Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, die Hofräte Dr. Doblinger und Mag. Feiel sowie die Hofrätinnen Dr. Koprivnikar und Mag. Schindler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Sasshofer, über die außerordentliche Revision des Mag. A B in C, vertreten durch die Denkmair Hutterer Hüttner Waldl Rechtsanwälte GmbH in 4020 Linz, Blumauerstraße 3 5, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich vom 12. Jänner 2024, LVwG 950203/9/SE, betreffend Rückforderung zu Unrecht erbrachter Leistungen nach dem Oö. Kranken und Unfallfürsorgegesetz (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Magistrat der Stadt Wels Krankenfürsorge), zu Recht erkannt:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Oberösterreich hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1 Der Revisionswerber steht in einem öffentlich rechtlichen Ruhestandsverhältnis zur Stadt Wels.
2 Ab dem 30. April 2016 wurden von der Krankenfürsorge für die Beamten der Stadt Wels (in der Folge kurz: Krankenfürsorge) für die Ehefrau des Revisionswerbers als mitversicherte Angehörige Leistungen erbracht. Mit Bescheid vom 4. Jänner 2017 legte die Pensionsversicherungsanstalt den Pensionsbeginn der Ehefrau des Revisionswerbers rückwirkend mit 1. Mai 2016 fest. Am 29. Jänner 2020 erhielt die Krankenfürsorge davon Kenntnis, dass für die Ehefrau des Revisionswerbers seit 1. Mai 2016 eine Pflichtversichersicherung bei der (nunmehrigen) Österreichischen Gesundheitskasse besteht. Mit Schreiben vom 3. März 2020 forderte die belangte Behörde die Rückerstattung von der Krankenfürsorge erbrachter Leistungen vom Revisionswerber.
3 Mit dem mit 17. Februar 2023 datierten Bescheid forderte die belangte Behörde gemäß § 87 Oö. Statutargemeinden Bedienstetengesetz 2002 (Oö. StGBG 2002) und § 5 Abs. 2 lit. c und § 12 der Verordnung des Gemeinderates der Stadt Wels vom 13. Dezember 1994 über die Errichtung einer Krankenfürsorge für die Beamten der Stadt Wels (Krankenfürsorge Verordnung 1995) einen Betrag von 40.918,55 Euro an vom Revisionswerber für seine Ehefrau zu Unrecht in Anspruch genommener Leistungen der Krankenfürsorge zurück.
4 Über die vom Revisionswerber gegen diesen Bescheid am 24. März 2023 erhobene Beschwerde änderte das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich mit dem nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung ergangenen angefochtenen Erkenntnis vom 12. Jänner 2024 den Rückzahlungsbetrag dieses Bescheids auf 34.197,08 Euro ab.
Die Revision an den Verwaltungsgerichtshof erklärte es für nicht zulässig.
5 Das Verwaltungsgericht, das von einer „binnen offener Frist“ erhobenen Beschwerde ausging, führte zusammengefasst in der Sache rechtlich aus, dass gemäß § 5 Abs. 2 lit. c Krankenfürsorge Verordnung 1995 kein Anspruch auf Mitversicherung von Angehörigen gegeben sei, wenn für diese (bereits) eine Pflichtversicherung bestehe. Die belangte Behörde habe am 29. Jänner 2020 davon Kenntnis erlangt, das für die Ehefrau des Revisionswerbers seit 1. Mai 2016 eine Pflichtversicherung bestehe. Alle auf Leistungen vor diesem Zeitpunkt zurückgehende Ansprüche der Krankenfürsorge seien daher gemäß § 46 Abs. 4 Oö. Kranken und Unfallfürsorgegesetz für Landesbedienstete (Oö. KFLG) verjährt. Unter Beachtung dieser Verjährung, den von der Österreichischen Gesundheitskasse an die Krankenfürsorge geleisteten Zahlungen sowie den von der Krankenfürsorge bereits gemäß § 51 Oö. KFLG aufgerechneten Leistungen verbleibe ein aushaftender Betrag von 34.197,08 Euro.
6 Die Unzulässigkeit der Revision begründete das Verwaltungsgericht fallunspezifisch mit dem Fehlen einer grundsätzlichen Rechtsfrage.
7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend machende außerordentliche Revision.
8 Zu deren Zulässigkeit wird zusammengefasst ausgeführt, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Berechnung der Verjährung zu Unrecht erbrachter Leistungen im Bereich der Krankenfürsorge nach § 46 Abs. 4 Oö. KFLG. Das Verwaltungsgericht gehe für die Berechnung der Verjährung zwar zutreffend vom 29. Jänner 2020, als dem Tag an dem die belangte Behörde von der Pflichtversicherung der Ehefrau des Revisionswerbers Kenntnis erlangt habe, aus, rechne von diesem aber drei Jahre zurück. Aus dem Wortlaut der Bestimmung ergebe sich jedoch, dass Verjährung drei Jahre nach diesem Zeitpunkt eintrete, sodass mangels bescheidmäßiger Vorschreibung aller vor dem 29. Jänner 2020 erbrachten Leistungen bis zum 28. Jänner 2023 das Rückforderungsrecht der belangten Behörde verjährt sei. Hilfsweise werde auf die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur inhaltlich gleichlautenden Verjährungsbestimmung des § 107 Abs. 2 lit. b ASVG verwiesen (Hinweis auf OGH 28.11.1995, 10 ObS 193/95).
9 Die belangte Behörde erstattete in dem vom Verwaltungsgerichtshof durchgeführten Vorverfahren eine Revisionsbeantwortung.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
10 Die Revision ist entgegen dem den Verwaltungsgerichtshof gemäß § 34 Abs. 1a VwGG nicht bindenden Ausspruch des Verwaltungsgerichts nach § 25a Abs. 1 VwGG aus den vom Revisionswerber aufgezeigten Gründen zulässig. Sie ist im Ergebnis auch begründet.
11 Hat eine außerordentliche Revision die Zulässigkeitsschwelle überschritten, weil eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgezeigt wird, kann der Verwaltungsgerichtshof auch eine andere als die in der Revision aufgezeigte Rechtswidrigkeit aufgreifen (siehe VwGH 21.10.2022, Ra 2022/09/0042, u.a., Rn. 43, mwN).
12 Die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde brachte in ihrer Revisionsbeantwortung unter anderem vor, dass der mit 17. Februar 2023 datierte Bescheid dem Revisionswerber entgegen seinem Vorbringen nach der Aktenlage nicht erst am 24. Februar 2023, sondern bereits am 21. Februar 2023 zugestellt worden sei.
13 Mit Verfügung des Verwaltungsgerichtshofes vom 3. Juli 2024 wurden der Revisionswerber sowie die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde unter Vorhalt einer Kopie des im Verwaltungsakt befindlichen Rückscheins aufgefordert und ihnen die Gelegenheit eingeräumt, zu diesem Umstand Stellung zu nehmen und etwaiges Vorbringen zu erstatten. Die Parteien des Revisionsverfahrens äußerten sich daraufhin zu diesem Vorhalt schriftlich.
14 Der Revisionswerber führt in seinem dazu erstatteten Schriftsatz zunächst aus, dass das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich keine allfällige Verfristung der Beschwerde gesehen und über diese in der Sache entschieden habe.
15 Zum Hergang der Bescheidzustellung und der Berechnung der Beschwerdefrist wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass der Revisionswerber seinem Rechtsanwalt ursprünglich mitgeteilt habe, dass er den Bescheid am 24. Februar 2023 persönlich erhalten habe. Davon ausgehend sei die Beschwerde am 24. März 2023 per E Mail und postalisch bei der belangten Behörde eingebracht worden. Auf dem Rückschein sei jedoch das Feld „Mitbewohner/in“ angekreuzt und stamme die Unterschrift auf dem Rückschein auch von seiner Ehefrau. Bei der Bekanntgabe des Zustellzeitpunkts an seine Rechtsvertretung sei ihm offenbar ein ihm unerklärlicher Irrtum unterlaufen, als er diesen mit „24. Februar 2023“ anstatt mit „21. Februar 2023“ angegeben habe. Das Schreiben sei von seiner Ehefrau übernommen worden. Den Zeitpunkt der Übernahme habe er aus dem Gedächtnis angegeben. Daher rühre die Diskrepanz von drei Tagen.
16 Gemäß § 7 Abs. 4 erster Satz VwGVG beträgt die Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen den Bescheid einer Behörde wegen Rechtswidrigkeit vier Wochen und beginnt gemäß § 7 Abs. 4 Z 1 VwGVG in den Fällen des Art. 132 Abs. 1 Z 1 B VG dann, wenn der Bescheid dem Beschwerdeführer zugestellt wurde, mit dem Tag der Zustellung zu laufen.
17 Nach § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen. Bei der Prüfung der Rechtzeitigkeit einer Beschwerde handelt es sich um eine Rechtsfrage gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG, die, wenn Anhaltspunkte für die Verspätung eines Rechtsmittels vorliegen, von Amts wegen zu erfolgen hat. Das Verwaltungsgericht hat dazu nach amtswegigen Erhebungen Tatsachen festzustellen.
18 Die Außerachtlassung der verspäteten Einbringung eines Rechtmittels betrifft tragende Grundsätze des Verfahrensrechtes und die Rechtssicherheit, weil eine in Rechtskraft erwachsene Entscheidung der inhaltlichen Behandlung einer dagegen erhobenen Beschwerde nach § 28 VwGVG entgegensteht (vgl. zum Ganzen VwGH 20.9.2023, Ra 2023/09/0129, mwN; 24.3.2015, Ra 2015/09/0011, VwSlg. 19085 A).
19 Dem im Verwaltungsakt erliegenden Rückschein zu dem mit 17. Februar 2023 datierten Bescheid ist das Zustelldatum 21. Februar 2023 zu entnehmen. Demgegenüber ging das Beschwerdevorbringen von einer Zustellung am 24. Februar 2023 aus.
20 Das Verwaltungsgericht hätte aufgrund dieser Indizien Zweifel an der Rechtzeitigkeit der am 24. März 2023 erhobenen Beschwerde hegen und von Amts wegen vor einem Eingehen in die Sache ein Ermittlungsverfahren über den Zustellzeitpunkt führen müssen. Zu diesem wären sodann Feststellungen zu treffen gewesen.
21 Indem das Verwaltungsgericht hiezu jedoch ohne nähere Feststellungen und Erwägungen in seinem Erkenntnis bei der Wiedergabe des Verfahrensgangs lediglich ausführte, der Beschwerdeführer habe „binnen offener Frist“ Beschwerde erhoben, trotz offenkundiger Hinweise auf eine mögliche Verspätung kein Verfahren zur Prüfung der Rechtzeitigkeit durchführte und Feststellungen im Zusammenhang mit der Rechtzeitigkeit der Beschwerde traf, sondern dessen ungeachtet in der Sache selbst entschied, belastete es seine Entscheidung mit einem sekundären Feststellungsmangel.
22 Das angefochtene Erkenntnis leidet daher an Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, weshalb es gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzugeben war.
23 Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 5. September 2024
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