Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pfiel sowie den Hofrat Dr. Pürgy und die Hofrätin Mag. Dr. Pieler als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Salama, über die Revision des D A, vertreten durch Dr. in Julia Ecker, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Opernring 7/18, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. Juli 2022, L514 2233769 1/45E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger der Türkei, stellte am 15. Jänner 2020 einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend brachte er vor, als Kurde und Unterstützer der Oppositionspartei Halklarin Demokratik Partisi (HDP) verfolgt zu werden.
2 Mit Bescheid vom 26. Juni 2020 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung in die Türkei zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
In seiner Begründung stellte das BVwG soweit verfahrensgegenständlich von Relevanz fest, dass der Revisionswerber kein Mitglied, aber ein Sympathisant der HDP gewesen sei. Er habe Flugblätter und Zeitungen verteilt sowie bei Versammlungen mitgeholfen und an Demonstrationen teilgenommen. Die vom Revisionswerber geschilderten Anhaltungen durch die Polizei könnten nicht festgestellt werden. Im Falle einer Rückkehr würde er nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit wegen seiner „unterschwelligen“ Aktivitäten für die HDP verfolgt werden.
4 Dagegen erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der mit Beschluss vom 13. Juni 2023, E 2310/2022 10, die Behandlung der Beschwerde ablehnte und diese dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
5 Der Revisionswerber brachte daraufhin die vorliegende außerordentliche Revision ein. In dem vom Verwaltungsgerichtshof eingeleiteten Vorverfahren wurde keine Revisionsbeantwortung erstattet.
6 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
7 In der Revision wird zur Begründung ihrer Zulässigkeit vorgebracht, das Erkenntnis des BVwG sei mit einem Begründungsmangel behaftet, weil es Informationen aus den vom ihm ins Verfahren eingeführten Länderfeststellungen wie auch vom Revisionswerber eingebrachtes Länderberichtsmaterial außer Acht gelassen habe. Aus diesen Berichten würde sich ergeben, dass der türkische Staat auch viele Jahre nach Setzen von politischen Aktivitäten Verfolgungsakte vornehmen würde. Aus dem Umstand, dass bisher keine Verfolgung erfolgt sei, könne somit nicht geschlossen werden, dass der Revisionswerber auch bei einer Rückkehr keiner Verfolgung ausgesetzt wäre. Zudem ergebe sich aus näher genannten Länderberichten, dass auch Sympathisanten der HDP zu denen nach den Feststellungen des BVwG der Revisionswerber zu zählen sei einer staatlichen Verfolgung ausgesetzt wären.
8 Die Revision ist zulässig, sie ist auch begründet.
9 Für die Asylgewährung kommt es auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der GFK zum Zeitpunkt der Entscheidung an. Es ist demnach für die Zuerkennung des Asylstatus zum einen nicht zwingend erforderlich, dass bereits in der Vergangenheit Verfolgung stattgefunden hat, zum anderen ist eine solche „Vorverfolgung“ für sich genommen auch nicht hinreichend. Entscheidend ist, ob die betroffene Person vor dem Hintergrund der zu treffenden aktuellen Länderfeststellungen im Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichtes bei Rückkehr in ihren Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste (vgl. VwGH 21.6.2023, Ra 2021/19/0406, mwN).
10 Der Verwaltungsgerichtshof hat zur Begründungspflicht hinsichtlich der Erkenntnisse der Verwaltungsgerichte gemäß § 29 VwGVG festgehalten, dass die Begründung jenen Anforderungen zu entsprechen hat, die in der Rechtsprechung zu den §§ 58 und 60 AVG entwickelt wurden. Dies erfordert in einem ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhaltes, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche die Behörde im Falle des Vorliegens widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch des Bescheides geführt haben. Diesen Erfordernissen werden die Verwaltungsgerichte dann gerecht, wenn sich die ihre Entscheidung tragenden Überlegungen zum maßgeblichen Sachverhalt, zur Beweiswürdigung sowie zur rechtlichen Beurteilung aus der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung selbst ergeben (vgl. VwGH 16.12.2024, Ra 2024/19/0534, mwN).
11 Diesen Anforderungen an die Begründungspflicht wird das angefochtene Erkenntnis nicht gerecht. Im vorliegenden Fall stellte das BVwG fest, dass der Revisionswerber ein Sympathisant der HDP ist und entsprechende politische Aktivitäten setzte. Aufgrund fehlender Vorverfolgung ging das BVwG jedoch davon aus, dass dem Revisionswerber im Falle einer Rückkehr keine Verfolgung drohe. Damit übersieht das BVwG, dass den in das Beschwerdeverfahren eingebrachten Länderinformationen zufolge der türkische Staat auch nach vielen Jahren Verfolgungsakte gegen politisch oppositionell agierende Personen setzt. Zudem wurden vom Revisionswerber Länderberichte vorgelegt, nach denen auch Sympathisanten und Unterstützer der HDP, die keine Parteimitglieder sind, staatlicher Verfolgung ausgesetzt sein können. In den auf dem Länderinformationsblatt (LIB) vom 10. März 2022 basierenden Feststellungen des BVwG wird auch ausgeführt, dass sich das Vorgehen gegen Sympathisanten der prokurdischen HDP verschärft habe. Indem sich das BVwG im Hinblick auf die Länderinformationen nicht nachvollziehbar mit dem Vorbringen des Revisionswerbers auseinandersetzte, belastete es das angefochtene Erkenntnis mit einem Begründungsmangel. Dem Begründungsmangel kommt auch Relevanz zu, weil bei Würdigung dieser Länderinformationen ein für den Revisionswerber günstigerer Ergebnis hätte erzielt werden können.
12 Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben.
13 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff. VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 25. März 2025