Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kleiser und die Hofräte Dr. Fasching und Dr. Horvath als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Karger, LL.M., über die Revision der Landespolizeidirektion Wien gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 9. Juli 2024, Zl. VGW 102/076/15752/2023 7, betreffend Maßnahmenbeschwerde wegen einer Festnahme und Anhaltung nach § 35 und § 36 VStG iVm dem Versammlungsgesetz 1953 (mitbeteiligte Partei: W, vertreten durch Dr. Farah Abu Jurji, Rechtsanwalt in Wien), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Der Bund hat dem Mitbeteiligten Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis erklärte das Verwaltungsgericht Wien infolge einer vom Mitbeteiligten gegen seine Festnahme am 4. November 2023, um 14.08 Uhr und anschließende Anhaltung bis 22.40 Uhr im Polizeianhaltezentrum Rossauer Lände (PAZ), erhobenen Maßnahmenbeschwerde gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B VG nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung die „Festnahme des [Mitbeteiligten] am 04.11.2023“ gemäß § 28 Abs. 1 und 6 VwGVG für rechtswidrig (I.), verpflichtete den Bund zur Leistung von näher bezeichnetem Aufwandersatz, wies den Antrag des Mitbeteiligten auf Fahrtkostenersatz ab (II.) und erklärte die Revision für unzulässig (III.).
2 Begründend ging das Verwaltungsgericht im Ergebnis von der Rechtskonformität der auf den Festnahmegrund des § 35 Z 3 VStG iVm § 14 Abs. 1 und § 19 Versammlungsgesetz 1953 gestützten Festnahme des Mitbeteiligten aus, erachtete jedoch die „Aufrechterhaltung der Festnahme“ im PAZ bis 22.40 Uhr gemäß § 36 Abs. 1 VStG aus näher dargelegten Erwägungen für rechtswidrig.
3 Dagegen erhob die belangte Behörde die vorliegende außerordentliche Amtsrevision. In dem vom Verwaltungsgerichtshof durchgeführten Vorverfahren erstattete der Mitbeteiligte eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag auf Zurück , in eventu Abweisung der Revision sowie auf Kostenersatz, in welcher auch näher vorgebracht wird, aus welchen Gründen die Revision unzulässig sei.
4 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
5 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
6 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
7 Die Festnahme (nach § 35 VStG) und die folgende Anhaltung (nach § 36 leg. cit.) stellen einen (einheitlichen) Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt dar, der bei den Verwaltungsgerichten gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B VG angefochten werden kann.
Bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit dieses Aktes muss aber zwischen der eigentlichen Festnahme und der darauffolgenden Anhaltung unterschieden werden. Deren Voraussetzungen sind in § 36 Abs. 1 VStG geregelt. Eine rechtmäßig ausgesprochene Festnahme rechtfertigt somit noch nicht eine andauernde Freiheitsentziehung im Sinne der letztgenannten Bestimmung. Umgekehrt setzt die Rechtmäßigkeit des gesamten aus Festnahme und Anhaltung bestehenden einheitlichen Aktes aber jedenfalls die Rechtmäßigkeit der (der Anhaltung zu Grunde liegenden) Festnahme voraus; die Rechtswidrigkeit der Festnahme bewirkt (auch) die Rechtswidrigkeit der darauf gegründeten Anhaltung (vgl. zum Ganzen VwGH 22.10.2024, Ra 2024/01/0289, mit Hinweisen auf Rechtsprechung und Literatur).
8 Ausgehend von diesen Grundsätzen ist im Hinblick auf die Formulierung von Spruchpunkt I. des angefochtenen Erkenntnisses vorweg klarzustellen, dass sich aus der Entscheidungsbegründung eindeutig ergibt, dass das Verwaltungsgericht nicht die eigentliche (auf § 35 Z 3 VStG gestützte) Festnahme, sondern ausschließlich die (weitere) Anhaltung des Mitbeteiligten gemäß § 36 Abs. 1 VStG für rechtswidrig erachtete. Im letztgenannten Sinn ist daher die spruchgemäß erfolgte Erklärung der „Festnahme“ des Mitbeteiligten für rechtswidrig zu verstehen (vgl. zur Heranziehung der Begründung der Entscheidung eines Verwaltungsgerichts als Auslegungshilfe, wenn der Spruch als individuelle Norm einer Auslegung bedarf, etwa VwGH 12.3.2020, Ra 2019/01/0484, mwN); dagegen richtet sich auch die vorliegende Amtsrevision.
9 Dem Gebot der gesonderten Darstellung der Gründe nach § 28 Abs. 3 VwGG wird insbesondere dann nicht entsprochen, wenn die zur Zulässigkeit der Revision erstatteten Ausführungen der Sache nach Revisionsgründe (§ 28 Abs. 1 Z 5 VwGG) darstellen oder das Vorbringen zur Begründung der Zulässigkeit der Revision mit Ausführungen, die inhaltlich (bloß) Revisionsgründe darstellen, in einer Weise vermengt ist, dass keine gesonderte Darstellung der Zulässigkeitsgründe im Sinne der Anordnung des § 28 Abs. 3 VwGG vorliegt (vgl. etwa VwGH 3.4.2025, Ra 2025/01/0072, mwN).
10 Diesen Anforderungen entsprechen die in der vorliegenden außerordentlichen Revision unter der Überschrift „II.A.2. Zur Zulässigkeit der außerordentlichen Revision in Hinblick auf Art 133 Abs 4 B VG (in gesonderter Darstellung gemäß § 28 Abs 3 VwGG)“ umfänglichen Darlegungen, die ihrem Inhalt nach sowohl Zulässigkeits als auch Revisionsgründe vermengen und zudem nahezu die gesamten im Rahmen der Rechtsrüge zu tätigenden Ausführungen enthalten, nicht (vgl. zu einer ähnlichen außerordentlichen Revision der belangten Behörde jüngst VwGH 7.5.2025, Ra 2025/01/0098, mwN).
11 Die gegenständliche Revision ist daher nicht gesetzmäßig ausgeführt. Ein Mängelbehebungsauftrag ist in einem solchen Fall nicht geboten (vgl. abermals VwGH Ra 2025/01/0098, mwN).
12 Die Revision war somit gemäß § 34 Abs. 1 iVm Abs. 3 VwGG zurückzuweisen.
13 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 15. Juli 2025