Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, die Hofräte Dr. Doblinger und Mag. Feiel sowie die Hofrätinnen Dr. Koprivnikar und Mag. Schindler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Rieder, über die außerordentliche Revision des Ing. A B, MSc in C, vertreten durch Dr. Peter Resch, Rechtsanwalt in 3100 St. Pölten, Franziskanergasse 12, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 19. Februar 2024, LVwG AV 841/001 2023, betreffend Einleitung eines Disziplinarverfahrens nach dem Landeslehrer Dienstrechtsgesetz (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Disziplinarkommission am Sitz der Bildungsdirektion Niederösterreich; weitere Partei: Niederösterreichische Landesregierung), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Niederösterreich hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1 Der im Jahr 1966 geborene Revisionswerber steht als Leiter einer Berufsschule in einem öffentlich rechtlichen Dienstverhältnis zum Land Niederösterreich.
2 Am 15. Dezember 2022 fasste die Disziplinarkommission am Sitz der Bildungsdirektion für Niederösterreich (vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde) folgenden Einleitungsbeschluss (ohne die im Original vorhandenen Hervorhebungen; Anonymisierung durch den Verwaltungsgerichtshof):
„Gegen [den Revisionswerber], geb. am [...] 1966, wird gemäß § 92 Landeslehrer Dienstrechtsgesetz (LDG 1984), BGBl Nr. 302/1984 in der geltenden Fassung, ein Disziplinarverfahren eingeleitet.
[Der Revisionswerber] wird als Leiter der Landesberufsschule [...] beschuldigt
1. im Zeitraum 15.12.2019 bis 31.12.2020 missbräuchlich die Werkstätteneinrichtung, das Lehrpersonal und die Schüler der Landesberufsschule [...] für private Zwecke in Anspruch genommen zu haben und
2. im Zeitraum 16.03.2020 bis 01.05.2020 absichtlich die missbräuchliche Nutzung der Werkstätteneinrichtung der Landesberufsschule [...] durch weiteres Lehrpersonal für deren private Zwecke geduldet zu haben.
Der Beschuldigte hat dadurch seine Dienstpflicht gemäß §§ 29 Abs. 1 und 2 iVm 32 Abs. 1 und 2 sowie § 41 LDG 1984 verletzt.“
3 Begründet wurde der Bescheid im Wesentlichen damit, dass dem Revisionswerber nach der Disziplinaranzeige der Dienstbehörde vom 1. Juli 2022, der Eingaben des Lehrerkollegiums vom 20. Jänner und 20. April 2022 zugrunde lägen, im Verdachtsbereich vorgeworfen werde, dass in der Werkstätte der Berufsschule Umbauarbeiten an seinem privaten Gartenzaun, und während des ersten Lockdowns (vom 16. März bis 1. Mai 2020) in Werkstatträumlichkeiten Arbeiten an einem im Privateigentum einer Lehrkraft stehenden Wohnmobil vorgenommen worden seien.
4 Gegen diesen Bescheid erhob der (rechtsanwaltlich vertretene) Revisionswerber Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich, in der zunächst zu deren Rechtzeitigkeit ausgeführt wurde, dass der Einleitungsbeschluss trotz des mit Eingabe vom 25. Juli 2022 bekanntgegebenen Vertretungsverhältnisses dem Revisionswerber am 20. Dezember 2022 direkt zugestellt worden sei. Sein ausgewiesener Vertreter habe erst durch die Weiterleitung des Bescheids durch den Revisionswerber mit E Mail vom 23. Dezember 2022 Kenntnis erlangt.
5 Inhaltlich wurde zusammengefasst eingewendet, dass der vorgeworfene Tatzeitraum völlig unbestimmt hinsichtlich Spruchpunkt 1. überdies durch keinerlei Beweisergebnisse gedeckt sei und die Einleitung eines Disziplinarverfahrens wegen Verjährung, mangels Tatbestandsmäßigkeit oder Geringfügigkeit unterbleiben hätte müssen.
6 Mit dem nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung ergangenen angefochtenen Erkenntnis vom 19. Februar 2024 wies das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich die Beschwerde ab.
Die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG erklärte es für nicht zulässig.
7 Nach ausführlicher Wiedergabe des Verfahrensgangs, einschlägiger Gesetzesbestimmungen und von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes führte das Verwaltungsgericht fallbezogen aus, dass sich die Beschwerde ausschließlich gegen die im Verfahren über einen Einleitungsbeschluss nicht zu beurteilende Frage der Pflichtwidrigkeit des Verhaltens und den Vorwurf des Verschuldens wende und offenkundige Einstellungsgründe gemäß § 87 LDG 1984 nicht vorlägen. Das Vorbringen zu einer bereits eingetretenen Verjährung beziehe sich auf Handlungen im Zeitraum von 2017 bis Ostersonntag 2019, der nicht gegenständlich sei. Hinsichtlich der im Einleitungsbeschluss genannten Zeiträume sei Verjährung nicht eingetreten.
8 Die Unzulässigkeit der Revision begründete das Verwaltungsgericht mit dem Fehlen einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung.
9 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, in der zur Zulässigkeit unter anderem zusammengefasst geltend gemacht wird, dass sich das Verwaltungsgericht mit der Frage der Verjährung nicht auseinandergesetzt bzw. diese unrichtig gelöst habe. Die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde erstattete in dem vom Verwaltungsgerichtshof durchgeführten Vorverfahren eine Revisionsbeantwortung.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
10 Die Revision ist zulässig. Sie ist auch begründet.
11 Das Landeslehrer Dienstrechtsgesetz (LDG 1984), BGBl. Nr. 302/1984, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 166/2023, lautet (auszugsweise):
„7. Abschnitt
DISZIPLINARRECHT
Allgemeine Bestimmungen
Dienstpflichtverletzungen
§ 69. Landeslehrer, die schuldhaft ihre Dienstpflichten verletzen, sind nach den Bestimmungen dieses Abschnittes zur Verantwortung zu ziehen.
...
Verjährung
§ 72. (1) Ein Landeslehrer darf wegen einer Dienstpflichtverletzung nicht mehr bestraft werden, wenn gegen ihn nicht
1. innerhalb von sechs Monaten, gerechnet von dem Zeitpunkt, zu dem die Dienstpflichtverletzung der zur Durchführung des Disziplinarverfahrens berufenen Behörde zur Kenntnis gelangt ist, oder
2. innerhalb von drei Jahren, gerechnet von dem Zeitpunkt der Beendigung der Dienstpflichtverletzung,
eine Disziplinarverfügung (§ 100) erlassen oder ein Disziplinarverfahren eingeleitet (§ 92) wurde. Sind von der landesgesetzlich hiezu berufenen Behörde vor Einleitung des Disziplinarverfahrens im Auftrag der Disziplinarkommission notwendige Ermittlungen durchzuführen (§ 92 Abs. 1 zweiter Satz), verlängert sich die unter Z 1 genannte Frist um sechs Monate.
...
Anwendung des AVG
§ 74. Soweit in diesem Abschnitt nicht anderes bestimmt ist, sind auf das Disziplinarverfahren
1. das AVG mit Ausnahme der §§ 2 bis 4, 12, 39 Abs. 2a, §§ 41, 42, 44a bis 44g, 51, 57, 58a, 62 Abs. 3, §§ 63 bis 67, 68 Abs. 2 und 3, § 73 Abs. 2 und 3, §§ 75 bis 79 sowie
2. das Zustellgesetz, BGBl. Nr. 200/1982,
anzuwenden.
...
Zustellungen
§ 77. (1) Zustellungen an die Parteien haben zu eigenen Handen zu erfolgen.
(2) Sofern der Beschuldigte einen Verteidiger hat, sind sämtliche Schriftstücke auch dem Verteidiger zu eigenen Handen zuzustellen. Ist der Verteidiger zustellungsbevollmächtigt, so treten die Rechtswirkungen der Zustellung für den Beschuldigten mit dem Zeitpunkt der Zustellung an den Verteidiger ein.
...
Einstellung des Disziplinarverfahrens
§ 87. (1) Das Disziplinarverfahren ist mit Bescheid einzustellen, wenn
1. der Beschuldigte die ihm zur Last gelegte Dienstpflichtverletzung nicht begangen hat oder Umstände vorliegen, die die Strafbarkeit ausschließen,
2. die dem Beschuldigten zur Last gelegte Tat nicht erwiesen werden kann oder keine Dienstpflichtverletzung darstellt,
3. Umstände vorliegen, die die Verfolgung ausschließen, oder
4. die Schuld des Beschuldigten gering ist, die Tat keine oder unbedeutende Folgen nach sich gezogen hat und überdies eine Bestrafung nicht geboten ist, um den Beschuldigten von der Verletzung der Dienstpflichten abzuhalten oder der Verletzung von Dienstpflichten durch andere Landeslehrer entgegenzuwirken.
...
Einleitung
§ 92. (1) ...
(2) Hat die Disziplinarkommission die Durchführung eines Disziplinarverfahrens beschlossen, so ist dieser Einleitungsbeschluss der oder dem Beschuldigten, der Disziplinaranwältin oder dem Disziplinaranwalt und der landesgesetzlich hierfür berufenen Behörde zuzustellen. Im Einleitungsbeschluss sind die Anschuldigungspunkte bestimmt anzuführen und die Zusammensetzung des Senates einschließlich der Ersatzmitglieder bekanntzugeben.
...“
12 Der Verwaltungsgerichtshof vertritt in ständiger Rechtsprechung, dass die dem Einleitungsbeschluss in einem Disziplinarverfahren zukommende rechtliche Bedeutung in erster Linie darin gelegen ist, dem wegen einer Dienstpflichtverletzung beschuldigten Beamten gegenüber klarzustellen, hinsichtlich welcher Dienstpflichtverletzung ein Disziplinarverfahren innerhalb der Verjährungsfrist eingeleitet wurde. Der Bescheid, durch den das Disziplinarverfahren eingeleitet wird, und der für dessen weiteren Gang eine Prozessvoraussetzung bildet, dient zugleich dem Schutz des Beschuldigten, der ihm entnehmen kann, nach welcher Richtung er sich vergangen und inwiefern er pflichtwidrig gehandelt haben soll. Der Einleitungsbeschluss begrenzt regelmäßig den Umfang des vor der Disziplinarkommission stattfindenden Verfahrens: Es darf nämlich keine Disziplinarstrafe wegen eines Verdachts ausgesprochen werden, der nicht Gegenstand des durch den Einleitungsbeschluss in seinem Umfang bestimmten Disziplinarverfahrens ist. Um dieser Umgrenzungsfunktion gerecht zu werden, muss das dem Disziplinarbeschuldigten als Dienstpflichtverletzung vorgeworfene Verhalten im Einleitungsbeschluss derart beschrieben werden, dass unverwechselbar feststeht, welcher konkrete Vorgang den Gegenstand des Disziplinarverfahrens bildet. Die angelastete Tat muss daher nach Ort, Zeit und Tatumständen so gekennzeichnet werden, dass keine Unklarheit darüber möglich ist, welches dem Disziplinarbeschuldigten zur Last gelegte Verhalten auf der Grundlage des Einleitungsbeschlusses als Prozessgegenstand im anschließenden Disziplinarverfahren behandelt werden darf. Solcherart muss sich daher der Tatvorwurf von anderen gleichartigen Handlungen oder Unterlassungen, die dem Disziplinarbeschuldigten angelastet werden können, genügend unterscheiden lassen. Für die Einleitung des Verfahrens reicht es aus, wenn im Umfang der Disziplinaranzeige und auf deren Grundlage genügende Verdachtsgründe gegen den Beamten vorliegen, welche die Annahme einer konkreten Dienstpflichtverletzung rechtfertigen. Es muss die Disziplinarbehörde bei Fällung eines Einleitungsbeschlusses noch nicht völlige Klarheit darüber haben, ob der Beamte eine Dienstpflichtverletzung begangen hat; dies ist erst in dem der Einleitung des Verfahrens nachfolgenden Ermittlungsverfahren aufzuklären. In dieser Phase des Verfahrens ist zu klären, ob die Voraussetzungen für die Einleitung gegeben sind oder ob keine genügenden Verdachtsgründe vorliegen und hingegen allenfalls offenkundige Gründe für die Einstellung des Disziplinarverfahrens gegeben sind. Ebenso wenig muss im Einleitungsbeschluss das dem Beamten zur Last gelegte Verhalten bereits abschließend rechtlich gewürdigt werden. Es besteht keine Bindung an die rechtliche Würdigung der Taten im Einleitungsbeschluss (siehe zum Ganzen VwGH 25.5.2023, Ra 2023/09/0013, mwN).
13 Der Revisionswerber wendete bereits im Beschwerdeverfahren Verjährung ein und führte dazu aus, dass für den in Spruchpunkt 1. genannten Zeitraum keinerlei Beweisergebnisse vorlägen. Während er selbst die vorgeworfenen Handlungen auf „nicht nach dem Ostersonntag 2019“ terminierte, wurden sie dem Aktenvermerk der Behörde über ein Telefonat mit einer Auskunftsperson zufolge „vor Corona, so um 2018 oder 2019“ vorgenommen.
14 Es ist dem Revisionswerber in diesem Zusammenhang zuzustimmen, dass sich das Verwaltungsgericht insoweit in keiner Weise ausreichend mit seinen Einwendungen auseinandersetzte, als es lediglich auf den gegenüber seinem Vorbringen abweichenden Zeitraum in Spruchpunkt 1. (15. Dezember 2019 bis 31. Dezember 2020) hinwies. Es überging dabei nämlich die Einwendung, dass es für einen solchen Zeitraum nicht einmal irgendwelche Hinweise im Akt gebe. Die Disziplinarbehörde darf jedoch auch im Einleitungsbeschluss nicht willkürlich einen Tatzeitraum annehmen, um einer andernfalls drohenden Verjährung vorzubeugen, wenn für eine Tatbegehung in diesem späteren Zeitraum keine Anhaltspunkte vorhanden sind.
15 Vor allem aber hat das Verwaltungsgericht das Folgende übersehen:
16 Nach § 72 Abs. 1 LDG 1984 wird der Eintritt der Verjährung unter anderem durch die gegen den Beschuldigten erfolgte Einleitung des Disziplinarverfahrens nach § 92 LDG 1984 innerhalb von (Z 1 leg. cit.) sechs Monaten, gerechnet von dem Zeitpunkt, zu dem die Dienstpflichtverletzung der zur Durchführung des Disziplinarverfahrens berufenen Behörde zur Kenntnis gelangt ist, oder (Z 2 leg. cit.) innerhalb von drei Jahren, gerechnet von dem Zeitpunkt der Beendigung der Dienstpflichtverletzung, ausgeschlossen.
17 Der Gesetzgeber stellt beim Beginn des Fristenlaufs der Verjährungsfrist nach § 72 Abs. 1 Z 1 LDG 1984 auf die Kenntnis der Dienstpflichtverletzung durch die „zur Durchführung des Disziplinarverfahrens berufene Behörde“ ab. Dabei hat der Bundesgesetzgeber aus verfassungsrechtlichen Gründen (Art. 14 Abs. 4 lit. a B VG) offengelassen, welche Behörde dies ist, weil deren Festlegung in die Zuständigkeit des Landesgesetzgebers fällt (vgl. VwGH 22.3.2023, Ra 2022/09/0119, Rn. 20, mwN).
18 Die Disziplinarbehörde, auf deren Kenntnis für den Lauf der Verjährungsfrist abzustellen ist, ist hier die am Sitz der Bildungsdirektion einzurichtende Disziplinarkommission (vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde), der nach § 6 Z 2 NÖ Landeslehrpersonen Diensthoheitsgesetz die Einleitung und Durchführung eines Disziplinarverfahrens obliegt.
19 Nach dem angefochtenen Erkenntnis erstattete die Dienstbehörde mit Schreiben vom 1. Juli 2022 Disziplinaranzeige bei der Disziplinarkommission.
20 Zum Ausschluss der Verjährung muss diese Disziplinarbehörde wie oben ausgeführt gemäß § 72 Abs. 1 Z 1 LDG 1984 innerhalb von sechs Monaten ab Kenntnis von der Dienstpflichtverletzung ein Disziplinarverfahren gegen den Beschuldigten einleiten.
21 Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits zur insoweit vergleichbaren Bestimmung des § 94 Abs. 1 Z 1 Beamten Dienstrechtsgesetz 1979 festgehalten hat, reicht in Ansehung des auf eine bestimmte Bezugsperson abgestimmten Tatbestandsmerkmals „gegen ihn“ die Zustellung des Einleitungsbeschlusses innerhalb der sechsmonatigen Frist an den Disziplinaranwalt oder an die Dienstbehörde nicht aus, um den Eintritt der Verfolgungsverjährung gegenüber den einer Dienstpflichtverletzung beschuldigten Beamten zu verhindern (siehe VwGH 1.9.1988, 88/09/0064, VwSlg. 12752 A/1988; ebenso 25.6.2013, 2012/09/0126, zum Salzburger Landes Beamtengesetz 1984).
22 Gemäß § 77 Abs. 2 LDG 1984 treten die Rechtswirkungen von Zustellungen für den im Disziplinarverfahren durch einen zustellungsbevollmächtigten Verteidiger vertretenen Beschuldigten mit dem Zeitpunkt der Zustellung an den Verteidiger ein.
23 Nach dem mit der Aktenlage in Einklang zu bringenden Vorbringen des Revisionswerbers in seiner Beschwerde wurde (der Zustellverfügung entsprechend) der behördliche Einleitungsbeschluss (eine Ausfertigung) ungeachtet der bereits zeitlich zuvor gegenüber der Disziplinarbehörde schriftlich erfolgten Vollmachtsbekanntgabe durch einen Rechtsanwalt als Verteidiger bloß an den Revisionswerber als Beschuldigten persönlich (per RSa Brief) am 20. Dezember 2022 zugestellt. Der Vertreter soll vom Bescheid erst durch ein E-Mail des Revisionswerbers vom 23. Dezember 2022 Kenntnis erlangt haben.
24 Feststellungen zu diesen Umständen traf das Verwaltungsgericht nicht.
25 Dies wäre jedoch erforderlich gewesen, hat das Verwaltungsgericht doch im Stadium der Entscheidung über die Einleitung oder Nichteinleitung eines Disziplinarverfahrens im Regelfall abschließend die Frage der Verjährung zu klären wozu nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch die durchzuführende mündliche Verhandlung dient (siehe VwGH 31.1.2022, Ra 2020/09/0011, Rn. 19, mwN). Vor allem aber ist das Verfolgungs und Bestrafungshindernis der Verjährung von Amts wegen wahrzunehmen (VwGH 18.3.1993, 92/09/0352, noch zum Verfahren vor der Disziplinaroberkommission).
26 Wie ausgeführt treten nach § 77 Abs. 2 LDG 1984 die Rechtswirkungen der Zustellung für den Beschuldigten, sofern ein Verteidiger mit Zustellvollmacht bestellt ist wovon hier angesichts der nach der Aktenlage dem Rechtsanwalt erteilten umfassenden Vollmacht auszugehen ist , mit dem Zeitpunkt der Zustellung an den Verteidiger ein.
27 Eine allfällige Heilung einer Zustellung ist entsprechend dem gemäß § 74 Z 2 LDG 1984 in diesem Disziplinarverfahren subsidiär anzuwendenden Zustellgesetz zu beurteilen (so auch Schmid in Reissner/Neumayr [Hrsg], Zeller Kommentar zum Öffentlichen Dienstrecht § 108 BDG Rz 1).
28 Nun kann der Zustellmangel, dass der Zustellungsbevollmächtigte von der Behörde fälschlicherweise nicht als Empfänger bezeichnet wird, dadurch heilen, dass das zuzustellende Dokument dem Zustellungsbevollmächtigten tatsächlich zukommt (vgl. VwGH 11.7.2023, Ra 2020/22/0102, u.a., mwN).
29 Eine solche Heilung tritt jedoch nur dann (und erst dann) ein, wenn das Original des Dokuments dem Zustellungsbevollmächtigten tatsächlich zugekommen ist. Hat dieser lediglich eine Kopie des Dokumentes erhalten, ist der Zustellmangel hingegen nicht gemäß § 9 Abs. 3 ZustG geheilt (vgl. VwGH 9.12.2019, Ra 2019/02/0224, unter Hinweis auf VwGH 18.11.2015, Ra 2015/17/0026).
30 Im vorliegenden Fall wurde eine Ausfertigung des Einleitungsbeschlusses von der belangten Behörde dem Akteninhalt und der Zustellverfügung zu Folge ungeachtet der Bekanntgabe eines Zustellungsbevollmächtigten dem Revisionswerber persönlich (mit RSa Brief) zugestellt. Der Zustellungsbevollmächtigte erfuhr vom Inhalt des Bescheids dem Vorbringen nach durch ein E Mail. Vor einem Eingang des Originals des Einleitungsbeschlusses beim Zustellungsbevollmächtigten wäre jedoch keine Heilung des Zustellmangels nach § 9 Abs. 3 ZustG erfolgt. Erst mit diesem Zeitpunkt treten die Rechtswirkungen der Zustellung für den Revisionswerber als Beschuldigten nach § 77 Abs. 2 LDG 1984 ein.
31 Das Verwaltungsgericht hat zu diesen für die Beurteilung einer allfälligen Verjährung erforderlichen Umständen keine Feststellungen getroffen, weshalb es sein Erkenntnis insoweit mit sekundären Feststellungsmängeln belastete. Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
32 Die Kostenentscheidung gründet auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 18. Juni 2024