Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pfiel sowie den Hofrat Dr. Pürgy und die Hofrätin Mag. Dr. Pieler als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Salama, über die Revision des M H A, vertreten durch Mag. Isabella Petrova, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Franz Josefs Kai 47, gegen das am 2. Oktober 2023 mündlich verkündete und am 18. Oktober 2023 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts, W176 2273870 1/10E, betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens in Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Der Revisionswerber, ein syrischer und türkischer Staatsangehöriger, stellte am 15. November 2021 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er mit der drohenden Einziehung zum Reservemilitärdienst in Syrien begründete.
2 Mit Bescheid vom 4. Jänner 2022 gab das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) dem Antrag statt, erkannte ihm den Status des Asylberechtigten zu und sprach aus, dass ihm kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme.
3 Im Zuge einer Rückreise aus der Türkei in den Schengenraum wies sich der Revisionswerber mit einem am 1. September 2021 ausgestellten (echten) türkischen Reisepass aus.
4 Mit Bescheid vom 22. Mai 2023 erklärte das BFA das Verfahren gemäß § 69 Abs. 1 Z 1 iVm Abs. 3 und Abs. 4 AVG für wiederaufgenommen, weil der Revisionswerber sich den Status des Asylberechtigten erschlichen habe, indem er seine türkische Staatsbürgerschaft wissentlich verschwiegen habe.
5 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem am 2. Oktober 2023 mündlich verkündeten und am 18. Oktober 2023 schriftlich ausgefertigten Erkenntnis als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
Begründend führte es dabei aus, der Revisionswerber habe im Verfahren über seinen Antrag auf internationalen Schutz wissentlich verschwiegen, dass er auch türkischer Staatsbürger sei und über einen türkischen Reisepass verfüge, um Vorteile im Verfahren zu erlangen. Er habe somit objektiv unrichtige Angaben von wesentlicher Bedeutung gemacht bzw. Tatsachen von wesentlicher Bedeutung verschwiegen.
6 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber die vorliegende außerordentliche Revision.
7 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
8 Die Revision bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit zunächst vor, dass das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes über die Erfordernisse an die Begründung einer verwaltungsrechtlichen Entscheidung abweiche, weil Feststellungen, Beweiswürdigung und die rechtliche Beurteilung nicht hinreichend sorgfältig getrennt worden seien.
9 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat die Begründung einer Entscheidung eines Verwaltungsgerichtes auf dem Boden des § 29 VwGVG mit Blick auf § 17 leg. cit. den Anforderungen zu entsprechen, die in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den §§ 58 und 60 AVG entwickelt wurden. Nach dieser Rechtsprechung bestehen die drei logisch aufeinander aufbauenden und formal zu trennenden Elemente einer ordnungsgemäß begründeten verwaltungsgerichtlichen Entscheidung in einer im Indikativ gehaltenen Tatsachenfeststellung, in der Beweiswürdigung und in der rechtlichen Beurteilung. Lässt eine Entscheidung die Trennung dieser Begründungselemente in einer Weise vermissen, dass die Rechtsverfolgung durch die Partei oder die nachprüfende Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts maßgeblich beeinträchtigt wird, dann führt ein solcher Begründungsmangel zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung schon aus diesem Grund (vgl. VwGH 3.12.2021, Ra 2019/07/0069, mwN).
Im vorliegenden Fall ist dem Erkenntnis jedoch entgegen dem Revisionsvorbringen insgesamt deutlich genug zu entnehmen, auf Grund welcher Erwägungen das Verwaltungsgericht zum gegenständlichen Ergebnis gekommen ist.
10 Die Revision wendet sich in weiterer Folge gegen die Beweiswürdigung des BVwG. Dieses habe sich mit dem Vorbringen zum Erwerb der türkischen Staatsangehörigkeit und dem Wesen der Doppelstaatsbürgerschaft nicht auseinandergesetzt.
11 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser als Rechtsinstanz zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. In Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. zuletzt etwa VwGH 31.5.2024, Ra 2024/19/0123, mwN).
12 Eine derartige, vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifende Mangelhaftigkeit vermag die Revision im vorliegenden Fall nicht aufzuzeigen, zumal sie den beweiswürdigenden Erwägungen des BVwG zur türkischen Staatsangehörigkeit des Revisionswerbers nichts Stichhaltiges entgegenhält.
13 Die Revision macht zur Begründung ihrer Zulässigkeit weiters geltend, dass das BVwG von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur strengen Prüfung der Wiederaufnahmegründe und zum Erfordernis der Irreführungsabsicht abgewichen sei, weil das Tatbestandelement des Erschleichens nicht vorliege.
14 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs liegt ein „Erschleichen“ im Sinn des § 69 Abs. 1 Z 1 AVG dann vor, wenn der Bescheid in einer Art zustande gekommen ist, dass die Partei gegenüber der Behörde objektiv unrichtige Angaben von wesentlicher Bedeutung mit Irreführungsabsicht gemacht hat und die Angaben dann dem Bescheid zugrunde gelegt wurden (vgl. VwGH 23.4.2024, Ra 2023/22/0088, mwN).
15 Die für die „Erschleichung“ einer Entscheidung notwendige Irreführungsabsicht setzt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ferner voraus, dass die Partei wider besseres Wissen gehandelt hat, um einen vielleicht sonst nicht erreichbaren Vorteil zu erlangen. Ob Irreführungsabsicht vorliegt, kann nur aus den das rechtswidrige Verhalten der Partei begleitenden Umständen geschlossen werden, die von der Behörde oder vom Verwaltungsgericht in freier Beweiswürdigung festzustellen sind (vgl. VwGH 16.11.2022, Ra 2022/20/0298, mwN).
16 Im vorliegenden Fall vermag die Revision nicht darzutun, dass das BVwG mit seiner Auffassung, der Revisionswerber habe mit Irreführungsabsicht die türkische Staatsbürgerschaft verschwiegen, um einen sonst nicht erreichbaren Vorteil zu erlangen, von den oben dargelegten, in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entwickelten Grundsätzen abgewichen wäre.
17 Schließlich bringt die Revision vor, dass die Vorgehensweise bei der Wiederaufnahme des Verfahrens nicht mit den Vorgaben des Unionsrechts im Einklang stehe. Es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob trotz der Bestimmungen des Art. 14 Status RL, und zwar insbesondere auch in jenen Fällen, die keine Gefahr für die Allgemeinheit darstellen würden, weil der Flüchtling wegen einer besonders schweren Straftat rechtskräftig verurteilt worden sei (Art. 14 Abs. 4 lit. b Status RL), nach nationalem Recht eine Wiederaufnahme eines positiv abgeschlossenen, rechtskräftigen Asylverfahrens auf eine Art und Weise erfolge, wonach die betroffene Person bis zur endgültigen Klärung dieser Frage den Flüchtlingsstatus und den Asylstatus verliere und wieder Asylwerber sei.
18 Mit diesem Vorbringen lässt die Revision außer Acht, dass es sich im vorliegenden Fall um ein Wiederaufnahmeverfahren gemäß § 69 Abs. 1 Z 1 iVm Abs. 3 und Abs. 4 AVG handelt und nicht um ein Aberkennungsverfahren, weshalb mit der ins Treffen geführten fehlenden Rechtsprechung zu Art. 14 Status RL auch keine grundsätzliche Rechtsfrage aufgezeigt wird.
Zudem begründet der bloße Umstand, dass zu einer bestimmten Regelung keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes besteht, für sich allein noch keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG (vgl. etwa VwGH 8.9.2023, Ro 2023/06/0007, mwN).
In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 22. August 2024