Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Funk Leisch und den Hofrat Dr. Eisner als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Seiler, über die Revision des U A, vertreten durch Dr. Günter Schmid, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Hafferlstraße 7/2. Stock, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. April 2023, W247 2263764 1/25E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Der 1993 geborene Revisionswerber, ein russischer Staatsangehöriger der tschetschenischen Volksgruppe, stellte am 20. September 2005, damals vertreten durch seine Mutter, einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid vom 20. Oktober 2005 gewährte das (damals zuständige) Bundesasylamt dem Revisionswerber im Familienverfahren Asyl und stellte fest, dass ihm kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme.
2 In den Jahren 2009 bis 2022 wurde der Revisionswerber insgesamt elfmal rechtskräftig strafgerichtlich wegen verschiedener Delikte, unter anderem wegen Raubes, (gewerbsmäßigen) Diebstahls, Einbruchsdiebstahls, (schwerer) Körperverletzung, Verstoß gegen das Waffengesetz und Sachbeschädigung, verurteilt.
3 Mit Bescheid vom 27. Oktober 2022 erkannte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Revisionswerber den Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 ab und stellte gemäß § 7 Abs. 2 AsylG 2005 fest, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme (Spruchpunkt I.), erkannte dem Revisionswerber den Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zu (Spruchpunkt II.), erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.), stellte fest, dass seine Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt V.), legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest (Spruchpunkt VI.) und erließ gegen ihn ein auf die Dauer von einem Jahr befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt VII.).
4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit einer hier nicht weiter relevanten Maßgabe betreffend Spruchpunkt I. als unbegründet ab, gab der Beschwerde gegen Spruchpunkt VII. mit der Maßgabe statt, dass dieser zu lauten habe: „Gemäß § 53 Abs.1 iVm Absatz 3 Z 1 Fremdenpolizeigesetz, BGBl. I Nr. 100/2005, idgF., wird gegen Sie ein auf die Dauer von 3 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen“ und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
5 Dagegen erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof (VfGH), der mit Beschluss vom 28. Juni 2023, E 1633/2023 5, die Behandlung der Beschwerde ablehnte und sie mit Beschluss vom 17. Juli 2023, E 1633/2023 7, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
6 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
7 Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
9 Der Revisionswerber wendet sich in der Zulässigkeitsbegründung unter anderem gegen die Beurteilung des BVwG, dass ihm in der Russischen Föderation der Einzug respektive die zwangsweise Rekrutierung in den Militärdienst drohe.
10 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser als Rechtsinstanz zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 29.6.2023, Ra 2023/19/0064, mwN).
11 Das BVwG führte unter Zugrundelegung des zum Entscheidungszeitpunkt aktuellen Länderinformationsblattes (LIB) zur Russischen Föderation beweiswürdigend aus, dass nicht verkannt werde, dass es zu Fehlern bei der Umsetzung der Teilmobilmachung gekommen sei und auch Personen einberufen worden seien, die von der Teilmobilisierung ausgenommen gewesen seien. Aus dem LIB ergebe sich jedoch keine systematische Missachtung der vorgesehenen Regelungen für die Umsetzung der Teilmobilisierung, weshalb davon auszugehen sei, dass es sich dabei um Einzelfälle handle. Im Übrigen sei darauf hinzuweisen, dass die Teilmobilisierung abgeschlossen sei. Aufgrund des Alters des Revisionswerbers von 29 Jahren sei es selbst bei Annahme einer verdeckten Mobilisierung mehr als unwahrscheinlich, dass dieser eingezogen werde, zumal nur männliche russische Staatsangehörige im Alter zwischen 18 und 27 Jahren zur Stellung für den Pflichtdienst einberufen würden. Aus Tschetschenien würden jährlich ein paar hundert Rekruten einberufen, weshalb eine Einberufung des Revisionswerbers noch unwahrscheinlicher erscheine.
12 Die Revision, die die Rückkehrbefürchtungen des Revisionswerbers im Grunde wiederholt und darauf hinweist, dass die Russische Föderation „aus der EMRK“ ausgetreten sei, vermag die beweiswürdigenden Ausführungen des BVwG nicht zu erschüttern. Gegen die Beurteilung des BVwG, dass die Gründe, die zu der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten geführt hätten, nicht mehr vorlägen, wendet sich die Revision nicht.
13 Soweit die Revision in diesem Zusammenhang rügt, dass das BVwG keine aktuellen und substantiellen Ermittlungen getätigt habe, ist darauf hinzuweisen, dass die Frage, ob auf Basis eines konkret vorliegenden Standes eines Ermittlungsverfahrens ein ausreichend ermittelter Sachverhalt vorliegt oder ob weitere amtswegige Erhebungen erforderlich sind, regelmäßig keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, sondern eine jeweils einzelfallbezogen vorzunehmende Beurteilung darstellt (vgl. VwGH 9.5.2023, Ra 2023/19/0008, mwN). Die Revision zeigt vor dem Hintergrund des bereits Gesagten nicht auf, dass im vorliegenden Fall ein krasser, die Rechtssicherheit beeinträchtigender und daher eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufwerfender Verfahrensfehler vorliegt.
14 Wenn der Revisionswerber verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Bestimmung des § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 äußert und eine Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung Fremder untereinander behauptet, ist darauf hinzuweisen, dass die Zulässigkeit der Revision nicht mit der Behauptung der Verfassungswidrigkeit einer generellen Norm begründet werden kann (vgl. VwGH 27.6.2023, Ra 2020/13/0043, mwN). Eine (behauptete) Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten fällt in die Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes (vgl. VwGH 20.3.2023, Ra 2021/10/0188, mwN).
15 In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass der VfGH die Behandlung der gegen das Erkenntnis des BVwG gerichteten Beschwerde nach Art. 144 B VG ablehnte und sich dabei auch mit der vom BVwG angewandten Bestimmung (§ 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005) in ihrer Ausprägung durch die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs auseinandersetzte.
16 Weiters wendet sich die Revision gegen die Nichtzuerkennung von subsidiären Schutz.
17 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Beurteilung einer möglichen Verletzung des Art. 3 EMRK eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr („real risk“) einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK reicht nicht aus. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen (vgl. VwGH 21.12.2022, Ra 2022/19/0309, mwN).
18 Das BVwG traf im vorliegenden Fall unter Zugrundelegung aktueller Länderberichte zur Russischen Föderation sowohl ausreichend aktuelle und konkrete Feststellungen zur Sicherheits- und Versorgungslage im Herkunftsstaat als auch solche betreffend die persönliche Situation des Revisionswerbers und folgerte daraus, dass ihm bei einer Rückkehr in die Russische Föderation keine Verletzung seiner Rechte nach Art. 2 und 3 EMRK drohe. Die Revision zeigt mit ihrem allgemein gehaltenen Vorbringen nicht auf, dass diese Beurteilung mit einer vom Verwaltungsgerichtshof wahrzunehmenden Mangelhaftigkeit belastet wäre.
19 Soweit die Revision das Fehlen von Rechtsprechung zur Frage behauptet, „ob die Abschiebung eines Fremden in einen aktuell kriegführenden Staat“ zulässig sei, ist darauf hinzuweisen, dass die Prüfung, ob ein Bedarf an subsidiärem Schutz besteht nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes wie oben bereits dargelegt je nach den individuellen Umständen des Einzelfalls zu erfolgen hat und die fallbezogene Beurteilung des BVwG den höchstgerichtlich aufgestellten Leitlinien nicht widerspricht.
20 Dasselbe ist der Revision im Zusammenhang mit ihrem Vorbringen, es fehle höchstgerichtliche Judikatur zur Frage der Verletzung im gemäß § 52 Abs. 9 FPG gewährleisteten Recht auf Nichtabschiebung in einen kriegführenden Staat, entgegenzuhalten.
21 Die Revision bringt weiters vor, dass aufgrund der Ablehnung der Behandlung der Beschwerde des Revisionswerbers durch den VfGH „eine prinzipielle Zuständigkeit des VwGH dahin gegeben sein dürfte, Verletzungen von vorbehaltslos gewährleisteten Grundrechte wie Artikel 3 (oder 4) EMRK einer nachprüfenden Kontrolle zu unterziehen, um auf diese Weise insgesamt deren Effektivität i.S.d. Artikel 13 EMRK sicherzustellen. Dies gilt insbesondere dann, wenn und soweit einfache Gesetzte wie hier: § 8 Abs 1 Z 2 AsylG explizit auf Artikel 3 EMRK rekurrieren [...]. In solchen Fällen hat der VwGH die EMRK ebenfalls anzuwenden, und zwar im Sinne einer Auslegungsmaxime, sodass rechtssystematisch besehen letztlich nicht diese, sondern ohnehin die einfachgesetzliche Bestimmung des § 8 Abs1 Z 2 AsylG als Prüfungsmaßstab fungiert. Eine derartige Konzeption widerspricht somit auch nicht der Kompetenztrennungsbestimmung des Artikel 133 Abs 5 B VG“. Es finde sich so die Revision zu dieser speziellen und zugleich grundsätzlichen Rechtsfrage bislang keine dezidierte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes.
22 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist in der gesonderten Zulässigkeitsbegründung konkret darzulegen, in welchen Punkten die angefochtene Entscheidung von welcher Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht bzw. konkret welche Rechtsfrage der Verwaltungsgerichtshof uneinheitlich oder noch gar nicht beantwortet hat (vgl. VwGH 17.7.2023, Ra 2023/19/0166, mwN).
23 Dem wiedergegebenen Vorbringen kann nicht entnommen werden, welche Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG der Verwaltungsgerichtshof im vorliegenden Fall konkret zu lösen hätte.
24 Die Revision wendet sich weiters gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und führt dazu unter Bezugnahme unter anderem auf VwGH 15.12.2021, Ra 2021/20/0328, zusammengefasst aus, dass das BVwG die nach Art. 8 EMRK erforderliche Interessenabwägung „einseitig tendenziös“ zu Lasten des Revisionswerbers vorgenommen habe und dass sämtliche Beweisangebote ignoriert worden seien, weil es bei „pflichtgemäß objektiver“ Würdigung aller sachdienlichen Beweise zu einem für den Revisionswerber günstigeren Ergebnis gekommen wäre. Die letzten drei Verurteilungen des Revisionswerbers seien jedenfalls nicht wegen der Begehung von Verbrechen erfolgt.
25 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt die bei der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommene Interessenabwägung im Allgemeinen, wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde, keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung dar. Das gilt sinngemäß auch für die einzelfallbezogene Erstellung einer Gefährdungsprognose und auch für die Bemessung der Dauer eines Einreiseverbots (vgl. VwGH 9.3.2023, Ra 2022/19/0238, mwN).
26 Zu den Kriterien, die im Rahmen der Interessenabwägung bei Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen Fremde, die wie der Revisionswerber, dem Ende 2005 in Österreich Asyl gewährt wurde über lange Zeit als Asylberechtigte rechtmäßig in Österreich niedergelassen waren und denen der Status als Asylberechtigte aberkannt wurde, zu beachten sind, wird gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG auf die Erkenntnisse vom 15. Dezember 2021, Ra 2021/20/0372, vom selben Tag, Ra 2021/20/0328, sowie vom 2. März 2022, Ra 2021/20/0458, verwiesen.
27 Im Besonderen ist an dieser Stelle hervorzuheben, dass bei Erlassung einer auf § 52 Abs. 2 Z 3 FPG gestützten Rückkehrentscheidung gegen einen Fremden, dem bis dahin von Gesetzes wegen ein Aufenthaltsrecht aufgrund des ihm zuvor zuerkannten Status als Asylberechtigten zugekommen ist, im Rahmen der nach § 9 Abs. 1 BFA VG vorzunehmenden Beurteilung auch auf die Wertungen Bedacht zu nehmen ist, die sich aus jenen Vorschriften ergeben, nach denen eine aufenthaltsbeendende Maßnahme nach langjähriger rechtmäßiger Niederlassung in Österreich für nicht zulässig erklärt oder an besondere Voraussetzungen geknüpft wird (vgl. VwGH 16.11.2022, Ra 2022/20/0002, Rn. 37, mwN).
28 Zur Beurteilung des öffentlichen Interesses im Rahmen der Interessenabwägung nach § 9 BFA VG bedarf es somit ebenso wie für das Einreiseverbot nach § 53 Abs. 3 FPG (bei dem auf eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit abzustellen ist) einer einzelfallbezogenen Einschätzung der vom Fremden aufgrund seiner Straffälligkeit ausgehenden Gefährdung. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei einer solchen Gefährdungsprognose das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und aufgrund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die anzuwendende Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache einer Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen (vgl. erneut VwGH 16.11.2022, Ra 2022/20/0002, Rn. 39, mwN).
29 Bei der fallbezogenen Beurteilung, ob sich gemäß § 9 BFA VG die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen den Revisionswerber im Sinn des Art. 8 EMRK als verhältnismäßig darstellt, berücksichtigte das BVwG insbesondere den zumindest über 17 Jahre dauernden rechtmäßigen Aufenthalt des Revisionswerbers, seine im Bundesgebiet aufhältigen Familienangehörigen und seine Lebensgefährtin, mit welcher der Revisionswerber in einem gemeinsamen Haushalt lebe, seine sehr guten Deutschkenntnisse, eine zuletzt gegebene Erwerbstätigkeit sowie den Erwerb eines Pflichtschulabschlusses und des Staplerführerscheins. Der Revisionswerber sei jedoch nur wenige Monate erwerbstätig gewesen, habe etwa drei Jahre lang Sozialleistungen bezogen und sei immer wieder für einige Zeit obdachlos gemeldet gewesen. Besonders zu Lasten des Revisionswerbers würden seine rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilungen fallen. So sei dieser insgesamt elfmal strafgerichtlich verurteilt worden, erstmals 2009 wegen Raubes und zuletzt 2022 wegen Sachbeschädigung. Der Revisionswerber habe sich aus diesem Grund mehrmals in Strafhaft befunden. Auch die Haftstrafen sowie eine stationäre Therapie beim „Grünen Kreis“ hätten den Revisionswerber nicht davon abgehalten, erneut straffällig zu werden. Der Zeitraum von etwa einem Jahr, in welchem der Revisionswerber sein Leben in geordnete Bahnen zu lenken versucht habe, erweise sich als zu gering, um vor dem Hintergrund der über einen Zeitraum von mehr als 14 Jahren begangenen strafbaren Handlungen einen nachhaltigen Gesinnungswandel annehmen zu können. Auch durch die Beziehung zu seiner Lebensgefährtin sei der Revisionswerber nicht davon abgehalten worden, wieder straffällig zu werden. Eine positive Zukunftsprognose habe daher nicht erkannt werden können.
30 Mit ihren pauschal gehaltenen Überlegungen und dem Auflisten von Umständen, die das BVwG in seiner Interessenabwägung die es nach Einholung eines persönlichen Eindrucks vom Revisionswerber in der mündlichen Verhandlung vornahm ohnehin miteinbezog, vermag die Revision nicht aufzuzeigen, dass die vom BVwG im Einzelfall vorgenommene Gewichtung der festgestellten Umstände, im Besonderen vor dem Hintergrund der massiven Straffälligkeit des Revisionswerbers, selbst unter Bedachtnahme auf den langen rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet, unvertretbar wäre (vgl. VwGH 9.3.2022, Ra 2021/19/0461, mwN).
31 Wenn die Revision schließlich die unterlassene zeugenschaftliche Einvernahme der Lebensgefährtin des Revisionswerbers zum Beleg seines nachhaltigen Sinneswandels rügt, ist darauf zu verweisen, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes das Verwaltungsgericht neben der Durchführung aller zur Klarstellung des Sachverhaltes erforderlichen Beweise auch die Pflicht hat, auf das Parteivorbringen, soweit es für die Feststellung des Sachverhaltes von Bedeutung sein kann, einzugehen. Das Verwaltungsgericht darf sich über erhebliche Behauptungen und Beweisanträge nicht ohne Ermittlungen und ohne Begründung hinwegsetzen. Im Fall einer unterbliebenen Vernehmung ist konkret darzulegen, was die betreffende Person im Fall ihrer Vernehmung ausgesagt hätte und welche (anderen oder ergänzenden) Feststellungen auf Grund dessen zu treffen gewesen wären (vgl. zum Ganzen VwGH 21.9.2022, Ra 2022/19/0021, mwN). Eine solche Darlegung ist der Revision nicht zu entnehmen.
32 Soweit die Revision schließlich die Ausdehnung des Einreiseverbotes bekämpft, ist auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinzuweisen, wonach die Verlängerung der Dauer eines Einreiseverbotes nicht von vornherein unzulässig ist, weil im Beschwerdeverfahren nach dem VwGVG 2014 mit Ausnahme von Verwaltungsstrafsachen (vgl. § 42 VwGVG 2014) nicht das Verbot der „reformatio in peius“ gilt (vgl. VwGH 19.11.2020, Ra 2020/21/0371, mwN).
33 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher ohne weiteres Verfahren gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
Wien, am 25. September 2023