JudikaturVwGH

Ra 2024/02/0117 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
06. März 2025

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Nedwed als Richter und die Hofrätinnen Mag. Dr. Maurer Kober und Mag. Schindler als Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Andrés, über die Revision der Bezirkshauptmannschaft Gmunden, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich vom 6. März 2024, LVwG 606346/10/SSt, betreffend Übertretung der StVO (mitbeteiligte Partei: O U in B, vertreten durch Dr. Johann Postlmayr, Rechtsanwalt in 5230 Mattighofen, Stadtplatz 6), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

1 Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Gmunden vom 6. November 2023 wurde dem Mitbeteiligten zur Last gelegt, er habe am 31. Mai 2023 um 9:28 Uhr an einem näher genannten Ort als Lenker eines dem Kennzeichen nach bestimmten Pkws die auf Freilandstraßen zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um 56 km/h überschritten, wobei die in Betracht kommende Messtoleranz bereits abgezogen worden sei. Der Revisionswerber habe dadurch § 20 Abs. 2 StVO verletzt, weshalb über ihn gemäß § 99 Abs. 2e StVO eine Geldstrafe in der Höhe von € 550, (Ersatzfreiheitsstrafe 4 Tage, 3 Stunden) verhängt worden sei.

2 Der dagegen erhobenen Beschwerde gab das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich (Verwaltungsgericht) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung Folge, behob das angefochtene Straferkenntnis und stellte das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 1 VStG ein. Die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erklärte es für nicht zulässig.

3 Das Verwaltungsgericht stellte fest, dass der Messbeamte die Messung mit einem geeichten, mobilen Lasergerät durchgeführt habe. Es sei eine Geschwindigkeit von 161 km/h auf eine Entfernung von 673 Metern gemessen worden. Ein Stativ sei bei der Messung nicht verwendet worden. Der Messbeamte habe die Messung vom Beifahrersitz durch das geöffnete Seitenfenster fahrerseitig durchgeführt, wobei er eine Schulterstütze verwendet und die das Gerät haltende Hand auf seinem Knie abgestützt habe. Es habe nicht festgestellt werden können, ob dieses Messergebnis tatsächlich dem Fahrzeug des Mitbeteiligten zuzuordnen sei.

4 Beweiswürdigend nahm das Verwaltungsgericht auf das im Rahmen der mündlichen Verhandlung erstattete verkehrstechnische Sachverständigengutachten Bezug, das sich mit der Frage der Notwendigkeit der Verwendung eines Stativs auseinandersetzte. Es führte daran anknüpfend aus, dass die Nichtverwendung des Stativs demnach nur dann keinerlei Auswirkungen auf das Messergebnis gehabt habe, wenn sich im Messbereich kein weiteres Fahrzeug befunden habe bzw. wenn im Zuge eines Überholvorganges das überholende Fahrzeug im Bereich der vorderen Stoßstange anvisiert worden sei. Der Messbeamte habe in der Verhandlung angegeben, dass er glaube, sich daran zu erinnern, dass das Fahrzeug des Mitbeteiligten ein anderes überholt habe. Der Zeuge habe weiters ausgeführt, er sei sich nicht sicher, aber er habe vage ein Überholmanöver in Erinnerung, bei dem ein Fahrzeug wahrscheinlich ein mehrspuriges überholt worden sei. Darüber hinaus habe er keine Erinnerungen mehr an das Überholmanöver. Auch der bei der Messung anwesende weitere Polizist habe in der Verhandlung nicht mehr angeben können, ob sich zum Zeitpunkt der Messung mehrere Fahrzeuge auf der Fahrbahn befunden hätten. Aus den nur vagen Erinnerungen des Messbeamten an ein Überholmanöver folge, dass keine gesicherten Beweisergebnisse zur konkreten Position des vom Mitbeteiligten gelenkten Fahrzeuges und dem Anvisieren des Messzieles im Zeitpunkt der Geschwindigkeitsmessung vorliegen würden. Aufgrund der erheblichen Messentfernung sei nicht anzunehmen, dass dem Messbeamten eine allenfalls durch ein anderes Fahrzeug verursachte Diskrepanz zwischen der auf dem Messgerät angezeigten Entfernung und der tatsächlichen Entfernung aufgefallen wäre. Damit könnten aber die vom Sachverständigen für eine gesicherte Zielerfassung notwendigen Begleitumstände für die ohne Verwendung eines Stativs vorgenommene Messung nicht festgestellt werden. Es bestehe die Möglichkeit, dass der Messwert von einem anderen Fahrzeug als dem des Mitbeteiligten stamme. Die tatsächliche Fahrgeschwindigkeit des Mitbeteiligten am Tatort könne nicht zweifelsfrei dem Messergebnis zugeordnet werden.

5 Rechtlich folgerte das Verwaltungsgericht, dass die dem Mitbeteiligten zur Last gelegte Tat nicht mit der erforderlichen an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit erweisbar gewesen sei, weshalb das Verfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 1 VStG einzustellen gewesen sei.

6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Amtsrevision, die zu ihrer Zulässigkeit unter anderem vorbringt, das angefochtene Erkenntnis weiche von näher zitierter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, weil es den Grundsatz „in dubio pro reo“ angewendet habe, obwohl das Verwaltungsgericht den entscheidungsrelevanten Sachverhalt nur unvollständig ermittelt habe. Es habe insbesondere unterlassen, den Messbeamten zu der vom Sachverständigen für die Zuordnung des Messergebnisses als relevant angesehenen Frage einzuvernehmen, welches Fahrzeug er anvisiert habe. Gehe man davon aus, dass das Fahrzeug des Mitbeteiligten das überholende gewesen sei, wäre der Mitbeteiligte selbst bei einer Zuordnung des Messwertes zum überholten (langsameren) Fahrzeug (nach Abzug der entsprechenden Messtoleranz) zumindest 156 km/h gefahren.

7 Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

8 Die Revision ist zulässig und auch begründet.

9 Gemäß § 38 VwGVG gilt im Verwaltungsstrafverfahren vor den Verwaltungsgerichten gemäß § 25 Abs. 1 VStG das Amtswegigkeitsprinzip und gemäß § 25 Abs. 2 VStG der Grundsatz der Erforschung der materiellen Wahrheit, wonach vom Verwaltungsgericht von Amts wegen unabhängig von Parteivorbringen und anträgen der wahre Sachverhalt durch Aufnahme der nötigen Beweise zu ermitteln ist (vgl. etwa VwGH 14.4.2016, Ra 2014/02/0068, mwN).

10 Der Grundsatz „in dubio pro reo“ ist eine Regel für jene Fälle, in denen im Wege des Beweisverfahrens und anschließender freier Würdigung der Beweise in dem entscheidenden Organ nicht mit Sicherheit die Überzeugung von der Richtigkeit des Tatvorwurfes erzeugt werden konnte. Nur wenn nach Durchführung aller Beweise trotz eingehender Beweiswürdigung somit Zweifel an der Täterschaft des Beschuldigten verbleiben, hat nach dem genannten Grundsatz ein Freispruch zu erfolgen (vgl. VwGH 13.7.2022, Ra 2022/02/0100, VwGH 9.2.2021, Ra 2020/02/0203, jeweils mwN).

11 Eine solche eingehende Beweisaufnahme bzw. würdigung hat das Verwaltungsgericht im Revisionsfall jedoch nicht vorgenommen.

12 Das Verwaltungsgericht hat unbeachtet gelassen, dass der beigezogene verkehrstechnische Sachverständige zur Frage der Zuordnung des Messwertes zu dem vom Mitbeteiligten gelenkten Kraftfahrzeug trotz Nichtverwendung eines Stativs in der Verhandlung ausgeführt hat, dass es bei Annahme eines Überholmanövers es darauf ankomme, ob der Messbeamte das Fahrzeug im Bereich des vorderen Kennzeichens anvisiert habe. Bei Überschneidung des Messkreises aufgrund der Erfassung des zweiten Fahrzeuges wäre es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu einer Error Meldung gekommen.

13 Zu dem vom Sachverständigen als wesentlich erachteten Umstand des Anvisierens liegen jedoch keine Beweisergebnisse vor. Im Rahmen der Einvernahme des Messbeamten wurde laut dem Verhandlungsprotokoll keine derartige Frage formuliert. Aus der Aussage des Messbeamten, dass er nur vage Erinnerungen an ein Überholmanöver habe, kann nicht zwingend geschlossen werden, dass der Beamte auch keine Erinnerungen zum Anvisieren hat. Das Verwaltungsgericht lässt bei seinen Erwägungen außer Acht, dass der Messbeamte konkrete Angaben zur gegenständlichen Messung (etwa zur konkreten Positionierung des Geräts) tätigen konnte, weshalb nicht von Vorherein ausgeschlossen werden kann, dass er auch noch hätte angeben können, das Fahrzeug des Mitbeteiligten anvisiert zu haben.

14 Der aufgezeigte Verfahrensmangel erweist sich als für den Verfahrensausgang wesentlich, weshalb das angefochtene Erkenntnis insofern an Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften leidet.

15 Das angefochtene Erkenntnis war schon deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Wien, am 6. März 2025

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