Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Lehofer und die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin sowie den Hofrat Mag. Stickler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Sasshofer, über die Revision des S B in W, vertreten durch Dr. Florian Perschler, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Heinrichsgasse 4/6, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. März 2025, W167 2304215 1/3E, betreffend Zurückweisung einer Beschwerde in einer Angelegenheit nach dem ASVG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Österreichische Gesundheitskasse; weitere Partei: Bundesministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B VG).
2 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
3 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
4 Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Bundesverwaltungsgericht eine Beschwerde des Revisionswerbers gegen einen Bescheid der Österreichischen Gesundheitskasse in Bestätigung einer entsprechenden Beschwerdevorentscheidung als verspätet zurück und sprach gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
5 Der schon bei Einbringung der Beschwerde anwaltlich vertretene Revisionswerber hatte im Vorlageantrag vorgebracht, dass er kein Deutsch könne und sich im österreichischen Zustellrecht nicht auskenne. Er habe den angefochtenen Bescheid seinem Vertreter übergeben. Auf dem Bescheid sei mit rotem Stempel das Eingangsdatum vermerkt gewesen. Der Vertreter habe darauf vertraut, dass es sich dabei um das korrekte Zustelldatum handle. Er habe nicht gewusst, dass das Schriftstück vor der Abholung bereits bei der Post hinterlegt worden sei. Die Sprachbarriere zwischen dem Revisionswerber und seinem Vertreter „dürfte auch diesen Punkt nach sich gezogen haben“. Der Vorlageantrag enthielt abschließend das „höfliche Ersuchen, diese einmalige Fehlleistung des Beschwerdeführers zu entschuldigen und die Beschwerde dem Bundesverwaltungsgericht vorzulegen“.
6 Das Bundesverwaltungsgericht erblickte in diesem Vorbringen keinen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Dessen ungeachtet verwies es auf die strengen Anforderungen für rechtskundige Parteienvertreter bei der Erfüllung der Sorgfaltspflichten, insbesondere darauf, dass sich der Vertreter von der vertretenen Partei alle erforderlichen Informationen verschaffen müsse, um die Prozesshandlungen zeitgerecht setzen zu können, und dass der Vertretene die notwendigen Daten - wie das genaue Zustelldatum des Bescheides - bekannt zu geben habe. Eine Möglichkeit, „die einmalige Fehlleistung des Beschwerdeführers zu entschuldigen“, bestehe nicht. Die (unstrittig) nicht fristgerecht eingebrachte Beschwerde sei als verspätet zurückzuweisen gewesen.
7 In der vorliegenden außerordentlichen Revision wird unter dem Gesichtspunkt einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG geltend gemacht, dass das Bundesverwaltungsgericht das Vorbringen im Vorlageantrag als Wiedereinsetzungsantrag werten hätte müssen. Bei der irrtümlichen Annahme, dass die Beschwerdefrist erst mit der Abholung des hinterlegten Schriftstücks zu laufen beginne, handle es sich um eine entschuldbare Fehlleistung.
8 Prozesserklärungen einer Partei sind ausschließlich nach ihrem objektiven Erklärungswert auszulegen. Es kommt darauf an, wie die Erklärung unter Berücksichtigung der konkreten gesetzlichen Regelung, des Verfahrenszweckes und der der Behörde vorliegenden Aktenlage objektiv verstanden werden muss. Weist ein Anbringen einen undeutlichen Inhalt auf, so hat die Behörde (oder das Verwaltungsgericht) durch Herbeiführung einer entsprechenden Erklärung den wahren Willen des Einschreiters festzustellen, diesen also zu einer Präzisierung aufzufordern bzw. zum Inhalt einzuvernehmen. Eine in vertretbarer Weise vorgenommene einzelfallbezogene Auslegung von Parteierklärungen wirft in der Regel keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung auf (vgl. zum Ganzen VwGH 18.12.2020, Ra 2019/08/0181, mwN).
9 Im vorliegenden Fall wurden im Rahmen des Vorlageantrags, der wie die Beschwerde von einem berufsmäßigen Parteienvertreter eingebracht und ausdrücklich (nur) als Vorlageantrag bezeichnet war, der Sache nach Wiedereinsetzungsgründe geltend gemacht. Soweit mangels ausdrücklicher Beantragung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand Zweifel an der Deutung des Anbringens bestanden, hätte das Bundesverwaltungsgericht den Revisionswerber zu einer Präzisierung auffordern müssen. Dadurch, dass das Bundesverwaltungsgericht dies unterlassen hat, konnte der Revisionswerber allerdings nicht in Rechten verletzt werden, weil der Wiedereinsetzungsantrag keine Aussicht auf Erfolg gehabt hätte.
10 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes trifft das Verschulden des Parteienvertreters die von diesem vertretene Partei, wobei an berufliche und rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen ist als an rechtsunkundige und bisher noch nie an gerichtlichen Verfahren beteiligte Personen. Ein dem Vertreter widerfahrenes Ereignis stellt einen Wiedereinsetzungsgrund für die Partei nur dann dar, wenn dieses Ereignis für den Vertreter selbst unvorhergesehen oder unabwendbar war und es sich hiebei höchstens um einen minderen Grad des Versehens handelt (vgl. VwGH 24.1.2019, Ra 2019/09/0002 bis 0003, mwN).
11 Es ist auch ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass der rechtskundige Vertreter einer Partei die ihm von einem Klienten mitgeteilten Umstände über den für den Beginn der Rechtsmittelfrist maßgebenden Zustelltag nicht ungeprüft seiner Fristvormerkung zugrunde legen darf, sondern sich über den angenommenen Zeitpunkt der Zustellung der anzufechtenden Entscheidung zu vergewissern hat. Generell unterliegt das Zustelldatum einer besonderen Prüfpflicht, weil es für das Ende von Fristen in Bezug auf die Erhebung von Rechtsmitteln von ausschlaggebender Bedeutung ist (vgl. VwGH 3.2.2023, Ra 2023/06/0015, mwN).
12 Vor diesem Hintergrund stellt es jedenfalls keinen nur minderen Grad des Versehens dar, wenn der Rechtsvertreter des Revisionswerbers ohne Rückfrage davon ausgegangen ist, dass es sich beim Datum des vom Revisionswerber angebrachten Eingangsstempels um das Zustelldatum gehandelt habe. Die behaupteten mangelhaften Sprach- und Rechtskenntnisse des Vertretenen hätten nähere Erkundigungen umso mehr geboten erscheinen lassen müssen.
13 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 20. Mai 2025