JudikaturVwGH

Ra 2024/05/0029 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
09. Juli 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Pollak sowie die Hofrätinnen Dr. Leonhartsberger und Dr. in Gröger als Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Tichy, über die Revision 1. der Bürgerinitiative „W“, 2. des Forum W und 3. des M R, alle in W, alle vertreten durch Mag. Wolfram Schachinger, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Hafengasse 16/4 5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. Jänner 2024, W104 2265480 1/60E, betreffend eine Genehmigung nach § 17 UVP G 2000 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Wiener Landesregierung; mitbeteiligte Partei: Ö GmbH in W, vertreten durch die ONZ Partner Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Schwarzenbergplatz 16), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1 Die mitbeteiligte Partei (Projektwerberin) beantragte am 2. März 2021 für das Städtebauvorhaben N in W die Genehmigung gemäß § 17 iVm Anhang 1 Z 18 lit. b Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz 2000 UVP G 2000. Mit Bescheid vom 8. November 2022 erteilte die belangte Behörde der Projektwerberin die Genehmigung unter Vorschreibung näher genannter Nebenbestimmungen.

2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes wurden die dagegen erhobenen Beschwerden der Revisionswerber unter Abänderung einer hier nicht relevanten Nebenbestimmung als unbegründet abgewiesen. Die Revision erklärte das Verwaltungsgericht für nicht zulässig.

3 Begründend traf das Verwaltungsgericht nähere Feststellungen zum Vorhaben und hielt im Zusammenhang mit der Darstellung der Alternativen fest, dass im Jahr 2005 ein gemeinsamer Planungsprozess der Stadt und der Projektwerberin mit dem Ziel der städtebaulichen Entwicklung des N Areals begonnen habe. Nach dem Entwurf eines groben Leitbildes sei im Rahmen eines Wettbewerbs ein Vorschlag ausgewählt und als Grundlage für das eigentliche Leitbild herangezogen worden. Der Diskussions und Planungsprozess sei umfassend dokumentiert worden. Der angenommene „Nullplanfall“ gehe von einer Wiederinbetriebnahme des Frachtenbahnhofs in Vollkapazität aus. Für den Fall, dass das gegenständliche Städtebauvorhaben nicht realisiert werden könne, sei die Wiederinbetriebnahme des Frachtenbahnhofs absehbar. Die Projektwerberin verfüge über eine aufrechte Genehmigung für den Betrieb eines Güterumschlags; im Fall einer Nichtrealisierbarkeit des Vorhabens würde und müsste sie nach Maßgabe der Bewilligungssituation (aufrechte eisenbahnrechtliche Genehmigung) reagieren. Die von der Projektwerberin eingereichten Unterlagen reichten aus, um festzustellen, ob und in welcher Art und Weise eine Wiederinbetriebnahme des Güterbahnhofs N aus betrieblicher und wirtschaftlicher Sicht möglich sei. Es sei aus den vorgelegten Unterlagen nachvollziehbar, welcher Ertüchtigungen es gegenüber dem im Jahr 2006 eingestellten Betrieb des N Bahnhofs bedürfe, um diesen in wirtschaftlich sinnvoller Form wieder in Betrieb zu nehmen. Die von der Projektwerberin dokumentierte Planung umfasse den für diese Planungsstufe üblichen Umfang, stelle ein realistisches Planungsszenario dar und lasse eine differentielle Beurteilung des Vorhabens selbst sowie eine differentielle Abschätzung möglicher Auswirkungen des Vorhabens auf die Umwelt zu.

4 Zu den Auswirkungen auf die Nachbarn und Nachbarinnen hielt das Verwaltungsgericht fest, dass es durch das Vorhaben im Vergleich zum Nullplanfall weder durch Baulärm, noch durch Straßenverkehrslärm, Lärm aus haustechnischen Anlagen, Erschütterungen, Lichtimmissionen, Luftschadstoffimmissionen oder Klimaveränderungen zu unzumutbaren Belästigungen oder einer Gesundheitsgefährdung komme. Aufgrund der Differenzbetrachtung Betriebsfall 2006 zum neuen Nullplanfall könne eine geringfügig höhere verkehrliche Wirkung angenommen werden. Die Änderung des Nullplanfalls habe auf die Auswirkungsberechnung der Fachbereiche Schalltechnik und Erschütterungen jedoch keinerlei Einfluss, und es ergebe sich keine nachteilige Änderung im Hinblick auf das Schutzgut Luft. Auf Grundlage der gutachterlichen Aussagen, die von den Verfahrensparteien nicht auf gleicher fachlicher Ebene in Frage gestellt worden seien, seien die dem angefochtenen Bescheid zu Grunde liegenden umweltmedizinischen Schlussfolgerungen weiterhin gültig. Das Vorhaben habe sich als ausreichend konkret erwiesen, sodass es den Sachverständigen aus fachlicher Sicht möglich gewesen sei, die genannten Aussagen zu treffen.

5 Rechtlich führte das Verwaltungsgericht zur angenommenen Nullvariante (Nullplanfall) aus, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass es in absehbarer Zeit zu einer Änderung des Sachverhalts kommen werde und die Behörde in der Lage sei, sich über die Auswirkungen dieser Änderung ein hinlängliches Bild zu machen, sei auf absehbare Entwicklungen bei der Entscheidung über die Genehmigung des Vorhabens Bedacht zu nehmen (Hinweis auf VwGH 20.12.2016, Ro 2014/03/0035, Rn. 67 f). Daher sei nicht das letzte volle Betriebsjahr des Frachtenbahnhofs (2006) als Nullplanfall zu Grunde zu legen, sondern ein (Basis )Szenario, welches das Kriterium für eine absehbare zukünftige Entwicklung im Sinn der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes erfüllt. Nach den Ergebnissen des gerichtlichen Ermittlungsverfahrens sei eine andere Nutzung des Bahnhofsareals als für ein Städtebauvorhaben nicht vorgesehen. Ein Brachliegenlassen des Bahnhofsgeländes nach Einstellung des Bahnbetriebs bei unterstellter Nichtverwirklichung des Städtebauvorhabens sei nicht konkret absehbar. Dies ergebe sich insbesondere aus dem gesetzlich festgelegten Unternehmensgegenstand der Projektwerberin. Für eine andere Verwertung durch die Projektwerberin oder einen anderen Rechtsträger gebe es keinen Anhaltspunkt, weder in Form eines anderen Städtebauvorhabens, dessen Merkmale in keiner Weise spezifizierbar seien, noch in Form des Verkaufs oder der Überlassung an einen anderen Rechtsträger, der dann das Gelände brachliegen lassen würde. Sollte das Vorhaben nicht genehmigt werden, könne daher als absehbare Entwicklung nur ein Szenario angenommen werden, das sich aus der bestehenden Rechtslage ergebe. Auf Grundlage der bestehenden Genehmigung für den Betrieb einer Eisenbahn komme nur deren Weiterbetrieb in Frage. Den Auswirkungsberechnungen sei daher als Nullvariante die volle Wiederinbetriebnahme des Bahnhofs zu Grunde gelegt worden.

6 In einer Gesamtbewertung teilte das Verwaltungsgericht die Schlussfolgerung der belangten Behörde, dass das Vorhaben durch seine Auswirkungen, insbesondere auch durch Wechselwirkungen, Kumulierungen oder Verlagerungen, unter Bedachtnahme auf die öffentlichen Interessen des Umweltschutzes bei weitem keine schwerwiegenden Umweltbelastungen bewirken werde.

7 Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zu ihrer Zulässigkeit vorbringt, dass die vom Verwaltungsgericht herangezogene Nullvariante nicht den gesetzlichen Vorgaben und der höchstgerichtlichen Judikatur entspreche. Es seien weder die konkret gegebenen tatsächlichen Verhältnisse noch konkret absehbare tatsächliche Entwicklungen zu Grunde gelegt worden. Stattdessen sei eine Nullvariante angenommen worden, die lediglich auf der prinzipiellen Möglichkeit einer Wiederinbetriebnahme beruhe. Diese würde Detailprojekte und gravierende bauliche Maßnahmen samt Einholung einer „eisenbahnrechtlichen Baugenehmigung“ erfordern.

8 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan.

9 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

10 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

11 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof ausschließlich im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

12 Seit der Änderung des UVP G 2000, BGBl. I Nr. 80/2018, ist das Erfordernis, als Genehmigungswerber eine „Nullvariante“ darzulegen, in § 6 Abs. 1 Z 2 UVP G 2000 explizit konkretisiert. Nach der Novelle BGBl. I Nr. 26/2023 hat die Umweltverträglichkeitserklärung folgende Angaben zu enthalten: „eine Beschreibung der anderen vom Projektwerber/von der Projektwerberin geprüften realistischen Lösungsmöglichkeiten, die für das Vorhaben und seine spezifischen Merkmale relevant sind (zB in Bezug auf Projektdesign, Technologie, Standort, Dimension), der Nullvariante und Angabe der wesentlichen Auswahlgründe sowie Angaben zum Vergleich der für die Auswahl der eingereichten Variante maßgeblichen Umweltauswirkungen; im Fall des § 1 Abs. 1 Z 4 die vom Projektwerber/von der Projektwerberin geprüften Standort oder Trassenvarianten“.

13 Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes legt die „Nullvariante“ das Unterbleiben des Vorhabens dar (vgl. VwGH 6.5.2021, Ra 2019/03/0040, Rn. 41; vgl. sinngemäß bereits VwGH 20.11.2014, 2011/07/0244, Pkt. 6.1., unter Hinweis auf Schmelz/Schwarzer , UVP G (2011) § 1 Rz. 26; vgl. zu dem Begriff auch Ennöckl in Ennöckl/N. Raschauer/Bergthaler , Kommentar zum UVP G³ § 1 Rz. 6).

14 In den zur Zulässigkeit der Revision allein maßgeblichen Revisionszulässigkeitsgründen ist konkret auf die vorliegende Rechtssache bezogen aufzuzeigen, welche Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung der Verwaltungsgerichtshof in einer Entscheidung über die Revision zu lösen hätte und in welchen Punkten die angefochtene Entscheidung von welcher Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht bzw. konkret welche Rechtsfrage dieser uneinheitlich oder noch nicht beantwortet hat. Zum behaupteten Abweichen von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes in der Zulässigkeitsbegründung ist darauf hinzuweisen, dass ein Revisionswerber im Fall der Behauptung einer Abweichung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zumindest eine nach Datum und Geschäftszahl bezeichnete Entscheidung anzugeben und zudem konkret darzulegen hat, dass der der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegende Sachverhalt einer der von ihm ins Treffen geführten Entscheidungen des Verwaltungsgerichthofes gleicht, das Verwaltungsgericht im gegenständlichen Fall dennoch anders entschieden hat und es damit von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen ist (vgl. zum Ganzen etwa VwGH 15.4.2024, Ra 2023/05/0070, mwN). Ebenso reicht auch die bloße Nennung von Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes nach Datum und Geschäftszahl, ohne auf konkrete Unterschiede in dieser Rechtsprechung hinzuweisen, nicht aus (vgl. etwa VwGH 2.4.2024, Ra 2024/06/0045). Dieser Anforderung wird die Zulässigkeitsbegründung der vorliegenden Revision nicht gerecht.

15 Soweit die Zulässigkeitsbegründung der Revisionswerber dahingehend verstanden werden könnte, dass das angefochtene Erkenntnis der auch vom Verwaltungsgericht zitierten Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. Dezember 2016, Ro 2014/03/0035, zur herangezogenen Nullvariante widerspreche, genügt es festzuhalten, dass dort die Frage zu beurteilen war, ob bei der Beurteilung der Nullvariante auf das Ausmaß der tatsächlich bestehenden Immissionen oder auf rechtlich vorgeschriebene, praktisch aber nicht verwirklichte Werte abzustellen ist (vgl. VwGH 20.12.2016, Ro 2014/03/0035, Rn. 68 f).

16 Die Revisionswerber entfernen sich im Übrigen mit ihrem Zulässigkeitsvorbringen, der angefochtenen Entscheidung sei eine Nullvariante zu Grunde gelegt worden, die lediglich auf der prinzipiellen Möglichkeit einer Wiederinbetriebnahme beruhe, begründungslos vom festgestellten Sachverhalt und legen damit keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung dar. Ausgangspunkt der Prüfung, ob eine grundsätzliche Rechtsfrage vorliegt, ist der festgestellte Sachverhalt (vgl. etwa VwGH 15.4.2024, Ra 2024/05/0023, mwN). Dass die Feststellung auf einer unvertretbaren Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes beruhen würde, wird nicht vorgebracht.

17 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 9. Juli 2024

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