Sicherstellung von Mobiltelefonen
Verfassungsgerichtshof, G 352/2021
Sijin Sun
Legal & Marketing
Wann kann ich Notwehr ausüben? 👀
16. Oktober 2024
·Jus-Studium
In wie fern spielen der Verletzungserfolg und Vorsatz eine Rolle? 🤔
30. September 2025
·Wann ist ein Diebstahl strafrechtlich relevant? 🧐
30. September 2025
·Jus-Studium
Was bedeutet es zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt zu werden? 🤔
Es liegt auf der Hand, dass Strafverfolgungsbehörden im Rahmen ihrer Arbeit Beweise sichern müssen. Dabei ist es naheliegend, dass Smartphones in diesen Ermittlungen eine zentrale Rolle spielen, da sie heutzutage das am häufigsten genutzte Kommunikationsmittel sind. Allerdings beinhalten Handys üblicherweise nicht nur Nachrichten, sondern auch persönliche Daten wie Fotos, Videos, Standortdaten, Suchverläufe und Gesundheitsdaten. Diese Problematik wurde vom Verfassungsgerichtshof näher untersucht.
Am 14.12 2023 hob der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis (G 352/2021) Bestimmungen der Strafprozessordnung (StPO) wegen Verfassungswidrigkeit auf. Wobei die Aufhebung erst mit Ablauf des 31.12 2024 eintritt. Dem Gesetzgeber wurde also eine Reparaturfrist eingeräumt um die folgenden Paragrafen verfassungskonform neu zu regeln:
§110 Abs 1 Z1 Hier geht es um die Sicherstellung aus Beweisgründen. Bei der Sicherstellung geht es um die vorläufige Begründung von Verfügungsmacht über Gegenstände. Hier werden also körperliche Sachen wie zum Beispiel Laptops und Mobiltelefone sichergestellt. Wobei Strafverfolgungsorgane sowohl auf lokal als auch extern gespeicherte Daten zugreifen können. Extern gespeicherte Daten sind zum Beispiel in der Cloud gespeicherte Fotos.
§110 Abs 4 Dieser Paragraf regelt, dass Sicherstellungen nach §110 Abs 1 Z1 StPO nicht zulässig sind und jedenfalls auf Verlangen der betroffenen Person aufzuheben sind, soweit und sobald der Beweiszweck durch Bild-, Ton- oder sonstige Aufnahmen oder durch Kopien schriftlicher Aufzeichnungen oder automationsunterstützt verarbeiteter Daten erfüllt werden kann. Weiters darf nicht anzunehmen sein, dass die sichergestellten Gegenstände selbst oder die Originale der sichergestellten Informationen in der Hauptverhandlung in Augenschein zu nehmen sein werden. Diese Regelung konkretisiert also den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im §5 StPO. Lies mehr dazu in unserem Artikel “§170 Strafprozessordnung – einfach erklärt”, im welchen es um die Festnahme geht.
§111 Abs 2 Durch diesen Paragrafen ist es den Strafverfolgungsorganen gestattet, Sicherungskopien der gespeicherten Daten zu erstellen.
Die Paragrafen erfordern einen Anfangsverdacht nach §1 Abs 3 StPO sowie einer Anordnung der Staatsanwaltschaft. Ein Anfangsverdacht liegt vor, wenn es Anhaltspunkte auf das Begehen einer Straftat gibt, wobei die Schwere der Straftat hier keine Rolle spielt.
Gestützt auf den §1 Datenschutzgesetz (DSG) und den Art 8 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK), wurde im konkreten Fall vorgebracht, dass bei Sicherstellungen von Smart Phones eine besonders starke Eingriffsintensität vorliegt und nur geringe Eingriffsvoraussetzungen gegeben sein müssen. Die Sicherstellung und demnach Auswertung von darauf lokal als auch extern gespeicherten Daten ermöglichen tiefe Einblicke in das Leben und die Privatsphäre der betroffenen Person und auch (unbeteiligten) Dritten.
§1 DSG gewährleistet jeder Person einen Anspruch auf Geheimhaltung eigener personenbezogener Daten, soweit die Person daran ein schutzwürdiges Interesse hat, insbesondere im Hinblick auf die Achtung des Privatlebens.
Art 8 EMRK regelt die Achtung des Privat- und Familienlebens, der Wohnung und des Briefverkehrs.
Ein Eingriff in diese Rechte ist nur möglich, wenn
ein legitimes Ziel verfolgt wird,
das Mittel geeignet ist, das Ziel zu erreichen,
das gelindeste Mittel verwendet wird, sprich, dass es das am wenigsten eingriffsintensive Mittel unter den möglichen ist, und
das Mittel zum Ziel verhältnismäßig ist. Wobei die Verhältnismäßigkeit beim Eingriff auf das Grundrecht auf Datenschutz nach §1 DSG an einem strengeren Maßstab angelegt wird.
Das Ziel strafbare Handlungen mittels Sicherstellungen zu verfolgen ist zwar ein legitimes Ziel und das Mittel, sprich die Sicherstellung, ist auch geeignet dieses Ziel zu erreichen. Jedoch ist der Verfassungsgerichtshof der Meinung, dass die Schwere des konkreten Eingriffes, das Gewicht und die Bedeutung der mit dem Eingriff verfolgten Ziele übersteigt. Es scheitert also bei der Verhältnismäßigkeit. Außerdem fehlen angemessene gesetzliche Garantien für den Schutz der Geheimhaltungsinteressen der betroffenen Person.
Die Ermittlungsmaßnahmen sind besonders eingriffsintensiv, da sie bereits mit Anfangsverdacht auf eine Straftat, wobei die Schwere der Straftat keine Rolle spielt, durchgeführt werden dürfen. Weiters, dass nicht verdächtigte Dritte ebenfalls Teil der Ermittlungen werden können und das Strafverfolgungsorgane potenziell Zugriff auf alle sensiblen Daten haben. Solche Maßnahmen benötigen also geeignete Schutzvorkehrungen für Betroffene. Als nicht ausreichend wurden die §106 und §115 Abs 2 StPO angesehen. Der Verfassungsgerichtshof meint, dass richterliche Kontrollen einen effektiven Rechtsschutz gewährleisten würden. Im Falle einer Bewilligung der Maßnahme, sollte bei der Auswertung festgelegt werden welche Datenkategorien, Dateninhalte und innerhalb welchen Zeitraums ausgewertet werden dürfen. Da die oben genannten Bestimmungen keinem richterlichen Vorbehalt unterliegen, verstoßen sie also gegen die Grundrechte im §1 DSG und Art 8 EMRK.
Interessierst du dich für Straf- und Strafprozessrecht? Dann durchforste weiter unseren Themenbereich “Strafrecht” und lies spannende Artikel wie “Lebenslange Freiheitsstrafe – einfach erklärt” und “Gefährliche Drohung – einfach erklärt”.