JudikaturVwGH

Ra 2024/18/0286 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
11. September 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Nedwed und den Hofrat Mag. Tolar als Richter sowie die Hofrätin Dr. Kronegger als Richterin, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Amesberger, über die Revision des M A, vertreten durch Dr. Gregor Klammer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Goldschmiedgasse 6/6-8, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. April 2024, W123 2264502 1/14E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1 Der Revisionswerber, ein somalischer Staatsangehöriger, stellte am 25. Dezember 2021 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2 Mit Bescheid vom 10. November 2022 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag auf internationalen Schutz ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005, erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung nach Somalia zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise setzte es mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

3 Die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Erkenntnis vom 15. November 2023 nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

4 Der Verwaltungsgerichtshof wies mit Beschluss vom 18. Jänner 2024 den Antrag auf Verfahrenshilfe für die Abfassung und Einbringung einer außerordentlichen Revision gegen das Erkenntnis vom 15. November 2023 ab. Der Beschluss über die Abweisung der Verfahrenshilfe wurde dem Revisionswerber am 25. Jänner 2024 zugestellt.

5 Der Revisionswerber brachte am 22. März 2024 durch seinen Vertreter beim BVwG per Web ERV einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 46 VwGG wegen Versäumung der Revisionsfrist gleichzeitig mit einer außerordentlichen Revision gegen das Erkenntnis vom 15. November 2023 ein.

6 Diese Revision wies der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 29. Mai 2024, Ra 2023/19/0508, gemäß § 34 Abs. 1 VwGG als verspätet zurück.

7 Mit Beschluss vom 9. April 2024 wies das BVwG den Antrag des Revisionswerbers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsfrist gemäß § 46 VwGG ab und sprach aus, dass die Revision gegen diesen Beschluss gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

8 Begründend führte das BVwG im Wesentlichen aus, dass dem Revisionswerber der Beschluss, mit welchem der Verwaltungsgerichtshof seinen Antrag auf Verfahrenshilfe abgewiesen habe, am 25. Jänner 2024 zugestellt worden sei, weshalb die sechswöchige Frist zur Erhebung einer (außerordentlichen) Revision gemäß § 26 Abs. 1 iVm Abs. 3 2. Satz VwGG mit Ablauf des 7. März 2024 geendet habe. Der Wiedereinsetzungsantrag des Revisionswerbers sei im Wesentlichen damit begründet worden, dass aufgrund eines Missverständnisses des stets verlässlichen Rechtsanwaltsanwärters und des stets zuverlässigen Kanzleimitarbeiters des vom Revisionswerber bevollmächtigen Rechtsanwalts die Revision nicht am 7. März 2024 eingebracht worden sei und dieser Fehler dem Rechtsanwalt im Zuge der Nachkontrolle am 8. März 2024 erstmalig bekannt geworden sei. Der vom Revisionswerber zur Erhebung einer Revision bevollmächtigte Rechtsanwalt habe die Einbringung der Revision erst am 8. März 2024 und sohin am Tag nach Ablauf der Revisionsfrist am 7. März 2024 überprüft, wodurch sich das eingerichtete Kontrollsystem zum Ausschluss von Fristversäumungen im Sinn der diesbezüglichen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes als unzulänglich erweise und ihn dabei ein über den minderen Grad des Versehens hinausgehendes Verschulden treffe. Der Rechtsanwalt (und folglich auch der von ihm vertretene Revisionswerber) müsse sich daher die der verspäteten Revisionseinbringung zugrundeliegende missverständliche Kommunikation zwischen dem Rechtsanwaltsanwärter und der Kanzleikraft zurechnen lassen, weshalb das zur Last liegende Verschulden die Bewilligung der Wiedereinsetzung gemäß § 46 Abs. 1 2. Satz VwGG hindere.

9 Gegen diesen Beschluss erhob der Revisionswerber die gegenständliche außerordentliche Revision, welche zu ihrer Zulässigkeit zusammengefasst vorbringt, dass sich das BVwG nicht mit dem vorhandenen Kontrollsystem in der Kanzlei des beauftragten Rechtsanwalts auseinandergesetzt habe und daher eine die Rechtssicherheit beeinträchtigende, krasse Fehlbeurteilung der Frage, ob dem Wiedereinsetzungsantrag stattzugeben sei, vorliege. Die Revision moniert zu ihrer Zulässigkeit insbesondere, dass die Versendung eines Schriftsatzes via Web ERV ein bloß manipulativer Vorgang sei, welcher der Postaufgabe gleichstehe. Dazu fehle es an Rechtsprechung des Verwaltungsgerichthofes, denn diesen rein manipulativen Vorgang hätte der Rechtsanwalt im Rahmen seiner Sorgfaltspflicht nicht mehr zu überwachen. Im vorliegenden Fall sei die vom Rechtsvertreter als „Endfassung“ bezeichnete Revision zur Einbringung via Web ERV freigegeben und seinem Rechtsanwaltsanwärter übergeben worden, damit er diese der dazu geschulten Kanzleikraft zur Einbringung überreiche. Nach Freigabe und Unterfertigung der Revision sei daher bloß noch ein rein manipulativer Vorgang, nämlich die Einbringung des Schriftsatzes über Web ERV, durchzuführen gewesen, welchen der Rechtsanwalt im Rahmen seiner Sorgfaltspflicht nicht mehr zu überwachen habe. Das Missverständnis zwischen dem Rechtsanwaltsanwärter und der Kanzleikraft, welches zur Versäumung der fristgerechten Einbringung des Rechtsmittels geführt habe, sei aufgrund des bereits etablierten und seit vielen Jahren fehlerfreien Kontrollsystems des Rechtsanwalts jedenfalls bloß als Versehen minderen Grades zu werten.

10 Auch vermeine das BVwG zu Unrecht, dass sich das im Kanzleibetrieb befindliche Kontrollsystem im Sinn der höchstgerichtlichen Judikatur als unzulänglich erweise. Die „Nachkontrolle“ am 8. März 2024, im Zuge derer dem Rechtsvertreter auffiel, dass die Einbringung der Revision verspätet erfolgte, sei nicht Teil des Kontrollsystems. Die Vormerkung des Endes der Frist, die mehrmalige Überprüfung des Revisionsentwurfes durch den Rechtsvertreter selbst und die Freigabe des Schriftsatzes innerhalb der Frist seien als ausreichende Sorgfalts-, Kontroll- und Überwachungspflichten zu werten. Der rein manipulative Vorgang der Einbringung der Revision sei durch den Rechtsvertreter aufgrund des Vorliegens eines ausreichenden Kontrollsystems nicht mehr selbst zu überwachen, denn es könne einem Rechtsvertreter nicht zugemutet werden, jedes einzelne ERV Sendungsprotokoll zur Einbringung eines Rechtsmittels persönlich zu kontrollieren.

11 Mit diesem Vorbringen werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme:

12 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B VG).

13 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

14 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

15 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes trifft das Verschulden des Parteienvertreters die von diesem vertretene Partei, wobei an berufliche und rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen ist, als an rechtsunkundige und bisher noch nie an gerichtlichen Verfahren beteiligte Personen (vgl. etwa VwGH 9.6.2021, Ra 2020/11/0098, mwN). Ein beruflicher rechtskundiger Parteienvertreter hat seine Kanzlei so zu organisieren, dass nach menschlichem Ermessen die Versäumung von Fristen ausgeschlossen ist. Dazu gehört auch, dass sich der Parteienvertreter bei der Übermittlung von Eingaben im elektronischen Weg vergewissert, ob die Übertragung erfolgreich durchgeführt wurde. Unterbleibt diese Kontrolle aus welchen Gründen auch immer, stellt dies ein über den minderen Grad des Versehens hinausgehendes Verschulden dar (vgl. etwa VwGH 17.12.2020, Ra 2020/18/0287, mwN). Die Einhaltung der den anwaltlichen Vertreter treffenden Sorgfaltspflicht erfordert es auch, die ordnungsgemäße Einbringung des Schriftsatzes bei der zuständigen Stelle etwa dadurch zu kontrollieren, dass die Sendebestätigung über die Einbringung im elektronischen Rechtsverkehr geprüft wird. Das Fehlen bzw. die Unzulänglichkeit eines entsprechenden Kontrollsystems ist nicht mehr als minderer Grad des Versehens zu werten (vgl. VwGH 17.2.2022, Ra 2022/08/0002 mit Hinweis auf VwGH 26.3.2021, Ro 2019/03/0026; 29.5.2015, Ra 2015/08/0013, mwN).

16 Ein Vertreter verstößt auch dann gegen die ihm obliegende Sorgfaltspflicht, wenn er weder im Allgemeinen noch im Besonderen (wirksame) Kontrollsysteme vorgesehen hat, die geeignet sind, im Fall des Versagens einer Kanzleikraft Fristversäumungen hintanzuhalten (vgl. VwGH 29.8.2023, Ra 2023/19/0312 bis 0314, mwN)

17 Das BVwG ging im vorliegenden Fall davon aus, dass der Rechtsvertreter die Einbringung der Revision erst am 8. März 2024 und sohin am Tag nach dem Ablauf der Revisionsfrist überprüft habe und sich das eingerichtete Kontrollsystem zum Ausschluss von Fristversäumungen als unzulänglich erwiesen habe. Daher liege ein über den minderen Grad des Versehens hinsausgehendes Verschulden vor, welches dem Rechtsvertreter und damit auch dem Revisionswerber zuzurechnen sei und die Bewilligung des Antrages auf Wiedereinsetzung hindere.

18 Da der Rechtsvertreter in der vorliegenden außerordentlichen Revision selbst zugesteht, dass keine (wirksame) Kontrolle der ordnungsgemäßen und rechtzeitigen Einbringung des Schriftsatzes etwa durch das Kontrollieren der Sendebestätigung über die Einbringung im elektronischen Rechtsverkehr erfolgte, ist die Beurteilung des BVwG mit Blick auf die wiedergeben Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht zu beanstanden, wonach das Fehlen bzw. die Unzulänglichkeit eines entsprechenden Kontrollsystems nicht mehr als minderer Grad des Versehens zu werten sei.

19 Wird nämlich in keiner Weise dargelegt, ob jemals eine Kontrolle (auch) der manipulativen Vorgänge im Kanzleibetrieb oder der Kanzleiangestellten erfolgte bzw. wie das diesbezügliche Kontrollsystem eingerichtet ist, kann von einer Organisation des Kanzleibetriebes, die eine fristgerechte Setzung von Vertretungshandlungen wie vorliegend die fristgerechte Einbringung der Revision im elektronischen Rechtsverkehr mit größtmöglicher Zuverlässigkeit sicherstellt, und von einer wirksamen Überwachung keine Rede sein und liegt kein bloß minderer Grad des Versehens des Rechtsvertreters vor.

20 Daher sind bereits mangels einer Darlegung eines wirksamen Kontrollsystems die Voraussetzungen für die Bewilligung des Wiedereinsetzungsantrages nicht erfüllt (vgl. abermals VwGH 29.8.2023, Ra 2023/19/0312 bis 0314, mwN). Der vorliegenden Revision gelingt es daher nicht, ein Abweichen von der oben dargestellten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes durch das BVwG aufzuzeigen. Auch geht aus diesem Grund das Vorbringen der Revision, wonach es an Rechtsprechung zu der Frage fehle, ob die Versendung eines Schriftsatzes via Web ERV ein bloß manipulativer Vorgang sei, welcher der Postaufgabe gleichstehe, ins Leere.

21 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 11. September 2024

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