahrens brachte der BF in seiner Erstbefragung am XXXX vor, die Hisbollah habe ihn rekrutieren wollen. Da der BF dies jedoch abgelehnt habe, sei er mit dem Tod bedroht worden, angeschossen und einmal auch mit einem Messer verletzt worden. Daraufhin sei der BF drei Monate lang im Krankenhaus gewesen. Auch nach seiner Entlassung sei der BF wieder bedroht worden, woraufhin er den Libanon gänzlich verlassen habe.

Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt am XXXX führte der BF befragt zu seinen Fluchtgründen aus, im Libanon von der Hisbollah mit dem Umbringen bedroht zu werden. Der BF sei bereits am rechten Bein angeschossen und mit einem Messer attackiert worden. Der BF hätte sich der Hisbollah anschließen sollen, was dieser jedoch nicht wollte und daher sei er anschließend in den Südlibanon geflohen. Der BF sei jedoch auch hier immer wieder verfolgt und attackiert worden, sodass er schließlich aus dem Libanon ausreiste. Als konkreten Ausreisegrund nannte der BF den Umstand, dass er zehn Tage vor seiner Flucht mit dem Messer attackiert worden sei.

In einer folgenden niederschriftlichen Einvernahme am XXXX gab der BF zudem an, den Libanon aufgrund des Krieges verlassen zu haben. Aufgrund des Krieges habe der BF sein Haus verloren und zudem gebe es nicht genügend Arbeitsmöglichkeiten im Libanon. Der BF führte nach nochmaligem Nachfragen nach seinen Fluchtgründen auch aus, von Mitgliedern der Hisbollah am Bein und am Arm verletzt worden zu sein und es sei versucht worden, den BF zu entführen. Der BF hätte mit diesen Personen zusammenarbeiten sollen und er hätte für die Hisbollah als Spitzel arbeiten sollen. Zuletzt sei der BF etwa fünf Monate vor seiner Flucht bedroht worden.

In der Entscheidung des Asylgerichtshofes vom XXXX , GZ: XXXX , wurde dazu rechtskräftig ausgeführt, dass die Ausführungen des BF aufgrund zahlreicher Widersprüche als unglaubwürdig anzusehen sind. Bereits vor dem Bundesasylamt schilderte der BF sein Vorbringen höchst widersprüchlich. Der BF machte widersprüchliche Angaben hinsichtlich des Beginns der angeblichen Bedrohungslage sowie hinsichtlich des fluchtauslösenden Vorfalles. Auch im Rahmen der Beschwerdeverhandlung verstärkte sich die Unglaubwürdigkeit des BF, indem er einerseits erstmals vor dem Asylgerichtshof einen weiteren Vorfall mit Mitgliedern der Hisbollah vorbrachte und andererseits abweichende Angaben zu seinen vor dem Bundesasylamt getätigten Ausführungen machte. Vor allem in Bezug auf die letztlich ausreisekausalen Ereignisse seien gravierende Widersprüche erkennbar. Für den BF konnte dahin im Falle seiner Rückkehr auch keinerlei maßgebliche Verfolgungsgefahr festgestellt werden.

Im zweiten Asylverfahren brachte der BF im Zuge seiner Erstbefragung neuerlich vor, nicht in den Libanon zurückkehren zu können. Dort herrsche Krieg und die Hisbollah würde den BF verfolgen. Die Mitglieder der Hisbollah hätten den BF zwingen wollen, gegen seine Landsleute zu kämpfen. Zudem würden die Mitglieder als Schiiten Sunniten wie den BF hassen. Es sei versucht worden, den BF zu entführen und er sei angeschossen worden. Im Falle seiner Rückkehr müsse der BF für die Hisbollah kämpfen; dies lehne der BF jedoch ab. Nach der der nochmaligen Frage nach etwaigen neuen Antragsgründen führte der BF aus, dass seit XXXX ein Bürgerkrieg zwischen Syrien und dem Libanon entflammt sei. Der BF sei gegen den Krieg und wolle nicht gegen Landsleute kämpfen. Die neuen Antragsgründe seien dem BF seit XXXX bekannt. Zudem führte der BF an, im Libanon keine Existenzgrundlage zu haben und in Österreich von seinem Bruder unterstützt werden.

In der folgenden behördlichen Einvernahme am XXXX gab der BF befragt zum Grund für die gegenständliche Antragsstellung an, dass die Probleme im Falle seiner Rückkehr von Neuem beginnen würden. Nach der nochmaligen Aufforderung etwaige neue Antragsgründe darzulegen, wiederholte der BF, dass ihn jene Gruppe, die ihn bereits damals angeschossen habe, nach wie vor umbringen wolle. An Freunde des BF seien Drohungen gegen ihn gesendet worden. Zwei Freunde des BF sowie zwei Bekannte seien getötet worden. Der BF verwies zudem auf Zwischenfälle zwischen der Hisbollah und seinen Freunden bzw. ihm selbst, die bereits vor seiner Ausreise stattgefunden haben. Der BF habe davon jedoch in seinem ersten Verfahren nur teilweise erzählen können, da es auch Dinge geben würde, die er erst von seinen Freunden erfahren habe.

In einer folgenden behördlichen Einvernahme am XXXX gab der BF auch ausdrücklich an, dass sich an seinen Antragsgründen nach der rechtskräftigen Entscheidung im ersten Verfahrensgang im Jahr XXXX nichts geändert hätte.

Mit Erkenntnis des BVwG vom XXXX , GZ: XXXX , wurde ausgeführt, dass sich der BF im Wesentlichen nur auf jene Antragsgründe berufen hat, über die bereits in seinem ersten Verfahren rechtskräftig entschieden worden ist. Der BF habe sich sowohl auf eine behauptete, jedoch letztlich als nicht glaubhaft anzusehende Verfolgung durch die Hisbollah im Libanon gestützt. Der BF habe sohin kein relevantes, zumindest mit einem glaubhaften Kern versehenes Vorbringen erstattet, das eine neuerliche inhaltliche Entscheidung der belangten Behörde über seinen Folgeantrag bedingt hätte.

Im Rahmen des gegenständlichen dritten Antrages auf internationalen Schutz führt der BF bei seiner Erstbefragung am XXXX befragt zu seinem Ausreisegrund an, von der Hisbollah und anderen Gruppierungen verfolgt zu werden. Der BF verstehe darunter die schiitische Gemeinschaft. Die Hisbollah würde den BF rekrutieren wollen und ihm mit dem Umbringen drohen. Der BF führte zudem aus, dass sich seit seiner Negativentscheidung des Asylantrages für ihn nichts geändert habe und er seine alten Fluchtgründe aufrecht halte. Bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat befürchte der BF den Krieg, die Hisbollah und Israel.

In seiner folgenden behördlichen Einvernahme XXXX vor einem Organwalter des BFA gab der BF befragt zu seinen Gründen für die aktuelle Antragsstellung an: „Ich muss unbedingt in Österreich arbeiten. Ich möchte nicht vom Staat oder der Caritas leben, aber dafür benötige ich einen Aufenthaltstitel. Deshalb habe ich einen neuen Antrag gestellt.“ Im Rahmen der Befragung führte der BF auch aus, all seine Fluchtgründe bereits im ersten Verfahren vorgelegt zu haben. Der BF werde bei seiner Rückkehr von der Hisbollah umgebracht werden und er habe eine Schussverletzung am rechten Bein. Seit dem letzten Verfahren des BF habe sich an den Fluchtgründen des BF nichts geändert.

In der hg. Verhandlung gab der BF erneut zu den Gründen für seine gegenständliche Asylantragstellung gefragt an, diese seien in seiner Lage in Österreich gelegen; er wolle arbeiten, was er aufgrund seiner aufenthaltsrechtlichen Situation nicht dürfe. Nach weiteren Gründen gefragt, nannte der BF seine Bedrohung und Verfolgung im Libanon, welche er bereits in den vorigen Verfahren dargelegt habe. Aufgrund einer Schießerei zwei Tage vor der hg. Verhandlung habe sich die Lage verschlechtert; an der Stadtgrenze von XXXX sein ein Verwandter von der Hisbollah aufgrund eines Beschusses aus einem Flugzeug getötet worden, dies nicht gezielt, sondern da er zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen sei. Im weiteren gab der BF über Nachfragen an, es habe sich nicht um einen Verwandten, sondern um einen Freund gehandelt. Er habe dies von Freunden und seinen Familienangehörigen erfahren und hätten die libanesischen Nachrichten davon berichtet. Er selbst habe keine Unterlagen dazu und sei der Name des Freundes nicht konkret genannt worden, sondern sei berichtet worden, dass es Tote und Verletzte gegeben habe. Wenn der BF im Zuge der hg. Verhandlung erklärte, ein Verwandter sei im Zuge eines Bombardements von der Hisbollah getötet worden, so tauschte er sein Vorbringen über genaueres Befragen dahingehend aus, dass es sich um keinen Verwandten, sondern einen Freund gehandelt habe. Aufgrund der divergierenden Angaben des BF sind die betreffenden Angaben des BF, wonach er eine getötete Person gekannt habe, erheblich in Zweifel zu ziehen; sollte man entgegen der hg. Ansicht dennoch von der Glaubhaftigkeit dieser Angaben ausgehen, so vermochte der BF damit kein reales Risiko einer Rückkehrgefährdung hinsichtlich seiner Person glaubhaft machen.

Als Vergleichsbescheid ist im Falle mehrfacher Asylfolgeanträge derjenige Bescheid heranzuziehen, mit dem zuletzt in der Sache entschieden – und nicht etwa nur ein Folgeantrag wegen entschiedener Sache zurückgewiesen – wurde (vgl. in diesem Sinn VwGH 26.06.2005, 2005/20/0226, mwN). Im vorliegenden Fall ist als Vergleichsentscheidung das rechtskräftige Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom XXXX , GZ: XXXX , heranzuziehen.

Aufgrund der oben angeführten Aussagen des BF in seinem gegenständlichen Verfahren ist erkennbar, dass sich der BF im Zusammenhang mit den geltend gemachten Asylgründen nach wie vor ausschließlich auf sein bereits im Erstverfahren erstattetes Vorbringen bezieht. Sämtliche vorgebrachte, asylrelevante Fluchtgründe sind daher von der Rechtskraft der Entscheidung des Asylgerichtshofes vom XXXX , GZ: XXXX , bereits umfasst.

Insoweit sich der BF daher im gegenständlichen Fall weiterhin auf die im Rahmen der vorherigen Asylantragstellung vorgebrachten Fluchtgründe stützt, liegt zweifelsfrei entschiedene Sache vor und wird diesbezüglich auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zum "Fortbestehen und Weiterwirken", VwGH 20.03.2003, 99/20/0480 („Wird die seinerzeitige Verfolgungsbehauptung aufrechterhalten und bezieht sich der Asylwerber auf sie, so liegt nicht ein wesentlich geänderter Sachverhalt vor, sondern es wird der Sachverhalt bekräftigt“) verwiesen. Eine systematische Zwangsrekrutierung der Hisbollah ist aus den Länderfeststellungen nicht ableitbar.

Einen neuen entscheidungsrelevanten Sachverhalt, hat der BF mit seinen Schilderungen im gegenständlichen Verfahren somit zweifelsfrei nicht belegen können. Da im gegenständlichen Verfahren lediglich die bereits vorgebrachten Ausreisegründe aufrecht gehalten wurde, ist im gegenständlichen Fall nicht von einer behaupteten Sachverhaltsänderung nach rechtskräftigem Abschluss des vorigen Asylverfahren auszugehen. Die Ausführungen des BF im gegenständlichen Verfahren konnten insgesamt keinesfalls einen neuen Sachverhalt, welcher eine neue Sachentscheidung als zulässig erscheinen ließe, begründen.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat solcherart in Ermangelung zusätzlicher Elemente des Vorbringens des Asylwerbers, die für eine individuelle konkrete Bedrohung bzw. für Asylrelevanz sprechen könnten, zu Recht das diesbezügliche im gegenständlichen Asylverfahren erbrachte Vorbringen nicht als neuen entscheidungsrelevanten Sachverhalt gewertet. Der neuerliche Antrag auf internationalen Schutz dient demzufolge der Überprüfung einer bereits rechtskräftigen Entscheidung bzw. resultiert aus dem Wunsch nach einer Aufenthaltsberechtigung und einer Arbeitsbewilligung und wurde vom BFA daher rechtsrichtig wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen.

Im gegenständlichen Asylverfahren wurde somit kein entscheidungsrelevanter neuer Sachverhalt im Sinne eines „novum productum“ behauptet.

3.4.2. Auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ist ebenso wenig eine entscheidungsrelevante Änderung der Sach- oder Rechtslage erkennbar.

Insoweit daher das Vorbringen des Beschwerdeführers unter dem Blickwinkel des Refoulementschutzes (§ 8 AsylG) zu betrachten ist, ist auszuführen, dass bereits im Erstverfahren festgehalten wurde, dass sich aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers kein "reales Risiko" ergeben habe, dass es durch die Rückführung des Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat zu einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe kommen würde. Ebenso wenig kam im Verfahren hervor, dass konkret für den Beschwerdeführer im Falle einer Rückverbringung in seinen Herkunftsstaat die reale Gefahr bestünde, als Zivilperson einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts ausgesetzt zu sein und darf in diesem Konnex nochmals darauf hingewiesen werden, dass auch im Erstverfahren keine Umstände hervorgekommen sind (wie etwa schwere Krankheit des Beschwerdeführers), welche die Erlassung einer Entscheidung nach § 68 AVG ausschließen würden.

Aufgrund dessen, dass auch im gegenständlichen Asylverfahren kein glaubwürdiges konkretes Vorbringen im Hinblick auf eine Bedrohung im Sinne des § 8 AsylG erbracht wurde, ist demnach wiederum nur die allgemeine Situation im Libanon zu betrachten.

3.5. Zur Lage im Herkunftsstaat:

Die von der belangten Behörde und dem Bundesverwaltungsgericht im gegenständlichen Verfahren getroffenen Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat ergeben sich aus den in das Verfahren eingebrachten und im Bescheid bzw. Erkenntnis angeführten herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen. Es wurden dabei Berichte verschiedenster allgemein anerkannter Institutionen berücksichtigt.

Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

Auch ist auszuführen, dass die dem BF zur Kenntnis gebrachten länderspezifischen Feststellungen zum Herkunftsstaat zwar nicht den Anspruch absoluter Vollständigkeit erheben (können), jedoch als so umfassend qualifiziert werden, dass der Sachverhalt bezüglich der individuellen Situation des BF in Verbindung mit der Beleuchtung der allgemeinen Situation im Herkunftsstaat als geklärt angesehen werden kann, weshalb gemäß hg. Ansicht nicht von einer weiteren Ermittlungspflicht, die das Verfahren und damit gleichzeitig auch die ungewisse Situation der BF unverhältnismäßig und grundlos prolongieren würde, ausgegangen werden kann (dazu auch Hengstschläger-Leeb, Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz, Kommentar, RZ 65 zu § 52 AVG).

Überdies handelt es sich bei den seitens des BFA dem Verfahren zugrunde gelegten Quellen und den hg. in das Verfahren integrierten Quellen um Berichte staatlicher oder staatsnaher Institutionen, denen aufgrund ihrer Verpflichtung zu Objektivität und Unparteilichkeit keine Voreingenommenheit unterstellt werden kann. Dass sich die Situation im Herkunftsstaat des Asylwerbers insofern geändert hat, als diese dem zitierten Länderdokumentationsmaterial nicht mehr entsprechen würde, ist nicht notorisch.

Die aktuellen Feststellungen ergeben sich aus den öffentlich abrufbaren Briefing Notes des deutschen Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF), und den in den Feststellungen genannten Anfragebeantwortung bzw. Kurzinformation der Staatendokumentation des BFA.

Wenn in der Beschwerde angegeben wird, der BF habe einen neuen entscheidungsrelevanten Sachverhalt vorgebracht, so legt diese nicht weiter dar, worin die seitens des BF behauptete Sachverhaltsänderung gelegen ist.

Insofern in der Beschwerde auf die länderkundlichen Feststellungen des BFA bezug genommen wird, so ergibt sich daraus keine asylrelevante Verfolgung des BF. Wenn in der Beschwerde auf einen Bericht in der Zeitschrift ‚Der Spiegel‘ hinsichtlich eines israelischen Angriffes auf eine Stellung der Hisbollah im Ost-Libanon in der Nähe der Stadt XXXX , aus der der BF stammt, verweist, bei dem es mehrere Tote gegeben habe, so ist daraus keine asylrelevante Verfolgung des BF abzuleiten und ist in diesem Zusammenhang auch auf nachzitierte höchstgerichtliche Rechtsprechung zu verweisen:

Eine Bürgerkriegssituation in der Heimat des Asylwerbers schließt eine aus asylrechtlich relevanten Gründen drohende Verfolgung zwar nicht aus. Der Asylwerber muss in diesem Zusammenhang jedoch behaupten und glaubhaft machen, dass die Ereignisse in seiner Heimat, die zu seiner Flucht geführt haben, als eine individuell gegen seine Person aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität etc. gerichtete Verfolgung zu werten wären und nicht als mehr oder weniger zufällige Folge im Zuge der Bürgerkriegshandlungen (VwGH 08.07.2000, 99/20/0203; 19.10.2000, 98/20/0233).

Sohin indiziert eine Kriegssituation oder eine allgemein schlechte Situation bzw. Unruhen im Heimatstaat nach der ständigen Rechtsprechung, aber auch nach der Auslegung, die die Genfer Flüchtlingskonvention in anderen Staaten und auf internationaler Ebene gefunden hat, für sich allein nicht die Flüchtlingseigenschaft.

Das Asylrecht hat nicht die Aufgabe, vor den allgemeinen Unglücksfolgen zu bewahren, die aus Krieg, Bürgerkrieg, Revolution und sonstigen Unruhen hervorgehen.

Wesentlich für den Flüchtlingsbegriff ist die Furcht vor einer gegen den Asylwerber selbst konkret gerichteten Verfolgungshandlung, nicht die Tatsache, dass es Kämpfe zwischen verschiedenen Gruppen im Heimatstaat des BF gibt.

Im Umstand, dass im Heimatstaat des Asylwerbers Bürgerkrieg herrscht, liegt nach ständiger Rechtsprechung des VwGH für sich allein keine Verfolgungsgefahr im Sinne der Flüchtlingskonvention. Um asylrelevante Verfolgung vor dem Hintergrund einer Bürgerkriegssituation erfolgreich geltend zu machen, bedarf es daher einer zusätzlichen, auf asylrelevante Gründe gestützten Gefährdung des Asylwerbers, die über die gleichermaßen die anderen Staatsbürger des Heimatstaates treffenden Unbilligkeiten eines Bürgerkrieges hinausgeht (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).

Besondere Umstände, dass die Vertreter staatlicher bzw. quasi-staatlich agierender Autoritäten, ein individuell sich gegen die Person des Beschwerdeführers richtendes Interesse an einer Verfolgung aus einem der in der GFK genannten Gründe gehabt hätten, wurden vom BF in keiner Weise behauptet.

Die Ausführungen und die zitierten Berichte in der Beschwerde sind nicht geeignet, die hg. Feststellungen zum Herkunftsstaat in Zweifel zu ziehen, zumal diese kein anderes Bild von der Situation im Herkunftsland der BF zeichnen als jenes, welches sich aus den der hg. Entscheidung zugrunde gelegten Feststellungen ergibt. Insbesondere wird in der Beschwerde in keiner Weise substanstantiiert dargetan, inwieweit sich daraus eine asylrelevante Verfolgung oder die Notwendigkeit der Gewährung von subsidiärem Schutz konkret für den BF ergeben soll.

Am XXXX langte hg. eine Stellungnahme der rechtsfreundlichen Vertretung des BF ein, worin auf die in das Verfahren integrierten aktuellen Quellen zur Situation im Libanon eingegangen wird. Aus der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation des BFA zur Sicherheitslage im Libanon angesichts des Gaza-Krieges gehen mehrmals tägliche Beschüsse zwischen Hisbollah und den israelischen Streitkräften, welche sich auf die südliche Grenze zu Israel beziehen, hervor. Auch gebe ein UN-Sprecher und mehrere Analysten zu bedenken, dass es zu einer unbeabsichtigten Eskalation des Konflikts kommen könne. Die reale Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung werde durch die genannten Anfragebeantwortung untermauert und nehme der Krieg im Libanon UNOCHA vom 12.12.2023 zufolge mehr an Schwung auf und betreffe zunehmend die zivile Bevölkerung. Das US-amerikanische ThinkTank The Washington Institute for Near East Policy habe am 11.8.2023 berichtet, dass im Libanon und Washington das allgemeine Einvernehmen darüber herrsche, dass die libanesischen Streitkräfte nicht gegen die Hisbollah vorgehen.

Hinsichtlich der aktuellen Sicherheitslage wurde auf die in das Verfahren integrierte Kurzinformation der Staatendokumentation des BFA vom 08.01.2024 verwiesen, wonach der Terroranschlag der Hamas vom 07.10.2023 auch auf die Sicherheitslage vor allem im Südlibanon habe und es entlang der israelischen Grenze fast täglich zu wechselseitigen Gefechten zwischen der israelischen Armee und der Hisbollah komme und der in das Verfahren eingebrachte Bericht eine rapide Verschlechterung der Sicherheitslage belege.

Zu den Ausführungen in der Beschwerde und der genannten Stellungnahme zur allgemeinen Situation im Libanon ist folgendes festzuhalten:

Das Bundesverwaltungsgericht verkennt nicht die Lage im Libanon und die Tatsache, dass sich der Libanon seit mehreren Jahren in einer Wirtschafts- und Finanzkrise befindet und sich die wirtschaftliche Situation seit Oktober 2019 zunehmend verschlechtert hat und mit einer nicht unerheblichen terroristischen Bedrohung konfrontiert ist. Das Bundesverwaltungsgericht verkennt ebenso wenig, dass die Sicherheitslage im Libanon in manchen Bereichen prekär ist. Ebenso ist als notorisch bekannt anzusehen, dass sich am 4. August 2020 im Hafen von Beirut eine verheerende Explosion mit 218 Toten und rund 7.000 Verletzten ereignete. 300.000 Menschen wurden obdachlos und große Teile der Stadt wurden stark beschädigt. Tausende zogen in der Folge zu Protesten auf die Straßen und forderten eine umfassendere Aufklärung der Hintergründe der Explosion.

Das Bundesverwaltungsgericht verkennt auch nicht die aktuelle Situation im Zusammenhang mit dem Israel/Gaza Krieg und dass es an der Grenze zwischen Israel und dem Libanon zu gegenseitigen Militärhandlungen kommt (bspw. haben israelische Kampfjets „eine Reihe von militärischen Zielen der Hizbollah im Libanon angegriffen“ und hätten sich die Angriffe „gegen terroristische Infrastrukturen, gerichtet (Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 26.10.2023).

Auch, dass die libanesische Hizbollah ein wichtiger Verbündeter des Iran und Syriens ist, die Hamas über gute Beziehungen zum Iran verfügt und dass sich aus dieser komplexen regionalpolitischen Gemengelage Folgen ergeben könnten, die über die direkt betroffenen Akteure hinausgehen, wird nicht verkannt; gegenwärtig ist jedoch keine derartige Situation vorherrschend, welche die Rückkehr jedes libanesischen Staatsbürgers als unzulässig gemäß Art. 2 EMRK oder Art. 3 EMRK erscheinen lässt.

Bei Betrachtung der aktuellen Situation ist von den Auswirkungen des Israel/Gaza-Krieges vornehmlich die südliche Grenzregion (Grenze zu Israel) betroffen und kann daher nicht erkannt werden, dass der Beschwerdeführer, der nicht aus dem Südlibanon stammt, bei einer Rückkehr in den Libanon und insbesondere in seinen Heimatort XXXX im Zentrallibanon mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer asylrelevanten Verfolgungsgefahr bzw. einer realen Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention ausgesetzt wäre oder für ihn als Zivilpersonen eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Aus den dem gegenständlichen Verfahren zu Grunde gelegten Feststellungen sowie des Israel/Gaza Krieges ergibt sich zwar, dass sich die aktuelle Sicherheitslage wie auch die Menschenrechtssituation im Libanon angespannt darstellt. Die Situation im Libanon ist aber nicht derart, um von einer "realen Gefahr" einer Verletzung von Art. 2 EMRK oder Art. 3 EMRK ausgehen zu müssen. Weiters herrscht im Libanon weder ein Krieg noch ein Bürgerkrieg. Ferner ist die Grundversorgung grundsätzlich gewährleistet. Eine allgemeine Gefährdung von allen Rückkehrern wegen des Faktums ihrer Rückkehr lässt sich aus den Quellen und der aktuellen Lage ebenso wenig folgern. Dass dem Beschwerdeführer aufgrund sonstiger Umstände (schwere Erkrankung, sonstige besondere Vulnerabilität) die Gründung einer neuen Existenz im Libanon nicht möglich wäre, ergibt sich ebenfalls nicht.

Insoweit in der jüngsten medialen Berichterstattung abgesehen von Kampfhandlungen im Südlibanon von vereinzelten Angriffen Israels auf Ziele von Stellungen der Hisbollah im Osten des Libanon in der Gegend der Stadt XXXX die Rede ist, bei denen ein Zivilist getötet wurde, (Der Standard 26.02.2024, ORF.at News, Zugriff am 12.03.2024) ist festzuhalten, dass aus den punktuellen Einzelereignissen nicht der Schluss gezogen werden kann, dass damit jede Zivilperson, die in diesem Gebiet lebt, dem realen Risiko einer Gefahr im Sinne des Art 3 EMRK ausgesetzt ist.

Aus der höchtsgerichtlichen Judikatur (VwGH Ra 2016/01/0307, 25.04.2017) ergibt sich folgendes:

Eine seit Rechtskraft des ersten Asylverfahrens behauptete Lageänderung im Herkunftsstaat steht der Zurückweisung des Folgeantrags dann entgegen, wenn nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann, dass demnach eine andere Beurteilung in Bezug auf die Gewährung des Status des subsidiär Schutzberechtigten erfolgen könnte (Hinweis E vom 12. Oktober 2016, Ra 2015/18/0221).

Herrscht im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, so liegen stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vor, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können aber besondere in der persönlichen Situation der oder des Betroffenen begründete Umstände (Gefährdungsmomente) dazu führen, dass gerade bei ihr oder ihm ein - im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaates im Allgemeinen - höheres Risiko besteht, einer dem Art. 2 oder 3 MRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen. In diesem Fall kann das reale Risiko der Verletzung von Art. 2 oder 3 MRK oder eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Person infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts bereits in der Kombination der prekären Sicherheitslage und der besonderen Gefährdungsmomente für die einzelne Person begründet liegen.

Eine allgemein prekäre Sicherheitslage im Herkunftsstaat des BF bzw. in der Stadt, in der er vor der Ausreise gelebt hat, ist aus den in das Verfahren integrierten aktuellen länderkundlichen Quellen nicht abzuleiten.

Der VwGH hat in seiner jüngeren, zum Herkunftsstaat Afghanistan ergangenen Rechtsprechung wiederholt und unter Bezugnahme auf die diesbezügliche ständige Rechtsprechung des EGMR ausgesprochen, dass es grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person obliegt, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art. 3 MRK widersprechende Behandlung drohen würde. Es reicht nicht aus, sich bloß auf eine allgemein schlechte Sicherheits- und Versorgungslage im Herkunftsstaat (hier: Afghanistan) zu berufen.

Der BF stammt, wie bereits ausgeführt, aus der im Zentrallibanon gelegenen Stadt XXXX ; er selbst gab dazu an, Verwandte würden dort leben – eine abschließende Feststellung hinsichtlich konkreter Familienmitglieder war jedoch aufgrund der divergierenden Angaben des BF nicht möglich. In der behördlichen Einvernahme machte der BF zur Begründung seines Antrages keine Angaben zur Sicherheitslage im Libanon. Der BF erklärte in der hg. Verhandlung auf die Frage nach Kontakt zu Angehörigen und nach deren Erzählungen, vage, er habe Kontakt zu diesen, die Lage verschlechtere sich, es gehe diesen nicht gut, die Mutter sei Diabetikerin und es gebe keine Arbeit; die Lage sei unruhig und es sei schwer, über die Runden zu kommen.

Weder aufgrund der allgemeinen Lage im Herkunftsstaat des BF noch aufgrund seines individuellen Vorbringens kann darauf geschlossen werden, dass sich die Sicherheits- und Versorgungslage im Falle einer Rückkehr derart geändert habe, dass im Lichte der ständigen höchstgerichtlichen Rechtsprechung eine seit Rechtskraft des ersten Asylverfahrens behauptete Lageänderung im Herkunftsstaat der Zurückweisung des Folgeantrages entgegenstehen würde.

Im vorliegenden Fall kann aufgrund der fallbezogenen individuellen und allgemeinen Umstände vornherein ausgeschlossen werden, dass eine andere Beurteilung in Bezug auf die Gewährung des Status des subsidiär Schutzberechtigten erfolgen könnte (VwGH 25.04.2017, Ra 2016/01/0307 mit Verweis auf VwGH, 12.10.2016, Ra 2015/18/022).

Die allgemeine Sicherheitslage ist jedenfalls nicht dergestalt, dass für den BF die ernsthafte Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt anzunehmen wäre. Besondere Gefährdungsmomente, die es wahrscheinlich erscheinen lassen, dass der BF in besonderem Maße von etwaigen dort stattfindenden Gewaltakten bedroht wäre, wurden weder in den Einvernahmen noch in der Beschwerde noch in der hg. Verhandlung glaubhaft vorgebracht (vgl. dazu VwGH vom 21.02.2017, Ra 2016/18/0137).

Auf Grundlage der aktuellen Länderberichte kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt daher nicht von einer extremen Gefährdungslage im Libanon gesprochen werden, dass gleichsam jede Person, die sich dort aufhält oder dorthin zurückkehrt, einer unmittelbaren Gefährdung ausgesetzt ist.

3.6. Zur Beschwerde des BF:

Soweit der BF in der Beschwerde weiters ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren geltend macht, ist folgendes festzuhalten:

Sofern damit zum Ausdruck gebracht wird, dass das BFA bei allfälligen Zweifeln bzgl. dessen Vorbringen, Erhebungen bzw. durch geeignete Fragestellung darauf hinwirken hätte müssen, dass die Angaben des Beschwerdeführers lückenlos sind, ist dahingehend entgegenzutreten, dass es grundsätzlich dem Asylwerber zukommt, die Gründe seiner Furcht vor Verfolgung konkret und substantiiert vorzubringen (VwGH 21.11.1996, 95/20/0334). Dem Antragsteller wurde im vorliegenden Fall im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahmen ausreichend Gelegenheit eingeräumt, alle für die Entscheidung wesentlichen Umstände anzuführen, wobei auch die Grundsätze der Unparteilichkeit bzw. Objektivität beachtet wurden, was auch in den Protokollen der behördlichen Einvernahmen umfassend dokumentiert wird. Der BF vermochte kein neues, relevantes Vorbringen zu erstatten. In der hg. durchgeführten mündlichen Verhandlung bekräftigte der BF, den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz wegen seiner aufenthaltsrechtlichen Situation in Österreich, die ihm keine Arbeitsaufnahme ermögliche, gestellt zu haben.

Der Verwaltungsgerichtshof vertritt die Ansicht, dass es dem Asylwerber obliegt, alles Zweckdienliche für die Erlangung der von ihm angestrebten Rechtsstellung vorzubringen (VwGH 20.01.1993, 92/01/0752; VwGH 19.05.1994, 94/19/0465 mwN.) und besteht keine Verpflichtung seitens der belangten Behörde oder des Bundesverwaltungsgerichts, den Antragsteller derart anzuleiten, dass ihr Antrag von Erfolg gekrönt sein muss. Das Vorbringen in der Beschwerde ist im Ergebnis nicht dergestalt, um damit der behördlichen Beweiswürdigung konkret und substantiiert entgegen zu treten.

Wenn in der Beschwerde und der genannten Stellungnahme hinsichtlich der aktuellen Sicherheitslage auf die Gefahr einer Eskalation verwiesen und festgehalten wurde, der Krieg im Libanon nehme Schwung auf und betreffe zunehmend die zivile Bevölkerung sowie auf die aktuelle Lage und militärische Auseinandersetzungen an der israelisch-libanesischen Grenze verwiesen wird, so zeichnen diese kein anderes Bild als jenes, das auch der aktuellen Berichtslage (vgl. dazu die Ausführungen in den in das Verfahren integrierten BAMF Briefing Notes und Informationen der Staatendokumentation des BFA) zu entnehmen ist. Der BF stammt nicht aus dem Südlibanon und war auf die angestellten Spekulationen und zitierten Berichte über zukünftige, im Ungewissen liegende Ereignisse nicht weiter einzugehen. (vgl. dazu auch VwGH 09.11.2023, Ra 2023/20/0530 bis 0531-7: Zu Ersterem kann es genügen, auf die - unbestrittenen - Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichts zu verweisen, wonach die Revisionswerber im Libanon aus der Stadt Tripoli (die nicht im Gebiet der Grenze des Libanon zu Israel liegt) stammen. Auf die von den Revisionswerbern angestellten Spekulationen über zukünftige, im Ungewissen liegende Ereignisse war nicht weiter einzugehen.)

Wenn in der Beschwerde auf das Privat- und Familienleben des BF in Österreich hingewiesen wird, ist auf die hg. Ausführungen zum Unterbleiben einer neuerlichen Rückkehrentscheidung im gegenständlichen Fall zu verweisen.

4. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

4.1. Zu den Spruchpunkten I. und II. des angefochtenen Bescheides (Zurückweisung des Antrags auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache):

4.1.1. Gemäß § 68 Abs. 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 AVG die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen, wenn die Behörde nicht Anlass zu einer Verfügung gemäß § 68 Abs. 2 bis 4 AVG findet. Diesem ausdrücklichen Begehren auf Abänderung steht ein Ansuchen gleich, das bezweckt, eine Sache erneut inhaltlich zu behandeln, die bereits rechtskräftig entschieden ist (VwGH 30.9.1994, 94/08/0183; VwGH 30.05.1995, 93/08/0207; VwGH 09.09.1999, 97/21/0913; VwGH 07.06.2000, 99/01/0321).

"Entschiedene Sache" iSd § 68 Abs. 1 AVG liegt vor, wenn sich gegenüber dem Vorbescheid weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert hat und sich das neue Parteibegehren im Wesentlichen mit dem früheren deckt (VwGH 09.09.1999, 97/21/0913; VwGH 27.09.2000, 98/12/0057; VwGH 25.04.2002, 2000/07/0235). Einem zweiten Asylantrag, der sich auf einen vor Beendigung des Verfahrens über den ersten Asylantrag verwirklichten Sachverhalt stützt, steht die Rechtskraft des Vorbescheides entgegen (VwGH 10.6.1998, 96/20/0266).

Wird die seinerzeitige Verfolgungsbehauptung aufrechterhalten und bezieht sich der Asylwerber auf sie, so liegt nicht ein wesentlich geänderter Sachverhalt vor, sondern es wird der Sachverhalt bekräftigt (bzw. sein „Fortbestehen und Weiterwirken" behauptet; vgl. VwGH 20.3.2003, 99/20/0480), über den bereits rechtskräftig abgesprochen worden ist. Mit dem zweiten Asylantrag wird daher im Ergebnis die erneute sachliche Behandlung einer bereits rechtskräftig entschiedenen Sache bezweckt (vgl. VwGH 07.06.2000, 99/01/0321).

„Sache" des Rechtsmittelverfahrens ist nur die Frage der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung, die Rechtsmittelbehörde bzw. im gegenständlichen Fall das Gericht darf demnach nur darüber entscheiden, ob die Vorinstanz den Antrag zu Recht zurückgewiesen hat oder nicht. Sie hat daher entweder – falls entschiedene Sache vorliegt – das Rechtsmittel abzuweisen oder – falls dies nicht zutrifft – den bekämpften Bescheid ersatzlos zu beheben, dies mit der Konsequenz, dass die Verwaltungsbehörde, gebunden an die Auffassung der Rechtsmittelbehörde bzw. des Gerichts, den Antrag nicht neuerlich wegen entschiedener Sache zurückweisen darf. Die Rechtsmittelbehörde bzw. das Gericht darf aber über den Antrag nicht selbst meritorisch entscheiden (VwGH 30.05.1995, 93/08/0207). Sache des vorliegenden Beschwerdeverfahrens ist somit nur die Frage, ob das Bundesamt zu Recht den neuerlichen Asylantrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen hat.

Bei einer Überprüfung einer gemäß § 68 Abs. 1 AVG bescheidmäßig abgesprochenen Zurückweisung eines Asylantrages hat es lediglich darauf anzukommen, ob sich die Zurückweisung auf ein rechtskräftig abgeschlossenes Verfahren bei gleich bleibender Sach- und Rechtslage stützen dürfte. Dabei hat die Prüfung der Zulässigkeit einer Durchbrechung der Rechtskraft auf Grund geänderten Sachverhaltes nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH ausschließlich anhand jener Gründe zu erfolgen, die von der Partei in erster Instanz zur Begründung ihres Begehrens auf neuerliche Entscheidung geltend gemacht worden sind. Derartige Gründe können in der Berufung nicht neu geltend gemacht werden (z.B. VwSlg. 5642A; VwGH 23.05.1995, 94/04/0081; zu Frage der Änderung der Rechtslage während des anhängigen Berufungsverfahrens s. VwSlg. 12799 A). Neues Sachverhaltsvorbringen in der Beschwerde gegen den erstinstanzlichen Bescheid nach § 68 AVG ist von der "Sache" des Beschwerdeverfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht umfasst und daher unbeachtlich (VwGH vom 24.6.2014, Ra 2014/19/0018, mwN). Allgemein bekannte Tatsachen sind dagegen jedenfalls auch von Amts wegen zu berücksichtigen (VwGH 29.06.2000, 99/01/0400; VwGH 07.06.2000, 99/01/0321).

Bei der Prüfung der Identität der Sache ist von dem rechtskräftigen Vorbescheid auszugehen, ohne die sachliche Richtigkeit desselben - nochmals - zu überprüfen (Hinweis EB E 26.4.1995, 92/07/0197, VwSlg 14248 A/1995); die Rechtskraftwirkung besteht gerade darin, dass die von der Behörde einmal untersuchte und entschiedene Sache nicht neuerlich untersucht und entschieden werden darf. Entschiedene Sache liegt dann vor, wenn sich gegenüber dem früheren Bescheid weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert hat und sich das neue Parteibegehren im Wesentlichen mit dem früheren deckt.

Identität der Sache iSd. § 68 Abs. 1 AVG liegt selbst dann vor, wenn die Behörde in einem bereits rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren etwa eine Rechtsfrage auf Grund eines mangelhaften Ermittlungsverfahrens oder einer unvollständigen oder unrichtigen rechtlichen Beurteilung entschieden hätte (vgl. etwa das Erkenntnis des VwGH vom 08.04.1992, 88/12/0169, ebenso Erk. d. VwGH v. 15.11.2000, 2000/01/0184).

Als Vergleichsbescheid ist im Falle mehrfacher Asylfolgeanträge derjenige Bescheid heranzuziehen, mit dem zuletzt in der Sache entschieden – und nicht etwa nur ein Folgeantrag wegen entschiedener Sache zurückgewiesen – wurde (vgl. in diesem Sinn VwGH 26.06.2005, 2005/20/0226, mwN).

Dem geänderten Sachverhalt muss nach der ständigen Judikatur des VwGH Entscheidungsrelevanz zukommen (vgl. VwGH 15.12.1992, 91/08/0166; ebenso VwGH 16.12.1992, 92/12/0127; VwGH 23.11.1993, 91/04/0205; VwGH 26.04.1994, 93/08/0212; VwGH 30.01.1995, 94/10/0162). Die Verpflichtung der Behörde zu einer neuen Sachentscheidung wird nur durch eine solche Änderung des Sachverhalts bewirkt, die für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen den Schluss zulässt, dass nunmehr bei Bedachtnahme auf die damals als maßgebend erachteten Erwägungen eine andere Beurteilung jener Umstände, die seinerzeit den Grund für die Abweisung des Parteienbegehrens gebildet haben, nicht von vornherein als ausgeschlossen gelten kann (VwSlg. 7762 A; VwGH 29.11.1983, 83/07/0274; VwGH 21.02.1991, 90/09/0162; VwGH 10.06.1991, 89/10/0078; VwGH 04.08.1992, 88/12/0169; VwGH 18.03.1994, 94/12/0034; siehe auch VwSlg. 12.511 A, VwGH 05.05.1960, 1202/58; VwGH 03.12.1990, 90/19/0072). Dabei muss die neue Sachentscheidung - obgleich auch diese Möglichkeit besteht - nicht zu einem anderen von der seinerzeitigen Entscheidung abweichenden Ergebnis führen. Die behauptete Sachverhaltsänderung muss zumindest einen glaubhaften Kern aufweisen, dem Asylrelevanz zukommt und an den oben erwähnte positive Entscheidungsprognose anknüpfen kann (VwGH vom 24.02.2000, 99/20/0173-6).

Gemäß jüngster höchstgerichtlicher Judikatur darf ein Antrag auf internationalen Schutz nicht allein deshalb wegen entschiedener Sache zurückgewiesen werden, weil der nunmehr vorgebrachte Sachverhalt von der Rechtskraft einer früheren Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz erfasst sei, ohne dass die Prüfung im Sinn des Art. 40 Abs. 2 und Abs. 3 Verfahrensrichtlinie vorgenommen worden wäre, ob „neue Elemente oder Erkenntnisse zutage getreten oder vom Antragsteller vorgebracht worden sind, die erheblich zu der Wahrscheinlichkeit beitragen, dass der Antragsteller nach Maßgabe der Richtlinie 2011/95/EU als Person mit Anspruch auf internationalen Schutz anzuerkennen ist“.

Kommt bei dieser Prüfung hervor, dass – allenfalls entgegen den Behauptungen eines Antragstellers – solche neuen Elemente oder Erkenntnisse nicht vorliegen oder vom Antragsteller gar nicht vorgebracht worden sind, so ist eine Zurückweisung wegen entschiedener Sache weiterhin – in einem Verfahren, in dem auch die Vorgaben des Kapitels II der Verfahrensrichtlinie zu beachten sind – statthaft. Das gilt auch dann, wenn zwar neue Elemente oder Erkenntnisse vorliegen, die Änderungen aber lediglich Umstände betreffen, die von vornherein zu keiner anderen Entscheidung in Bezug auf die Frage der Zuerkennung eines Schutzstatus führen können. Der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt hat nämlich in diesen Konstellationen keine Änderung erfahren.

Liegen keine neuen Elemente oder Erkenntnisse vor oder sind die neuen Elemente oder Erkenntnisse nicht geeignet, erheblich zu der Wahrscheinlichkeit beizutragen, dass dem Antragsteller ein Schutzstatus zuzuerkennen ist, verlangt auch Art. 40 Abs. 3 Verfahrensrichtlinie keine weitere Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz. Nach Art. 33 Abs. 2 lit. d iVm Art. 40 Abs. 5 Verfahrensrichtlinie ist es in solchen Fällen erlaubt, einen Folgeantrag als unzulässig zu betrachten (VwGH 19.10.2021, Ro 2019/14/0006).

Eine Begründung, mangels Glaubwürdigkeit des Vorbringens seien im Sinn des Art. 40 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2013/32/EU (Verfahrensrichtlinie) keine „neuen Elemente oder Erkenntnisse“ zutage getreten oder vom Antragsteller vorgebracht worden, ermöglicht auch nach der jüngsten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Zurückweisung des Folgeantrags wegen entschiedener Sache (VwGH 27.01.2022, Ra 2021/01/0417; VwGH 19.01.2022, Ra 2021/20/0155).

4.1.2. Zunächst ist auszuführen, dass der Akteninhalt bzw. das Protokoll der Einvernahme zeigen, dass die belangte Behörde bemüht war, den Sachverhalt zu ermitteln und die wesentlichen Elemente zu erfragen. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat hinsichtlich der Begründung des bekämpften Bescheides vom XXXX die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammengefasst. Das Bundesamt hat mit dem BF eine Einvernahme durchgeführt und darauf aufbauend - unter Heranziehung von Länderfeststellungen – grundsätzlich richtige Sachverhaltsfeststellungen getroffen.

Das Bundesamt hat grundsätzlich ein mängelfreies ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt und es haben sich im Rahmen des behördlichen Verfahrens - im Vergleich zur rechtskräftigen Entscheidung des Vorverfahrens und unter Berücksichtigung der darin enthaltenen Feststellungen zur damaligen allgemeinen Situation im Libanon - keine Hinweise auf einen neuen glaubhaften und asylrelevanten Sachverhalt ergeben. Das BFA hat zudem - wie bereits ausgeführt - seine Erwägungen, die zur Zurückweisung des Asylantrags geführt haben, im Detail dargelegt und ist dabei auch auf das Vorbringen des Beschwerdeführers eingegangen.

4.1.3. Wie aus dem gegenständlichen Verfahrensgang hervorgeht, ist die Vergleichsentscheidung des BF nämlich das rechtskräftige Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom XXXX , GZ: XXXX , heranzuziehen.

Insoweit sich der BF im gegenständlichen Fall weiterhin auf die im Zuge der im Vorverfahren vorgebrachten Fluchtgründe stützt, liegt zweifelsfrei entschiedene Sache vor und wird diesbezüglich auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zum "Fortbestehen und Weiterwirken", VwGH 20.03.2003, 99/20/0480 („Wird die seinerzeitige Verfolgungsbehauptung aufrechterhalten und bezieht sich der Asylwerber auf sie, so liegt nicht ein wesentlich geänderter Sachverhalt vor, sondern es wird der Sachverhalt bekräftigt“) verwiesen. Für die erkennende Richterin besteht nunmehr der Eindruck, dass das jetzige Vorbringen vor allem dazu dienen soll, eine neuerliche Überprüfung der in den Vorverfahren vorgetragenen Behauptungen zu ermöglichen. Von einer relevanten, wesentlichen Änderung des Sachverhalts seit der rechtskräftigen Entscheidung über die Vorverfahren kann aber diesbezüglich nicht gesprochen werden.

Nochmals ist festzuhalten, dass die ursprünglichen Verfolgungsbehauptungen des Beschwerdeführers bereits in dem rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren – mit näherer dortiger Begründung – als nicht glaubhaft gewertet wurden. Die Unglaubwürdigkeit der diesbezüglichen Angaben zeigt, dass der BF bereit ist, unwahre Angaben zu tätigen, um ein eventuell asylrelevantes Vorbringen zu präsentieren.

Das BFA und das Bundesverwaltungsgericht haben solcherart in Ermangelung zusätzlicher Elemente des Vorbringens des BF, die für die Glaubwürdigkeit und/ oder Asylrelevanz sprechen könnten, zu Recht das diesbezügliche im neuerlichen Asylverfahren erbrachte Vorbringen nicht als neuen entscheidungsrelevanten Sachverhalt gewertet. Der neuerliche Antrag auf internationalen Schutz dient demzufolge der Überprüfung einer bereits rechtskräftigen Entscheidung und wurde vom BFA daher rechtsrichtig wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen.

Im gegenständlichen Asylverfahren wurde somit kein entscheidungsrelevanter neuer Sachverhalt im Sinne eines „novum productum“ behauptet.

4.1.4. Insoweit das Vorbringen des Beschwerdeführers unter dem Blickwinkel des Refoulementschutzes (§ 8 AsylG) zu betrachten ist, ist auszuführen, dass bereits im Erstverfahren festgehalten wurde, dass sich aus dem Vorbringen des BF kein "reales Risiko" ergeben habe, dass es durch die Rückführung des BF in seinen Herkunftsstaat zu einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe kommen würde. Ebenso wenig kam im Verfahren hervor, dass konkret für den Beschwerdeführer im Falle einer Rückverbringung in seinen Herkunftsstaat die reale Gefahr bestünde, als Zivilperson einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts ausgesetzt zu sein und darf in diesem Konnex nochmals darauf hingewiesen werden, dass weder im Vorverfahren, noch im nunmehrigen Folgeverfahren Umstände hervorgekommen sind (wie etwa schwere Krankheit des Beschwerdeführers), welche die Erlassung einer Entscheidung nach § 68 AVG ausschließen würden. Auch betreffend seine individuelle Versorgungslage, welche den BF im Libanon erwartet, sind keine maßgeblichen Änderungen eingetreten; der BF hat angegeben, dass sich Familienangehörige (abschließende Feststellungen waren aufgrund der widersprüchlichen Angaben des BF nicht möglich) nach wie vor im Herkunftsstaat, zu welchen er auch täglichen Kontakt hat, sodass er mit ihrer Unterstützung rechnen darf.

Aufgrund dessen, dass auch im gegenständlichen Asylverfahren kein glaubwürdiges konkretes Vorbringen im Hinblick auf eine Bedrohung im Sinne des § 8 AsylG 2005 erbracht wurde, ist demnach wiederum nur die allgemeine Situation im Libanon zu betrachten. Von Amts wegen sind seit dem rechtskräftigen Abschluss vorangegangenen Asylverfahrens keine derartigen Änderungen der allgemeinen Situation im Libanon notorisch, welche die Annahme einer allgemeinen extremen Gefährdungslage gerechtfertigt erscheinen lassen würden.

Im Hinblick auf die individuelle Versorgungssituation ist auszuführen, dass es sich beim BF um einen arbeitsfähigen, gesunden Mann, bei dem die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden kann, handelt. Es sind jedenfalls keine Gründe ersichtlich, warum er als Erwachsener im Libanon selbst keiner Erwerbstätigkeit nachgehen können sollte, hat er doch auch vor seiner Ausreise seinen Unterhalt aus verschiedenen Tätigkeiten auf Baustellen als Elektriker und Maler bestritten. Der BF ist im Libanon aufgewachsen und hat jedenfalls die überwiegende Zeit seines Lebens im Libanon verbracht. Der BF wurde im Libanon sozialisiert.

Letztlich war zudem zu berücksichtigen, dass der BF den ihm zur Kenntnis gebrachten und der Entscheidung zugrunde gelegten Länderberichten zur Zumutbarkeit und Möglichkeit der Rückkehr in den Libanon nicht substantiiert entgegengetreten ist und in weiterer Folge auch nicht dargelegt hat, wie sich eine Rückkehr in den Herkunftsstaat konkret auf seine individuelle Situation auswirken würde, insbesondere inwieweit der BF durch die Rückkehr einem realen Risiko einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre.

Auf die Ausführungen zur Allgemeinsituation im Herkunftsstaat des BF sei an dieser Stelle verwiesen und festgehalten, dass auch das Bundesverwaltungsgericht davon ausgeht, dass sich die Sicherheitslage im Libanon im Lichte der aktuellen länderkundlichen Feststellungen, welche auch auf den aktuellen Terrorangriff der Hamas auf Israel am 07.10.2023 und die daraus resultierenden Folgen für den Libanon und die dort agierende Hisbollah, die mit der Hamas zusammenarbeitet, als volatil erweist. Die allgemeine Sicherheitslage ist durch die Proteste und den wirtschaftlichen Niedergang auch unübersichtlicher geworden (AA 12.5.2022). Es bestehen soziale, politische und religiöse Spannungen, und das Land leidet unter einer schweren Wirtschafts- und Finanzkrise. Es kommt zu Demonstrationen, Straßenblockaden, Streiks und gewaltsamen Zusammenstößen zwischen verschiedenen Gruppierungen sowie zwischen Demonstrierenden und Sicherheitskräften. Bei solchen Ereignissen kommt es regelmäßig zu Sachbeschädigungen, und vereinzelt werden Schusswaffen eingesetzt (EDA 14.2.2023). Bestimmte Ereignisse und Konflikte in Nachbarländern können die Sicherheitslage im Libanon zudem jederzeit und unvermittelt beeinflussen. Auf die aktuellen Feststellungen hinsichtlich der Situation an der Südgrenze zu Israel und die diesbezüglichen hg. Ausführungen sei verwiesen (ua BAMF Briefing Notes Kurzinformationen der Staatendokumentation des BFA).

Auch wirken sich die anhaltenden und aktuellen Spannungen mit Israel und der bewaffnete Konflikt in Syrien weiterhin auf den Libanon aus. Die libanesische Regierung hat weder die vollständige Kontrolle über alle Regionen des Landes noch über die Grenzen zu Syrien und Israel.

Der BF, der nicht aus dem Südlibanon stammt, hat aber nicht dargetan, inwiefern er von der prekären Sicherheitslage konkret betroffen ist. Von einer allgemeinen, das Leben eines jeden Bürgers betreffenden Gefährdungssituation im Sinne des Art. 3 EMRK ist jedenfalls auch im Lichte der aktuellen Ereignisse und der in das Verfahren integrierten BAMF Briefing Notes sowie der in das Verfahren integrierten Kurzinformationen der Staatendokumentation des BFA nicht auszugehen. Darüber hinaus hat der BF selbst auch kein substantiiertes Vorbringen dahingehend erstattet, dass sie schon aufgrund ihrer bloßen Präsenz in seinem Herkunftsstaat in seiner Heimatregion XXXX , die nicht im Grenzgebiet zu Israel liegt, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer individuellen Gefährdung durch terroristische Anschläge, organisierte Kriminalität oder bürgerkriegsähnliche Zustände ausgesetzt wäre. Eine solche maßgebliche Wahrscheinlichkeit lässt sich auch nicht aus den seitens des BF in der Beschwerde und Stellungnahme und den dort zitierten Berichten sowie den jüngsten Vorkommnissen ableiten.

Bei Betrachtung der aktuellen Situation ist von den Auswirkungen des Israel/Gaza-Krieges - abgesehen von vereinzelten Raketenabschüssen auf Hizbollahstützpunkte im Nordosten des Landes - ausschließlich die südliche Grenzregion (Grenze zu Israel) betroffen und kann daher nicht erkannt werden, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in den Libanon und insbesondere nach XXXX (Herkunftsregion des BF) mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer asylrelevanten Verfolgungsgefahr bzw. einer realen Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention ausgesetzt wäre oder für ihn als Zivilpersonen eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Aus den diesem Verfahren zu Grunde gelegten Feststellungen sowie des Israel/Gaza Krieges ergibt sich zwar, dass sich die aktuelle Sicherheitslage wie auch die Menschenrechtssituation im Libanon angespannt darstellt. Die Situation im Libanon ist aber nicht derart, um von einer "realen Gefahr" einer Verletzung von Art. 2 EMRK oder Art. 3 EMRK ausgehen zu müssen. Weiters herrscht im Libanon weder ein Krieg noch ein Bürgerkrieg. Ferner ist die Grundversorgung grundsätzlich gewährleistet. Eine allgemeine Gefährdung von allen Rückkehrern wegen des Faktums ihrer Rückkehr lässt sich aus den Quellen und der aktuellen Lage ebenso wenig folgern.

Der Verwaltungsgerichtshof hat diesbezüglich in seiner Rechtsprechung festgehalten, dass, wenn im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage herrscht, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vorliegen, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können nur besondere in der persönlichen Situation der oder des Betroffenen begründete Umstände dazu führen, dass gerade bei ihr oder ihm ein - im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaats im Allgemeinen - höheres Risiko besteht, einer dem Art. 2 oder Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen (vgl. zuletzt: VwGH 04.06.2021, Ra 2021/01/0008) .

Aus Sicht der erkennenden Richterin des Bundesverwaltungsgerichts kann in dieser Hinsicht in Anbetracht zu den Feststellungen zur Sicherheitslage im Libanon und dem aktuellen Israel/Gaza-Krieg nicht erkannt werden, dass schon aufgrund der bloßen Präsenz des Beschwerdeführers im Libanon davon ausgegangen werden muss, dass dieser wahrscheinlich das Opfer eines terroristischen Anschlags, krimineller Aktivtäten oder anderweitiger willkürlicher Gewalt werden würde (vgl. VwGH 21.02.2017, Ra 2016/18/0137 zur Lage in Bagdad).

Risikoerhöhende Umstände im Hinblick auf die Person des Beschwerdeführers, welche auf eine im Vergleich zur Durchschnittsbevölkerung stark erhöhte Gefährdung durch terroristische Aktivitäten oder im Hinblick auf willkürliche Gewalt im Zuge von Kriegen, Ausschreitungen oder kriminellen Aktivtäten hindeuten würden, wurden im Verfahren im Übrigen nicht vorgebracht und ist er deshalb nicht dahingehend exponiert. Der Beschwerdeführer gehört darüber hinaus nicht den staatlichen Sicherheitskräften an und es ist kein Grund erkennbar, weshalb er im Rückkehrfall in Ausschreitungen, bewaffnete Konflikte oder gewaltsame Auseinandersetzungen im Gefolge krimineller Aktivitäten Dritter verwickelt werden sollte.

Nach der ständigen Judikatur des EGMR obliegt es – abgesehen von Abschiebungen in Staaten, in denen die allgemeine Situation so schwerwiegend ist, dass die Rückführung eines abgelehnten Asylwerbers dorthin eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde – grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde (VwGH 23.02.2016, Ra 2015/01/0134). Derartiges hat der Beschwerdeführer im vorliegenden Fall nicht aufgezeigt. Evident ist freilich, dass im Libanon wirtschaftlich und sozial sowie in der südlichen Grenzregion des Libanons in Bezug auf die Sicherheit durchaus eine schwierige Situation besteht, in der sich die Beschaffung der Mittel zum Lebensunterhalt auch als schwieriger darstellen könnte als in Österreich. Es geht jedoch aus den Berichten keinesfalls hervor, dass die Lage für alle Personen ohne Hinzutreten von besonderen Umständen dergestalt wäre, dass das existentielle Überleben gefährdet wäre. Der Beschwerdeführer gehört auch keiner im Hinblick auf die Deckung von Grundbedürfnissen besonders gefährdeten Personengruppe an. Eine schwierige Lebenssituation, insbesondere bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, die ein Fremder im Fall der Rückkehr in sein Heimatland vorfinden würde, reicht im Übrigen nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs für sich betrachtet auch nicht aus, um die Verletzung des nach Art. 3 EMRK geschützten Rechts mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit annehmen zu können (VwGH 17.09.2019, Ra 2019/14/0160).

Das Bundesverwaltungsgericht geht bezüglich der Sicherheitslage im Libanon somit davon aus, dass sich im Falle des Beschwerdeführers und unter Berücksichtigung der zur aktuellen Lage in der Heimat herangezogenen Erkenntnisquellen keine konkreten Anhaltspunkte dahingehend ergeben, wonach die unmittelbar nach erfolgter Rückkehr allenfalls drohenden Gefahren nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht wären, dass sich daraus bei objektiver Gesamtbetrachtung für den Beschwerdeführer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit das reale Risiko einer derart extremen Gefahrenlage ergeben würde, die im Lichte der Rechtsprechung einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne des Art. 3 EMRK darstellen und somit einer Rückführung entgegenstehen würde. Gemessen an Art. 3 EMRK kann die Rückführung eines Fremden in seinen Herkunftsstaat zwar wegen einer besonders prekären allgemeinen Sicherheitslage im Herkunftsstaat unzulässig sein. Eine Situation genereller Gewalt kann jedoch nur in sehr extremen Fällen ein reales Risiko iSd Art. 3 EMRK hervorrufen; ansonsten bedarf es des Nachweises von besonderen Unterscheidungsmerkmalen, wegen derer sich die Situation des Betroffenen kritischer darstellt als für die Bevölkerung im Herkunftsstaat im Allgemeinen (vgl. mwN VwGH 21.02.2017, Ra 2016/18/0137). Namentlich bestünde im Falle der Rückführung keine ernsthafte Gefahr einer Inhaftnahme, die allgemeine Sicherheitslage – abgesehen vom südlichen Grenzgebiet - ist nicht besonders prekär und es sind keine besonderen Gefährdungsmomente hinzugetreten, der BF leidet nicht an einer schweren oder gar lebensbedrohlichen Erkrankung. Dem Beschwerdeführer würde auch nicht jegliche Lebensgrundlage fehlen. Der Beschwerdeführer verfügt nämlich über Berufserfahrung, er hat angegeben, familiäre und freundschaftliche Bindungen zu haben und ist arbeitsfähig, sodass er durch Erwerbsarbeit und bei Bedarf familiäre Unterstützung seine Existenz sichern kann.

Der Tatbestand einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes in § 8 Abs. 1 Asyl 2005 orientiert sich an Art. 15 lit c der Statusrichtlinie und umfasst eine Schadensgefahr allgemeiner Art, die sich als „willkürlich“ erweist, also sich auf Personen ungeachtet ihrer persönlichen Situation erstrecken kann. Entscheidend für die Annahme einer solchen Gefährdung ist, dass der den bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, eine Zivilperson liefe bei einer Rückkehr in das betreffende Land oder gegebenenfalls die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit im Gebiet dieses Landes oder dieser Region tatsächlich Gefahr, einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ausgesetzt zu sein. Dabei ist zu beachten, dass der Grad willkürlicher Gewalt, der vorliegen muss, damit der Antragsteller Anspruch auf subsidiären Schutz hat, umso geringer sein wird, je mehr er möglicherweise zu belegen vermag, dass er aufgrund von seiner persönlichen Situation innewohnenden Umständen spezifisch betroffen ist (vgl. mit Verweis auf EuGH 17.02.2009, C-465/07, und EuGH 30.01.2014, C-285/12, VwGH 21.02.2017, Ra 2016/18/0137). In dieser Entscheidung führte der Verwaltungsgerichtshof ferner aus: „Herrscht im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, so liegen stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vor, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können aber besondere in der persönlichen Situation der oder des Betroffenen begründete Umstände (Gefährdungsmomente) dazu führen, dass gerade bei ihr oder ihm ein – im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaates im Allgemeinen – höheres Risiko besteht, einer dem Art. 2 oder 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen. In diesem Fall kann das reale Risiko der Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK oder eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Person infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts bereits in der Kombination der prekären Sicherheitslage und der besonderen Gefährdungsmomente für die einzelne Person begründet liegen.“

Wie das Bundesverwaltungsgericht festgestellt und oben bereits ausgeführt hat, ist die allgemeine Sicherheitslage im Herkunftsstaat – abgesehen von der südlichen Grenzregion - nicht so beschaffen, dass jeder dorthin Zurückkehrende der realen Gefahr unterläge, mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit einer Verletzung seiner durch Art. 2 oder 3 EMRK garantierten Rechte ausgesetzt zu sein, oder dass für jeden Zurückkehrenden die ernsthafte Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt anzunehmen wäre. Besondere Gefährdungsmomente, die es – anders als für die dortige Bevölkerung im Allgemeinen – wahrscheinlich erscheinen lassen, dass der Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat in besonderem Maße von den dort stattfindenden Gewaltakten bedroht wäre, gibt es, wie das Bundesverwaltungsgericht ebenfalls bereits dargelegt hat, nicht.

Zur aktuellen Situation im Libanon infolge des bewaffneten Konflikts zwischen der Hamas und Israel, der verschärften Sicherheitslage und möglichen künftigen Entwicklungen und einer möglichen Ausbreitung des Kriegsgeschehens auf das libanesische Staatsgebiet vgl. jüngst auch VwGH vom 09.11.2023, Ra 2023/20/0530 bis 0531-7: Zu Ersterem kann es genügen, auf die - unbestrittenen - Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichts zu verweisen, wonach die Revisionswerber im Libanon aus der Stadt Tripoli (die nicht im Gebiet der Grenze des Libanon zu Israel liegt) stammen. Auf die von den Revisionswerbern angestellten Spekulationen über zukünftige, im Ungewissen liegende Ereignisse war nicht weiter einzugehen.

Auch wenn sich die Lage der Menschenrechte im Herkunftsstaat der BF in wesentlichen Bereichen als problematisch darstellt, kann nicht festgestellt werden, dass eine nicht sanktionierte, ständige Praxis grober, offenkundiger, massenhafter Menschenrechts-verletzungen (iSd. VfSlg 13.897/1994, 14.119/1995, vgl. auch Art. 3 des UN-Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984) herrschen würde und praktisch jeder, der sich im Hoheitsgebiet des Staates aufhält, schon alleine aufgrund des Faktums des Aufenthaltes aufgrund der allgemeinen Lage mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen muss, von einem unter § 8 Abs. 1 AsylG subsumierbaren Sachverhalt betroffen zu sein.

Ergänzend ist anzuführen, dass gemäß § 52a BFA-VG z.B. auch eine finanzielle Rückkehrhilfe (über diese wird im erstinstanzlichen Verfahren schon informiert) als Startkapital für die Fortsetzung des bisherigen Lebens im Libanon gewährt werden kann. Im Rahmen der Rückkehrhilfe wird dabei der Neubeginn zu Hause unterstützt, Kontakt zu Hilfsorganisationen im Heimatland vermittelt, finanzielle Unterstützung geleistet und beim Zugang zu Wohn-, Ausbildungs- und Arbeitsmöglichkeiten geholfen (http://www.caritas.at/hilfe-einrichtungen/fluechtlinge/beratung-und vertretung/rueckkehrhilfe/).

Das Bundesverwaltungsgericht verkennt dabei nicht, dass die wirtschaftliche Situation im Libanon schlechter ist als in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union bzw. in Österreich, aus den Berichten geht aber keinesfalls hervor, dass sie dergestalt ist, dass das existentielle Überleben gefährdet wäre.

Aus der sonstigen allgemeinen Lage im Herkunftsstaat kann ebenfalls bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen kein Hinweis auf das Bestehen eines unter § 8 Abs. 1 AsylG subsumierbaren Sachverhaltes abgeleitet werden.

4.1.5. Das Bundesverwaltungsgericht schließt sich nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung dem an, dass das Vorbringen des BF im gegenständlichen Verfahren nicht geeignet ist, eine neue inhaltliche Entscheidung zu bewirken, sondern Identität der Sache vorliegt. Der neuerliche Antrag auf internationalen Schutz war daher zu Recht wegen entschiedener Sache gem. § 68 Abs. 1 AVG zurückzuweisen.

Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheides war daher im Ergebnis gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 68 AVG als unbegründet abzuweisen.

4.2. Zu Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides:

4.2.1. § 57 AsylG 2005 lautet:

(1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zu erteilen: 1.wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht, 2.zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder 3.wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

(2) Hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen nach Abs. 1 Z 2 und 3 hat das Bundesamt vor der Erteilung der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ eine begründete Stellungnahme der zuständigen Landespolizeidirektion einzuholen. Bis zum Einlangen dieser Stellungnahme bei der Behörde ist der Ablauf der Fristen gemäß Abs. 3 und § 73 AVG gehemmt.

(3) Ein Antrag gemäß Abs. 1 Z 2 ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein Strafverfahren nicht begonnen wurde oder zivilrechtliche Ansprüche nicht geltend gemacht wurden. Die Behörde hat binnen sechs Wochen über den Antrag zu entscheiden.

(4) Ein Antrag gemäß Abs. 1 Z 3 ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO nicht vorliegt oder nicht erlassen hätte werden können.

4.2.2. Die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG liegen nicht vor, weil der Aufenthalt des BF weder seit mindestens einem Jahr gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG geduldet, noch zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig ist, noch der Beschwerdeführer Opfer von Gewalt wurde.

Darüber hinaus darf gemäß § 60 Abs. 1 Z 1 AsylG ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG nicht erteilt werden, wenn ein aufrechte, mit einem Einreiseverbot verbundene Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 iVm 53 FPG besteht. Auch aufgrund des nach wie vor aufrechten Einreiseverbotes ist dem BF daher jedenfalls kein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG zu erteilen.

In der Beschwerde finden sich zu diesem Spruchpunkt ferner keine Ausführungen, weshalb die Beschwerde auch hinsichtlich Spruchpunkt III. als unbegründet abzuweisen war.

II.6. Zum Entfall der Rückkehrentscheidung:

Im Hinblick auf § 59 Abs. 5 FPG hat der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt darauf hingewiesen, dass es dem Willen des Gesetzgebers entspricht, dass im Sinne der Verfahrensökonomie rechtskräftige Rückkehrentscheidungen mit Einreiseverbot gerade bei Folgeanträgen weiter als Rechtsgrundlage für eine Außerlandesbringung dienen können (vgl. zuletzt VwGH 31.03.2020, Ra 2019/14/0209, mwN). Nur im Falle einer Änderung des für die Bemessung der Dauer eines Einreiseverbots relevanten Sachverhaltes bedarf es einer neuerlichen Rückkehrentscheidung, um allenfalls die Dauer des mit ihr zu verbindenden Einreiseverbotes neu festlegen zu können (vgl. VwGH 26.03.2019, Ra 2019/19/0018; 22.03.2018, Ra 2017/01/0287; 19.11.2015, Ra 2015/20/0082 bis 0087). Weiters hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass § 59 Abs. 5 FPG (in diesem Umfang) eine spezielle Regelung der Rechtskraft (einer Rückkehrentscheidung) darstellt (VwGH 22.03.2018, Ra 2017/01/0287). Die Beachtung rechtskräftiger Entscheidungen zählt zu den Grundsätzen eines geordneten rechtsstaatlichen Verfahrens. Daraus ist abzuleiten, dass über ein und dieselbe Rechtssache nur einmal rechtskräftig zu entscheiden ist (vgl. zu allem VwGH 28.04.2017, Ra 2017/03/0027, mwN). Diese Bindungswirkung besteht innerhalb der Grenzen der Rechtskraft, sohin nicht im Falle einer wesentlichen Änderung der Sach- oder Rechtslage (vgl. VwGH 20.06.2017, Ra 2017/01/0029).

Insofern im nunmehrigen Asylfolgeantrag, im behördlichen Verfahren, in der Beschwerde und in der hg. Beschwerdeverhandlung das Privat- und Familienleben des BF in Österreich thematisiert wurde, ist auf die aktuelle höchstgerichtliche Judikatur VwGH, 29.11.2023, Ra 2023/14/0355-7, RZ 17ff und die dortigen Ausführungen zu verweisen:

Unter dem Aspekt der Verletzung der Verhandlungspflicht bringt die Revision letztlich vor, der Revisionswerber habe durch Vorlage verschiedener Unterlagen nachgewiesen, dass sich seine Integration nach dem in Rechtskraft erwachsenen negativen Ausgang seines ersten Asylverfahrens intensiviert habe. Dementsprechend hätte sich das Bundesverwaltungsgericht für die Abwägung nach § 9 BFA-VG iVm Art. 8 EMRK einen persönlichen Eindruck vom Revisionswerber verschaffen müssen. Die im vorliegenden Fall mit einem Einreiseverbot verbundene Rückkehrentscheidung werde nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nämlich gegenstandslos, wenn die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 geboten sei.

Mit diesem Vorbringen übersieht die Revision, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung (§ 9 BFA-VG) bzw. einer (amtswegigen) Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005, die die Vornahme einer Prüfung der Zulässigkeit eines Eingriffs in das Privat- und Familienleben des Revisionswerbers beinhaltet hätte, nicht Gegenstand des Beschwerdeverfahrens gewesen ist. Der dem Beschwerdeverfahren zugrundeliegende Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl - und damit auch das angefochtene Erkenntnis - enthält nämlich keine Rückkehrentscheidung nach § 52 FPG; eine solche war (samt Einreiseverbot) bereits mit Bescheid vom 5. Dezember 2019 erlassen worden.

Der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zufolge ist zwar auch eine (negative) Entscheidung über einen Folgeantrag grundsätzlich mit einer Entscheidung über die Erlassung einer Rückkehrentscheidung zu verbinden. Besteht jedoch gegen einen Drittstaatsangehörigen bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung, so bedarf es gemäß § 59 Abs. 5 FPG bei allen nachfolgenden Verfahrenshandlungen nach dem 7., 8. und 11. Hauptstück des FPG oder dem AsylG 2005 keiner neuerlichen Rückkehrentscheidung, es sei denn, es sind neue Tatsachen gemäß § 53 Abs. 2 und 3 FPG hervorgekommen, die eine Neubemessung der Dauer eines Einreiseverbotes erforderlich machen (vgl. VwGH 30.8.2022, Ra 2022/14/0214, mwN). Dabei kommt dem Revisionswerber kein subjektives Recht auf Erlassung einer (neuerlichen) Rückkehrentscheidung zu. Eine Prüfung - so wie es die Revision vor Augen hat -, ob ein Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG 2005 zu erteilen wäre, ist nach § 58 Abs. 2 AsylG 2005 nur für den Fall vorgesehen, dass eine Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt wird (vgl. VwGH 21.12.2020, Ra 2020/14/0518, mwN).

Es besteht aber auch kein Rechtsschutzdefizit, weil dem Revisionswerber zur Geltendmachung seines Privat- und Familienlebens im Sinn von Art. 8 EMRK der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 zur Verfügung steht, welcher zu erteilen ist, wenn dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist. Im Falle einer relevanten Änderung des diesbezüglichen Sachverhalts steht eine aufrechte Rückkehrentscheidung einem solchen Antrag auch nicht gemäß § 58 Abs. 10 AsylG 2005 entgegen (vgl. erneut VwGH 30.8.2022, Ra 2022/14/0214, mwN). Ergibt diese Neubewertung, dass ein maßgeblich geänderter Sachverhalt im Sinn des Art. 8 EMRK vorliegt, so ist der begehrte Aufenthaltstitel, ungeachtet des bestehenden Einreiseverbotes nach § 53 Abs. 2 und 3 FPG, zu erteilen und die Rückkehrentscheidung wird gemäß § 60 Abs. 3 Z 2 FPG gegenstandslos, sodass auch dem - deshalb ebenfalls gegenstandslos werdenden - Einreiseverbot der Boden entzogen ist (vgl. VwGH 16.12.2015, Ro 2015/21/0037, mwN).

Vor diesem Hintergrund kommt es auf die Frage der Notwendigkeit der Durchführung einer Verhandlung somit nicht an, so dass auf dieses Vorbringen in der Revision nicht mehr einzugehen war. (VwGH, 29.11.2023, Ra 2023/14/0355-7).

Gegenständliche Judikatur ist auch auf die vorliegende Fallkonstellation übertragbar und schließt sich das erkennende Gericht den obzitierten Ausführungen vollinhaltlich an, sodass die Angaben des BF bzw. seiner Vertretung hinsichtlich des Privat- und Familienlebens in Österreich nicht weiter zu erörtern waren.

4.4. Es war daher insgesamt spruchgemäß zu entscheiden.

Zu Spruchteil B):

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor, zumal der vorliegende Fall vor allem im Bereich der Tatsachenfragen anzusiedeln ist. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten zu Spruchteil A wiedergegeben. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

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