Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Nedwed und den Hofrat Mag. Straßegger sowie die Hofrätin Dr. Koprivnikar als Richterin und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Andrés, über die Revision der Landespolizeidirektion Wien gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 2. April 2024, VGW 031/011/15544/2023 6, betreffend Übertretungen der StVO und des KFG (mitbeteiligte Partei: H in W), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
1 Mit Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Wien vom 13. November 2023 wurde dem Mitbeteiligten angelastet, er habe sich zu einem konkret angegebenen Zeitpunkt an einem näher genannten Ort als Lenker eines dem Kennzeichen nach bestimmten Motorrades auf dem Fahrstreifen für Linksabbieger eingereiht, die Fahrt jedoch nicht im Sinne der auf der Fahrbahn angebrachten Richtungspfeile fortgesetzt (Spruchpunkt 1.), an einer geregelten Kreuzung die auf der Fahrbahn angebrachte Haltelinie überfahren (Spruchpunkt 2.) und er habe die von ihm geforderte und näher bezeichnete Lenkerauskunft nicht innerhalb der vorgeschriebenen Frist erteilt und auch keine andere Person genannt, die diese Auskunft hätte erteilen können (Spruchpunkt 3.). Er habe dadurch § 9 Abs. 6 StVO (Spruchpunkt 1.), § 9 Abs. 3 StVO (Spruchpunkt 2.) und § 103 Abs. 2 KFG (Spruchpunkt 3.) verletzt, weshalb über ihn gemäß § 99 Abs. 3 lit. a StVO jeweils zwei Geldstrafen von € 70, (Ersatzfreiheitsstrafen 1 Tag und 8 Stunden) betreffend Spruchpunkte 1. und 2., sowie gemäß § 134 Abs. 1 Z 1 KFG eine Geldstrafe von € 100, (Ersatzfreiheitsstrafe 10 Stunden) betreffend Spruchpunkt 3. verhängt wurden und ihm ein Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens zur Zahlung vorgeschrieben wurde.
2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht Wien (Verwaltungsgericht) der dagegen erhobenen Beschwerde statt und stellte das Verwaltungsstrafverfahren ein. Es sprach aus, dass für den Mitbeteiligten keine Verfahrenskosten gemäß § 52 Abs. 8 VwGVG anfielen und gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG die Erhebung einer ordentlichen Revision an den Verwaltungsgerichtshof ausgeschlossen sei.
3 Nach Wiedergabe des Verfahrensganges hielt das Verwaltungsgericht fest, dass der Sachverhalt nach der Aktenlage feststehe. Demnach habe der Mitbeteiligte als Lenker eines einspurigen Motorrades sein Fahrzeug an der Kreuzung vor den ampelbedingt angehaltenen zweispurigen Fahrzeugen in vordere Position gebracht. Nach Zitierung des § 45 Abs. 1 VStG und des § 12 StVO führte das Verwaltungsgericht aus, dass keinerlei Feststellungen des Meldungslegers im Akt vorhanden seien, dass der Mitbeteiligte sein Fahrzeug entgegen der aus § 12 Abs. 5 erfließenden Berechtigung in vordere Position gebracht hätte. Das Vorfahren an sich sei nach der StVO für „einpurige Fahrzeuglenker“ ausdrücklich erlaubt. Das bekämpfte Straferkenntnis setze sich nicht damit auseinander, inwieweit der Mitbeteiligte sein Vorfahren umgesetzt habe, ohne dass ausreichend Platz vorhanden gewesen sei, oder dass andere Fahrzeuglenker behindert worden wären. Allein dies wäre nach der Diktion des § 12 Abs. 1 und 3 StVO gegenständlich strafbar. Ausdrücklich sei in der Anzeige festgehalten, dass der Fahrzeugverkehr wegen Rotlicht angehalten habe und der Mitbeteiligte mit seinem einspurigen Kraftfahrzeug die Vorfahrt nach § 12 StVO genützt habe. Worin ein tatbestandsmäßiges Handeln gelegen wäre, „in concreto der Mitbeteiligte entgegen der aus § 12 StVO erfließenden Berechtigung verstoßen hätte, [ließen] sowohl die Anzeige als auch das gegen den Mitbeteiligten gerichtete Straferkenntnis missen.“ Vor diesem Hintergrund sei mangels Tatbegehung auf Einstellung zu erkennen gewesen. Die Begründung des Ausspruchs über die Unzulässigkeit der Revision geht im Kern über die verba legalia des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht hinaus.
4 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision, die zur Zulässigkeit zusammengefasst vorbringt, das Verwaltungsgericht habe ohne nähere Begründung von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen, obwohl nach Auffassung des Verwaltungsgerichtes der Sachverhalt noch zu konkretisieren gewesen wäre. Es habe damit seine Pflicht zur Erforschung der materiellen Wahrheit verletzt. Indem das Verwaltungsgericht nur auf die Berechtigung des Mitbeteiligten nach § 12 StVO zum Vorfahren neben oder zwischen bereits angehaltenen Fahrzeugen, nicht jedoch auf die angelasteten Verwaltungsübertretungen nach § 9 Abs. 3 StVO sowie § 103 Abs. 2 KFG eingehe, leide das angefochtene Erkenntnis an einer entscheidenden Begründungslücke, die deren Überprüfung auf ihre Rechtsrichtigkeit entgegenstehe.
5 Der Mitbeteiligte erstattete keine Revisionsbeantwortung.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
6 Die Revision ist zulässig und auch begründet.
7 Gemäß § 29 Abs. 1 VwGVG sind die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtes zu begründen. Diese Begründung hat, wie der Verwaltungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen hat, jenen Anforderungen zu entsprechen, die in seiner Rechtsprechung zu den §§ 58 und 60 AVG entwickelt wurden. Auch in Verwaltungsstrafsachen ist gemäß § 38 VwGVG in Verbindung mit § 24 VStG die Begründungspflicht im Sinn des § 58 AVG von Bedeutung (vgl. VwGH 24.3.2023, Ra 2021/02/0242, mwN).
8 Demnach sind in der Begründung eines Erkenntnisses die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die für die Beweiswürdigung maßgeblichen Erwägungen sowie die darauf gestützte Beurteilung der Rechtslage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erfordert dies im ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhaltes, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche das Verwaltungsgericht im Fall des Vorliegens widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch der Entscheidung geführt haben. Diesen Erfordernissen werden die Verwaltungsgerichte zudem (nur) dann gerecht, wenn sich die ihre Entscheidung tragenden Überlegungen zum maßgebenden Sachverhalt, zur Beweiswürdigung sowie zur rechtlichen Beurteilung aus den verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen selbst ergeben (vgl. VwGH 22.8.2022, Ra 2021/02/0010, mwN).
9 Nach der hg. Rechtsprechung führt ein Begründungsmangel zur Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und in weiterer Folge zur Aufhebung durch den Verwaltungsgerichtshof, wenn er entweder die Parteien des Verwaltungsverfahrens oder des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens an der Verfolgung ihrer Rechte oder den Verwaltungsgerichtshof an der Überprüfung der angefochtenen Entscheidung auf deren inhaltliche Rechtmäßigkeit hindert. Wird das Verwaltungsgericht den Anforderungen an die Begründung von Erkenntnissen der Verwaltungsgerichte nicht gerecht, so liegt ein Begründungsmangel vor, welcher einen revisiblen Verfahrensmangel darstellt (vgl. VwGH 22.6.2022, Ra 2021/02/0075, mwN).
10 Den dargestellten Anforderungen an die Begründung wird das angefochtene Erkenntnis nicht gerecht:
11 Das angefochtene Erkenntnis enthält lediglich die Feststellung, der Mitbeteiligte habe als Lenker eines einspurigen Motorrades sein Fahrzeug an der Kreuzung vor den ampelbedingt angehaltenen zweispurigen Fahrzeugen in vordere Position gebracht. Daraus ist nicht ableitbar, ob sich der Mitbeteiligte wie im bekämpften Straferkenntnis zu Spruchpunkt 1. angelastet auf dem Fahrstreifen für Linksabbieger eingeordnet und die Fahrt jedoch nicht in diese Richtung fortgesetzt habe.
12 Hinsichtlich der Vorwürfe des Überfahrens der Haltelinie nach § 9 Abs. 3 StVO sowie der unterlassenen Lenkerauskunft nach § 103 Abs. 2 KFG enthält das angefochtene Erkenntnis überhaupt keine Feststellungen, Beweiswürdigung und rechtliche Beurteilung für die Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens.
13 Damit ist der Verwaltungsgerichtshof an der Überprüfung der angefochtenen Entscheidung auf deren inhaltliche Rechtmäßigkeit im gesamten Umfang gehindert und liegt ein revisibler Verfahrensmangel vor.
14 Im Übrigen wird darauf hingewiesen, dass das Verwaltungsgericht nach § 25a Abs. 1 letzter Satz VwGG seinen Ausspruch über die Zulässigkeit der Revision gemäß Art 133 Abs. 4 B VG kurz und in der Regel fallbezogen zu begründen hat (vgl. VwGH 13.10.2015, Ra 2015/02/0180), was hier jedoch unterblieben ist.
15 Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Wien, am 6. Oktober 2024