JudikaturVwGH

Ra 2024/14/0332 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
02. Juni 2025

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Nedwed sowie die Hofrätin Dr. in Sembacher und den Hofrat Mag. Marzi als Richter und Richterin, unter Mitwirkung der Schriftführerin Dr. in Zeitfogel, über die Revision der S W, vertreten durch Mag. Karlheinz Amann, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Wipplingerstraße 20/8 9, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. April 2024, W212 2250831 2/2E, betreffend Einreisetitel gemäß § 35 AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Österreichische Botschaft Islamabad), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1 Die Revisionswerberin ist Staatsangehörige Afghanistans und stellte am 27. Mai 2020 im Alter von 17 Jahren, 9 Monaten und 13 Tagen einen schriftlichen Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels gemäß § 35 Abs. 2 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) bei der Österreichischen Botschaft Islamabad (im Folgenden: belangte Behörde).

2 Am 12. November 2020 stellte sie diesen Antrag - zusammen mit ihren Eltern und ihren vier jüngeren Geschwistern - persönlich bei der belangten Behörde. Sie bezog sich dabei auf ihren minderjährigen Bruder, dem mit Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) vom 3. November 2016 der Status des subsidiär Schutzberechtigten erteilt worden war.

3 Während den Eltern und den jüngeren Geschwistern die Einreise nach Österreich gestattet wurde, wies die belangte Behörde den Antrag der Revisionswerberin im zweiten Rechtsgang nach negativen Stellungnahmen des BFA mit Bescheid vom 2. August 2023 gemäß § 26 FPG iVm § 35 AsylG 2005 ab.

4 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab (Spruchpunkt A.) und erklärte unter einem die Revision dagegen für unzulässig (Spruchpunkt B.).

5 Begründend stützte sich das BVwG unter anderem darauf, dass es sich bei der Revisionswerberin nicht um eine „Familienangehörige“ im Sinne des § 35 Abs. 5 AsylG 2005 einer in Österreich asyl oder subsidiär schutzberechtigen Person handle. Zum einen stelle der minderjährige Bruder der Revisionswerberin keine taugliche Ankerperson im Sinne des § 35 Abs. 1 und 2 AsylG 2005 dar. Zum anderen seien auch die Eltern als solche im Hinblick auf die bereits vor der Einreise der Eltern nach Österreich eingetretene Volljährigkeit der Revisionswerberin nicht als Ankerpersonen geeignet.

6 Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

7 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

8 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen. Ein solcher Beschluss ist gemäß § 34 Abs. 3 VwGG in jeder Lage des Verfahrens zu fassen.

9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

10 Im gegenständlichen Fall bringt die Revision zur Begründung ihrer Zulässigkeit zusammengefasst vor, es fehle Rechtsprechung zur Frage, wie vorzugehen sei, wenn antragstellende Geschwister während eines Verfahrens gemäß § 35 AsylG 2005 volljährig würden, und zur Frage, inwieweit eine individuelle Gefährdungslage mit einem hohen Risiko einer Verletzung der Rechte nach Art. 3 EMRK in die Interessenabwägung im Sinne des Art. 8 EMRK miteinzubeziehen sei. Die Revisionswerberin habe im Verfahren wiederholt ihre Gefährdung als Frau in Afghanistan durch die Taliban vorgebracht. Im Übrigen bestreitet die Revision mit näheren Ausführungen, dass zwischen der Revisionswerberin und ihren in Österreich aufhältigen Familienmitgliedern kein schützenswertes Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK vorliege.

11 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan.

12 Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner ständigen Rechtsprechung festgehalten, dass die Erteilung eines Einreisetitels nach § 26 FPG iVm § 35 AsylG 2005 die Möglichkeit der Familienzusammenführung mit dem Zweck darstellt, für die nachziehenden Personen nach Einreise in das Bundesgebiet ein Familienverfahren im Sinn des § 34 AsylG 2005 zu eröffnen und ihnen denselben Schutz wie dem bereits in Österreich aufhältigen Angehörigen zu gewähren. Für die Beurteilung, wem als Familienangehörigen ein Visum nach § 26 FPG iVm § 35 AsylG 2005 erteilt werden kann, ist allein auf die in § 35 Abs. 5 AsylG 2005 enthaltene Definition des „Familienangehörigen“ abzustellen (vgl. etwa VwGH 11.9.2024, Ra 2024/20/0312, Rn. 24, mwN).

13 Gemäß § 35 Abs. 5 AsylG 2005 ist Familienangehöriger, wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat; dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, sofern die eingetragene Partnerschaft bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat. Diese Voraussetzungen erfüllt die Revisionswerberin, wie das BVwG richtig ausgeführt hat, nicht.

14 Zudem hat der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen, dass es auch unionsrechtlich nicht geboten ist, den Anwendungsbereich des § 35 AsylG 2005 zu erweitern, zumal dieser nur eine von mehreren im österreichischen Recht vorgesehenen Möglichkeiten der Familienzusammenführung darstellt, und zwar mit dem asylspezifischen Zweck, für die nachziehenden Personen nach Einreise in das Bundesgebiet ein Familienverfahren im Sinne des § 34 AsylG 2005 zu eröffnen und ihnen denselben Schutz wie dem bereits in Österreich aufhältigen Angehörigen zu gewähren (vgl. VwGH 16.2.2023, Ra 2022/18/0309, Rn. 19, mwN).

15 Im Übrigen hat die Familienzusammenführung in Fällen, in denen den nachziehenden Familienangehörigen wie hier ein Familienverfahren gemäß § 34 AsylG 2005 nach Einreise in das Bundesgebiet nicht offensteht, über das NAG 2005 zu erfolgen (vgl. etwa VwGH 27.6.2022, Ra 2021/22/0209 bis 0211, Rn. 11, mwN; zur Auslegung des Begriffs des Familienangehörigen in einem derartigen Verfahren vgl. etwa VwGH 3.5.2018, Ra 2017/19/0609 bis 0611, Rn. 34 ff, mwN).

16 Vor diesem Hintergrund kann den wiedergegebenen Erwägungen des BVwG, das einen Einreisetitel gemäß § 35 AsylG 2005 für die Revisionswerberin in Bestätigung eines entsprechenden Bescheides der belangten Behörde verweigert hat, nicht entgegengetreten werden.

17 Damit konnte auch eine Auseinandersetzung mit den weiteren Ausführungen der Revision, die auf der Prämisse der Anwendbarkeit des Verfahrens gemäß § 35 AsylG 2005 im Allgemeinen und des § 35 Abs. 5 AsylG 2005 im Besonderen im gegenständlichen Fall beruhen, unterbleiben, zumal das rechtliche Schicksal der Revision von der Beantwortung der insoweit aufgeworfenen Rechtsfragen nicht abhängt.

18 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 2. Juni 2025

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