Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Nedwed und den Hofrat Dr. Sutter als Richter sowie die Hofrätin Dr. in Sabetzer als Richterin, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Amesberger, über die Revision des H A, gesetzlich vertreten durch W A, dieser vertreten durch Mag. Nadja Lindenthal, Rechtsanwältin in 1070 Wien, Siebensterngasse 23/3, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. Mai 2023, W163 2258060 1/10E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Der minderjährige Revisionswerber, ein im Jänner 2008 geborener syrischer Staatsangehöriger aus der Gegend um Damaskus, stellte vertreten durch seinen Vater am 17. September 2021 einen Antrag auf internationalen Schutz. Dieser wurde im Wesentlichen mit der allgemeinen Situation in Syrien, den Fluchtgründen des Vaters des Revisionswerbers (der drohenden Einziehung zum Reservedienst) sowie einer dem Revisionswerber drohenden Zwangsrekrutierung durch regimetreue Milizen begründet.
2 Mit Bescheid vom 12. Juli 2022 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab, erkannte ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung.
3 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten erhobene Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
4 Begründend führte das BVwG soweit hier von Bedeutung aus, dass dem Revisionswerber in seinem Herkunftsgebiet weder durch die syrische Armee noch durch eine regimenahe Miliz Verfolgung drohe. Der im Entscheidungszeitpunkt fünfzehnjährige Revisionswerber befinde sich noch nicht im wehrpflichtigen Alter, weshalb ihm eine Einberufung zum syrischen Militärdienst aktuell nicht drohe. Er sei auch nicht gefährdet, zwangsrekrutiert zu werden. Dem Revisionswerber sei es nicht gelungen, eine konkret und gezielt gegen seine Person gerichtete aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität, welche ihre Ursache in einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe hätte, glaubhaft zu machen.
5 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 19. September 2023, E 1954/2023 5, ablehnte und die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
6 Die vorliegende außerordentliche Revision macht zu ihrer Zulässigkeit ein Abweichen des BVwG von näher genannter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Begründungspflicht, zur Beweiswürdigung sowie zur amtswegigen Ermittlungspflicht geltend. Das BVwG habe keine Prognoseentscheidung hinsichtlich einer dem Revisionswerber drohenden Einberufung zum Wehrdienst beim syrischen Regime vorgenommen. Damit sei das BVwG von näher ausgeführter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, wonach eine relevante Verfolgungsgefahr nur eine aktuelle sein könne, welche bei Erlassung der Entscheidung vorliegen müsse. Auf diesen Zeitpunkt habe die der „Asylentscheidung“ immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen zu befürchten habe. Das Fehlen einer solchen Prognoseentscheidung sei relevant, da der Revisionswerber bei Rückkehr nach Syrien in absehbarer Zeit Gefahr liefe, von der syrischen Armee zwangsrekrutiert zu werden und sich so an Kriegsverbrechen beteiligen zu müssen. Zudem habe sich das BVwG mit dem Vorbringen einer dem Revisionswerber drohenden Zwangsrekrutierung als Minderjähriger und der im Verfahren vom Revisionswerber eingebrachten ACCORD Anfragebeantwortung zur Zwangsrekrutierungen Minderjähriger in Syrien nur unzureichend auseinandergesetzt.
7 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan.
8 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
9 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
10 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
11 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs kommt es für die Asylgewährung auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention zum Zeitpunkt der Entscheidung an. Es ist demnach für die Zuerkennung des Asylstatus zum einen nicht zwingend erforderlich, dass bereits in der Vergangenheit Verfolgung stattgefunden hat, zum anderen wäre eine solche „Vorverfolgung“ für sich genommen auch nicht hinreichend. Entscheidend ist, ob die betroffene Person im Zeitpunkt der Entscheidung bei Rückkehr in ihren Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste. Relevant kann also nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Erlassung der Entscheidung vorliegen. Auf diesen Zeitpunkt hat die der „Asylentscheidung“ immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. VwGH 23.5.2023, Ra 2023/20/0110, mwN).
12 Den vom BVwG getroffenen Länderfeststellungen zur Wehrpflicht und der Pflicht zur Absolvierung des Wehrdienstes ist betreffend das Alter von Wehrpflichtigen zu entnehmen, dass männliche syrische Staatsangehörige im Alter von 18 bis 42 Jahren zur Ableistung eines Wehrdienstes in der Dauer von zwei Jahren gesetzlich verpflichtet seien. Dies gelte vom 1. Jänner des Jahres, in dem das Alter von 18 Jahren erreicht werde, bis zum Überschreiten des Alters von 42 Jahren. Junge Männer in Syrien seien im Alter von 17 Jahren dazu aufgerufen, sich ihr Wehrbuch abzuholen und sich einer medizinischen Untersuchung zu unterziehen. Im Alter von 18 Jahren werde man einberufen, um den Wehrdienst abzuleisten.
13 Das BVwG ging vor diesem Hintergrund davon aus, dass der im Entscheidungszeitpunkt fünfzehnjährige Revisionswerber aktuell das wehrfähige Alter von achtzehn Jahren noch nicht erreicht habe. Der Revisionswerber sei weder in der Vergangenheit ein Wehrdienstverweigerer gewesen, noch sei er aktuell ein solcher; konkrete Anhaltspunkte, dass sich der Revisionswerber einer konkret an ihn gerichteten Einberufung entzogen oder einer solchen keine Folge geleistet habe, seien im Verfahren nicht hervorgekommen. Aufgrund seines Alters bestehe für den Revisionswerber aktuell auch keine Verpflichtung, sich den bereits ein Jahr vor Erreichen des wehrpflichtigen Alters einsetzenden staatlichen Vorbereitungsmaßnahmen zu unterziehen. Es sei sohin nicht davon auszugehen, dass der Revisionswerber aktuell mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Gefahr liefe, bei einer Rückkehr mit Maßnahmen im Zusammenhang mit der Einberufung zum Wehrdienst konfrontiert zu sein. Dass das BVwG mit diesen Erwägungen von der oben zitierten Judikatur abgewichen wäre, vermag die Revision nicht darzutun.
14 Soweit die Revision moniert, dass BVwG habe sich mit dem Vorbringen einer dem Revisionswerber drohenden Zwangsrekrutierung als Minderjähriger und der ACCORD Anfragebeantwortung zur Zwangsrekrutierungen Minderjähriger in Syrien nur unzureichend auseinandergesetzt, ist ihr Folgendes zu erwidern: Das BVwG führte unter Berücksichtigung der getroffenen Länderfeststellungen zu Syrien sowie der vom Revisionswerber eingebrachten ACCORD Anfragebeantwortung zur Zwangsrekrutierungen Minderjähriger in Syrien aus, dass der Revisionswerber eine ihm drohende Zwangsrekrutierung durch regimetreue Milizen nicht habe glaubhaft machen können. Dabei werde nicht verkannt, dass es in Syrien nach den Länderberichten und der ACCORD Anfragebeantwortung zu Zwangsrekrutierungen Minderjähriger kommen könne; es sei den Länderberichten jedoch nicht zu entnehmen, dass systematisch eine große Zahl von Jugendlichen zwangsrekrutiert würde. Dass jedoch gerade der Revisionswerber in seinem Herkunftsgebiet mit der erforderlichen maßgeblichen Wahrscheinlichkeit konkret zwangsweise rekrutiert werden würde, könne weder den Länderberichten noch dem Vorbringen entnommen werden.
15 Die Revision legt nicht dar, dass das BVwG damit von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinsichtlich der Beurteilung einer Verfolgungsgefahr abgewichen wäre (vgl. VwGH 24.8.2023, Ra 2023/19/0123, mwN, wonach Verfolgungsgefahr eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit voraussetzt, wogegen die bloß entfernte Möglichkeit einer Verfolgung nicht genügt). Dass diese vom BVwG vorgenommene Beurteilung mit einer vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Unvertretbarkeit belastet wäre, vermag die Revision mit dem Hinweis auf allgemeine dem Verfahren ohnedies zugrunde liegende Länderberichte, ohne einen hinreichend konkreten Bezug zum Revisionswerber herzustellen, nicht darzulegen.
16 Soweit die Revision in diesem Zusammenhang noch Feststellungs , Ermittlungs- und Begründungsmängel rügt und insbesondere vorbringt, das BVwG habe keinerlei Feststellungen zu den ausschlaggebenden Faktoren, die im Zusammenhang mit einer möglichen Rekrutierung Minderjähriger zu beachten seien, getroffen, macht sie Verfahrensfehler geltend, ohne deren Relevanz in konkreter Weise darzulegen.
17 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 1. Februar 2024