Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pfiel, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätinnen Mag. Rossmeisel und Dr. in Oswald sowie den Hofrat Mag. M. Mayr als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Herrmann Preschnofsky, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. August 2023, W240 2254087 1/28E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (mitbeteiligte Partei: H A in W), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
1 Der Mitbeteiligte, ein Staatsangehöriger Syriens, stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet am 22. Dezember 2021 im Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).
2 Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 1. April 2022 wurde der Antrag des Mitbeteiligten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Bulgarien gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b Dublin III Verordnung für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz zuständig sei. Zudem wurde gemäß § 61 Abs. 1 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) gegen den Mitbeteiligten eine Anordnung zur Außerlandesbringung erlassen und festgestellt, dass gemäß § 61 Abs. 2 FPG die Abschiebung des Mitbeteiligten nach Bulgarien zulässig sei.
3 Mit Erkenntnis vom 22. Juni 2022 wurde der Beschwerde des Mitbeteiligten gegen diesen Bescheid gestützt auf § 21 Abs. 3 erster Satz BFA Verfahrensgesetz (BFA VG) stattgegeben, das Verfahren über den Antrag auf internationalen Schutz als zugelassen festgestellt und der Bescheid behoben.
4 Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 10. März 2023, Ra 2022/01/0222 auf das zur näheren Darstellung der Vorgeschichte des gegenständlichen Verfahrens hingewiesen wird das damals vom BFA mit Revision angefochtene Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. Juni 2022 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben. Das Bundesverwaltungsgericht hatte zu Unrecht die Zuständigkeit Österreichs bejaht, weil Bulgarien nach den Regelungen der Dublin III Verordnung als für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz des Mitbeteiligten zuständig anzusehen war.
5 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesverwaltungsgericht der Beschwerde des Mitbeteiligten neuerlich gemäß § 21 Abs. 3 erster Satz BFA VG statt, erklärte das Verfahren über den Antrag auf internationalen Schutz als zugelassen und hob den Bescheid des BFA auf. Es sprach aus, dass eine Revision gemäß Art 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
6 Das Bundesverwaltungsgericht ging davon aus, dass im vorliegenden Einzelfall insgesamt eine Kombination außergewöhnlicher Umstände gegeben sei, die erfordere, vom Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III Verordnung Gebrauch zu machen.
7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vom BFA erhobene Revision. Es wurde nach Einleitung des Vorverfahrens durch den Verwaltungsgerichtshof keine Revisionsbeantwortung erstattet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
8 Das BFA bringt zur Zulässigkeit der Revision vor, das Bundesverwaltungsgericht weiche mit dem angefochtenen Erkenntnis von näher genannter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, indem es davon ausgehe, der Mitbeteiligte sei im Falle einer Überstellung nach Bulgarien einem „real risk“ der Verletzung in seinen durch Art. 3 und Art. 8 EMRK geschützten Rechten ausgesetzt.
9 Die Revision ist zulässig und begründet.
10 Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung dargelegt, dass das Selbsteintrittsrecht nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III Verordnung auszuüben ist und damit eine Zurückweisung des Antrags auf internationalen Schutz nach § 5 AsylG 2005 zu unterbleiben hat , wenn einer Außerlandesbringung Art. 3 EMRK oder Art. 8 EMRK entgegenstehen (vgl. VwGH 26.4.2021, Ra 2021/14/0015, mwN).
11 Das Bundesverwaltungsgericht vertrat die Ansicht, dass es deshalb geboten sei, nach der genannten Bestimmung den Selbsteintritt durch Österreich vorzunehmen, weil der Mitbeteiligte gesundheitliche Beschwerden aufweise, er sich nicht erklären könne, weshalb in Bulgarien zu seinen Personendaten ein anderes Geburtsdatum und eine andere Staatsangehörigkeit aufscheine, und ihm in Bulgarien nach der Rückkehr nur ein Verfahren über einen Folgeantrag zur Verfügung stehe.
12 Dabei erkannte das Bundesverwaltungsgericht selbst, dass die gesundheitlichen Beschwerden des Mitbeteiligten nicht jene Schwere aufweisen, die es gerechtfertigt hätten, überhaupt in den Anwendungsbereich des Art. 3 EMRK zu fallen (vgl. zu den Voraussetzungen, unter denen eine Verletzung des Art. 3 EMRK anzunehmen ist, ausführlich allgemein, aber im Besonderen auch unter dem Aspekt von Krankheiten VwGH 25.4.2022, Ra 2021/20/0448, mwN). Eine taugliche Begründung dafür, warum aber so das Bundesverwaltungsgericht wörtlich „im konkreten besonderen Einzelfall insgesamt eine Kombination außergewöhnlicher Umstände“ vorläge, nach der es geboten wäre, das Selbsteintrittsrecht nach Art. 17 Dublin III Verordnung ausüben, bleibt das Verwaltungsgericht schuldig. Weder die von ihm erwähnte Dauer des Zulassungsverfahrens (des in Österreich geführten Asylverfahrens) noch die „Integrationsbemühungen“ des Mitbeteiligten stellen hier solche Umstände dar. Die Ansicht, dem Mitbeteiligten stünde in Bulgarien nur ein Verfahren über einen Folgeantrag offen, stützt das Bundesverwaltungsgericht lediglich auf seine Sichtweise der bulgarischen Rechtslage (vgl. dazu, dass es sich bei der Frage des Inhalts ausländischen Rechts samt dessen Auslegung und Anwendung um eine dem Tatsachenbereich zuzuordnende Frage handelt, VwGH 19.1.2022, Ra 2021/20/0310, mwN). Aber selbst wenn dies zuträfe, ist nicht zu sehen, dass dies mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit fallbezogen zu einer Verletzung des Art. 3 EMRK führen würde.
13 Zu den Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts, der Mitbeteiligte habe in Bulgarien Erlebnisse von Gewalt erfahren, ist anzumerken, dass der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung bereits festgehalten hat, dass negative Erlebnisse einer asylwerbenden Partei in einem anderen Mitgliedstaat zwar eines von vielen Indizien für die Behandlung von Asylwerbern in diesem Staat sein können, sie aber keinen (alleinigen) Rückschluss darauf zulassen, dass einer asylwerbenden Partei bei Rücküberstellung in diesen Staat Gleiches widerfahren werde. Entscheidend ist vielmehr eine prognostische Beurteilung der Verhältnisse im Aufnahmestaat, die auf der Grundlage einer Gesamtbeurteilung der den Asylbehörden bzw. dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden aktuellen Berichtslage unter Bedachtnahme auf die individuelle Lage des betroffenen Asylwerbers zu erfolgen hat (vgl. VwGH 20.2.2018, Ra 2018/20/0020). Eine solche prognostische Beurteilung lässt das angefochtene Erkenntnis gänzlich vermissen.
14 Für die vom Bundesverwaltungsgericht ebenfalls, aber nur beiläufig geäußerte Ansicht, es sei der Selbsteintritt auch auf aufgrund des Art. 8 EMRK geboten, fehlt jegliche Begründung.
15 Das Bundesverwaltungsgericht hat somit das angefochtene Erkenntnis mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet. Es war daher aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Wien, am 20. Dezember 2023