Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. in Sporrer sowie die Hofrätinnen Mag. Rossmeisel und Dr. in Sembacher als Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Kreil, in der Revisionssache des A I, vertreten durch Mag. a Nadja Lorenz, Rechtsanwältin in 1070 Wien, Burggasse 116, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. April 2024, W189 1247164 4/7E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Dem Revisionswerber, einem aus Tschetschenien stammenden Staatsangehörigen der Russischen Föderation, wurde mit Berufungsbescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 8. Juli 2004 Asyl durch Erstreckung gemäß § 11 Abs. 1 Asylgesetz 1997, abgeleitet von seiner Mutter, gewährt.
2 Der Revisionswerber wurde in der Folge straffällig und am 5. September 2017 vom Landesgericht für Strafsachen Wien wegen mehrerer Vermögensdelikte zu einer dreijährigen Freiheitsstrafe verurteilt.
3 Mit Bescheid vom 29. Dezember 2017 erkannte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Revisionswerber den Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) ab und stellte fest, dass ihm gemäß § 7 Abs. 4 AsylG 2005 die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme. Die Behörde erkannte ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zu, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei, legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest, erließ ein auf die Dauer von acht Jahren befristetes Einreiseverbot und entzog ihm den Konventionspass. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 2. März 2018 als unbegründet ab und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei. Diese Entscheidung erwuchs in Rechtskraft.
4 Am 8. August 2023 stellte der Revisionswerber den hier gegenständlichen zweiten Antrag auf internationalen Schutz nach dem AsylG 2005, den er mit der Furcht vor Zwangsrekrutierungen für den Ukrainekrieg und vor Verfolgung aufgrund der Rolle seines Vaters im zweiten Tschetschenienkrieg begründete.
5 Dieser Antrag wurde vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit Bescheid vom 18. Jänner 2024 zur Gänze abgewiesen (Spruchpunkte I. und II.). Weiters wurde ausgesprochen, dass dem Revisionswerber kein Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG 2005 erteilt (Spruchpunkt III.) und einer Beschwerde gegen diese Entscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt werde (Spruchpunkt IV.).
6 Die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies das Bundesverwaltungsgericht mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis hinsichtlich der Spruchpunkte I. und II. als unbegründet ab. Hingegen gab es der Beschwerde hinsichtlich der übrigen Spruchpunkte statt und behob diese ersatzlos. Die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Verwaltungsgerichtshof erklärte das Bundesverwaltungsgericht für nicht zulässig.
7 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
8 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
10 Soweit die Revision in den Zulässigkeitsausführungen eine Aktenwidrigkeit hinsichtlich der politischen Einstellung des Revisionswerbers vorbringt, ist darauf zu verweisen, dass eine Aktenwidrigkeit nur dann vorliegt, wenn der Akteninhalt unrichtig wiedergegeben wurde bzw. wenn sich das Verwaltungsgericht bei der Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts mit dem Akteninhalt hinsichtlich der dort festgehaltenen Tatsachen in Widerspruch gesetzt hat (vgl. VwGH 12.4.2021, Ra 2020/01/0194, mwN; 3.9.2021, Ra 2020/14/0290, mwN). Derartiges wird von der Revision, die sich vielmehr mit ihren diesbezüglichen Ausführungen gegen die Beweiswürdigung des Bundesverwaltungsgerichts wendet, nicht dargelegt.
11 Der Revisionswerber wendet sich in der Begründung der Zulässigkeit der Revision weiters auch explizit gegen die Beweiswürdigung des Bundesverwaltungsgerichts und bringt dazu vor, er befürchte die Einziehung zum Kriegsdienst in der Ukraine, zumal er der Sohn eines berühmten Widerstandskämpfers sei und dessen politische Ansichten teile, weshalb er in Tschetschenien mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer Zwangsrekrutierung ausgesetzt sei.
12 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser als Rechtsinstanz tätig und im Allgemeinen nicht zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Einzelfall berufen. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat. Der zur Rechtskontrolle berufene Verwaltungsgerichtshof ist nicht berechtigt, eine Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes mit der Begründung zu verwerfen, dass auch ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre (vgl. VwGH 13.12.2023, Ra 2023/14/0466, mwN).
13 Das BVwG verschaffte sich im Rahmen einer Verhandlung einen persönlichen Eindruck vom Revisionswerber und befasste sich mit der individuellen Situation dieses in Bezug auf den Herkunftsstaat. Maßgeblich ging das BVwG unter Berufung auf die hinreichend aktuellen Länderberichte mit näherer Begründung in Bezug auf die persönliche Situation des Revisionswerbers davon aus, dass er seinen Grundwehrdienst in der Russischen Föderation noch nicht abgeleistet habe sowie mit seinem Alter von 35 Jahren nicht mehr unter die gesetzliche Wehrpflicht falle. Einen Konnex zu einem Fluchtgrund im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention verneinte das Bundesverwaltungsgericht mit der Begründung, dass dem Vorbringen des Revisionswerbers, er werde (weiterhin) wegen früherer Handlungen seines Vaters verfolgt, schon anlässlich der im Jahr 2017 wegen Wegfalls der für die Zuerkennung maßgeblichen Umstände ausgesprochenen Aberkennung des Status des Asylberechtigten nicht gefolgt werden könne. Der Revisionswerber habe sich selbst als völlig unpolitisch bezeichnet, sei nie politisch aktiv gewesen; auch sei ihm der Verein „Itschkeria“ in Wien nicht einmal näher bekannt. Ein konkretes, besonderes Interesse der russischen oder tschetschenischen Behörden an ihm habe der Revisionswerber mit seinen spekulativen Angaben nicht darzulegen vermocht. Zudem ergebe sich aus den der Entscheidung zugrundegelegten Länderberichten (aus Juni 2022), dass von einer Verfolgung von Kämpfern des ersten und zweiten Tschetschenienkrieges allein aufgrund ihrer damaligen Teilnahme an Kriegshandlungen heute im Allgemeinen nicht mehr auszugehen sei. Zu den Rückkehrbefürchtungen führte das Bundesverwaltungsgericht weiters aus, dass die bloße Asylantragstellung im Ausland nach dem Länderinformationsblatt nicht prinzipiell und automatisch zu einer Verfolgung von rückkehrenden Tschetschenen führe.
14 Die Revision zeigt weder mit ihrem Vorbringen zur Beweiswürdigung noch mit jenem zur „Aktenwidrigkeit“ eine Unvertretbarkeit dieser Beweiswürdigung auf, zumal sich das Bundesverwaltungsgericht entgegen dem Revisionsvorbringen mit sämtlichen Angaben des Revisionswerbers zu seiner politischen Haltung auseinandersetzte und diese mit den entsprechenden insoweit auch aktuellen Länderfeststellungen in Relation setzte.
15 Daraus folgt, dass den sich auf die Prämisse der Richtigkeit des eigenen sachverhaltsbezogenen Vorbringens gründenden weiteren Behauptungen zu Ermittlungsmängeln somit der Boden entzogen ist.
16 Schließlich wendet sich die Revision im Rahmen der Begründung ihrer Zulässigkeit gegen die Annahme der Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative in der Russischen Föderation. Das Bundesverwaltungsgericht habe sich dabei sowohl über seine eigenen Länderfeststellungen als auch über die weiteren vom Revisionswerber ins Verfahren eingebrachten Berichte hinweggesetzt.
17 Dazu ist festzuhalten, dass die Asylgewährung nicht in Betracht kommt, wenn wie im vorliegenden Verfahren ein kausaler Zusammenhang der Verfolgung mit einem oder mehreren Konventionsgründen fehlt (vgl. VwGH 11.12.2023, Ra 2023/14/0440, mwN). Auf die lediglich in einer Alternativbegründung angestellten Erwägungen zur Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative kommt es damit nicht an, weshalb die Revision auch mit diesem Vorbringen keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung aufzeigt (vgl. zur Unzulässigkeit der Revision bei einer für sich tragenden Begründung auch VwGH 12.12.2023, Ra 2023/14/0449 0450, mwN).
18 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
Wien, am 20. Juni 2024