Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher sowie die Hofrätin Dr. Wiesinger, den Hofrat Dr. Chvosta, die Hofrätin Dr. in Oswald und den Hofrat Mag. Schartner als Richter und Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Kittinger, LL.M., über die Revision des F A, vertreten durch Dr. Max Kapferer, Dr. Thomas Lechner, Dr. Martin Dellasega, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Schmerlingstraße 2/2, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 1. Februar 2023, L518 1307065 4/3E, betreffend Entziehung eines Fremdenpasses (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1 Der Revisionswerber stellte im November 2005 einen Asylantrag, der im Beschwerdeweg mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 7. Oktober 2009 in Verbindung mit einer Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Aserbaidschan rechtskräftig abgewiesen wurde. Er verblieb in Österreich und verfügt seit Mai 2011 über Aufenthaltstitel, zuletzt über den bis 1. Oktober 2024 gültigen Aufenthaltstitel „Rot Weiß Rot Karte plus“.
2 Am 12. Juli 2018 beantragte der Revisionswerber die Ausstellung eines Fremdenpasses für Staatenlose oder Personen mit ungeklärter Staatsangehörigkeit mit rechtmäßigem Aufenthalt in Österreich, den das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Bescheid vom 9. Oktober 2018 gemäß § 88 Abs. 2 FPG abwies.
3 Eine dagegen vom Revisionswerber erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Erkenntnis vom 24. September 2020 gemäß § 88 FPG als unbegründet ab. Begründend ging es wie auch schon das BFA aus näher dargestellten Überlegungen davon aus, der Revisionswerber sei Staatsangehöriger von Aserbaidschan.
4 Am 24. September 2021 beantragte der Revisionswerber beim BFA neuerlich gestützt auf § 88 Abs. 2 FPG die Ausstellung eines Fremdenpasses und legte dazu unter anderem die Kopie seines bis 1. Oktober 2021 gültigen Aufenthaltstitels „Rot Weiß Rot Karte plus“ vor, in dem „Staatsangehörigkeit Aserbaidschan“ ausgewiesen war.
5 Mit Schreiben vom 6. Oktober 2021 räumte das BFA dem Revisionswerber Parteiengehör ein und hielt ihm vor, sein Antrag vom 12. Juli 2018 sei im Beschwerdeweg mit Erkenntnis des BVwG vom 24. September 2020 rechtskräftig abgewiesen worden (siehe Rn. 2/3). Er habe zu seinem neuerlichen Antrag vom 24. September 2021 kein neues Vorbringen erstattet. Im Übrigen sei aus den diesem Antrag beigelegten Unterlagen nicht erkennbar, dass der Revisionswerber staatenlos oder ungeklärter Staatsangehörigkeit sei. Für den Fall, dass binnen der eingeräumten Frist keine Stellungnahme des Revisionswerbers einlange, stellte das BFA in Aussicht den Antrag des Revisionswerbers aufgrund der vorliegenden Beweisergebnisse gemäß § 68 AVG (wegen entschiedener Sache) zurückzuweisen.
6 In der daraufhin vom rechtsanwaltlichen Vertreter des Revisionswerbers erstatteten Stellungnahme vom 21. Oktober 2021 brachte der Revisionswerber vor, es sei ihm nunmehr am 2. Oktober 2021 von der Niederlassungsbehörde der in Kopie vorgelegte eine „unklare Staatsangehörigkeit“ ausweisende Aufenthaltstitel „Rot Weiß Rot Karte plus“ ausgestellt worden.
7 In der Folge stellte das BFA ohne weitere Ermittlungen vorzunehmen dem Revisionswerber antragsgemäß am 2. November 2021 gemäß § 88 Abs. 2 FPG einen Fremdenpass mit einer Gültigkeit bis 1. November 2026 aus.
8 Noch am selben Tag stellte das BFA per Email Erkundigungen in Bezug auf die Staatsangehörigkeit des Revisionswerbers bei der zuständigen Niederlassungsbehörde, die am 2. Oktober 2021 den letzten Aufenthaltstitel ausgestellt hatte, an.
9 Am 8. November 2021 wurde dem BFA von der Niederlassungsbehörde mitgeteilt, dass aufgrund eines behördeninternen Fehlers auf diesem Aufenthaltstitel des Revisionswerbers irrtümlich „unklare Staatsangehörigkeit“ statt richtig die aserbaidschanische Staatsangehörigkeit eingetragen worden sei.
10 Am 22. Juni 2022 wurde das BFA über die Ausfolgung eines mittlerweile auf die „Staatsangehörigkeit Aserbaidschan“ berichtigten Aufenthaltstitels an den Revisionswerber informiert.
11 Mit Bescheid des BFA vom 24. Oktober 2022 wurde den Mandatsbescheid vom 30. Juni 2022 nach einer vom Revisionswerber dagegen erhobenen Vorstellung bestätigend dem Revisionswerber der Fremdenpass gemäß § 93 Abs. 1 Z 1 FPG entzogen.
12 Die dagegen vom Revisionswerber eingebrachte Beschwerde wurde mit dem angefochtenen Erkenntnis des BVwG vom 1. Februar 2023 gemäß § 93 FPG als unbegründet abgewiesen. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
13 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung eines Vorverfahrens, in dessen Rahmen keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, erwogen hat:
14 Die Revision erweist sich entgegen den gemäß § 34 Abs. 1a erster Satz VwGG nicht bindenden Ausspruch des BVwG aus den nachstehend angeführten Gründen unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B VG als zulässig; sie ist auch berechtigt.
15 Fremdenpässe können gemäß § 88 Abs. 2 FPG auf Antrag unter anderem für Personen ungeklärter Staatsangehörigkeit ausgestellt werden, die kein gültiges Reisedokument besitzen und sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten. Nach § 93 Abs. 1 Z 1 FPG ist ein Fremdenpass zu entziehen, wenn nachträglich Tatsachen bekannt werden oder eintreten, welche die Versagung der Ausstellung des Fremdenpasses rechtfertigen würden. Für die Beurteilung, ob nachträglich eine Tatsache eingetreten oder bekannt geworden ist, welche die Entziehung des Fremdenpasses rechtfertigen würde, darf auf die zum Zeitpunkt seiner Erteilung der Behörde bereits bekannten Tatsachen nicht Bedacht genommen werden (vgl. idS schon zur Ungültigerklärung eines Sichtvermerks nach dem insoweit inhaltsgleichen Tatbestand des § 11 Abs. 1 FrG 1993 etwa VwGH 23.11.1995, 94/18/0763, und VwGH 23.11.1995, 95/18/0086).
16 Das BVwG begründete seine Entscheidung mit der Überlegung, das BFA sei bei Ausstellung des Fremdenpasses von einer ungeklärten Staatsangehörigkeit des Revisionswerbers iSd § 88 Abs. 2 FPG ausgegangen und habe erst durch die Mitteilung der „Aufenthaltsbehörde“ vom 8. November 2021 sowie nach Richtigstellung des behördeninternen Fehlers und Ausfolgung der berichtigten „Aufenthaltskarte“ an den Revisionswerber aufgrund der festgestellten aserbaidschanischen Staatsangehörigkeit des Revisionswerbers „keinen Grund mehr“ gehabt anzunehmen, dass die Voraussetzungen des § 88 Abs. 2 FPG weiterhin vorlägen. Die vom BFA auf § 93 Abs. 1 Z 1 FPG gestützte Entziehung des Fremdenpasses sei daher wegen Vorliegens einer nachträglich bekannt gewordenen Tatsache zu Recht erfolgt.
17 Dem hält die Revision in der Zulässigkeitsbegründung mit näheren Ausführungen entgegen, die aserbaidschanische Staatsangehörigkeit des Revisionswerbers sei dem BFA bereits vor Ausstellung des Fremdenpasses bekannt gewesen, sodass es sich dabei nicht um eine nachträglich bekannt gewordene Tatsache iSd § 93 Abs. 1 Z 1 FPG handle.
18 Damit ist die Revision im Recht. Dem BFA war nämlich schon seit Längerem bekannt, dass die Staatsangehörigkeit des Revisionswerbers nicht ungeklärt ist, sondern dass er die Staatsangehörigkeit von Aserbaidschan besitzt, hatte es doch bereits mit Bescheid vom 9. Oktober 2018 bestätigt durch das BVwG mit Erkenntnis vom 24. September 2020 den ebenfalls auf § 88 Abs. 2 FPG gestützten Antrag des Revisionswerbers vom 12. Juli 2018 genau mit dieser Begründung abgewiesen. Hinzu kommt, dass das BFA dem Revisionswerber noch kurz vor Erteilung seines Fremdenpasses am 2. November 2021 mit Schreiben vom 6. Oktober 2021 (siehe Rn. 5) vorgehalten hatte, dass er gegenüber seinem mit dem erwähnten Erkenntnis des BVwG vom 24. September 2020 im Beschwerdeweg rechtskräftig abgewiesenen Antrag kein neues Vorbringen erstattet habe und aus den seinem Antrag beigelegten Beweismitteln auch keine Staatenlosigkeit oder ungeklärte Staatsangehörigkeit erkennbar sei, weshalb das BFA seinen Antrag gemäß § 68 AVG wegen entschiedener Sache zurückweisen werde. Der Revisionswerber hatte nämlich mit dem Antrag vom 24. September 2021 die Kopie seiner die aserbaidschanische Staatsangehörigkeit ausweisenden „Rot Weiß Rot Karte plus“ vorgelegt. Demnach ging das BFA auch in Bezug auf den gegenständlichen Antrag zunächst selbst vom Vorliegen der aserbaidschanischen Staatsangehörigkeit des Revisionswerbers aus, bewilligte dann aber offenbar im Hinblick auf die Stellungnahme des Revisionswerbers samt der damit vorgelegten, am 2. Oktober 2021 neu ausgestellten, (irrtümlich) eine unklare Staatsangehörigkeit ausweisenden „Rot Weiß Rot Karte plus“ dennoch die Ausstellung eines Fremdenpasses, ohne wegen des offensichtlichen Widerspruchs zur bisherigen Annahme (auch) der Niederlassungsbehörde die evident indizierten dann aber erst nach der Erteilung des Fremdenpasses angestellten Ermittlungen vorzunehmen. Dieser Ermittlungsmangel konnte aber nicht mehr im Wege einer auf § 93 Abs. 1 Z 1 FPG gestützten (nachträglichen) Entziehung des Fremdenpasses saniert werden. Vor diesem Hintergrund hätte das BVwG somit nicht annehmen dürfen, dem BFA sei die im behördlichen Verfahren bisher angenommene und vor der Fremdenpasserteilung auch erörterte aserbaidschanische Staatsangehörigkeit des Revisionswerbers iSd § 93 Abs. 1 Z 1 FPG erst nachträglich bekannt geworden.
19 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
20 Von der in der Revision beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte in diesem Fall gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 und 5 VwGG abgesehen werden.
21 Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 8. Mai 2025