Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Nedwed und den Hofrat Mag. Tolar als Richter sowie die Hofrätin Dr. Kronegger als Richterin, unter Mitwirkung der Schriftführerin Hahn, LL.M., über die Revision der M M, vertreten durch MMMag. Dr. Johannes Edthaler als bestellter Verfahrenshelfer, dieser vertreten durch Dr. Thomas Loidl, Rechtsanwalt in 4040 Linz, Gerstnerstraße 12, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. Juni 2024, G310 2282736 1/8E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1 Die Revisionswerberin , eine Staatsangehörige von Trinidad und Tobago und Angehörige der Volksgruppe der Kariben, stellte am 16. Mai 2023 einen Antrag auf internationalen Schutz, den sie im Wesentlichen damit begründete, durch ihren Ex Lebenspartner häusliche Gewalt, sexuellen Missbrauch und Vergewaltigung erfahren zu haben sowie mit dem Umbringen bedroht worden zu sein. Ihr Ex Lebenspartner sei ein Mann mit einer einflussreichen Position und kenne Leute bei der Polizei, weshalb die Anzeigen, die sie erstattet habe, nicht bearbeitet worden seien.
2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wies diesen Antrag mit Bescheid vom 15. November 2023 hinsichtlich der Zuerkennung des Status einer Asylberechtigten ab, erkannte der Revisionswerberin den Status der subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihr eine befristete Aufenthaltsberechtigung.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die gegen die Nichtzuerkennung des Status der Asylberechtigten erhobene Beschwerde ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
4 Begründend führte das BVwG auf das Wesentliche zusammengefasst aus, die Revisionswerberin sei aus „persönlichen Gründen“ und um ihre Lebensbedingungen zu verbessern, aus ihrem Herkunftsstaat ausgereist. Sie habe keine asylrelevante Verfolgung glaubhaft gemacht. Bei den von der Revisionswerberin geschilderten Fluchtgründen handle es sich „nicht um eine asylrelevante Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), weil es keine Anhaltspunkte für eine fehlende Schutzfähigkeit oder willigkeit der staatlichen Behörden“ im Herkunftsstaat der Revisionswerberin gebe. Den im Rahmen des Parteiengehörs ins Verfahren eingebrachten Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation zu Trinidad und Tobago sei zu entnehmen, dass von der Regierung einerseits Maßnahmen gegen Korruption ergriffen würden und andererseits (näher beschriebene) Projekte gegen geschlechtsspezifische und sexuelle Gewalt umgesetzt würden. Die Revisionswerberin habe nicht glaubhaft machen können, dass gerade sie keinen Zugang „zu dem in Trinidad und Tobago grundsätzlich eingerichteten wirksamen System der polizeilichen Gefahrenabwehr und Strafverfolgung“ hätte. Überdies spräche gegen die Glaubhaftigkeit ihres Vorbringens, dass ihre Familie weiterhin im Herkunftsstaat lebe, ohne mit ihrem Ex Lebenspartner „Probleme zu haben“ und dass die Revisionswerberin den Namen ihres Ex Lebenspartners nicht preisgeben habe wollen. Eine „Verfolgung aus geschlechtsspezifischen Gründen“ könne nicht festgestellt werden, weil „Übergriffe und Gewalttaten an Frauen in maßgeblicher Intensität und Anzahl aus den getroffenen Feststellungen nicht abgeleitet werden“ könnten. Zum Entfall der mündlichen Verhandlung führte das BVwG aus, dass der entscheidungsrelevante Sachverhalt geklärt sei, weshalb eine solche gemäß § 21 Abs. 7 BFA VG unterbleiben habe können, zumal das Fluchtvorbringen der Revisionswerberin „aus rechtlichen Gründen“ die Gewährung von internationalem Schutz nicht rechtfertigen könne.
5 Dagegen wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zu ihrer Zulässigkeit und in der Sache insbesondere geltend macht, das BVwG sei von näher bezeichneter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Verhandlungspflicht abgewichen. Der Sachverhalt sei nicht aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt gewesen, weil die Beweiswürdigung des BFA in der Beschwerde substantiiert bekämpft worden sei. Bereits in der Beschwerde habe die Revisionswerberin darauf hingewiesen, dass Frauen, die Opfer häuslicher Gewalt seien insbesondere Partnerinnen von politisch einflussreichen Personen wie ihrem Ex Lebenspartner , in Trinidad und Tobago aufgrund der weitverbreiteten Korruption kein ausreichender Schutz durch die staatlichen Behörden zu Teil werde. Das BVwG habe die Beweiswürdigung des BFA entscheidungsrelevant ergänzt, indem es etwa Anfragen an die Staatendokumentation gestellt und die Revisionswerberin im Zuge des Parteiengehörs aufgefordert habe, den Namen und die Adresse ihres Ex-Lebenspartners bekanntzugeben. Das BVwG hätte sich hinsichtlich der Glaubhaftigkeit des Vorbringens der Revisionswerberin zu ihren Fluchtgründen einen persönlichen Eindruck verschaffen müssen.
6 Das BFA erstattete im vom Verwaltungsgerichtshof eingeleiteten Vorverfahren keine Revisionsbeantwortung.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
7 Die Revision ist zulässig und begründet.
8 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist ein Absehen von der mündlichen Verhandlung gemäß § 21 Abs. 7 erster Fall BFA VG nur dann gerechtfertigt, wenn der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben wurde und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweist. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offengelegt haben und das BVwG die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt (vgl. dazu grundlegend VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017 , 0018; weiters etwa VwGH 7.5.2024, Ra 2023/18/0003 bis 0010, mwN).
9 Diesen Grundsätzen hat das BVwG im vorliegenden Fall wie in der Revision zutreffend aufgezeigt wird nicht entsprochen:
10 Die Revisionswerberin hat in der Beschwerde insbesondere durch Vorbringen hinsichtlich des mangelnden Schutzes durch die Behörden ihres Herkunftsstaates den durch die Verwaltungsbehörde erhobenen Sachverhalt anhand von Länderberichten nicht bloß unsubstantiiert bestritten.
11 Angesichts des Beschwerdevorbringens durfte das BVwG unter Berücksichtigung der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht von einem geklärten Sachverhalt im Sinne des § 21 Abs. 7 BFA VG ausgehen und hätte eine mündliche Verhandlung durchführen müssen.
12 Hinzu kommt, dass sich das BFA in seiner Beweiswürdigung mit den Angaben der Revisionswerberin zu einer Bedrohung durch ihren Ex Lebenspartner und den (mangelnden) Schutzmöglichkeiten durch die Behörden des Herkunftsstaates nicht auseinandergesetzt, sondern diesen die Glaubhaftigkeit pauschal abgesprochen hatte. Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat waren im Bescheid des BFA überhaupt nicht enthalten. Das BVwG argumentierte in seiner Beweiswürdigung hingegen mit erstmals ins Verfahren eingebrachten Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation zu Trinidad und Tobago, aus denen sich „ein wirksames System der polizeilichen Gefahrenabwehr und Strafverfolgung“ ergebe und abzuleiten sei, dass „Übergriffe und Gewalttaten an Frauen in maßgeblicher Intensität und Anzahl“ in Trinidad und Tobago nicht vorkämen. Überdies stützte sich das BVwG in seiner Beweiswürdigung darauf, dass das Vorbringen der Revisionswerberin nicht glaubhaft sei, weil ihre Familie weiterhin im Herkunftsstaat lebe, ohne mit ihrem Ex Lebenspartner „Probleme zu haben“, und weil sie den Namen ihres Ex Lebenspartners nicht preisgeben habe wollen. Es hat somit zu wesentlichen Aspekten des Fluchtvorbringens erstmals eine Beweiswürdigung vorgenommen und die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung nicht bloß unwesentlich ergänzt. Eine solche (ergänzende) Würdigung hat jedoch regelmäßig erst nach einer mündlichen Verhandlung, in der auch ein persönlicher Eindruck von der betroffenen Person gewonnen werden kann, zu erfolgen (vgl. etwa VwGH 23.4.2024, Ra 2023/18/0150, mwN). Es entspricht überdies der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass die im Beschwerdeverfahren eingeräumte Möglichkeit, zum Inhalt aktueller Länderberichte zur Situation im Herkunftsstaat schriftlich Stellung zu nehmen, grundsätzlich die Durchführung einer Verhandlung nicht ersetzen kann (vgl. VwGH 29.3.2021, Ra 2020/18/0346, mwN, sowie neuerlich VwGH 7.5.2024, Ra 2023/18/0003 bis 0010, mwN).
13 Die Missachtung der Verhandlungspflicht führt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im Anwendungsbereich des wie hier gegeben Art. 47 GRC zur Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, ohne dass die Relevanz dieses Verfahrensmangels geprüft werden müsste (vgl. etwa wiederum VwGH 7.5.2024, Ra 2023/18/0003 bis 0010, mwN).
14 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
15 Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.
16 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 13. März 2025
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