JudikaturVwGH

Ra 2024/19/0131 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
30. Juni 2025

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Funk Leisch und den Hofrat Dr. Eisner als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Salama, über die Revision der M S, vertreten durch Dr. Vedat Gökdemir, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Michael Gaismair Straße 12/B2, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. Jänner 2024, I422 2284115 1/2E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1 Die minderjährige Revisionswerberin, eine syrische Staatsangehörige, stellte am 7. Juni 2023 einen Antrag auf internationalen Schutz, welchen sie im Wesentlichen damit begründete, Syrien aufgrund des Krieges und der zahlreichen Bombardierungen verlassen zu haben.

2 Mit Bescheid vom 4. Dezember 2023 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag der Revisionswerberin hinsichtlich des Status der Asylberechtigten ab, erkannte ihr den Status der subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihr eine auf ein Jahr befristete Aufenthaltsberechtigung.

3 Die gegen die Nichtzuerkennung des Status der Asylberechtigten erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

4 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision. Das BFA erstattete in dem vom Verwaltungsgerichtshof eingeleiteten Vorverfahren keine Revisionsbeantwortung.

5 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen. Ein solcher Beschluss ist gemäß § 34 Abs. 3 VwGG in jeder Lage des Verfahrens zu fassen.

7 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

8 Die Revision bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit zunächst vor, das Bundesverwaltungsgericht hätte eine mündliche Verhandlung durchführen müssen, weil der Sachverhalt nicht vollständig geklärt gewesen sei. Es liege lediglich eine schriftliche Stellungnahme der Vertretung der Revisionswerberin vor, eine Einvernahme der Revisionswerberin sei nicht erfolgt. Außerdem habe das Bundesverwaltungsgericht Länderinformationen zur Verfolgungs und Bedrohungslage von Kindern in Syrien nicht berücksichtigt, konkrete Feststellungen dazu nicht getroffen und die Beweiswürdigung in unvertretbarer Weise vorgenommen.

9 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum auch hier maßgeblichen § 21 Abs. 7 erster Fall BFA VG ist ein Absehen von der mündlichen Verhandlung dann gerechtfertigt, wenn der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben wurde und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweist. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offengelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt (vgl. zu diesen Leitlinien grundlegend VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017, sowie aus der jüngeren Rechtsprechung etwa VwGH 12.3.2025, Ra 2025/19/0039, mwN).

10 Der Verwaltungsgerichtshof geht davon aus, dass immer dann, wenn Minderjährige als Zeugen oder Beteiligte (sei es als Parteien oder sonstige Beteiligte) vernommen werden sollen, darauf Bedacht zu nehmen ist, dass Vernehmungen vor einem Gericht oder einer Behörde grundsätzlich für einen Minderjährigen mit einer besonderen Belastung verbunden sind.

11 Dass es gerade in Asylverfahren sowie in fremdenrechtlichen Verfahren geboten ist, bei Vernehmungen Minderjähriger auf ihre Vulnerabilität und Bedürfnisse Rücksicht zu nehmen, ergibt sich zudem auch aus den Vorschriften des BFA VG, des AsylG 2005 und des FPG, die spezielle Regelungen enthalten, die sich auf die formlose Befragung und die förmliche Vernehmung von Minderjährigen als Partei des Verfahrens (§ 10 Abs. 3 und Abs. 6, § 49 Abs. 1 BFA VG, § 19 Abs. 5 AsylG 2005), ihre gesetzliche Vertretung (§ 10 BFA VG; § 12 FPG) sowie ihre in bestimmten Konstellationen bestehende, aber regelmäßig auf von ihnen zu ihren Gunsten vorgenommene Verfahrenshandlungen eingeschränkte Prozessfähigkeit (§ 10 Abs. 3 und Abs. 6 BFA VG, § 58 Abs. 12 AsylG 2005, § 11 Abs. 8 FPG, § 12 Abs. 3 FPG, § 89 FPG) beziehen.

12 Dem Umstand, dass sich die Vernehmung vor einem Gericht oder einer Behörde für einen Minderjährigen grundsätzlich als belastende Situation darstellt, ist dadurch Rechnung zu tragen, dass im Rahmen jeglicher verfahrensleitender Anordnungen, die der Vernehmung Minderjähriger dienen, darauf Bedacht zu nehmen ist, dass durch die gerichtliche und behördliche Vorgangsweise eine Gefährdung des Kindeswohles hintangehalten wird. Es sind tunlichst aber auch Beeinträchtigungen des Kindeswohls zu vermeiden (vgl. zum Ganzen VwGH 25.10.2023, Ra 2023/20/0125).

13 Die Revisionswerberin wurde im Sinne des Kindeswohls durch das BFA nicht persönlich niederschriftlich einvernommen, sondern hat durch ihre gesetzliche Vertretung in Form von schriftlichem Parteiengehör zu ihren Fluchtgründen Stellung genommen. Das BFA hat zudem seinem Bescheid die aktuellen Länderberichte zu Syrien zu Grunde gelegt und beweiswürdigende Erwägungen getroffen, in welchen es auf das gesamte Vorbringen der Revisionswerberin einging und dieses für wahr unterstellte. Das Bundesverwaltungsgericht hat die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung geteilt. Die Revision zeigt daher nicht auf, dass das Bundesverwaltungsgericht von den oben dargestellten Leitlinien des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen wäre.

14 Soweit sich die Revision auch gegen die Beweiswürdigung des Bundesverwaltungsgerichts richtet, ist dem entgegenzuhalten, dass nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dieser als Rechtsinstanz zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen ist. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 30.12.2024, Ra 2024/19/0455, mwN). Das Bundesverwaltungsgericht setzte sich mit dem als wahr unterstellten Vorbringen der Revisionswerberin im Hinblick auf die Länderinformationen auseinander und kam zu dem Ergebnis, dass der Revisionswerberin in ihrem Herkunftsstaat keine individuelle Verfolgung aus Konventionsgründen drohe. Die Revision legt nicht dar, dass diese Beweiswürdigung an einem vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Mangel leidet.

15 Die Revision bringt des Weiteren vor, dass das Bundesverwaltungsgericht nicht in der gesetzmäßigen, nach § 20 Abs. 2 AsylG 2005 vorgeschriebenen, Besetzung entschieden habe, weil die Revisionswerberin aufgrund ihres Alters zwar noch nicht in der Lage gewesen sei, über die Angst vor Zwangsehe, Kinderehe, Vergewaltigung und sexualisierter Gewalt zu sprechen, durch Zitierung von Länderberichten aber ihre Befürchtungen dahingehend untermauert habe und deshalb von einer weiblichen Richterin einvernommen werden hätte müssen.

16 Gemäß § 20 Abs. 1 AsylG 2005 ist ein Asylwerber von einem Organwalter desselben Geschlechts einzuvernehmen (außer er verlangt anderes), wenn er seine Furcht vor Verfolgung auf Eingriffe in seine sexuelle Selbstbestimmung gründet. Für Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gilt dies nur, wenn der Asylwerber den Eingriff in seine sexuelle Selbstbestimmung spätestens in der Beschwerde behauptet hat.

17 Es ist jedoch weder aus dem vorgelegten Akt des verwaltungsbehördlichen Verfahrens, noch aus der Beschwerde ersichtlich, dass ein Eingriff in die sexuelle Selbstbestimmung der Revisionswerberin auch nur im Ansatz vorgebracht wurde. Der Verweis in der Beschwerde, dass sich das BFA unzureichend mit der persönlichen Situation der Minderjährigen, ihrem persönlichen Vorbringen und den in Bezug auf Kinder und insbesondere Mädchen vorliegenden Länderberichten auseinandergesetzt habe, ist nicht ausreichend dafür, dass das Bundesverwaltungsgericht von einem Eingriff in die sexuelle Selbstbestimmung hätte ausgehen müssen (vgl. zum Prüfungsmaßstab des § 18 Abs. 1 AsylG 2005 VwGH 16.4.2024, Ra 2024/19/0155, mwN). Somit liegt gegenständlich keine Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes vor.

18 Schließlich bringt die Revision vor, das Bundesverwaltungsgericht habe sich nicht mit dem Familienleben der Revisionswerberin nach Art. 8 EMRK auseinandergesetzt. In Folge der Entscheidung könne die Revisionswerberin mit ihrer Familie bis zu ihrer Volljährigkeit kein gemeinsames Familienleben führen. Bei der Beachtung des Kindeswohls stehe jedoch ein gesichertes Familienleben im Vordergrund.

19 Da gegen die Revisionswerberin keine Rückkehrentscheidung erlassen wurde, gehen die in der Revision enthaltenen Ausführungen zu Art. 8 EMRK ins Leere. Zudem übersieht die Revision mit der von ihr vertretenen Ansicht, es sei im Rahmen der Prüfung, ob der Revisionswerberin Asyl zu gewähren sei, eine Auseinandersetzung mit dem Familienleben der Revisionswerberin durchzuführen, die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten nach § 3 Abs. 1 AsylG 2005 (vgl. VwGH 15.6.2023, Ra 2023/14/0190, mwN).

20 In der Revision werden somit insgesamt keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 und Abs. 3 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 30. Juni 2025

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