JudikaturBvwgW270 2212666-2

W270 2212666-2 – Bundesverwaltungsgericht Entscheidung

Entscheidung
16. April 2024

Spruch

W270 2212666-2/35E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. GRASSL über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch die BBU Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, Leopold-Moses-Gasse 4, 1020 Wien, gegen Spruchpunkt V. des Bescheids des BUNDESAMTS FÜR FREMDENWESEN UND ASYL vom 16.07.2020, Zl. XXXX , betreffend Angelegenheiten des Asyl- und Fremdenpolizeirechts, zu Recht:

A)

Der Beschwerde gegen Spruchpunkt V. des angefochtenen Bescheids wird stattgegeben und dieser Spruchpunkt gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

I. Feststellungen:

1. Mit dem angefochtenen Bescheid erkannte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer den ihm mit Bescheid vom 30.05.2017 zuerkannten Status als subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.), entzog ihm eine erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter (Spruchpunkt II.), und wies den Antrag vom 14.01.2020 auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter ab (Spruchpunkt III.). Sie erteilte dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt IV.), erließ eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt V.) und stellte fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan gemäß § 9 Abs. 2 AsylG 2005 i.V.m. § 52 Abs. 9 FPG unzulässig sei (Spruchpunkt VI.) und die Frist für dessen freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VII.). Des Weiteren erließ sie ein unbefristetes Einreiseverbot gegen den Beschwerdeführer (Spruchpunkt VIII.).

2. Gegen die Spruchpunkte I., II., III., V., VI., VII. und VIII. dieses Bescheids erhob der Beschwerdeführer Beschwerde.

3. Mit Spruchpunkt A) I. seines Erkenntnisses vom 27.09.2021, GZ W270 2212666-2/25E wies das Bundesverwaltungsgericht (in Folge: BVwG) die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I., II., III. und VI. des angefochtenen Bescheids als unbegründet ab.

Mit Spruchpunkt A) II. dieses Erkenntnisses gab das BVwG gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG und § 9 Abs. 2 BFA-VG i.V.m. § 52 Abs. 2 FPG der Beschwerde gegen Spruchpunkt V. des angefochtenen Bescheids statt und änderte diesen insofern ab, sodass die Rückkehrentscheidung in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 52 Abs. 2 FPG i.V.m. § 9 BFA-VG auf Dauer unzulässig sei und dem Beschwerdeführer gemäß § 58 Abs. 2 i.V.m § 55 Abs. 1 und 2 AsylG 2005 der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung“ erteilt werde.

Mit Spruchpunkt A) III. des Erkenntnisses gab das BVwG der Beschwerde gegen die Spruchpunkte VII. und VIII. des Bescheids statt und behob diese ersatzlos.

4. Gegen diese Entscheidung erhob die belangte Behörde eine außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof (in Folge: VwGH).

5. Mit Erkenntnis vom 12.09.2023, Ra 2021/19/0413, hob der VwGH Spruchpunkt A) II. des Erkenntnisses des BVwG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes auf. Der VwGH begründete diese Entscheidung zusammengefasst auf das Wesentliche unter Hinweis auf seine Erwägungen im Erkenntnis Ra 2021/20/0246 damit, dass es, im Fall eines feststellenden Ausspruchs, wonach die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung eines Antragstellers – hier nach Afghanistan – gemäß § 9 Abs. 2 AsylG 2005 iVm § 52 Abs. 9 FPG nicht zulässig sei, in Anbetracht des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts geboten sei, die Anordnung, wonach eine gemäß § 9 Abs. 2 erster Satz AsylG 2005 erfolgte Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten mit der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme zu verbinden ist, unangewendet zu lassen.

Im Übrigen wies der VwGH die Revision mit Beschluss zurück.

II. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen beruhen auf den im verwaltungsbehördlichen und im verwaltungsgerichtlichen Verfahrensakt einliegenden Unterlagen und dabei insbesondere auf dem Bescheid der belangten Behörde (AS 273ff), der Beschwerde des Beschwerdeführers (AS 399ff), dem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 27.09.2021 (siehe Ordnungszahl [in Folge: OZ] 25) sowie der Entscheidung des VwGH vom 12.09.2023 (siehe OZ 33). All diese können als unstrittig gesehen werden.

III. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchpunkt A)

1. Maßgebliche Rechtslage:

1.1. Art. 5 der Richtlinie 2008/115/EG vom 16.12.2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (in Folge: Rückführungsrichtlinie), ABl. L 348 vom 24.12.2008, S. 24, lautet samt Überschrift:

„Grundsatz der Nichtzurückweisung, Wohl des Kindes, familiäre Bindungen und Gesundheitszustand

Bei der Umsetzung dieser Richtlinie berücksichtigen die Mitgliedstaaten in gebührender Weise:

a) das Wohl des Kindes,

b) die familiären Bindungen,

c) den Gesundheitszustand der betreffenden Drittstaatsangehörigen,

und halten den Grundsatz der Nichtzurückweisung ein.“

1.2. Das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl, i.d.F. BGBl. I Nr. 234/2021, („AsylG 2005“), lautet auszugsweise:

„Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme

§ 10. (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn

1. … 4. …

5. einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird

und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird.

(2) …“

1.3. Das Bundesgesetz über die Ausübung der Fremdenpolizei, die Ausstellung von Dokumenten für Fremde und die Erteilung von Einreisetitel (Fremdenpolizeigesetz 2005 – FPG) lautet auszugsweise:

„Rückkehrentscheidung

§ 52. (1) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich

1. …

(2) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn

1. … 3. …

4. ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird

und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

(3) … (8) …

(9) Mit der Rückkehrentscheidung ist gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.

(10) … (11) …“

2. Erwägungen:

2.1. Der Gerichtshof der Europäischen Union (in Folge: EuGH) sprach in seinem Urteil in der Rechtssache C‑663/21 vom 06.07.2023 aus, dass Art. 5 Rückführungsrichtlinie eine für die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung dieser Richtlinie geltende allgemeine Regel darstellt und die zuständige nationale Behörde in jedem Stadium des Rückkehrverfahrens verpflichtet, den Grundsatz der Nichtzurückweisung einzuhalten, der als Grundrecht in Art. 18 der Charta in Verbindung mit Art. 33 der Genfer Konvention sowie in Art. 19 Abs. 2 der Charta gewährleistet ist. Dies gilt u.a. dann, wenn diese Behörde nach Anhörung des Betroffenen beabsichtigt, gegen ihn eine Rückkehrentscheidung zu erlassen (vgl. die Rnrn. 44 und 49 des Urteils).

Art. 5 Rückführungsrichtlinie steht daher dem entgegen, dass gegen einen Drittstaatsangehörigen eine Rückkehrentscheidung ergeht, wenn in dieser Entscheidung als Zielland ein Land angegeben wird, bei dem es ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme gibt, dass der Drittstaatsangehörige im Fall der Vollstreckung der Entscheidung der tatsächlichen Gefahr einer gegen Art. 18 oder Art. 19 Abs. 2 der Charta verstoßenden Behandlung ausgesetzt wäre. Art. 5 Rückführungsrichtlinie ist daher so auszulegen, dass er dem Erlass einer Rückkehrentscheidung gegen einen Drittstaatsangehörigen entgegensteht, wenn feststeht, dass dessen Abschiebung in das vorgesehene Zielland nach dem Grundsatz der Nichtzurückweisung auf unbestimmte Zeit ausgeschlossen ist (vgl. Rnrn. 50 und 52 des Urteils).

2.2. In Beachtung der Entscheidung des EuGH hielt der VwGH fest, dass der eindeutige Wortlaut des § 8 Abs. 3a sowie des § 9 Abs. 2 AsylG 2005, wonach die nach einer dieser Bestimmungen erfolgte Antragsabweisung, Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten oder Aberkennung dieses Status mit der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme zu verbinden ist, einer unionsrechtskonformen Interpretation nicht zugänglich ist. Die unionsrechtlichen Vorgaben verlangen nämlich im Gegenteil, dass in einer solchen Situation die Erlassung einer Rückkehrentscheidung unterbleibt (vgl. VwGH 25.07.2023, Ra 2021/20/0246, Rn. 107 ff, und VwGH 12.09.2023, Ra 2021/19/0413).

2.3. Bei Unterbleiben einer Rückkehrentscheidung kann in Entsprechung der bestehenden Rechtsprechung des VwGH aber auch kein Abspruch nach § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG 2014 über deren dauernde Unzulässigkeit ergehen (vgl. VwGH 26.03.2019, Ra 2019/19/0018, m.w.N.).

2.4. Gemäß § 63 Abs. 1 VwGG ist das Verwaltungsgericht, wenn der Verwaltungsgerichtshof einer Revision stattgegeben hat, verpflichtet, in der betreffenden Rechtssache mit den ihm zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtshofes entsprechenden Rechtszustand herzustellen (etwa VwGH 13.12.2021, Ro 2020/17/0002, Rn. 28, m.w.N.).

2.5. Sohin war der Beschwerde gegen Spruchpunkt V. des angefochtenen Bescheids stattzugeben und dieser gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG ersatzlos zu beheben. Damit wird in Ansehung des Spruchpunkts VI. des angefochtenen Bescheids, gegen den die Beschwerde abgewiesen wurde und der auch nicht mit Revision bekämpft wurde, ein Rechtszustand ohne Rückkehrentscheidung hergestellt.

3. Absehen von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung:

3.1. Gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 zweiter Fall VwGVG kann eine Verhandlung entfallen, wenn bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist (vgl. dazu etwa VwGH 20.11.2014, Ra 2014/07/0052 m.w.N.).

3.2. Die Voraussetzungen des § 24 Abs. 2 Z 1 zweiter Fall VwGVG liegen gegenständlich vor.

Zu Spruchpunkt B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung (siehe dazu die oben zu Spruchpunkt A) zitierten Entscheidung des EuGH sowie des Verwaltungsgerichtshofs); weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Rechtssätze
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