JudikaturBFG

RV/7100419/2019 – BFG Entscheidung

Entscheidung
Steuerrecht
17. Juli 2025

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Mag.Dr. Katrin Allram in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom 31. Jänner 2017 gegen die Bescheide des Finanzamtes Wien 8/16/17 vom 30. November 2016 betreffend Einkommensteuer 2006 bis 2011, Steuernummer ***BF1StNr1***, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 15. Juli 2025

I. zu Recht erkannt:

Der Beschwerde gegen die Bescheide betreffend Einkommensteuer 2006 und 2007 wird stattgegeben. Die angefochtenen Bescheide werden aufgehoben.

II. den Beschluss gefasst:

Die Beschwerde gegen die Bescheide betreffend Einkommensteuer 2008 bis 2011 wird gemäß § 256 Abs. 3 BAO als gegenstandslos erklärt. Das Beschwerdeverfahren wird eingestellt.

III. Gegen dieses Erkenntnis und gegen diesen Beschluss ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Der Beschwerdeführer (Bf.) erzielte in den Streitjahren 2006 bis 2011 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Nebenbei arbeitete der Bf. an einem Projekt zur Entwicklung von Niedrigenergiehäusern mit Passivbauweise und machte die dabei angefallenen Verluste im Rahmen der Einkünfte aus Gewerbebetrieb geltend. Streit besteht darüber, ob diese Tätigkeit als Liebhaberei zu beurteilen ist und die damit in Zusammenhang stehenden Verluste anzuerkennen sind.

Zunächst ergingen betreffend die Streitjahre 2006 bis 2011 vorläufige Bescheide bzw. Beschwerdevorentscheidungen, in denen die bekannt gegebenen Verluste als Einkünfte aus Gewerbebetrieb Berücksichtigung fanden.

Nach mehreren Ergänzungsersuchen samt jeweiliger Beantwortung durch den Bf. erließ die belangte Behörde am 30. November 2016 endgültige Bescheide betreffend Einkommensteuer für die Jahre 2006 bis 2011 und setzte die Einkünfte aus Gewerbebetrieb mit Euro 0,00 fest.

Dagegen brachte der Bf. - nach verlängerter Rechtsmittelfrist - mit Eingabe vom 31. Jänner 2017 Beschwerde ein. Darin wurde insbesondere der Inhalt des Projekts, woran der Bf. anfangs mit einem Partner im Rahmen einer OEG gearbeitet hat, näher erläutert und ausgeführt, dass im Jahr 2012 in Kooperation mit einem Architekten ein Musterhaus errichtet worden sei. Aufgrund finanzieller Engpässe im Zusammenhang mit der Fremdfinanzierung des Musterhauses, der Auflösung der angesprochenen Geschäftsbeziehung und familiärer Verpflichtungen musste das Projekt letztlich stillgelegt werden. Der Bf. habe ab dem Jahr 2006 jedenfalls versucht, das Projekt kontinuierlich voranzutreiben. Das Projekt befinde sich noch in der Planungs- und Vorbereitungsphase, jedoch würden auch solche Handlungen zu gewerblichen Tätigkeiten zählen. Der Bf. beantragte daher eine den eingereichten Erklärungen entsprechende Festsetzung der Einkommensteuer für die Jahre 2006 bis 2011 sowie die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom 20. August 2018 wies die belangte Behörde die Beschwerde als unbegründet ab. In der Begründung wurde ausgeführt, dass die Tätigkeit im Rahmen der OEG bereits ab dem Jahr 2000 ausgeübt worden sei, weshalb die Berücksichtigung von Anlaufverlusten in den Jahren 2006 bis 2008 ausscheide. Die Tätigkeit sei aus überwiegend privaten Gründen und bereits vor den prognostizierten Einnahmen in den Jahren 2013 und 2014 eingestellt worden. Insgesamt sei bei der streitgegenständlichen Tätigkeit daher von Liebhaberei auszugehen.

Mit Eingabe vom 27. September 2018 beantragte der Bf. die Vorlage der Beschwerde zur Entscheidung durch das Bundesfinanzgericht.

Am 23. Jänner 2019 legte die belangte Behörde die Beschwerde samt Verwaltungsakt und Vorlagebericht dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor.

Aufgrund der Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 28. Februar 2023 wurde die gegenständliche Beschwerdesache mit Stichtag 1. März 2023 der GA 1017 zur Entscheidung zugeteilt.

Mit Beschluss vom 12. Mai 2025 ersuchte das Bundesfinanzgericht die belangte Behörde, zur nach der Aktenlage angenommenen Verjährung der Einkommensteuer für die Jahre 2006 und 2007 Stellung zu nehmen.

In der Eingabe vom 30. Mai 2025 gab die belangte Behörde bekannt, dass betreffend die Jahre 2006 und 2007 keine Verlängerungshandlungen aktenkundig seien. Dem Bf. wurde die Stellungnahme der belangten Behörde mit der Ladung vom 2. Juni 2025 zur Kenntnis gebracht.

Am 15. Juli 2025 fand die beantragte mündliche Verhandlung statt. Dabei wurde zunächst festgestellt, dass die Streitjahre 2006 und 2007 unstrittig verjährt sind. Nach eingehender Diskussion der Sach- und Rechtslage in Hinblick auf das Vorliegen einer steuerlichen Liebhaberei im Sinn der Liebhabereiverordnung zog der Bf. die Beschwerde betreffend Einkommensteuer für die Jahre 2008 bis 2011 zurück.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

1.1. Zur Verjährung

Im streitgegenständlichen Beschwerdeverfahren sind die endgültig ergangenen Bescheide vom 30. November 2016 betreffend Einkommensteuer für die Jahre 2006 bis 2011 angefochten. Davor ergingen für alle Streitjahre bereits vorläufige Festsetzungen. Zuletzt wurden folgende vorläufige Bescheide bzw. Beschwerdevorentscheidungen erlassen:

2006 vorläufige Beschwerdevorentscheidung 9. März 2009

2007 vorläufige Beschwerdevorentscheidung 27. August 2009

2008 vorläufige Beschwerdevorentscheidung 12. Jänner 2011

2009 vorläufige Beschwerdevorentscheidung 11. Juli 2011

2010 vorläufige Beschwerdevorentscheidung 30. Oktober 2012

2011 vorläufiger Bescheid 11. Oktober 2013

Die angeführten vorläufigen Erledigungen sind in Rechtskraft erwachsen.

In der Beschwerdevorentscheidung betreffend Einkommensteuer für das Jahr 2006 ist die folgende Begründung enthalten: "Da nach dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der Umfang der Abgabepflicht noch ungewiss ist, wurde die Veranlagung gem. § 200 BAO vorläufig durchgeführt." Die Beschwerdevorentscheidungen betreffend Einkommensteuer für die Jahre 2007 bis 2010 und der Bescheid für das Jahr 2011 enthalten keine Begründung in Bezug auf die vorläufige Bescheiderlassung.

In Hinblick auf die endgültige Festsetzung der Einkommensteuer für die Jahre 2006 und 2007 wurden in den Jahren 2009 bis 2015 keine Verlängerungshandlungen gesetzt.

1.2. Zur Zurücknahme der Beschwerde

Die belangte Behörde setzte mit Bescheiden vom 30. November 2016 die Einkommensteuer für die Jahre 2008 bis 2011 endgültig fest.

Dagegen brachte der Bf. mit Eingabe vom 31. Jänner 2017 fristgerecht Beschwerde ein.

In der mündlichen Verhandlung am 15. Juli 2025 zog der Bf. die Beschwerde gegen die Bescheide betreffend Einkommensteuer für die Jahre 2008 bis 2011 zurück.

2. Beweiswürdigung

Die Sachverhaltsfeststellungen gründen sich auf den Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes, eine Abfrage des Steueraktes des Bf., die ergänzende Eingabe der belangten Behörde vom 30. Mai 2025 sowie auf die Ergebnisse der am 15. Juli 2025 stattgefundenen mündlichen Verhandlung.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. (Stattgabe)

Gemäß § 200 Abs. 1 erster Satz Bundesabgabenordnung (BAO) kann die Abgabenbehörde die Abgabe vorläufig festsetzen, wenn nach den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens die Abgabepflicht zwar noch ungewiss, aber wahrscheinlich oder wenn der Umfang der Abgabepflicht noch ungewiss ist.

Wenn die Ungewissheit beseitigt […] ist, ist gemäß § 200 Abs. 2 BAO die vorläufige durch eine endgültige Festsetzung zu ersetzen.

Nach der Rechtsprechung des VwGH ist in der Bescheidbegründung zwar anzugeben, welche Ungewissheit für die Vorläufigkeit ausschlaggebend gewesen ist; fehlt eine solche Bescheidbegründung, tut dies der Vorläufigkeit aber keinen Abbruch (vgl. VwGH 28.2.2012, 2010/15/0164).

Nach dem in freier Beweiswürdigung festgestellten Sachverhalt enthalten die angeführten vorläufigen behördlichen Erledigungen keine ordnungsgemäße Begründung in Hinblick auf das Vorliegen einer Ungewissheit gemäß § 200 BAO. Die bloße Wiedergabe des Gesetzestextes erfüllt jedenfalls die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Begründung nicht.

Die streitgegenständliche Tätigkeit des Bf. ist unstrittig als solche nach § 1 Abs. 1 Liebhabereiverordnung (LVO) zu beurteilen (siehe Seite 2 der Niederschrift vom 15. Juli 2025).

Gemäß § 1 Abs. 1 LVO liegen Einkünfte vor bei einer Betätigung (einer Tätigkeit oder einem Rechtsverhältnis), die durch die Absicht veranlasst ist, einen Gesamtgewinn oder einen Gesamtüberschuss der Einnahmen über die Werbungskosten (§ 3) zu erzielen, und nicht unter Abs. 2 fällt. Voraussetzung ist, dass die Absicht anhand objektiver Umstände (§ 2 Abs. 1 und 3) nachvollziehbar ist.

Bei Betätigungen im Sinne des § 1 Abs. 1 LVO ist zu prüfen, ob die Betätigung im jeweiligen Veranlagungszeitraum mit Gewinnerzielungsabsicht ausgeübt wurde und allenfalls Verbesserungsmaßnahmen gesetzt wurden (Kriterienprüfung). Daher ist eine vorläufige Abgabenfestsetzung nicht erforderlich bzw. zulässig (vgl. Fuchs/Renner, in: Doralt et al, § 2 (LVO) Rz 564/1 mwN).

Dieser Auffassung ist auch der VwGH, wenn er ausführt, dass es bei Tätigkeiten im Sinne des § 1 Abs. 1 LVO nicht darauf ankommt, ob die gesetzten Maßnahmen tatsächlich zum Erfolg führen (keine ex post Betrachtung). Eine vorläufige Bescheiderlassung ist daher in diesen Fällen nicht gerechtfertigt (vgl. VwGH 23.2.2005, 2002/14/0024 und 12.12.2007, 2006/15/0075).

Vor dem Hintergrund der höchstgerichtlichen Rechtsprechung und da sich weder in den angeführten vorläufigen Erledigungen der belangten Behörde noch in den aktenkundigen Unterlagen eine Begründung für das Vorliegen einer Ungewissheit und damit die Zulässigkeit der vorläufigen Bescheiderlassung finden lässt, sind die angeführten Erledigungen unzulässigerweise vorläufig ergangen.

Der Endgültigerklärung eines Abgabenbescheids bzw. der endgültigen Abgabenfestsetzung steht es, wenn der Abspruch über die Vorläufigkeit in Rechtskraft erwachsen ist, nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht entgegen, dass bei der Erlassung des vorläufigen Bescheids (objektiv betrachtet) gar keine Ungewissheit iSd § 200 Abs. 1 BAO vorgelegen ist. Auf die vorläufige Abgabenfestsetzung darf sohin eine endgültige Abgabenfestsetzung selbst dann folgen, wenn bei Erlassung des vorläufigen Bescheides keine Ungewissheit bestanden hat (vgl. VwGH 28.2.2012, 2010/15/0164 mwN).

Die Verjährungsfrist betreffend die Festsetzung der Einkommensteuer beträgt gemäß § 207 Abs. 2 BAO fünf Jahre. Die Verjährung beginnt gemäß § 208 Abs. 1 lit. d BAO in den Fällen des § 200 BAO mit dem Ablauf des Jahres, in dem die Ungewissheit beseitigt wurde.

Nach der Rechtsprechung des VwGH beginnt im Falle eines zu Unrecht erlassenen vorläufigen Abgabenbescheides, der keine tatsächliche Ungewissheit im Sinne des § 200 BAO benennt (bzw. dem keine tatsächliche Ungewissheit zu Grunde liegt) und dennoch unbekämpft geblieben und in Rechtskraft erwachsen ist, die Verjährungsfrist gemäß § 208 Abs. 1 lit. d BAO mit dem Ablauf des Jahres, in dem der vorläufige Bescheid trotz fehlender Ungewissheit erlassen worden ist (vgl. VwGH 6.11.2023, Ra 2021/16/0085).

Demnach beginnt die Verjährungsfrist für die am 9. März und 27. August 2009 unzulässigerweise vorläufig ergangenen und in Rechtskraft erwachsenen Beschwerdevorentscheidungen für die Jahre 2006 und 2007 mit Ablauf des Jahres 2009 und endet - unter Zugrundelegung einer fünfjährigen Verjährungsfrist und mangels Vorliegens von Verlängerungshandlungen gemäß § 209 Abs. 1 BAO - Ende des Jahres 2014. Die endgültige Festsetzung der Einkommensteuer für die Jahre 2006 und 2007 mit Bescheiden vom 30. November 2016 erfolgte daher infolge Verjährung zu Unrecht (vgl. insofern unstrittig Seite 2 der Niederschrift vom 15. Juli 2025).

Der Eintritt der Verjährung ist im Abgabenverfahren von Amts wegen zu beachten und ist folglich auch vom Bundesfinanzgericht zu berücksichtigen. Der Beschwerde gegen die Bescheide betreffend Einkommensteuer für die Jahre 2006 und 2007 war daher spruchgemäß stattzugeben und die angefochtenen Bescheide waren aufzuheben.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Gegenstandsloserklärung)

Beschwerden können gemäß § 256 Abs. 1 BAO bis zur Bekanntgabe (§ 97) der Entscheidung über die Beschwerde zurückgenommen werden. Die Zurücknahme ist schriftlich oder mündlich zu erklären.

Wurde eine Beschwerde zurückgenommen (Abs. 1), so ist sie gemäß § 256 Abs. 3 BAO mit Beschwerdevorentscheidung (§ 262) oder mit Beschluss (§ 278) als gegenstandslos zu erklären.

Da der Bf. in der mündlichen Verhandlung am 15. Juli 2025 die Beschwerde gegen die Bescheide betreffend Einkommensteuer für die Jahre 2008 bis 2011 zurückgezogen hat, war diese gemäß § 256 Abs. 3 BAO als gegenstandslos zu erklären.

3.3. Zu Spruchpunkt III. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis bzw. gegen einen Beschluss des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis bzw. der Beschluss von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Das Bundesfinanzgericht ist bei der Lösung der streitgegenständlichen Rechtsfragen der angeführten höchstgerichtlichen Rechtsprechung gefolgt bzw. ergibt sich die Gegenstandsloserklärung für den Fall der Zurücknahme einer Beschwerde unmittelbar aus dem Gesetz. Insgesamt liegt daher keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vor, weshalb die ordentliche Revision nicht zuzulassen war.

Wien, am 17. Juli 2025